Arbeiter:innenmacht

Gewerkschaften

Die Krise der Europäischen Union, , Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 7, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Nicht nur die alten und neuen reformistischen Parteien und die linken PopulistInnen haben es versäumt, eine kämpferische Antwort auf die Krise zu geben. Auch die Gewerkschaften haben dabei versagt, in den Abwehrkämpfen eine Führungsrolle zu übernehmen und sie auf europäischer Ebene zu vereinen. Die Gewerkschafts- und Betriebsorganisationen, wie die Europäischen Betriebsräte, sind nach wie vor schwach und eng mit einem System der Klassenzusammenarbeit verbunden, das sich mehr oder weniger an dem deutschen Mitbestimmungssystem orientiert. In den meisten Ländern sind die Gewerkschaften geschrumpft und auf bestimmte Industriezweige oder den öffentlichen Sektor reduziert worden. Nur noch kleinere Teile der Volkswirtschaften sind durch Tarifverträge abgedeckt.

In weiten Teilen Europas haben Arbeitslosigkeit, Prekarität, die Abschaffung oder Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen, Gesundheit, Bildung usw. zugenommen und haben Frauen, Jugendliche und MigrantInnen besonders hart getroffen. Ganze Teile Ost- und Südeuropas sind bereits verarmt.

Es ist eine bürokratische, reformistische Utopie zu denken, dass all dies nur dann aufgehalten werden könne, wenn man sich in „eigenen“ Land widersetzen würde. Erfolgreicher Widerstand kann nicht ohne einen koordinierten europäischen Gegenschlag erreicht werden, aber die Unorganisierten können nicht auf der Grundlage von Sozialpartnerschaft und bürokratischer Routine organisiert werden.

Die reformistischen und bürokratischen Führungen und der gesamte bürokratische Apparat haben ihr Schicksal schon lange mit einer Politik der systematischen Klassenzusammenarbeit in den Betrieben und der Sozialpartnerschaft in der Gesellschaft im Allgemeinen verknüpft. Die großen Gewerkschaften haben Produktivitätsvereinbarungen mit den großen Monopolen ausgehandelt, um die angeblich gemeinsamen Interessen „ihrer“ Unternehmen oder sogar der ArbeiterInnen aus „ihrem Land“ gegen die anderer Länder innerhalb eines multinationalen Unternehmens zu verteidigen. Die meisten Tarifverhandlungen  und Gewerkschaftskämpfe werden auf nationaler Ebene geführt, obwohl sie innerhalb der EU und weltweit zunehmend mit globalisierten Branchen zu tun haben.

Dieser national ausgerichtete Charakter der Gewerkschaften drückt sich entweder in einer sozialchauvinistischen Reformpolitik aus – Unterstützung von Einwanderungsbeschränkungen, die „unsere“ Lohnabhängigen an die erste Stelle setzen usw. – oder, noch schlimmer, in einer Zunahme von rechten Kräften in Betrieben und manchmal auch in Gewerkschaften, denn sie präsentieren sich als VerteidigerInnen des/r „nationalen ArbeiterIn“. Die Krise der Gewerkschaften kann jedoch überwunden werden, wenn wir das Positive an den Kämpfen der letzten Jahre verallgemeinern und ausbauen und einen systematischen Kampf für eine internationalistische Klassenpolitik in den Gewerkschaften führen.

An dieser Stelle sollten wir uns daran erinnern, dass es bereits europäische Kämpfe gegeben hat, die neoliberale Reformen zurückgewiesen haben, wie die Kämpfe der Transport- und HafenarbeiterInnen gegen die so genannten „Bolkestein“-Richtlinien. Dort erhob sich die ArbeiterInnenklasse gegen die EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg und konnte die Angriffe zunächst abwehren. In einigen Häfen gibt es Tarifverträge, die über die nationalen Grenzen hinaus gelten.

Jeden Tag arbeiten Hunderte von Millionen Menschen auf diesem Kontinent. Sie sind es, die den größten Binnenmarkt, einen großen öffentlichen Dienst und eine Großindustrie unterhalten, nicht die neoliberalen BürokratInnen aus Brüssel oder die Bosse der großen Produktionsketten. Dies eröffnet enorme Möglichkeiten für Aktionen der ArbeiterInnenklasse. Das Beispiel von Audi Ungarn zeigt dies. Nach einer Woche Streik in Györ waren auch andere Werke des VW/Audi-Konzerns betroffen. In Bratislava und Leipzig kam es zu Produktionsausfällen. Die ArbeiterInnen von Györ setzten ihre Forderung, eine Lohnerhöhung von 16 Prozent, durch trotz der Einführung der Sklavengesetze in Ungarn. Solche Arbeitskampfmaßnahmen könnten dazu erfolgreich beitragen Massenentlassungen in der nächsten Krise abzuwehren.

All dies zeigt den Weg vorwärts, einen Weg, auf den die Dynamik des Klassenkampfes selbst hinweist. Die ArbeiterInnenbewegung leidet jedoch unter dem Mangel an Internationalismus und revolutionärer Ausrichtung. Dies zeigt sich auch bei den Protesten und Massenmobilisierungen gegen dauernden Angriffe. Wenn die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen nicht in der Lage oder willens sind, die Kämpfe im Betrieb und auf der Straße zu führen, werden dies andere Klassen, andere Kräfte tun. Wir konnten dies bei Bewegungen wie den Indignados (Bewegung 15 M) in Spanien sehen, die Podemos hervorbrachten, oder in einer noch beunruhigenderen Version bei den Gilets Jaunes (Gelbwesten) in Frankreich, die einen populistischen, kleinbürgerlichen Charakter haben, wo rechte und linke PopulistInnen um die Führung wetteifern.

Wir können das auch bei den antirassistischen Kämpfen, in der Umweltbewegung oder am Aufstieg der linken nationalistischen Bewegungen wie in Katalonien beobachten. In diesen Fällen übernehmen grüne Parteien, nationalistische Kräfte oder NGOs (Nichtregierungsorganisationen) die Führung und beeinflussen die Bewegungen, wenn die ArbeiterInnenklasse nicht eine Politik betreibt, die sich aktiv gegen alle Formen von Unterdrückung richtet. In Osteuropa, Irland und Spanien haben die massiven Angriffe auf die Rechte der Frauen Hunderttausende auf die Straße gebracht. Viele Frauen haben sich zusammengeschlossen, aber meist unter der Führung liberaler bürgerlicher oder reformistischer Kräfte, was die Dimension ihrer Aktionen einschränkt.

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