Hannes Hohn, Revolutionärer Marxismus 43, Oktober 2011
Anfang 2011 sorgte die deutsche Übersetzung der Broschüre „Der kommende Aufstand“ für Furore. Per Internet und Kopierer verbreitete sich das Pamphlet in der linken und alternativen Szene wie ein Lauffeuer. Selbst im bürgerlichen Feuilleton wurde es breit behandelt. Schon in Frankreich, woher die Autoren (die anonym bleiben und sich „Unsichtbares Komitee“ nennen) stammen, verbreitete sich das Büchlein, das dort 2007 unter dem Titel „L´insurrection qui vient“ rasend schnell.
Der Grund für diese schnelle Verbreitung ist v.a. darin zu suchen, dass die von den Autoren sehr grundsätzlich gemeinte Kapitalismus-Kritik auf eine Stimmung traf und trifft, die sehr direkt damit konfrontiert ist, dass die „negativen“, krisenhaften Aspekte des Kapitalismus immer deutlicher zutage treten und auch in den imperialistischen Metropolen immer mehr Menschen ins soziale Abseits gedrängt werden. „Die Zukunft hat keine Zukunft mehr“, beschreiben die Autoren diese Situation im Vorwort.
Motivation und Ausgangspunkt ihres politischen Manifests waren, wie sie selbst sagen, die „Feuer vom November 2005, (die) unaufhörlich ihre Schatten auf jedes Bewußtsein“ werfen. Diese Feuer waren v.a. die Aufstände der (überwiegend immigrantischen) Jugendlichen in den Banlieus von Paris u.a. französischen Großstädten.
Ein Blick auf die Klassenkämpfe der letzten Jahre in Frankreich – wie auch in Europa und weltweit – zeigt, dass die vom „Unsichtbaren Komitee“ registrierten Feuer immer höher aufflammen und die tiefe Krise des Kapitalismus immer greller beleuchten. Kein Wunder, dass das Interesse der Menschen, die sich sozialen Angriffen gegenüber sehen oder in Streiks, Protesten, Blockaden aktiv waren, für Schriften, die politische Analysen und Antworten versprechen, groß ist. Das erklärt zum erheblichen Teil die Wirkung des „Kommenden Aufstands“.
Die Autoren haben sich „zu Schreibern der Situation gemacht“. Sie meinen, es „reicht aus, das zu benennen, was einem unter die Augen kommt, und dabei nicht der Schlussfolgerung auszuweichen.“ Wir wollen sehen, wie sie die Situation beschreiben, welche Schlussfolgerungen sie ziehen und welchen Aufstand sie kommen sehen.
In sieben „Kreisen“ behandeln die Autoren bestimmte Seiten der (französischen) bürgerlichen Gesellschaft, bevor sie in den letzten vier Kapiteln darauf eingehen, wie wir uns „finden“ und uns „organisieren“ müssen, um den „Aufstand“ durchzuführen. Zweifellos: ein großer Anspruch, dem das Komitee gerecht werden will!
Thema ist hier das bürgerliche Individuum, die „Personalisierung der Masse“ . Die Autoren beschreiben den Wahn, die Illusion, die Konkretisierung der „Individualität“ im Kapitalismus. Sie sehen sie kritisch, als instrumentalisiert von Herrschaft. „Die Suche nach sich selbst, mein Blog, meine Wohnung, der letzte angesagte Scheiß (…) was es an Prothesen braucht, um ein Ich zusammenzuhalten.“ Und weiter: „Es sollen wohl abgegrenzte, wohl getrennte Ichs aus uns gemacht werden, zuordenbar und zählbar nach Qualitäten, kurz: kontrollierbar (…)“. So weit, so treffend.
Doch es bleibt bei der Feststellung, dass die Persönlichkeit im Kapitalismus verbogen ist, dass die individuelle Freiheit zum großen Teil eine Farce ist. Das ist nicht neu, da wird nur Altbekanntes eingekreist.
Zugleich begegnen wir schon beim ersten Kreis einem methodischen Problem, das sich durch das gesamte Manifest zieht. Die Autoren denunzieren den verlogenen Charakter der bürgerlichen Freiheit – sie bleiben aber eine Antwort darauf schuldig, warum die bürgerliche Gesellschaft immer wieder den Ruf nach „Freiheit“ hervorbringt, was den zwieschlächtigen Charakter dieser „Freiheit“ ausmacht.
Daher bleiben auch wichtige, spannende Fragen außen vor: Was ändert sich an den Bedingungen, in die „das Ich“ gezwungen ist? Welche Freiheiten bietet die bürgerliche Gesellschaft auch? Denn anders, als es unsere Autoren etwas eindimensional sehen, bietet der Kapitalismus im Vergleich zu vorhergehenden Klassengesellschaffen auch reale Freiheiten und Lebensmöglichkeiten, von denen frühere Generationen nur träumen (vielleicht auch albträumen) konnten.
Bezeichnend für die Analyse unserer Autoren ist, dass bei ihnen die sozialen Differenzierungen der „Ichs“ überhaupt keine Rolle spielen, von Klassenverhältnissen oder der Frage, wie sich die Klassenlage(n) verändern, ganz zu schweigen. Immerhin gehört die Mehrheit derer, die in den Vorstädten Barrikaden bauen, die ihre Schulen und Unis bestreiken, die gegen die Angriffe von Staat und Kapital protestieren, zur Arbeiterklasse. Wie ist die Lage des Ichs als „doppelt freier Lohnarbeiter“?
Unsere Autoren umkreisen ihr Thema, ohne den Kern der Sache zu begreifen. Sie verstehen offenbar nicht, dass der Kapitalismus aufgrund des Fetischcharakters der Warenproduktion für die Masse der ausgebeuteteten LohnarbeiterInnen nicht anhand des Offenbaren einfach durchschaut werden kann. Ihre Illusionen in die „Freiheit“ fußen auf den Illusionen des bürgerlichen Rechtshorizonts, auf den verschleierten Lohnarbeits- und Ausbeutungsbeziehungen im Kapitalismus. Unsere Autoren beschreiben die Lage des „Ichs“, sie kritisieren dessen Konstitution, doch sie verhelfen niemandem zu einem wirklichen Verständnis der widersprüchlichen gesellschaftlichen Beziehungen, in denen das „Ich“ sich befindet.
Hinzu kommt außerdem, dass die Freiheiten – also die demokratischen Rechte – der Masse der Bevölkerung in der bürgerlichen Gesellschaft nie „automatisch“ zustande gekommen sind. Sie mussten vielmehr erkämpft werden durch gesellschaftliche Massenbewegungen, v.a. durch die Arbeiterbewegung, aber auch die Frauenrechtsbewegung, Bewegungen der Unterdrückten (wie die Bürgerrechtsbewegung in den USA usw.); ja diese demokratischen Freiheiten mussten oft genug mit revolutionären Mitteln erkämpft werden – sei es in den bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts oder als „Nebenprodukt“ der proletarischen Bewegungen z.B. nach der Novemberrevolution 1918.
Für einen großen Teil der Menschheit sind diese Freiheiten bis heute nicht existent. Der Kapitalismus in seiner Niedergangsepoche zeigt außerdem zunehmend die Tendenz, diese Freiheiten weiter einzuschränken.
Genau darin besteht ja auch ein Aspekt der Perfidie der „Freiheit“ – einerseits wird ihr realer Zuwachs in Form immer größerer Warenmengen, immer größeren Reichtums zur Schau gestellt, andererseits werden die realen Möglichkeiten der Masse der Bevölkerung in jeder Hinsicht immer mehr eingeschränkt. Das führt uns jedoch im Unterschied zu den Autoren des „Kommenden Aufstands“ dazu, dass der Kampf für diese demokratischen Rechte ein wichtiger Bestandteil auch des Klassenkampfes, ja des revolutionären Kampfes – siehe die Massenbewegungen im Nahen Osten und Nordafrika – ist. Es reicht daher nicht, den imaginären Charakter der Freiheitsversprechen der bürgerlichen Gesellschaft zu denunzieren, sondern es gilt zugleich, den Kampf um die Verteidigung und Ausweitung realer demokratischer Freiheit gegen die herrschende Klasse mit Kampf um den revolutionären Sturz der bestehenden Ordnung zu verknüpfen.
Dieser Teil trägt den Titel „Unterhaltung ist ein Grundbedürfnis“, befasst sich jedoch weniger mit der Unterhaltung, sondern u.a. mit Immigration und Entfremdung.
Gleich zu Anfang erfahren die verdutzten LeserInnen, dass es keine „Frage der Immigration“ gebe. Begründet wird diese These u.a. mit Aussagen wie: „Wer wächst noch da auf, wo er geboren wurde? Wer wohnt noch da, wo er aufgewachsen ist?“ usw. usf. So richtig der Verweis auf die allgemeine Tendenz der Globalisierung, der Dynamisierung des Lebens ist, so falsch ist die Ansicht, dass es ein spezielles Problem der Immigration deshalb nicht gebe, weil diese Tendenz alle betrifft.
Schließlich findet diese Tendenz nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen einer imperialistischen Weltordnung statt, nicht in einem grenzüberschreitenden System, sondern auf dem Boden eines Systems von Nationalstaaten. Und spätestens diese sortieren Menschen nach Herkunft, Geburtsland usw. dergestalt, dass die rassistische Unterdrückung von MigrantInnen zunimmt. Und natürlich sind dabei v.a. die Armen oder Lohnabhängigen besonders betroffen, die als billige und entrechtete Arbeitskräfte Objekt imperialistischer Überausbeutung sind.
Die Missdeutung des wichtigen gesellschaftlichen Problems der Immigration verwundert umso mehr, als gerade die Revolten migrantischer Jugendlicher in Frankreich die schwärende rassistische Wunde des demokratischen Frankreich offenbarten. Wir fragen uns, wie weltfremd ein Komitee von Schreibern sein muss, um zu einer solchen Fehleinschätzung zu kommen?! Natürlich – und das zeichnet den gesamten Text aus – sind die Autoren somit auch außerstande, konkrete Antworten zu geben, wie die besondere Unterdrückung von MigrantInnen bekämpft und wie deren tw. isolierter Widerstand mit den Kämpfen der Jugendlichen und der ArbeiterInnen verbunden werden kann.
Weiter wird im zweiten Kreis die allgemeine Entfremdung der Menschen im Kapitalismus dargestellt. „Wir wurden unserer Sprache enteignet durch die Schule, unserer Lieder durch die Hitparade, unseres Fleisches durch die Massenpornographie, unserer Stadt durch die Polizei, unserer Freunde durch die Lohnarbeit.“ Gewiss doch, aber auch das ist nur eine Seite der Medaille. Bei aller Instrumentalisierung von Schule, Kultur usw. für die Herrschafts- und Verwertungszwecke der bürgerlichen Gesellschaft übersehen die Autoren den Doppelcharakter der zivilisatorischen Errungenschaften des Kapitalismus. Wie auch die Lohnarbeit nicht nur Quelle von Mehrwert und also Profit ist, sondern auch einen Gebrauchswert, also praktischen Nutzen hat, so verhält es sich auch insgesamt mit der Gesellschaft. Schule indoktriniert nicht nur, sie vermittelt auch Wissen und Fähigkeiten. Sicher, Konkurrenz untereinander und kapitalistische Arbeitsorganisation sind keine Freundeskreise von Beschäftigten, doch gerade seine Konzentration in der modernen industriellen Produktion konstituiert auch das Proletariat als Klasse, bietet auch einen Boden für ihre kollektive Aktion und Machtentfaltung als Klasse.
Wo die Autoren nur Negativa, nur Probleme sehen, erkennen MarxistInnen auch die Chancen, die Bedingungen für den Befreiungskampf des Proletariats. Wo das „Unsichtbare Komitee“ nur soziale Verwerfungen beklagt, erkennt der Dialektiker auch die widersprüchlichen Bedingungen, aus denen heraus sich eine neue Gesellschaft entwickeln kann. Wo die Verfasser nur die Negation im Auge haben, sehen RevolutionärInnen die Möglichkeit und Notwendigkeit der Aufhebung des Kapitalismus im Kommunismus.
Dieser Teil behandelt einen zentralen Fragenkomplex: die Arbeit, die ArbeiterInnen sowie die Frage, welche soziale Rolle die Arbeiterklasse spielen kann.
Genaues, d.h. Analysen oder wenigstens Fakten über die Arbeitswelt erfahren wir natürlich auch hier nicht. Das grundsätzliche Manifest ist hier – wieder einmal – grundsätzlich oberflächlich. Gleichwohl glauben sich die Autoren auf ihrem theoretisch sehr schwankenden Grund zu sehr sicheren Schlussfolgerungen in der Lage.
So präsentieren sie uns die wunderliche Feststellung, dass in Frankreich „die industrielle Macht stets der staatlichen unterworfen“ war. Für MarxistInnen ist der Staat vor allem einmal das Machtinstrument der herrschenden Klasse, für unser Komitee aber wedelt der Schwanz mit dem Hund, d.h. der Staat dominiert das Kapital. Wie aber erklären sie sich dann, dass z.B. jede bürgerliche Verfassung das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln – auch gegenüber dem Staat – garantiert? Nach Ansicht der Autoren wäre Frankreich also eine Art staatskapitalistisches Land – und Grönland liegt am Äquator.
Ebensolche Verwirrung ärgert uns auch beim Versuch des Komitees, Arbeit im Kapitalismus zu definieren. „Der Begriff der Arbeit umfasste schon immer zwei gegensätzliche Dimensionen: Eine Dimension der Ausbeutung und eine Dimension der Teilnahme.“ Wenn Arbeit Produktionstätigkeit ist, dann steht die Frage, was produziert wird. Im Kapitalismus ist Arbeit Quelle von (Tausch)wert und Gebrauchswert. D.h. Arbeit ist einerseits ein nützlicher, (lebens)notwendiger Prozess der Auseinandersetzung mit der Natur, andererseits ein Ausbeutungsprozess zur Erzeugung von Profit. Unsere Autoren verwirren die ganze Sache nun dadurch, dass sie Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Ausbeutung der Arbeit, d.h. deren einer Nutzen, wird auf eine Zweck-Ebene gehoben mit der „Teilnahme“. Wenn Teilnahme aber einen Nutzen hätte, der nicht die Gebrauchswertschaffung wäre, dann doch wohl offenbar den, dass ArbeiterInnen gemeinsam am Produktionsprozess teilnehmen – so wäre es einfach eine Tautologie: Teilnahme, um teilzunehmen. Wenn die Verfasser unter „Teilnahme“ Kooperation im Arbeitsprozess verstehen, ist das zunächst korrekt, verliert aber jeden Sinn, weil Kooperation bezeichnet, wie ein Arbeitsprozess organisiert ist, während die Ausbeutung v.a. darauf verweist, zu welchem Zweck er erfolgt. Wer aber Form und Zweck nicht auseinander halten kann, dessen Analysen gegenüber sollte man mehr als skeptisch sein.
Doch flugs folgt auf diesen theoretischen Galimathias die forsche Folgerung, dass „die Arbeiter der marxistischen Rhetorik, welche die Dimension der Teilnahme leugnet, ebenso“ gleichgültig “begegnen wie der Rhetorik der Manager, welche die Dimension der Ausbeutung leugnet.“
Wir wissen nicht, welche Art Marxismus unsere Experten kennen, der Marxismus, der von Marx kommt, jedenfalls leugnet nicht, dass Produktion unter „Teilnahme“ von LohnarbeiterInnen stattfindet. Auch die Annahme, dass „die Arbeiter“ den Argumenten der Manager gleichgültig gegenüberstehen würden, ist – leider – ein Märchen. Wie anders wäre der durchaus weit verbreitete Glaube vieler ArbeiterInnen an Standortdenken, nationale Vorurteile usw. zu erklären?
Nach dem Missverständnis über die Arbeit tischen uns die Verfasser gleich den nächsten Unfug auf. „Die Arbeit hat restlos über alle anderen Formen der Existenz triumphiert, genau zu der Zeit (?), in der die Arbeiter überflüssig geworden sind.“ Was sind die „anderen Formen der Existenz“, die offenbar keine Arbeit darstellen?!
Wenn damit eine Existenz gemeint sein soll, die sich nicht aus Arbeit nährt, sondern von der Aneignung der Arbeit anderer, so fällt uns hier die des Kapitalisten ein. Warum die Arbeit gar „restlos“ über diese andere Form der Existenz „triumphiert“ haben soll, verstehe wer will. Doch gerade das behaupten die Autoren mit obigem Satz, auch wenn sie es wahrscheinlich selbst nicht wissen. Denn letztlich fassen die Autoren Kapital und Arbeit damit nicht als ein Widerspruchsverhältnis, sondern setzen die beiden identisch – womit sie natürlich auch die revolutionäre Lösung dieses Widerspruchs notwendigerweise aus dem Blick verlieren müssen.
Im selben Satz wird auch ohne jeden Beleg die kühne These aufgestellt, die „Arbeiter (sind) überflüssig geworden“. Die Entwicklung der Produktion sei so weit fortgeschritten, „dass sie die Menge an lebendiger (…) Arbeit, auf beinahe nichts reduziert (hat).“
Dumm nur, dass die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten – bei allen Schwankungen – weltweit nicht sinkt, sondern steigt. Derzeit beträgt die Zahl der Erwerbstätigen in den OECD-Staaten 526,6 Millionen. Im Jahr 2000 waren es erst 489,1 Millionen, 1990 erst 439 Millionen. Von diesem Trend ist auch Frankreich nicht abgekoppelt. Von der absoluten Zahl abgesehen, ist das soziale Gewicht der Arbeiterklasse noch zusätzlich dadurch gewachsen, dass der Anteil der Wertschöpfung des industriellen Bereichs am gesellschaftlichen Gesamtprodukt steigt.
Dass im Kapitalismus tendenziell lebendige Arbeit durch Maschinerie ersetzt wird (steigende organische Zusammensetzung des Kapitals) wissen wir schon seit Marx. Doch daraus folgt eben nicht eine absolute Abnahme der Zahl der ArbeiterInnen: Erstens, weil neue Branchen neue Beschäftigung anziehen bzw. schaffen; zweitens, weil durch Arbeitslosigkeit, prekäre oder Teilzeitarbeit zwar die Arbeitszeit pro Beschäftigten, nicht jedoch die Zahl der Beschäftigten selbst sinkt oder zwangsläufig sinken muss.
Aber all das interessiert unsere Autoren sowieso nicht wirklich. Auch bezüglich der Organisation und der Differenzierung der Arbeit werden einfach Behauptungen aufgestellt, ohne dass auch nur der Hauch eines Beweises oder empirische Belege vorhanden wären.
„In den Unternehmen teilt sich die Arbeit immer offensichtlicher in hochqualifizierte Arbeitsplätze (…) und in entqualifizierte Arbeitsplätze“. Das ist nicht neu und wurde schon von Lenin dargestellt, als er auf die Herausbildung einer besonderen, relativ privilegierten Schicht innerhalb der Arbeiterklasse hinwies: die sich v.a. aus der Facharbeiterschaft rekrutierende Arbeiteraristokratie. Zu der durchaus interessanten Frage, ob sich das quantitative Verhältnis zwischen diesen Beschäftigtengruppen verschiebt, erfahren wir im Manifest nichts.
Über die „unteren“ Arbeiterschichten heißt es dort: „Diese flexible, undifferenzierte Arbeitskraft, die von einer von einer Aufgabe zur nächsten wechselt und nie lange in einem Unternehmen bleibt, kann sich nicht mehr zu einer Kraft verdichten. Dies, weil sie nie im Mittelpunkt des Produktionsprozesses steht, sondern wie pulverisiert ( ist)“. „Der Leiharbeiter ist die Figur dieses Arbeiters“.
Natürlich entspricht die Lage vieler LeiharbeiterInnen dieser Beschreibung. Viele andere jedoch sind sehr wohl im Kernbereich der Produktion tätig – und zwar als gut ausgebildete Fachkräfte. Sicher ist diese Situation in Deutschland stärker ausgeprägt als in Frankreich oder anderswo, doch eine solche Generalisierung, wie sie unsere Autoren hier vornehmen, geht am Kern der Sache vorbei und bleibt – völlig unbewiesen – pure Behauptung.
Darüber hinaus bietet das Manifest – obwohl es hier richtigerweise einen Wandel der Struktur der Arbeiterklasse feststellet – auch hier keine Perspektive für die LeiharbeiterInnen. Es beklagt lediglich, dass sie „keinen Beruf mehr“ haben, sondern ausschließlich „Fähigkeiten, die er bei seinen Einsätzen verkauft“. Die AutorInnen beschreiben hier auf einer abstrakten Ebene die Notwendigkeit von allen Lohnabhängigen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, schaffen es jedoch nicht, die spezifischen Probleme von LeiharbeiterInnen herauszuarbeiten. Für das Kapital bietet Leiharbeit den großen Vorteil von Flexibilität. Kündigungsschutz und andere gewerkschaftlich erkämpfte Rechte sind weitgehend ausgehebelt. Die Lösung für dieses Problem muss u.a. der Kampf um die Eingliederung in die sogenannten „Stammbelegschaften“ beinhalten. Übersieht man diese politischen Forderungen macht man es sowohl den KapitalistInnen als auch den GewerkschaftsbürokratInnen nur leicht, die „Stammbelegschaften“ gegen die LeiharbeiterInnen auszuspielen.
Bemerkenswert – und für die Bewertung des gesamten Pamphlets wichtig – ist an diesen Aussagen, welche Rolle dem Proletariat zugeschrieben wird. Die „undifferenzierte Arbeitskraft (…) kann sich nicht mehr zu einer Kraft verdichten.“ Über den anderen Teil der Klasse und dessen Möglichkeiten, sich „zu einer Kraft zu verdichten“, wird gleich gar nichts gesagt. Doch der gesamte Text lässt keinen Zweifel darüber zu, wie die Autoren zur Arbeiterklasse stehen. Sie bedauern sie mehr oder weniger als ausgebeutete Schicht, sehen sie jedoch nicht als jene Klasse, die nach wie vor durch ihre Zahl, durch ihre Konzentriertheit und Organisiertheit, durch ihre enge Verbindung mit den modernen Produktivkräften das entscheidende Subjekt jeder größeren sozialen Veränderung – eine revolutionäre Klasse ist.
Sie verkennen zudem, dass die Tendenzen der Differenzierung und der Atomisierung, der vielfältigen Spaltungen der Klasse durch Staat und Kapital bewusst erzeugt und dafür genutzt werden, um die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen und sie zu spalten. Sie sehen überhaupt nicht, dass es eine zentrale Frage des politischen Kampfes ist, diese Spaltungen zu überwinden. In letzter Instanz ist das nur im Klassenkampf möglich. Gerade dafür gibt es aber im gesamten Text des „Kommenden Aufstands“ keinen einzigen Vorschlag. Das ist umso bemerkenswerter, als es gerade in Frankreich in den letzten Jahren zahlreiche Klassenkämpfe gab, in denen die Gewerkschaften und die Lohnabhängigen, v.a. des Öffentlichen Dienstes, im Transportsektor (Bahn) oder bei den Raffinerien, eine entscheidende Rolle spielten.
Diese Kämpfe werfen allerdings auch die Frage auf, warum die millionenstarken Proteste und Streiks bisher keinen durchschlagenden Erfolg hatten und Kapital und Regierung ihre Macht behalten konnten. Auf die Frage, welche reformistischen Führungen und Konzepte die Mobilisierungen letztlich ausverkauften und deren Zuspitzung verhinderten, erhalten wir ebensowenig irgendeine substantielle Auskunft.
Am Schluss des dritten Kreises lassen die Autoren die Katze aus dem Sack: „Sich darüber hinaus und gegen (sic!) die Arbeit zu organisieren, kollektiv vom Regime der Mobilisierung zu desertieren, (…) ist die einzige Art, die zu überleben.“ Nicht die Veränderung der Arbeitswelt, nicht deren grundsätzliche Umwandlung infolge und im Zuge einer sozialistischen Revolution, nicht die Aufklärung, Mobilisierung und Organisierung des Proletariats – und v.a. dessen „schwere Bataillone“ in den industriellen Zentren – ist das mutige Ansinnen des Manifests. Sein ärmliches „Credo“ ist das Desertieren, die Flucht aus der Arbeit und der Arbeitswelt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Damit ist nicht so etwas wie ein Streik, ganz zu schweigen von einer Produktionskontrolle durch die ArbeiterInnen gemeint.
Diese Orientierung ist gleich in mehrfacher Hinsicht absurd. 1. versetzt sie die Bourgeoisie nicht gerade in Schrecken, denn diese hat allemal genug Arbeitslose, die arbeiten müssen, um leben zu können, um ein paar vom kommenden Aufstand träumende Aussteiger ersetzen zum können. 2. würde die Aussteiger-Perspektive überhaupt nur einen Sinn machen und sozialen Druck erzeugen, wenn sie massenhaft befolgt würde und nicht nur individuell. Doch wie das erreicht werden könnte, welche politischen und organisatorischen Implikationen das hätte – selbst vor dieser Frage, die sich unser Komitee stellen müsste, wenn es wenigstens seine eigenen Ideen ernst nehmen würde, ergreift man die Flucht. 3. werden die meisten Lohnabhängigen (und umso mehr Arbeitslose) die Flucht-Vorschläge unserer „akademischen“ Sozialrevoluzzer als bitteren Scherz empfinden, wenn sie daran denken, sich und ihre Familien durchzubringen. Denn: gerade weil der Kapitalismus alles verwertet – also Alle ohne Geld ein Niemand sind -, was die Autoren seitenweise selbst beklagen, sind sie eben gezwungen, ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen.
Das politisch-methodische Fazit des „Kommenden Aufstands“ ist jedenfalls klar: Nicht Kampf mit und um die Arbeiterklasse, sondern Flucht von und aus ihr heißt das Rezept! Wohin die Flucht führen soll, werden wir noch sehen.
In diesem Teil beschreiben die Autoren näher, was ihre Auffassung von „Widerstand“ ist. Es heißt dort:
„Die erste Geste, damit etwas mitten in der Metropole hervorbrechen kann, damit sich andere Möglichkeiten eröffnen, besteht darin, ihr Perpetuum Mobile zu stoppen. Das ist es, was die thailändischen Rebellen verstanden haben, die Umspannwerke hochgehen lassen. Das ist es, was die Anti-CPE verstanden haben, die die Universitäten blockierten, um dann zu versuchen, die Wirtschaft zu blockieren. Das ist es auch, was die im Oktober 2002 streikenden amerikanischen Hafenarbeiter verstanden haben, die für den Erhalt von 300 Arbeitsplätzen zehn Tage lang die wichtigsten Häfen der West-Küste blockierten. Die amerikanische Wirtschaft ist von den kontinuierlichen Flüssen aus Asien derart abhängig, dass sich die Kosten der Blockade auf eine Milliarde Euro am Tag beliefen. Mit zehntausend Leuten kann man die größte Wirtschaftsmacht ins Wanken bringen. Hätte die Bewegung noch einen Monat länger gedauert, wäre es laut mancher ‚Experten‘ zu einer ‚Rückkehr der USA in die Rezession und einem wirtschaftlichen Albtraum für Süd-Ost-Asien‘ gekommen.“
Diese Passage lohnt, genauer betrachtet zu werden, weil sie viele Fehler der politischen Methode des „Kommenden Aufstands“ fokussiert.
Erstens zeigt dieser Abschnitt, v.a. der richtige Verweis auf die soziale Kraft des Proletariats in Gestalt der streikenden amerikanischen Docker, dass – entgegen der sonstigen Intention des Textes – die Arbeiterklasse auch heute noch (in Wahrheit heute umso mehr) die entscheidende Macht ist, das System ins „Wanken“ zu bringen oder gar zu stürzen.
Zweitens verrät der Text aber eben auch das Unverständnis der Autoren vom Klassenkampf. Da wird ein Streik in einem strategischen Sektor der Wirtschaft der USA oder die Blockaden von Unis, Schulen und des Verkehrs in Frankreich auf eine Stufe gestellt mit der Sprengung eines Umspannwerkes in Thailand. Streiks wie Massenbewegungen sind immer Aktionen, die eine bestimmte Form von Organisation von Massen und ihre Bewußtseinsbildung implizieren. So spielten bei den amerikanischen Dockern wie bei der Anti-CPE-Bewegung in Frankreich Gewerkschaften bzw. betriebliche u.a. Basisstrukturen sowie tw. die Linke eine zentrale Rolle, während die Sprengung eines Umspannwerkes durch „Rebellen“ – also die geheime Aktion einer kleinen Verschwörergruppe oder gar eines Einzelnen – etwas ganz anderes ist. Wie „effektiv“ und politisch „sinnvoll“ solche Anschläge sind, zeigte sich 2011 in Berlin, als irgendwer (vielleicht animiert durch die Lektüre des „Kommenden Aufstands“?) eine zentralen Kabelbaum kappte. Der Ausfall von Zügen, das Erlöschen des Lichts im OP-Saal und das Steckenbleiben im Fahrstuhl hat die Leute jedoch nicht zum Aufstand und auch nicht zu antikapitalistischen Einsichten geführt, sondern nur deren verständliche Wut über ein paar Idioten angefacht.
Drittens. Mit „zehntausend Leuten“ kann man eine Wirtschaftsmacht tatsächlich „ins Wanken“ bringen – doch kippen wird sie nicht. Auch nicht, wenn der Streik in den West-Küsten-Häfen der USA noch länger gedauert hätte. Was unsere Autoren unterschätzen, ist ganz einfach, dass die Wirtschaft nicht einfach zusammensackt, wenn so und so viele Milliarden Schäden durch Streiks entstehen. Was wäre denn geschehen, wenn der Streik auch nur ein paar Tage länger gedauert hätte? Ganz einfach: der US-amerikanische Staat hätte die Nationalgarde, eventuell die Army und auf jeden Fall einige tausend Streikbrecher eingesetzt, um die Häfen wieder in Gang zu bringen. Die Möglichkeiten, die Absicht, den rechtlichen Rahmen und die Medien dazu hat der Staat.
Was unsere Autoren vergessen, ist, dass Klassenkampf immer auch einen politischen Kampf darstellt, dass der Konflikt einiger Sektoren immer auch ein Gesamt-Klassenverhältnis widerspiegelt.
Viertens zeigt sich in diesem Zitat, dass das Komitee keine Ahnung davon hat, wie ein Klassenkampf gewonnen werden kann respektive, warum er verloren gehen oder mit einem Kompromiss enden kann. Wenn der erwähnte Docker-Streik oder die Bewegung gegen CPE wirklich erfolgreich sein soll, dann muss der Kampf über einzelne Sektoren ausgedehnt werden und zu Massen- oder Generalstreiks führen, um Staat und Kapital zum Nachgeben zwingt. Und auch nur solche Massenaktionen werfen wirklich die Machtfrage auf – ohne sie jedoch automatisch zu lösen.
Solche Massenaktionen sind aber nicht durchführbar, ohne dass starke Parteien oder Gewerkschaften sie vorbereiten, ausrufen und organisieren. In den USA gibt es noch nicht einmal eine reformistische Arbeiterpartei und die Gewerkschaftsbe-wegung ist schwach, zersplittert und oft nicht gerade sehr kämpferisch; in Frankreich dagegen gibt es gleich mehrere reformistische Parteien (KP, SP), Gewerkschaften (CGT, CFDT, FO u.a.) sowie einige linke Organisationen, die über einigen Einfluss verfügen (z.B. die NPA).
Während in den USA der Hafenstreik nicht zu größeren Solidaritätsaktionen anderer Bereiche führte, war die Bewegung gegen CPE u.a. in den letzten Jahren eine landesweite, die mehrfach mit Generalstreiks verbunden war und tw. sehr militant geführt wurde. Trotzdem hat auch sie Regierung und Kapital nur „ins Wanken gebracht“, aber nicht gestürzt. Warum?
Wir wollen hier – im Unterschied zum Komitee, das nur über das „Wanken“ schwärmt, ohne zu sagen, wie daraus ein Stürzen werden könnte – zwei zentrale Gründe dafür anführen, warum die Bewegung nicht weiter ging. Zum einen fehlte der Bewegung eine Kampfführung, welche die Bewegung bewusst weiter führen wollte und dafür einen Plan hatte. Die refomistischen Spitzen von KP, SP und Gewerkschaften waren nur daran interessiert, Druck aufzubauen, um Zugeständnisse zu erzwingen und zugleich ihre Rolle als Führer und Unterhändler zu legitimieren, um die Bewegung dann wieder zu demobilisieren. Jedem Kampf um die Macht oder gar für Sozialismus weichen sie aus. Warum lassen die Massen das zu? Weil sie über keine alternativen Führungen und Organisationen verfügen, weil sie über keinen alternativen Plan für den Kampf oder gar für die Machtergreifung verfügen. Genau darum geht es aber für all jene, die den Kapitalismus nicht nur bekämpfen, sondern ihn auch besiegen wollen: um ein revolutionäres Programm und eine darauf gegründete revolutionäre Arbeiterpartei und -internationale.
Dieser Schlussfolgerung auf über 80 Seiten Text nicht einmal nahe gekommen zu sein, ist ein Hauptmanko des „Kommenden Aufstands“.
Auch aus Platzgründen wollen wir auf diese Abschnitte nicht näher eingehen, jedoch einige Bonmots zitieren, die verständlich machen, warum „Der kommende Aufstand“, obwohl er politisch eine sehr dünne Suppe bietet, doch einige schmackhafte Häppchen enthält und von vielen Leuten verschlungen wird.
Zur Ökologie – gemeint ist die ökologische Bewegung – lesen wir sehr treffend: „Das gegenwärtige Paradox der Ökologie ist es, das sie unter dem Vorwand, die Erde zu retten, lediglich das Fundament dessen rettet, was aus ihr dieses verödete Gestirn gemacht hat.“ Das zu lesen, wäre für alle Grünen sinnvoll.
Oder: „Die Abgeschmacktheiten der Weihnachtsmärkte lassen sich mit immer mehr Wachleuten und Stadtpolizeistreifen bezahlen.“ Oder: „Das Abendland, das ist heute ein GI, der in einem Abraham M1 Panzer nach Falloudja rast und volle Pulle Hardrock hört.“
Ja, als Feuilleton hat der Text seine Reize, als politisches Pamphlet, als das er sich – schon nach dem Titel – versteht, ist er allenfalls aufreizend, jedoch nicht erhellend. Wir sehen das v.a. auch in den Schlusskapiteln, die mit „Auf geht´s!“, „Sich finden“, „Sich organisieren“ und „Aufstand“ überschrieben sind.
„Sechzig Jahre der Befriedung, ausgesetzter historischer Umwälzungen (…) demokratischer Anästhesie und Verwaltung der Ereignisse haben in uns (…) geschwächt (…) den parteilichen Sinn für den laufenden Krieg.“
Ein Hoch auf die Geschichtsschreibung! Die letzten 60 Jahre, also die gesamte Menschheitsgeschichte seit 1947, grob gesagt also seit Konstituierung der Nachkriegsordnung, können die Autoren bloß als „Stillstand“ der Geschichte fassen. Allein eine kurze Erinnerung an den französischen Mai ‘68 führt dieses Zerrbild jedoch ad absurdum. Der Befriedung ging damals bekanntlich eine revolutionäre Situation voraus. Die mögliche historische Umwälzung wurde nicht „ausgesetzt“, sondern es war die aktive Rolle der reformistischen Führung der französischen Arbeiterklasse, allen voran der Verrat der KP, der zur Niederlage der Revolution führte. Den 12 Millionen, die sich am Generalstreik beteiligten, mangelte es damals nicht am „parteilichen Sinn für den laufenden Krieg“, sondern an einer revolutionären Führung, die sie zum Sieg hätte führen können. An „parteilichem Sinn“ mangelte es auch nicht den damals rasch entstandenen trotzkistischen und maoistischen Gruppierungen, wohl aber fehlte all diesen zentristischen Organisationen ein klares revolutionäres Programm, eine Strategie und Taktik, mit der sie den Einfluss des Reformismus brechen und die Führung der Massenbewegung hätten erlangen können.
Noch viel absurder wird die „Zusammenfassung“ der Nachkriegsgeschichte, wenn wir die vielen großen Umwälzungen vor Augen halten, die Siege von Befreiungsbewegungen, Arbeiterkämpfe, Revolutionen einerseits wie imperialistische Interventionen, strategische Angriffe auf die Lohnabhängigen, Konterrevolutionen andererseits. Sie übten immer einen nachhaltigen Einfluss aus: auf die Bewusstseinsentwicklung und Kampffähigkeit, in Phasen des Niedergangs und des Aufschwungs, bei Radikalisierung oder bei der Befriedung oder gar bei Demoralisierung und Resignation.
Gemeinsam war all diesen Phasen jedoch, dass sie immer auch mit dem Kampf verschiedener politischer Klassenkräfte innerhalb der Bewegungen der Unterdrückten und Ausgebeuteten einhergingen; gemeinsam ist den verschiedenen Phasen, Kämpfen, Bewegungen auch, dass sie von nicht-revolutionären (reformistischen, nationalistischen, stalinistischen) Kräften dominiert und geführt wurden.
Die Gretchenfrage ist daher, wie dieser Zustand überwunden werden kann – und dazu gelangt das Manifest zu einer durchaus überraschenden – und bezeichnenden – Schlussfolgerung:
„Es ist vergeblich, auf legalem Wege gegen die vollendete Implosion des legalen Rahmens zu protestieren. Entsprechend muss man sich organisieren.“
Falsch daran ist erstens, dass der legale Rahmen verschwunden wäre. Im Gegenteil: Zumindest in den imperialistischen Zentren ist er der Normalfall der Form bürgerlicher Herrschaft. Noch absurder ist, anzunehmen es wäre „vergeblich“, auf legalem Wege zu kämpfen. Nicht nur, dass fast jede Form von Protest und Widerstand sich im legalen Rahmen bewegt oder zumindest darin beginnt (Demonstrationen, Streiks); es ist einfach Unsinn, zu behaupten, legale Kämpfe würden nichts bringen. Die Geschichte des Klassenkampfes kennt tausende Beispiele dafür, wie „ganz legal“ Staat und Kapital bestimmte Zugeständnisse und Erfolge abgerungen wurden.
Richtig ist sicher, dass Kämpfe und Kampfmethoden oft den legalen Rahmen überschreiten müssen, wenn sie Erfolg haben wollen – zudem der Klassengegner bei Bedarf als erster auf die Demokratie, auf die Verfassung usw. pfeift. Doch auf legale Mittel von vornherein zu verzichten, heißt auch, von vornherein auf zwei wesentliche Faktoren im Kampf zu verzichten: auf die Massen und alle legalen – also die Mehrzahl aller – Kampfmethoden in „normalen“ Situationen, also in nicht-revolutionären Momenten. In der Endkonsequenz bedeutet die uns hier empfohlene „Taktik“ für alle solche Situation – Verzicht auf den Klassenkampf überhaupt!
Nach diesem Ruf an die Massen „Kämpft nicht!“ folgt der Rat „Organisiert Euch nicht!“ Ein, angesichts der Kapitelüberschriften, seltsam anmutender Rat – und doch geht es genau darum.
„Es gibt keinen Grund“, beginnt die nächste Empfehlung, „sich (…) zu engagieren, in dieser oder jener Sackgasse der radikalen Linken“, denn „alle Organisationen, die vorgeben, die gegenwärtige Ordnung anzufechten, haben selbst wie Marionetten die Form, Sitten und die Sprache von Miniaturstaaten.“ Was immer das heißen soll, können wir nur ahnen. Wissen können wir allerdings, dass wir dieser Pauschalverurteilung von in jeder Hinsicht sehr unterschiedlichen linken Strukturen gegenüber äußerst argwöhnisch sein sollten – wie gegenüber jeder Pauschalisierung. Außerdem vergessen unsere neunmalklugen Linken-Kenner, dass diese bösen linken Gruppen immerhin oft eine sehr aktive Rolle in jenen Kämpfen spielen, welche unser kritisches Komitee so gut findet, weil diese mitunter das System ins „Wanken“ bringen. Sollen sie selbst mit diesem Widerspruch herumschlagen.
Mit der kategorischen Ablehnung linker Organisierung geht hier die Weigerung einher, sich ernsthaft mit den Diskussionen innerhalb der „radikalen Linken“ auseinanderzusetzen. Wenngleich man auch viele Momente linker Politik kritisieren kann – unter ihnen sowohl Sektierertum als auch Opportunismus – so ist es doch billig, sich gar nicht erst auf eine Diskussion einzulassen.
Damit ignorieren die AutorInnen grundlegende Aufgaben linker Politik im Verhältnis zu Bewegungen. Denn Proteste wie jene gegen den CPE beginnen und werden, solange sie sich im Rahmen bürgerlicher Verhältnisse bewegen und nicht zu einer revolutionären Lösung kommen, ab einem bestimmten Punkt auch wieder zu Ende gehen. Die Aufgabe von revolutionärer Politik verstehen wir dabei nicht nur darin, in solchen Bewegungen aktiv mitzuarbeiten und sie mit aller Kraft aufzubauen, sondern vor allem darin, ein langfristiges politisches und organisatorisches Angebot zu machen, um in- wie außerhalb konkreter Bewegung den Aufbau einer kommunistischen Partei voranzutreiben. Das Komitee hat jedoch eine andere Logik: In letzter Instanz gilt es – so oft sie auch in radikaler Wortwahl bestehende Kämpfe wertschätzen – sich von solchen Protesten fernzuhalten, um alternative Inseln aufzubauen, die jedoch das Bestehende unangetastet lassen.
Nach diesen politischen Einschätzungen wundert es uns nun nicht mehr, dass unsere Helden des „Kommenden Aufstands“ sich – wie alle wirklichen Gutmenschen – von der Welt verlassen fühlen: „Wir gehen aus von einem Punkt der extremen Isolation, der extremen Ohnmacht. Alles ist (daher) aufzubauen im aufständischen Prozess.“
Sicher, auch wir gehen davon aus, dass die historische Kontinuität der revolutionären Arbeiterbewegung in jeder Hinsicht seit Jahrzehnten – genauer seit dem Zerfall der revolutionären IV. Internationale Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre – abgerissen ist. Wir gehen deshalb davon aus, dass eine neue, die Fünfte Internationale aufgebaut werden muss. Wir wissen, dass das viel theoretische und organisatorische Arbeit erfordert und die Verbindung von revolutionärer Politik mit realen Klassenkämpfen.
Doch wir beginnen dabei keinesfalls beim Punkt Null. Wir verfügen über die praktischen Erfahrungen und die theoretischen Errungenschaften von rund 150 Jahren Klassenkampf, Marxismus und kommunistischer Bewegung. Vor allem aber können und müssen wir an real vorhandene Kämpfe, Strukturen und Organisationen anknüpfen – das bedeutet Kooperation im Klassenkampf genauso wie politischen Kampf gegen Bürgerliche aller Couleur, gegen Reformismus, Zentrismus usw.
Wer, wie das „Unsichtbare Komitee“ von einer „extremen Ohnmacht“ spricht, der muss in einer anderen Welt leben – in einer Welt, in der sich niemand wehrt, in der es keine Proteste und Kämpfe gibt. Ob Kampf gegen CPE, Proteste gegen Sparpakete, Widerstand gegen imperialistische Besatzung oder die revolutionären Aufstände in der arabischen Welt – wer glaubt, daran nicht anknüpfen zu können oder zu wollen, der kann sich nur noch selbst aufknüpfen.
Doch schauen wir, was die Autoren uns als ihre organisatorischen Vorschläge unterbreiten. Klar ist jedenfalls, dass alle vorhandenen Organisationen nichts taugen. „Ihr wiederholter Verrat (…) hat sie am meisten von der Verbindung zu ihrer Basis entfremdet.“ Das ist richtig, wirft aber die Frage auf, warum das so ist bzw. wer oder was dafür verantwortlich ist. Wir würden sagen: der Reformismus. Das Komitee meint dazu – nichts. Doch wie immer ziehen sie aus einer dürftigen Analyse einen umso deftigeren Schluss: „Nichts von den Organisationen erwarten“, oder – als Krönung des individuellen Widerstands – einen „konsequenten Austritt“ vollziehen.
Hier stolpern unsere antikapitalistischen Helden in die erstbeste Falle der Reformisten. Die sind nämlich immer sehr froh darüber, wenn niemand Forderungen an sie stellt, sich keine/r in ihre Bürokraten-Belange mischt oder ihnen gar das Handwerk legt. Auch die stille Hoffnung des Komitees, dass alle aus den bürokratischen Massenorganisationen austreten, wird sich nicht erfüllen. Erstens wäre das nach über hundert Jahren vorherrschenden Reformismus schon lange passiert und zweitens muss es offenbar ein paar gute Gründe für Millionen Lohnabhängige geben, trotzdem – freiwillig – in Gewerkschaften Mitglied zu sein. Doch es fällt uns schon schwer genug, dem Komitee das ABC erklären zu müssen, wir wollen nicht auch noch die Tinte analysieren.
Erwähnt sei aus dem Abschnitt „Sich finden“ nur noch ein schlagendes Beispiel dafür, wie politische Blindheit sich mit Frechheit paart: „Alle Milieus (gemeint sind hier Organisationen, d.A.) sind konterrevolutionär, da ihr einziges Anliegen der Erhalt ihrer miesen Bequemlichkeit ist.“
Das große Zauberwort, mit dem alle Fragen, wie man sich organisieren muss, gelöst werden, ist der Begriff „Kommune“. Natürlich wird darunter nicht etwa das verstanden, was die Kommune historisch ursprünglich war, ein in sich demokratisches, aber in der Funktion (allerdings nur aufgrund der Dominanz von RevolutionärInnen darin) revolutionäres Kampf- und Machtorgan des Proletariats, zuerst in der Pariser Kommune von 1871, später dann u.a. in den Sowjets in der Russischen Revolution von 1917. Nein, natürlich verstehen unsere AutorInnen das darunter, was sie darunter verstehen wollen. Auch hieran zeigt sich ihre durchaus idealistische und unhistorische Methode. Sie jonglieren mit Begriffen, die ihnen in ihrem Ungeschick dann auch noch ständig aus den Händen rutschen.
Trotz vieler Worte wird nie ganz klar, was eine Kommune für sie wirklich ist, wie sie entsteht und nach welchen Prinzipien sie arbeitet. Die Kommune-Konzeption des Komitees ist – wohlwollend ausgedrückt – etwas schillernd. Immerhin erfahren wir aber u.a., dass „Jeder wilde Streik (…) eine Kommune, jedes kollektiv besetzte Haus (…), die Aktionskomitees von 68“ usw. eine Kommune sind. Unterm Strich: jede kollektive oppositionelle Struktur kann also eine Kommune sein. Bezeichnend ist allerdings schon, dass ein wilder Streik eine Kommune sein kann, ein organisierter aber nicht!
Nun ist es aber so, dass die wirklich effektiven Streiks meist Massenstreiks- oder Generalstreiks (z.T. politische) waren. Gerade die sind aber eben fast immer keine wilden Streiks und können es auch gar nicht sein. Doch das ficht unsere, offenbar außerhalb jeder historischen Erfahrung denkenden, Kommune-Experten nicht an.
Zur Funktion der Kommune erfahren wird dann u.a. auch: „Der Anspruch der Kommune ist es, für alle so viel Zeit wie möglich freizumachen.“ Mit Zeit ist hier v.a. die Zeit, „die frei von lohnabhängiger Ausbeutung“ ist, gemeint. Daher ist auch der Abschnitt „Sich organisieren“ mit dem Slogan „Sich organisieren, um nicht mehr arbeiten zu müssen“ untertitelt.
„Die Kommune ist die elementare Einheit der Realität der Partisanen.“ Nur, wer von Partisanenkampf oder Bürgerkrieg nicht die geringste Ahnung hat, kann glauben, dass das kleinbürgerliche Puppenstuben-Modell der autonomen „Kommune“ des Komitees die elementare Einheit von irgendetwas sein kann, schon gar nicht des bewaffneten Kampfes.
Die systemsprengende Kraft der Kommune soll sich gerade dadurch entfalten, dass diese a) nicht die Mehrheit, sondern immer nur die Minderheit organisiert; dass sie b) fern von der Arbeiterklasse existiert als eine Kommune von Arbeitslosen, was nicht despektierlich gemeint ist, sondern nur darauf verweist, dass c) diese Kommune eben wenig oder keine Möglichkeiten hat zu streiken oder die Produktion zu kontrollieren und umzugestalten.
Wer wirklich glaubt, dass diese Art von „Kommune“ eine geeignete Struktur ist, um einen „kommenden Aufstand“ vorzubereiten oder gar durchzuführen, der glaubt auch, aus Heringsbrühe wird Wein, wenn sie nur in Flaschen gefüllt wird.
Was tut eine solche Kommune mit ihrer gewonnenen Zeit? „Plündern, anbauen, herstellen“, gibt eine Zwischenüberschrift die Richtung an. Wenn einzelne Habenichtse sich was klauen, um leben zu können, ist das in Ordnung. Wenn eine ganze Klasse, wenn Millionen diese Alternative wählen, kann das aber nicht funktionieren. Aber dem Komitee geht es ja, wie wir inzwischen gemerkt haben, auch gar nicht um die Gesellschaft – es sei denn als Gegenstand, die Misere zu beklagen – sondern um die „Befreiung“ jener Minderheit von „aufgeklärten Antikapitalisten“, die sich in einer Kommune organisieren wollen und können, die containern gehen, um sich zu ernähren – nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es als „alternativ“ ansehen. Der arme Schlucker in der „Dritten Welt“, der wirklich im Abfall wühlen muss, um zu überleben, hätte ganz sicher eine sehr andere Ansicht von einer „alternativen“ Lebensweise als unsere Aufständler.
Die Ausgestaltung der selbstgewählten lumpenproletarischen Mini-Idylle nimmt überhaupt breiten Raum bei der Vorbereitung des “Kommenden Aufstands“ ein. „Wie können wir die betonierten Räume in städtische Gemüsegärten verwandeln, wie das Cuba tat“? Die Versorgungsnot, die v.a. der Unfähigkeit der kubanischen Stalinisten, eine Planwirtschaft zu organisieren, geschuldet ist, wird von unseren kleinbürgerlichen Weltverbesserern noch als Tugend hingestellt.
Die Kommune müsse „Auf Dauer die Fähigkeit erlangen, sich (ihre) grundlegende Versorgung selbst zu schaffen …“. Während man im Garten Unkraut zupft, wird überlegt, wie man hernach noch den Kapitalismus ausreißt.
Über die Funktionsweise der Kommune erfahren wir u.a.: „Die Versammlung ist nicht für die Entscheidung gemacht, sondern für das Palaver, für das freie, ziellos (sic!) ausgeübte Wort.“ Nein, das ist kein Scherz, das ist ernst gemeint! Sollte eine Bewegung oder Organisation tatsächlich nach diesem Rezept handeln, wäre das tatsächlich ein Schuss ins eigene Knie. Jeder Klassenkampf, ja das Leben überhaupt würde verunmöglicht, wenn Menschen (und umso mehr Gruppen) keine Absprachen treffen würden, die natürlich auch eine Verbindlichkeit haben müssen.
In der politischen Praxis erleben wir oft genug „Libertäre“, die mit ihrer Konsens-und-Anti-Beschluss-Orientierung jede Bewegung und jede Aktion ruinieren. Dabei ist es natürlich nicht etwa so, dass dann etwa keine Beschlüsse gefasst würden, sie werden nur ohne Öffentlichkeit, ohne Mehrheit, ohne demokratische Legitimation von einem selbsternannten informellen Klüngel getroffen.
Zur Frage der Strategie, dazu, was der kommende Aufstand nun genau ist, kommen die Autoren an keiner Stelle des nicht ganz kurzen Textes. Für MarxistInnen jedenfalls sind Revolution und Aufstand nicht dasselbe. Aber auch das hat das Komitee von seinem politischen Wolkenkuckucksheim aus „übersehen“.
Immerhin verweist wieder eine Zwischenüberschrift auf so etwas wie „Strategie“. Es gelte nämlich, lesen wir da, „Alle Hindernisse umzustürzen, eins nach dem anderen.“ Wenn das überhaupt etwas bedeuten kann, dann das: Vorwärts in kleinen Schritten, nach und nach, oder – um es mit Hegel zu sagen – Anhäufung von Quantitäten. Damit ist indirekt der qualitative Sprung einer Revolution ausgeschlossen. Die Autoren können sich zwar nicht genug über die traditionellen Strukturen, Milieus, Organisationen usw. erregen – was ihnen aber selbst strategisch einfällt, ist auch nichts anderes als – Reformismus. Hier fällt uns ein, wie einst Lenin treffend die Anarchisten nannte: Liberale mit Revolver.
Es überrascht nicht, dass die hier präsentierte Aufstands- und Kommune-„Konzeption“ völlig von der Realität des Klassenkampfes und von der Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Prozesse im Kapitalismus abgekoppelt ist. Nach dem Motto „Ich will, also bin ich“ stellen die Autoren Widerstand und Organisation als reinen Willensakt dar. Schon in jenen Passagen, wo es um die Ausnutzung oder Nichtausnutzung der Demokratie und der Legalität geht, war es ihnen völlig egal, unter welchen objektiven Bedingungen man zu kämpfen gezwungen ist, dass es davon abhängig also sehr unterschiedliche Formen und Methoden des Kampfes – legale wie illegale – geben kann und muss.
Bezeichnend für die Substanz der Ansichten des Komitees ist auch, dass es die Widersprüche in seiner eigenen Argumentation überhaupt nicht bemerkt. Einerseits wird fast enthusiastisch über Streiks, Proteste, Blockaden usw. geschrieben, wie z.B.: „Es liegt meist an den sozialen Bewegungen, den Ablauf des normalen Desasters zu unterbrechen.“ Andererseits finden wir Sätze wie diese: „Alle Bündnisse sind da überflüssig, wo man sich verbündet, die Organisationen sind immer da zuviel, wo man sich organisiert.“ Ja, was nun?! Hier liebt unser Komitee das Feuer, nur gegen den Rauch hat es was.
Und – natürlich – wird an keiner Stelle analysiert, was genau an der Art der Organisation, an der Kampftaktik oder an den Bündnispartnern etwa falsch ist. So genau nimmt man´s da nicht, insofern ist die „radikale“ Kritik an Organisationen, Bündnissen usw. nichts als eine hohle Geste.
Im letzten Abschnitt „Aufstand“ wird – wer hätte das auch erwartet?! – nichts über den Aufstand gesagt, nichts darüber, wie er von wem wie vorbereitet und durchgeführt wird. Der Marxismus spricht vom Aufstand als eines sehr spezifischen Akts einer Revolution, er spricht vom Aufstand als einer „Kunst“ (Lenin), der den Punkt der direkten Übernahme der Macht markiert. Von unserem aufständischen Komitee erfahren wir dazu gar nichts. Ihr „Kunstverstand“ besteht allenfalls darin, eventuell zu ahnen, dass es wohl Noten und Instrumente geben könnte …
Was ein politischer Text taugt, muss daran gemessen werden, was er zur Weiterentwicklung des Verständnisses von Kapitalismus, Arbeiterklasse, Widerstand und Klassenkampf beiträgt. Er muss v.a. daran gemessen werden, was er konkret vorschlägt, um die vorhandenen Kämpfe, Programme, Führungen, Taktiken usw. zu verbessern.
Was „Der kommende Aufstand“ an Analyse, an Theorie, an Empirie bringt, geht gegen Null. Lediglich ein Übermaß an – verständlichem – Abscheu gegen den Kapitalismus kann ihm positiv attestiert werden. Das ist für 80 Seiten jedoch etwas wenig!
Insoweit er überhaupt Handlungsorientierungen gibt, laufen die allesamt nur auf eines hinaus – auf Desertion! Verlasst die Organisationen, meidet Bündnisse, flieht die Betriebe, haltet euch von der Arbeiterklasse fern, verhindert Beschlüsse, ignoriert Mehrheiten! Das sind die „Ratschläge“, um einen „kommenden Aufstand“ vorzubereiten.
Das gesamte Verständnis von Widerstand, Organisation – oder besser: Nichtorganisation -, von Kommunen entlarvt sich auf jeder Seite des Pamphlets als kleinbürgerlich, individualistisch. Soweit es auch anarchistisch und autonomistisch ist, dann ist es ein Anarchismus und Autonomismus der billigsten Sorte. Von Marxismus haben die Autoren sowenig Ahnung wie der Hering von der Wüste. Allenfalls einige Versatzstücke glauben sie verstanden zu haben – davon, dass der Marxismus auch eine Wissenschaft vom Klassenkampf ist, haben sie nichts begriffen.
Das – angesichts des schmalen Inhalts – erstaunlich breite Interesse am „Kommenden Aufstand“ zeugt v.a. vom Interesse an Ideen, die sich auf sehr grundsätzliche Art gegen den Kapitalismus wenden.
Das ist aber nur ein Grund für seinen Erfolg. Die eigentliche Ursache ist darin zu finden, dass die aktuelle Krise des Kapitalismus zu einer Verelendung, ja tendenziellen Deklassierung von Teilen der Bevölkerung, v.a. der Jugend führt. Mehr und mehr verunmöglicht die herrschende Gesellschaftsordnung einem Teil der Ausgebeuteten, sich selbst als LohnarbeiterInnen zu reproduzieren, sie werden selbst in den imperialistischen Ländern zu „prekär“ oder oft überhaupt nicht Beschäftigten. Ein Teil dieser Schicht bildet ein überausgebeutetes, oft migrantisches (Sub)proletariat, ein anderer sinkt mehr und mehr Richtung Lumpenproletariat ab.
Zugleich ist auch ein immer größerer Teil der Intelligenz – v.a. die studentische Generation – von sozialem Abstieg bedroht. Die reformistischen Parteien und Gewerkschaften bieten keine Perspektive, ergehen sich in Halbheiten, Kompromissen oder in direkter Zusammenarbeit mit Staat und Kapital bei den Angriffen auf die Massen.
Die AutorInnen des „Kommenden Aufstands“ gehören dieser Intelligenz an und erblicken das zukünftige Heil in den spontanen Revolten des Subproletariats und verwandter Klassen (deklassiertes Kleinbürgertum und Lumpenproletariat). So berechtigt diese „Aufstände“ sind – so sehr sind sie begrenzt. Die Autoren idealisieren und fetischisieren jedoch diese „Brüche“.
Für die AutorInnen des „Kommenden Aufstandes“ ist die sozialistische Revolution kein bewusster Akt der Befreiung, der einer politischen Vorbereitung und Organisierung bedarf, sondern letztlich ein automatischer Prozess, den es nur zu konstatieren gilt, dessen „natürliche“ Entfaltung allenfalls frei vom störenden Einfluss der „Organisationen“ zu machen ist. Dabei übersehen sie, dass der Kapitalismus ein Gesellschaftssystem ist, das sich nicht nur mittels eines Repressionsapparates an der Macht hält, sondern seine Existenz auch durch eine Verschleierung seiner wahren Ausbeutungsverhältnisse absichert.
Sie begreifen daher auch den Charakter historischer Krisenperiode nicht, die die Zusammenbruchstendenz des Kapitalismus und die Notwendigkeit seiner revolutionären Überwindung zum Ausdruck bringen. Diese Notwendigkeit kann jedoch nur durch eine bewussten, revolutionären Akt – die proletarische Weltrevolution – Wirklichkeit werden, sie kann nur zum Sieg und endgültigen Durchbruch dringen, wenn es eine bewusste revolutionäre Kraft, eine kommunistische Partei und Internationale gibt, die die Arbeiterklasse zur Errichtung ihrer Herrschaft und zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft führen kann.
Damit glauben sie zugleich auch, alle strategischen und taktischen, programmatischen und organisatorischen Probleme jeder wirklich revolutionären proletarischen Bewegung und Organisation zu „lösen“ – indem sie diese einfach negieren. Das dialektische Verhältnis von Reform und Revolution wird in der Entsagung an jede Reform (freilich, wie wir gesehen haben, auch an jede wirkliche Revolution) „gelöst“. Der Kampf um demokratische und effektive Kampfstrukturen, Massenorganisationen usw. wird durch die Absage an jede Organisationsform „gelöst“. Der reformistischen oder zentristischen Partei wird nicht der Kampf um eine revolutionäre Kampfpartei entgegengestellt, sondern die politische Enthauptung und Atomisierung der Arbeiterklasse wird als der „revolutionären“ Weisheit letzter Schluss präsentiert.
Doch jene, die praktisch gegen den Kapitalismus, seine Auswirkungen und seine diversen Agenturen kämpfen – ob in Palästina oder in Afghanistan, in Libyen oder Ägypten, in Athen oder in Madrid – diese Millionen brauchen andere Antworten darauf, wie sie ihre Kämpfe effektiv führen können, welche Taktiken, welche Organisationen, welche Führungen, welche Programme und welche Bündnispartner sie brauchen. Auf die Ratschläge von kleingärtnernden Revoluzzern können sie dabei getrost verzichten!