Arbeiter:innenmacht

Globalisierung und der Mythos von der neuen langen Welle – Metazyklische Trends, „lange Wellen“ und das umstrittene Vermächtnis Leo Trotzkis

Richard Brenner, Revolutionärer Marxismus 39, August 2009

Andere Artikel in diesem „Revolutionären Marxismus“ haben Marx‘ Theorie im Zusammenhang mit der Bankenkrise 2007/08 ebenso untersucht wie Lenins Theorie vom Monopolkapital (Imperialismus) in ihrer Anwendung auf die Nachkriegsordnung. Sie zeigten, dass Marxens Theorie der Kapitalakkumulation eine Tendenz zur Stagnation produktiver Arbeit enthüllt, auf deren Basis regelmäßige Profitabilitätskrisen entstehen, in denen Kapitalentwertung den einzigen Ausweg für die mögliche Wiederherstellung der Profitabilität darstellt.

Der Umschlag des fixen Kapitals drückt diesem Auf und Ab von Investitionen und Outputs bestimmte Zeitverläufe auf: industrielle Zyklen mit 7-10 Jahre währenden Aufwärtsbewegungen, die in Spekulationswahn, Finanzkrise und Rezession gipfeln, bevor eine neue Woge der Erholung einsetzt. Wir zeigten, wie der Aufstieg des Finanzkapitals in der imperialistischen Epoche die langfristigen Tendenzen zu Stagnation und Niedergang des kapitalistischen Systems zugespitzt hat, wie er Parasitismus, Verschuldung, Monopolpreissetzung und natürlich politische und militärische Konflikte um die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt verstärkt hat.

Ein weiteres Phänomen harrt der Untersuchung: die augenscheinliche Existenz nicht nur des kurzen Zyklus und der 100 Jahre währenden Epoche des Imperialismus, sondern auch von aus mehreren Zyklen zusammengesetzten Perioden. Innerhalb dieser Periode dauern die Zyklen weiter an, aber ihr Muster, ihr Zeitverlauf und ihre Tiefe scheinen bestimmte gemeinsame Merkmale aufzuweisen. Während einiger dieser Perioden generieren die Zyklen schlaffe Aufschwünge und längere, tiefere Krisen. In anderen ist die Ausdehnung schwungvoller und länger anhaltend, während Krisen und Rezessionsphasen kürzer und weniger zerstörerisch ausfallen.

Die Analysen dieser metazyklischen Trends sind in der marxistischen Debatte seit dem Zweiten Weltkrieg umstritten. Grob gesprochen, teilen sich die Meinungen in drei Kategorien auf. Einige „fundamentalistische“ Autoren wie Paul Mattick (1) verwerfen barsch all diese Konzepte. Der Kapitalismus strebt der Krise zu, setzt er uns in Kenntnis, deshalb bedarf es keiner Theorie der Perioden. Unklar bleibt dabei aber, wie die marxistische politische Ökonomie dazu beitragen soll, nicht nur eine Analyse geschichtlicher Entwicklungstendenzen des Kapitalismus, sondern auch eine Orientierung in spezifischen konjunkturellen Phasen zu bieten.

Dieses Herangehen ist auch unfähig, auf geschichtliche Fakten zu reagieren, die unmissverständlich ihre Spuren in der Arbeiterbewegung und im sozialistischen Bewusstsein hinterlassen haben. Wiesen nicht der Nachkriegsboom 1948-71, die Stagnation 1973-89 und die 1991-92 eröffnete Globalisierungsperiode gewisse offensichtliche gemeinsame Züge auf, welche die kapitalistische Entwicklungsdynamik und somit den Klassenkampf prägten? Wenn das so ist: Sollten wir nicht eine konkretere Theorie entwickeln, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Perioden erklären kann?

Eine zu Mattick & Co. alternative Antwort bestand darin, mächtige internationale Faktoren zu benennen, welche die Entwicklungsintensität und -richtung über eine Reihe von Zyklen hinweg bestimmen sollen. Solche Theorien fallen in zwei Kategorien: die einen pochen darauf, dass diese großen Geschichtseinflüsse sich von den dem Kapital eigenen inneren Gesetzen unterscheiden, die dem industriellen Zyklus den Stempel aufdrücken. Sie schlussfolgern, dass diese nicht die Gestalt von Zyklen oder Wellen von grob vorhersagbarem Tempo und Dauer annehmen. Die anderen bestehen darauf, dass sie es tun.

Die Vorgangsweise ersterer steht dafür, diese Verlaufsmuster seien Kurvenabschnitte im Fortschreiten des Kapitalismus, auf die weltumspannende geschichtliche, politische, geographische und Umwelteinflüsse ohne zyklisches Muster einwirken.

Letztere hingegen sagen, die übergreifenden Strukturen stellten tatsächlich Wellen von 50 Jahren Länge dar, mit Auf- und Abwärtskurven von jeweils annähernd 25 Jahren und 2 1/2 bis 3 Zyklen pro Kurve.

Die größte Debatte in der kommunistischen Bewegung fand zu einem kritischen Moment der Weltgeschichte statt: 1921 auf dem III. Kongress der Dritten (Kommunistischen) Internationale. In seinem Bericht vor dem Kongress untersuchte Leo Trotzki die Kurve der kapitalistischen Entwicklung, um der internationalen Arbeiterbewegung nach der Niederlage der revolutionären Nachkriegswelle zu neuer Orientierung zu verhelfen. Er folgerte, dass der Kapitalismus in eine konjunkturelle Erholungsphase eingetreten war. Diese war jedoch in einer umfassenderen Periode verortet, die von einem allgemeinen Niedergang der Produktivkräfte geprägt war. Die Erholung sei darum nicht gründlich und lang anhaltend, sondern weitere scharfe Krisen seien auf kurze Frist vorhersagbar. Trotzki argumentierte, der Charakter kapitalistischer Entwicklungsperioden könne nicht platt durch die Analyse des Konjunkturverlaufs verstanden werden, sondern der historische Materialismus müsse längere Perioden kapitalistischer Entwicklungslinien studieren und untersuchen, wie diese durch die Beziehungen zwischen Staaten, Klassen und andere „externe“ Faktoren beeinflusst werden.

Wie wir sehen werden, kritisierte er ausdrücklich die Theorie der Langen Wellen. Er wandte ein, dass der Charakter dieser längeren Abschnitte kapitalistischer Entwicklung nicht nur  aus der dem kapitalistischen Akkumulationsprozess innewohnenden Entwicklung herausgelesen werden könne (2).

Dieses Verständnis von Trotzkis Herangehensweise, der zufolge die Analyse auf die politischen, geographischen und wirtschaftszyklischen Charakteristika einer bestimmten Periode zugespitzt ist, bleibt jedoch kontrovers. Viele AutorInnen haben geltend gemacht, Trotzki sei ein Theoretiker Langer Wellen. Das behauptet, wenn auch mit Einschränkungen, auch Paul Mattick. In seiner Polemik gegen Ernest Mandels Versuch, Marxismus und die Theorie der Langen Wellen zusammenzuführen, schreibt er, Trotzki habe die Theorie der Langen Wellen “kritisch, aber mit Wohlwollen erforscht“ und diese suspekte Ansicht mit seiner Rede vor dem Kongress der Kommunistischen Internationale in den Marxismus eingeführt (3). Weniger behutsam und ohne Beleg sagt auch Hillel Ticktin vom „Journal Critique“, Trotzki sei ein Theoretiker Langer Wellen gewesen (4).

Völlig ungezwungen gibt sich Bill Jeffries von „Permanent Revolution“, der die Theorie Langer Wellen Andeutungen von Marx im Kapitel 5 des „Kapital“ (Band III) zurechnet und behauptet, sie sei „in der Nachfolge von Trotzki fortgeschrieben, aber am eindrucksvollsten von Mandel in seinem Buch ‚Der Spätkapitalismus‘ systematisiert worden.“ (5)

Doch in der politischen Ökonomie, wie in anderen Wissenschaften, wird eine falsche Behauptung nicht durch Wiederholung wahr. Trotzki wird ohnedies oft genug falsch dargestellt. Hier wird es nun erneut ‚aktiv missverstanden‘. Wenn wir prüfen, was Trotzki tatsächlich zum Thema zu sagen hatte, anstatt uns auf Sekundärliteratur zu verlassen, werden wir merken, dass er die Theorie der Langen Wellen gar nicht hätte ausdrücklicher zurückweisen können. Woher stammt die Verwirrung? Die Schwierigkeit erwächst aus dem Versagen, zwischen zwei Konzepten zu unterscheiden: einerseits der Auffassung von unterschiedlichen Perioden, in denen die Konjunkturzyklen verschieden geprägt sind; andererseits der Auffassung eines 50 Jahre währenden Zyklus. Wie wir sehen werden, umfasst die zweite Ansicht nicht notwendigerweise die erste, sondern ein längerfristiges schematisches Muster. Wie wir feststellen werden, zieht die erste Anschauung nicht notwendig die zweite nach sich. Diese Unterscheidung ist in unserer Sicht zentral, um sich an eine marxistische Untersuchung der gegenwärtigen Globalisierungsperiode nach 1992 heranzuarbeiten. Was behauptete also Trotzki 1923 in seinem Artikel über ‚Die Kurve der kapitalistischen Entwicklung‘?

„Aber Zyklen erklären einen großen Teil, wie sie durch ihr automatisches Pulsieren unerläßliche dialektische Sprünge aus der Mechanik der kapitalistischen Gesellschaft hervorbringen. Der Wendepunkt der industriellen [und Handels-, Anm. d. Red.] Konjunktur bringt uns in eine größere Nähe zu den kritischen Knoten im Gewebe der Entwicklung der einzelnen politischen Tendenzen, der Gesetzgebung und aller Formen der Ideologie. Aber der Kapitalismus ist nicht allein durch die periodische Wiederkehr der Zyklen charakterisiert – was sonst geschehen würde, wäre eine vollständige Wiederholung, aber keine dynamische Entwicklung.“ (6)

D.h., er erkannte den zentralen Stellenwert des Konjunkturzyklus an, unterstrich dessen Einfluss auf den politischen Überbau und die Ideen der Menschen. Gleichzeitig bemerkte er, dass es über die Zyklen hinweg keinen Wandel gäbe, wenn jeder einfach eine Wiederkehr des vorangehenden verkörpere. Er fuhr fort:

„Industrielle Zyklen haben in unterschiedlichen Perioden einen unterschiedlichen Charakter. Der Hauptunterschied zwischen ihnen ist durch die quantitativen Wechselbeziehungen zwischen der Krisen- und der Boomperiode innerhalb eines gegebenen Zyklus bestimmt. Wenn der Boom die Zerstörungen oder Kontraktionen der vorangegangenen Krise mit einem Surplus beseitigt, dann bewegt sich die kapitalistische Entwicklung insgesamt nach oben. Wenn die Krise, die Zerstörung bedeutet, oder zumindest eine Schrumpfung der Produktivkräfte, in ihrer Intensität den entsprechenden Boom übertrifft, dann haben wir als Resultat einen Niedergang der Wirtschaft. Schließlich haben wir, wenn die Krise und der Boom sich in ihren Auswirkungen gegenseitig entsprechen, ein zeitweiliges und stagnierendes Gleichgewicht in der Wirtschaft. Das ist das Schema in groben Umrissen.“ (7)

Zwei Punkte sind hier von Interesse. Erstens: die Natur dieser „unterschiedlichen Perioden“ ist an der relativen Stärke bzw. Schwäche der Auf- und Abwärtsphasen der Zyklen, der Hochkonjunkturen wie der Krisen/Rezessionen festzustellen. Diese Auffassungen sind sowohl Trotzki wie den TheoretikerInnen der Langen Wellen gemeinsam. Aber auch ein zweiter Punkt fällt auf. Bei der Vorstellung verschiedener langfristiger Strukturen vermeidet es Trotzki, ihnen ein zyklisch verlaufendes Muster von „Auf und Ab“ zuzuschreiben. Unbeeinflusst von einer etwaigen Annahme langer Zyklen oder Wellen entwirft er drei mögliche Szenarien für längere Perioden.

Erstens: die kapitalistische Entwicklung ist nach oben gerichtet, wenn der Konjunkturaufschwung unterm Strich die in der vorherigen Krise erlittene Zerstörung der Produktivkräfte wettmacht und übertrumpft. Oder zweitens: ein „wirtschaftlicher Niedergang“ tritt ein, falls die Zerstörungskräfte der Krise den Boom davor übertreffen. Und eine dritte Möglichkeit, die alle ignorieren, die Trotzki die Theorie der Langen Wellen zurechnen: Stagnation, wo Aufschwung und Rezession ungefähr gleiches Ausmaß annehmen und ein, allerdings nur vorübergehendes, Gleichgewicht erzeugen (ein Punkt, der selbst von  großer Bedeutung ist).

„Wir beobachten in der Geschichte, daß gleichartige Zyklen in Serien gruppiert sind. Es gibt ganze Epochen in der kapitalistischen Entwicklung, in denen eine Anzahl von Zyklen durch stark ausgeprägte Booms und schwache kurzlebige Krisen charakterisiert sind. Das Resultat ist eine scharf ansteigende Bewegung der grundlegenden Kurve der kapitalistischen Entwicklung. Man erhält Epochen der Stagnation, wenn diese Kurve, während sie zyklische Schwankungen durchmacht, während Jahrzehnten auf ungefähr derselben Ebene bleibt. Und endlich fällt die grundlegende Kurve in bestimmten geschichtlichen Perioden, während sie auch hier zyklische Schwankungen durchmacht, in ihrer Gesamtheit; einen Niedergang der Produktivkräfte signalisierend.“ (8)

Der Begriff Lange Wellen oder lange Zyklen ist abgeleitet aus der Theorie des nichtmarxistischen Wirtschaftsprofessors Kondratieff, den Trotzki anschließend ausdrücklich kritisierte. Er war sich darüber im Klaren, dass jede Analyse längerer zyklenübergreifender Entwicklungsabschnitte Gefahr laufen kann, als Theorie Langer Wellen ausgelegt zu werden. Deshalb gab er sich größte Mühe, das, was er aussprach, von Kondratieffs Theorie zu unterscheiden.

Der maßgebende Unterschied zwischen beiden Verfahren – und Trotzki hob das klar hervor – war, dass metazyklische Muster keine zyklische Verlaufsform aufweisen oder sich nicht in annähernd voraussagbaren Zeiträumen verhalten, wie etwa die Aufwärtsphase der Industriekonjunktur. Noch sind die Zeiträume – wie es die Konjunkturlinien sind – von den inneren Bewegungsgesetzen des Kapitals festgelegt, von Zeitfaktoren wie dem Umschlag des fixen Kapitals. Sie werden vielmehr von dem Geschäftszyklus äußeren Einflüssen bestimmt, die – in gewissen Grenzen – die Zusammensetzung des Kapitals während der Konjunkturen bedingen:

„Dem III. Weltkongreß der Komintern folgend, näherte sich Professor Kondratieff diesem Problem – wie gewöhnlich, sorgfältig die Formulierungen der vom Kongreß selbst behandelten Fragen vermeidend – und versuchte neben einem ‚kleinen Zyklus‘, der einen Zeitraum von 10 Jahren umfaßt, das Konzept eines ‚langen Zyklus‘, ungefähr 50 Jahre umfassend, zu entwickeln. Nach dieser symmetrischen Konstruktion besteht ein langer Zyklus aus fünf kleinen Zyklen, darüber hinaus hat die Hälfte von ihnen den Charakter eines Booms, während die andere Hälfte die der Krisen ist, mit all den notwendigen Übergangsstadien.

Die statistische Bestimmung der langen Zyklen, die Kondratieff zusammengetragen hat, sollte zum Gegenstand einer sorgfältigen und nicht leichtgläubigen, und zwar sowohl in Bezug auf die einzelnen Länder , wie auch auf den gesamten Weltmarkt. Es ist schon im voraus möglich Professor Kondratieffs Versuch zu widerlegen, die von ihm als lange Zyklen bezeichneten Epochen mit dem selben ‚strengen gesetzmäßigen Rhythmus‘ auszustatten, der bei den kleinen Zyklen zu beobachten ist. Es ist eine offensichtlich falsche Generalisierung, die aus einer formalen Analogie herrührt. Das periodische Wiederkehren der kleinen Zyklen ist durch die innere Dynamik der kapitalistischen Kräfte bewirkt und es zeigt sich immer und überall, seit der Markt existiert. Was die großen Abschnitte (50 Jahre) der Entwicklungskurve des Kapitalismus betrifft, bei denen Professor Kondratieff unvorsichtigerweise vorschlägt, sie auch als Zyklen zu bezeichnen, so sind ihr Charakter und ihre Länge nicht durch die inneren Wechselwirkungen der Kräfte des Kapitalismus bestimmt, sondern durch jene externen Faktoren, die die Bahn bilden, in der die Entwicklung des Kapitalismus verläuft. Die Einverleibung neuer Länder und Kontinente durch den Kapitalismus, die Entdeckung neuer natürlicher Ressourcen und in deren Gefolge, solche Hauptereignisse im Bereich des ‚Überbaus‘ wie Kriege und Revolutionen determinieren den Charakter und das Abwechseln von ansteigenden, stagnierenden oder niedergehenden Epochen der kapitalistischen Entwicklung.“ (9)

Sich vorzustellen, Revolutionen, Konterrevolutionen, wissenschaftliche, geologische und geographische Entdeckungen ereigneten sich nach einem festen Zeitplan, ist absurd. Doch lassen wir einmal die „stilvoll symmetrische Gestaltung“ der Langen Welle beiseite, stehen wir nichtsdestotrotz einem wichtigen Phänomen gegenüber. Was lässt bestimmte Abschnitte der Entwicklungskurve eine Ausdehnungs- (wie 1895-1913, 1948-1973), eine Stagnations- (1973-1991) oder Depressionsdynamik (1914-1948) zur Schau stellen? Und was verrät uns das über die Periode 1992-2008?

Die Theorie der Langen Wellen gibt vor, bereits die Antwort auf all das zu wissen. Sie liefert sie mit der a priori-Gewissheit talmudischer Zahlenfolgen. Der Nachkriegsboom war ungefähr ein 25 Jahre währender Aufschwung, die 1970er und 1980er Jahre waren ein ca. 25 Jahre anhaltender Abschwung. Der Zusammenbruch des Ostblocks startete eine neue lange positive Amplitude: 1990 plus 25 = 2015; wir befinden uns in einer langen Aufwärtswelle, die 2015 ihr Ende finden wird. Die Finanzmarktkrise 2007/08 ist nur ein „Ausreißer“, Gerüchte einer bevorstehenden Rezession sind übertrieben.

Der Materialismus dagegen muss sich mit der eher weltlichen Aufgabe bescheiden, den aktuellen Trend der geschichtlichen Entwicklung herauszufinden. Das heißt, jene weltgeschichtlichen Faktoren auszumachen, die die Zyklen in der Globalisierungsperiode gestaltet haben, sowie deren Widersprüche, um so die Bewegungskraft der gegenwärtigen Krise zu bewerten und so weit wie möglich das Risiko zu vermeiden, „offenbar falsche Verallgemeinerungen aus formalen Analogien“ zu ziehen.

Unsere Aufmerksamkeit muss sich der Frage zuwenden, wie historische Ereignisse die inneren Bewegungsgesetze des Kapitals und seine Zyklen beeinflussen. Die Frage muss deshalb lauten: Inwieweit berühren mächtige geopolitische Ereignisse – dem Prozess der Kapitalakkumulation äußerlich – die Zusammensetzung und formen das umgekehrt proportionale Verhältnis von konstantem zu variablem Kapital im Verlauf sowohl der Zyklen wie der überzyklischen Segmente der Entwicklungskurve?

Einmal die Frage in diesen Begriffen gestellt, können wir einige grundlegende Aussagen über das Verhältnis zwischen Industriekonjunktur sowie räumlichem und zeitlichem Umfeld treffen, innerhalb dessen sie sich entwickelt und heranreift.

In jeder zyklischen Krise erfolgt eine traumatische Kapitalentwertung. Dabei werden Güter, fixes Kapital und andere Anlagen wie fiktives Kapital, Grund und Boden entwertet. Auch die Arbeitskraft „verliert an Wert“ – durch Preiserhöhungen für Güter des Alltagsbedarfs, eingeschränkten Lebensstandard und Arbeitsplatzverlust. Diese Entwertungen sind jedoch weder allumfassend noch ausgewogen. Die organische Kapitalzusammensetzung fällt nicht einfach als Ergebnis jeder Krise auf ihren Ausgangspunkt oder darunter zurück. Umgekehrt bedeutet das Überleben der konkurrenzfähigen Kapitale mit höherer organischer Zusammensetzung nach der Krise nicht automatisch, dass jeder neue industrielle Zyklus unter gedrückteren Verwertungsbedingungen anfangen muss als der vorhergehende.

Wie David Harvey in seinem Buch „Limits to Capital“ aufzeigt, kann die Wertzerstörung nicht gleichmäßig verteilt über das Gesamtkapital erfolgen, noch kann sie „abstrakt“ verlaufen. Entwertung erfordert wirklichen Wertverlust für reales Kapital an realen Plätzen und in realer Zeit. Das bedeutet, dass sich in jeder Krise ein Konkurrenzkampf darum abspielt, wer wo und wann die Wertvernichtungskosten tragen muss. Das lässt nicht nur Raum für den Konflikt zwischen Einzelkapitalen, für Schlachten zwischen UnternehmerInnen und ArbeiterInnen, sondern öffnet auch den Schauplatz für an Schärfe zunehmende Rivalitäten zwischen kapitalistischen Ländern, zwischen imperialistischen Mächten und Halbkolonien sowie zwischen den imperialistischen Mächten selbst.

Das Ausmaß der Entwertung scheint das Feld zu bestellen, auf dem die nächste Erholungsphase gedeiht. So scheint ein klarer Zusammenhang zwischen dem „langen Boom“ von 1948-73 und der noch nie dagewesenen Vernichtung von Kapital, Maschinerie, Bauten, Infrastruktur, Lebensmitteln und Bevölkerung zu bestehen. Während der Verausgabung großer Kapitalmengen in Neuinvestitionen eine Expansionsphase zu folgen scheint, was wiederum neue Investitionen in anderen Bereichen und somit auch die Anwendung neuer Technologien und Produktion neuer Güterarten nach sich zieht, tritt ein langer, mehrere Zyklen umfassender Trend nicht immer unter diesen Umständen ein. Das wirft die Frage auf, ob die Anlagen die Durchschnittsprofitrate niederdrücken (Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals) oder durch Beschäftigungszuwachs anheben, um eine neue gesellschaftliche Nachfrage zu befriedigen und frisch verfügbare Arbeitskraft aufzusaugen (und somit die organische Kapitalzusammensetzung zu senken).

Obwohl auch der Ökonom Carchedi Dinge durcheinander wirft, indem er die Kondratieffsche Begrifflichkeit Lange Wellen annimmt, um Abschnitte der Entwicklungskurve zu umreißen, trägt er nichtsdestoweniger in seinem Buch „Frontiers of Political Economy“ ein starkes Argument dafür vor, wie äußere, exogene Faktoren die Triebkräfte von Serien von Konjunkturverläufen modellieren. Für Carchedi sind technologische Entwicklungen allein nicht ausreichend, um einer metazyklischen Kurve neue Ausdehnungskraft einzuflößen:

„…technologische Neuerungen sind nicht Ursache einer langen, aufwärts gerichteten Welle. Wie oben gesehen, schieben technische Neueinführungen die Profitrate der Erstanwender nach oben. Aber dies erfolgt auf Kosten anderer Kapitalisten und der Volkswirtschaft. Eine Verallgemeinerung dieser Erneuerungen drückt die Durchschnittsprofitrate hinab; insofern sie die organische Kapitalzusammensetzung erhöht, zerstört sie Beschäftigung. D.h. sie entledigt sich von Arbeitskraft, dem einzigen wert- und mehrwertproduzierenden  Faktor. Aber in einer langen Welle mit expansivem Grundton erfolgt verallgemeinerte Einführung neuer Technologien zusammen mit neuen Investitionen, die nicht nur auf erweiterter Stufenleiter zuvor zerstörtes Kapital ersetzen, sondern auch eine ganze Reihe neuer Warenarten herstellen und so neue Investitionsfelder erschließen. Darüber hinaus sind Mehrwert und somit Profitraten aufgrund der relativ hohen, aus der vorherigen Abwärtslangwelle ererbten Mehrwertrate ebenfalls hoch. Dies erzeugt die Illusion, hohe Profitraten in der langen Erholungsperiode seien der Anwendung technischer Neueinführungen geschuldet. Dabei sind es die Neuinvestitionen, welche Beschäftigung aufbauen (dabei  neue Technologien zur Anwendung bringen), die zusammen mit hohen Ausbeutungsraten diese Auswirkungen auf die Ertragsfähigkeit haben.“ (10)

Was entscheidet über die Antwort auf diese Frage? Nicht lediglich neue Techniken, sondern das Verhältnis, in welchem konstantes und variables Kapital kombiniert sind, sind der Hauptfaktor, der die organische Kapitalzusammensetzung über Gruppen von Konjunkturkreisläufen hinweg bestimmt. Eine große Rolle spielen dabei Weltkriege, die Erschließung neuer Kontinente für das Kapital, soziale Revolutionen und Konterrevolutionen weltgeschichtlichen Maßstabs. Kurz: bedeutende historische und geographische Momente, v.a. der weltweite Klassenkampf und die sich wandelnde Natur.

So ist unbestritten, dass die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion und der VR China 1990-92 solche weltgeschichtlichen Ereignisse darstellten. Welche Auswirkungen hatte das auf die kapitalistische Entwicklung? Trug die neue Globalisierungsperiode nach der auf der Stelle tretenden Dynamik der Vorperiode 1973-91 eine aufsteigende, stagnierende oder eine abwärts gerichtete Dynamik, um Trotzkis Begriffe zu benutzen? Wir werden später auf diese Frage zurückkommen. Zuerst werden wir uns jedoch der Darstellung und Kritik eines falschen Ansatzes von Befürwortern der Theorie der Langen Wellen zuwenden.

Propheten des Booms

Ein kürzlich durchgeführter Versuch, die Theorie der langen Wellen auf die Periode der Globalisierung anzuwenden, ist in Schwierigkeiten geraten. Bill Jeffries und Keith Harvey haben in ihrem neuen Magazin „Permanent Revolution“ versucht, die Periode der Globalisierung nach 1992 als eine ansteigende lange Welle zu interpretieren – aufbauend auf der Theorie der langen Wellen von Ernest Mandel. Vor der Kredit-Krise sagten sie einen andauernden, globalen „lange Wellen“-Boom bis 2015 voraus. Jede zyklische Konjunkturabschwächung während dieser langen Welle, so haben sie wiederholt insistiert, würde nur schwach ausfallen:

„Wenn die neueste Geschichte als Leitfaden diente, würden wir erwarten, dass die derzeitige Periode von sehr starkem Wachstum nicht über das Jahr 2010 hinaus andauert, bevor die Konjunktur für etwa 2 Jahre scharf abfällt. Jedoch würden wir erwarten, dass, wenn die derzeitige Restauration der Profitraten anhält, der kommende Abschwung nicht zu einer größeren Rezession führt, sondern nur zu einer Pause vor einer weiteren Phase starken Wachstums. Wie lange diese Aufschwungphase anhalten wird, hängt von der weiteren Fähigkeit der Kapitalisten ab, die qualitativen Fortschritte im Bereich der Produktion, welche durch die Globalisierung geschaffen wurde, quantitativ zu erweitern. Aber die Erfahrungen vergangener langer Aufschwungwellen deuten darauf hin, dass die Fähigkeit während des dritten Konjunkturzyklus erschöpft sein wird, das heißt gegen 2015.“ (11)

Demnach nimmt Jeffries, nahezu explizit „verallgemeinernd von einer früheren Analogie“ in einer „symmetrisch stilisierten Konstruktion“ an, dass vergangene Aufschwungkurven Auskunft über die Dauer des neuesten Booms geben würden. Natürlich, so gesteht er ein, wird es einen Abschwung geben, aber dieser werde notwendigerweise relativ mild ausfallen, bedingt durch die Struktur der Welle. In der Tat haben Jeffries und Harvey 2007 versucht, die Anerkennung sogar dieser kurzen „Pause“ hinauszuzögern, indem sie sich wiederholt weigerten, die Krise im letzten Jahr anzuerkennen und mehrmals erklärten, die Vorgänge fänden entweder nicht statt, oder, wenn doch, seien sie wahrscheinlich nicht gravierend. Sie sahen nicht so sehr die Notwendigkeit, die globale Finanzkrise zu erklären, sondern sie „wegzuerklären“.

Das ist wichtig für uns, da Harvey ein früherer Mitherausgeber unseres Journals „Fifth International“ war, der mit unserer Analyse während des Aufschwungs in der Mitte dieses Jahrzehnts gebrochen hat und Jeffries neuer Perspektive einer langen Aufschwungwelle 1992-2015 große Bedeutung beimisst. Darüber hinaus ist es nützlich, ihre theoretischen Fehler zu untersuchen, da sie ein Beispiel für die Unzulänglichkeiten der Theorie der langen Wellen liefern.

Offensichtlich ist es ein zentraler Test für eine Theorie zu untersuchen, bis wohin sie in der Lage ist, präzise Vorhersagen über die Tendenzen in der politischen und ökonomischen Entwicklung zu entwickeln. Bevor wir die theoretischen Fehler von Jeffries und Harvey untersuchen, wollen wir zuerst unsere Vorhersagen einer wahrscheinlichen aufkommenden Krise mit ihren vergleichen, um ein Licht darauf zu werfen, welcher Ansatz die größere Erklärungskraft hat.

Im März 2007, fünf Monate bevor die Kredit-Krise in das öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, verfolgten wir das Aufkommen der Krise, indem wir zeigten, dass sich das Kreditsystem einer ernsten Verschärfung gegenübersah, dass die USA auf eine Krise zusteuerten, dass dies massive Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft haben würde, und, schließlich, dass dies durch den wachsenden Druck auf die Profitabilität  der US-Konzerne vorangetrieben wurde:

„Obwohl die USA die weltgrößte Ökonomie und nach wie vor die mächtigste Nation der Welt sind, befindet sie sich in einer schwächer werdenden Position. Im Januar fielen die Aufträge für Gebrauchsgüter massiv um 7,8 %. Die Vorhersagen des wirtschaftlichen Wachstums wurden von 3,5 % auf nur 2,2 % dieses Jahr nach unten korrigiert. Die Investoren beginnen sich Sorgen zu machen, dass sie nicht ausreichend Profit aus ihren Investitionen gewinnen, und das jährliche Profitwachstum wird nun das erste Mal seit 2003 auf unter 10 % geschätzt. In einer Umfrage des US Business Council  letzten Monat sagten drei von vier Chefmanagern von großen Unternehmen, dass sie ein Abflauen der Profite über das nächste Jahr erwarten – nur 1,3 % der Befragten erwarteten, dass sich das Profitwachstum beschleunige. (…)

Sogar noch besorgniserregender für die US-Wirtschaft ist das Ende des Booms für Immobilien. Dort drüben fallen momentan die Hauspreise zum ersten Mal seit vielen Jahren. Das wird die Möglichkeit der normalen Verbraucher beschränken, ihr knappes Geld in den Läden auszugeben. Die Leute werden weniger dazu neigen, Geld auszuleihen und auszugeben – und genau das hatte den Aufschwung in Amerika angetrieben, sowie die massive Ausweitung der Produktion in China. Banken erschweren eine Kreditaufnahme, und die Anzahl an Leuten, die nicht in der Lage sind, ihre Hypotheken zu bezahlen und ihre Häuser verlieren, steigt stark an und wird das in den kommenden Monaten weiterhin tun. (…)

Angesichts der Tatsache, dass die USA nahezu ein Drittel der Weltwirtschaft ausmachen, wird eine Rezession dort schwere Auswirkungen auf den Rest der Welt haben – inklusive auf Länder wie Indien und China, deren starkes Wachstum durch die Nachfrage der USA nach Konsum- und Gebrauchsgütern angespornt wurde. (…)

Das Abrutschen des Aktienmarkts diesen Monat hat ein weiteres Element der Instabilität des globalen Kapitalismus offen gelegt: Parasitismus. Investoren machen sich zunehmend über die Investitionen anderer her, durch den Umgang mit einer verwirrenden Anzahl an Instrumenten und Derivaten, indem sie sich alle im Wesentlichen gegenseitig den Umgang mit Geld berechnen, Zinsen für geliehenes Geld eintreiben, oder indem sie einfach auf die ein oder andere Weise auf das Verhalten ihrer Investitionen wetten. Die Tatsache, dass solche Investitionen nicht einmal die Fassade eines sozial nützlichen Zwecks haben, spielt für die Kapitalisten absolut keine Rolle (…) Aber die Angeschmierten sind sie selbst: trotz des ganzen ‚Aufschäumens‘ der parasitären Spekulation kann diese ohne eine zugrunde liegende reelle Wertschöpfung nicht dauerhaft überleben. Wenn zuviel Kapital von der reellen Produktion zurückgezogen wird, muss die Spekulationsblase letztendlich platzen (…) stagnierende und fallende Profitraten in der heimischen Produktion zwingen die Kapitalisten einerseits in billige Arbeitskraft im Ausland, andererseits in immer obskurere parasitäre Geschäfte zu investieren. Das weite Feld an seltsamen und sonderbaren Investitionsgeschäften macht das System sogar noch anfälliger. (…)

Neben all dem Geschrei und Getöse um die fallenden Aktienkurse, hinter all den Erklärungen und Verleugnungen, den offiziellen Stellungnahmen der Politiker und der besorgten Redakteure der Zeitungen der Bosse, wird eine Sache ziemlich klar. Auch wenn wir nicht exakt wissen, wann sie eintreten und wie schwerwiegend sie ausfallen wird, steuert Amerika auf eine Rezession zu, und diese wird große Auswirkungen auf die Kapitalisten und die Arbeiterklasse weltweit haben.“ (12)

Jeffries und Harvey sahen das anders. Harvey behauptete sogar noch im August 2007, dass eine größere Kreditkrise nicht wahrscheinlich sei, da viele Firmen viel Geld zurückhielten (13). Das ist bemerkenswert, da diese These schon widerlegt war, bevor sie niedergeschrieben wurde. Bereits im August hatten die Zentralbanken Milliarden in das Finanzsystem gesteckt, um die „Zahlungsfähigkeit“ zu steigern, d.h. sicherzustellen dass die Banken ausreichende Geldsummen zur Verfügung hatten, um weiterhin Kredite zu vergeben.

Wir werden uns Jeffries und Harveys Rechtfertigung für diese und andere falschen Vorhersagen weiter unten zuwenden und betrachten dann ihre grundlegenden theoretischen Fehler. Aber zunächst werden wir uns darauf beschränken, ihre Fehleinschätzungen darzustellen, um dem Leser ein möglichst umfassendes Bild zu vermitteln, wie desorientierend sich die Theorie der langen Wellen erweist.

Eine eklatante ist, dass Jeffries die Probleme am US-Immobilienmarkt nicht als Auslöser für eine mögliche Rezession eingeschätzt hat. Unfähig zu erkennen, dass die Rückkehr des starken, globalen, inflationären Drucks 2007 bedeutete, dass die Zentralbanken nicht länger einfach einen Ausweg aus der Krise erkaufen konnten, indem sie die Zinsraten senkten, wie es die Federal Reserve seit 2001 getan hat, offenbart Jeffries einen nahezu rührenden Glauben an die selbstheilenden Fähigkeiten des Systems: „Wenn die Zentralbanken über 15 Jahre lang in der Lage gewesen sind, die Auswirkungen der Finanzkrise zu vermeiden oder zu vermindern, warum soll es dann ‚wahrscheinlich‘ sein, dass die ‚sub-prime-Krise‘ eine Rezession auslöst?“ (14)

Die Antwort, der Jeffries ausweicht, ist dass die globalen deflationären Rahmenbedingungen, welche es erlaubten, billige Kredite auszuweiten, um die Auswirkungen des letzten zyklischen Abschwungs in den USA zu mildern, zu ihrem Ende gekommen sind. Das ist ihm nicht aufgefallen, denn in Einklang mit der Theorie der langen Wellen würden die Zentralbanken für weitere acht bis zehn Jahre nicht davon abgehalten werden, die Effekte der Krise durch Manipulation der Zinsraten „zu verhindern oder zu mildern“. Jeffries neuer Gefolgsmann Keith Harvey präsentierte eine weitere Begründung für die Illusion, die USA würden keinen Crash erleiden. Dieses Mal war es nicht die Kraft des Kredit-Systems, sondern der Anstieg des Kapital-Exports:

„Eine steigende Anzahl amerikanischer Top-Unternehmen erfreut sich hoher Gewinne in Übersee als Ergebnis eines globalen Wachstums, welches die niedrigeren Erträge auf dem Binnenmarkt kompensiert und dabei hilft, den Aktienmarkt zu stützen. Somit bleibt die Aussicht, dass die aktuelle Krise auf einen vollwertigen Crash zusteuert, weiterhin fern.“ (15)

Dass der Aktienmarkt in eine „Bärenmarkt“- Phase eingetreten ist, in welcher die Werte Monat für Monat fallen, ist unerfreulich für Harvey. Aber am eigenartigsten ist seine Auffassung, dass hohe Gewinne in Übersee, welche die Erträge am Binnenmarkt kompensieren, einen Crash zu Hause ausgleichen würden. Mittelfristig kann dieser Effekt nicht stattfinden, wenn die grundlegende Stagnation, die zu „niedrigeren Erträgen“ führt, nicht selbst überwunden wird. Jeffries sagt darüber hinaus, dass die US-Ökonomie die Krise ohne eine Rezession überstünde, und dass dies seine Theorie der ansteigenden langen Welle beweisen würde:

„Insofern bestätigt die Fähigkeit der USA, die Auswirkungen der ziemlich ernsten „sub-prime-Krise“zu absorbieren, die Idee, dass der weltweite Kapitalismus durch die Globalisierung in der Tat seine Stagnations-Phase überwunden hat.“ (16)

Nicht zufrieden mit dieser Litanei an falschen Vorhersagen erklärte Jeffries im November 2007, die Kredit-Krise sei fast überstanden: „Es wird immer wahrscheinlicher, dass die USA in der Lage war, die Kredit-Krise des Sommers auszusitzen, obwohl die Wahrscheinlichkeit weiterer Überraschungen im nächsten Monat besteht.“ (17)

In ihrer Argumentation heben Jeffries und Harvey entgegenwirkende Ursachen des tendenziellen Falls der Profitrate hervor, ohne deren Widersprüchlichkeiten zu erkennen und zu sehen, wie sie eben jene Tendenz verstärken können. Sie haben das nicht nur bei der Betrachtung der Rolle der billigen Kredite und des Kapitalexports getan. Jeffries „entdeckt“ eine weitere ausgleichende Tendenz – billige Exporte durch die Entwertung einer Währung -, ohne darauf hinzuweisen, dass diese Politik die Inflation der Binnenwährung verstärkt. Er schreibt:

„Das bedeutet nicht, dass die Rezession auf dem Immobilienmarkt und der Rückgang der Nachfrage, welcher damit einhergeht, der US-Ökonomie nicht über den Rest des Jahres und in das nächste hinein einen Schlag versetzen, aber, wie wir vorhergesehen haben, hat der Fall des Dollars dem Export erlaubt, einen signifikanten Teil der Flaute aufzufangen, die Arbeitslosigkeit bleibt gering und die Löhne steigen.“ (18)

Peinlicherweise kam er zu dem Schluss, dass „die Profite außerhalb des Finanzsektors weiterhin stark ansteigen,“ wohingegen sie in Wirklichkeit im vierten Quartal 2007 scharf fielen, wie sogar Keith Harvey zugibt. Um dem Leser zu versichern, dass das Schlimmste der Krise vorüber sei, stellte er eine rhetorische Frage, eingelassen in unfreiwillige Ironie:

„Aber die Frage bleibt nicht, warum sie von der „sub-prime“- und der Kredit-Krise so hart getroffen wurden – die Antworten darauf sind offensichtlich wegen der ungeplanten Natur von Finanzspekulationen -, sondern warum sie trotz solcher unglaublicher, daran beteiligter Geldsummen in der Lage waren, eine so ernste Krise so relativ leicht zu überstehen?“ (19)

Jeffries ist unfähig zu verstehen und zu erkennen, dass billige Kredite nicht immer angewendet werden können, um Krisen aufzuwiegen, und dass die US-Zentralbank 2007 im Vergleich zu 2001 sehr verschiedenen Rahmenbedingungen gegenüber stand. Er fährt fort zu argumentieren, dass der Ansturm auf die englische Bank Northern Rock in erster Linie durch die schwache politische Reaktion der Bank of England verursacht sei, anstatt durch grundlegende Entwicklungen in der globalen Produktion, welche die Zahlungsfähigkeit des Bankensystems beeinflussen. Stattdessen hebt er hervor, wie schwach die Krise gewesen sei:

„Am interessantesten an der aktuellen „sub-prime“-Krise und der folgenden Kreditkrise ist, wie eingeschränkt ihre Auswirkungen auf den Kapitalismus bisher waren. Die wichtigsten Banken und Kreditinstitute haben um die 60 Milliarden Dollar als uneinbringbare Schulden abgeschrieben, und es wird von noch mehr ausgegangen, und, abgesehen von dem Debakel der Northern Rock, welches mehr als alles andere Resultat der Inkompetenz der britischen Finanzbehörden war, ist keine der wichtigen Finanzinstitutionen des weltweiten Kapitalismus zusammengebrochen oder auch nur in die Nähe davon gekommen.“ (20)

Im selben Artikel entwickelt er seine These, dass „ein solcher Abschwung oder eine solche Rezession weit weniger wahrscheinlich ist, wenn die Profitrate insgesamt so hoch bleibt, und falls sie doch eintritt, würde sie wahrscheinlich flach und kurz ausfallen.“ (21)

Er suggeriert, dass wir uns nicht in dem Krisenstadium befinden, welches normalerweise auf dem Höhepunkt des industriellen Zyklus eintritt, sondern lediglich in der Mitte des Zyklus, was nur der Fall wäre, wenn man von einer außergewöhnlichen langen Aufschwungphase des Geschäftszyklus ausgeht, welche man in einer langen „Aufschwungwelle“ erwarten könnte:

„In der Tat scheint es genauso möglich, dass, wenn die kapitalistischen Ökonomien in der Lage sind, die Perioden der Instabilität heil zu überstehen, welche das System seit der Mitte diesen Jahres erschütterten das Wachstum nächstes Jahr ansteigen könnte, wie es für die zweite Hälfte des Geschäftszyklus typisch ist.“ (22)

Wenn du dich in einem Loch befindest, hör auf zu graben, lautet ein englisches Sprichwort. Leider machte Jeffries keine solchen Anstalten. Noch im Januar 2008 argumentierte er, dass die Kreditkrise bald zu Ende gehen würde, und dass die Senkung der Zinsraten und die Ausweitung billiger Kredite der Zentralbanken die Schlüsselprobleme auf den Finanzmärkten gelöst hätten.

„…nachdem die europäischen, englischen, amerikanischen und japanischen Banken die Zahlungsfähigkeit erhöht hatten (d.h. Kredite an die Finanzmärkte niedrige Zinsraten über die Zentralbanken garantierten), und nachdem das Ausmaß der Verluste bekannt wurde, kehrte der Libor, der Londoner Interbanken-Zinssatz, nahezu zur Normalität zurück. In diesem Sinne könnte sich das Ende einer wichtigen Auswirkung der Kreditkrise abzeichnen, auch wenn sie strengere Auflagen für Kredite für die Arbeiterklasse hinterlässt.“ (23)

Blind für die Statistiken, welche den scharfen Absturz der Profite in den USA in dem vierten Quartal 2007 offenbarten, behauptete er: „Risikobehaftet, wie Vorhersagen nun mal sind (in dem Sinn, dass sich jede Vorhersage als falsch erweisen kann), bedeutet das allgemeine hohe Level an Profiten, nicht zuletzt in den USA und dem Vereinigten Königreich, meiner Ansicht nach, dass eine Rezession dieses Jahr unwahrscheinlich ist.“ (24)

Er ignorierte einfach den Fall der Profite, die Zunahme von Gewinnwarnungen, den Fall des Verbraucher-Index, den Anstieg der Inflation, den „Bärenmarkt“ an der Börse und den scharfen Rückgang des BIP-Wachstums in den USA und wiederholte erneut: „Während die ‚sub-prime-Krise‘ im Immobilien-Baugewerbe in den USA extrem schwerwiegend war, fiel der Konsum nicht ab, Löhne und Beschäftigung steigen weiterhin an, die Arbeitslosigkeit hat geringfügig zugenommen, obgleich sie auf einem historisch niedrigem Level verharrt, und die US-Ökonomie hat, so weit, nur ein Quartal relativ langsamen Wachstums Anfang 2007 erlebt.“ (25)

Und das schrieb er Anfang 2008!

Wenigstens fiel Keith Harvey der wachsende Widerspruch zwischen Bill Jeffries´ Analyse und der Realität auf. Zögernd versuchte er, das Bild zurechtzurücken. Aber weil er die Aufmerksamkeit seiner Leser unterschätzte, tat er dies, ohne anzuerkennen, dass er damit seinen eigenen früheren Aussagen widersprach:

„Ist also die Kredit-Krise vorbei? Während sie sich in manchen Bereichen entschärft hat, ist sie in anderen nach wie vor schwerwiegend, und es ist wahrscheinlich, dass sie schlimmer wird, bevor sie sich bessert; so weit, dass sie wahrscheinlich Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung dieses Jahr haben wird, und die USA im Frühjahr in die Nähe einer, wenn nicht in eine Rezession treibt.“ (26)

Er kommt sogar nahe an den Punkt, anzuerkennen, dass die globale Finanzkrise und der Abschwung in der US-Ökonomie drohen, die Theorie der langen Aufschwungwelle der Permanent Revolution-Gruppe zu zerstören, wenn er sagt: „Die Länge, Tiefe und Breite der US-Rezession und ihre globalen Auswirkungen werden die Stärke und Beständigkeit der neuesten langen Welle der kapitalistischen Weltökonomie auf die Probe stellen.“ (27)

Wenn ihre „Beständigkeit“ – d.h. ihre Periodizität- auf die Probe gestellt wird und sich als mangelhaft erweist, sollte er eine komplett andere Frage stellen: Ob der Einbruch des kreditgetriebenen US- und UK-Booms Mitte des Jahrzehnts nicht Zweifel aufwirft, ob die Globalisierung überhaupt eine weltweite Aufschwung-Welle begründet hat? Vielleicht ist es nicht nur die „Stärke und Beständigkeit“ der gegenwärtigen „langen Welle“, die getestet wird, sondern die gesamte schematische Theorie der 25jährigen langen Aufschwungwelle selbst?

Der lange Marsch der langen Wellen: Von Mandel zu Harvey und Jeffries

Ihre Gruppe wurde im Juli 2006 gegründet. Sie behauptete, dass unsere Weigerung, die ‚neuen langen Wellen‘ anzuerkennen, ein Zeichen für unseren ‚Katastrophismus‘ wäre. Doch die Geschichte ist rasch und nicht gerade zimperlich mit der Theorie von Jeffries und Harvey verfahren. Oberflächlich betrachtet war etwas rational, einfach, theoretisch und sogar marxistisch Klingendes in ihrer Grundargumentation.

Jeffries gab folgende Zusammenfassung: „(Wir) haben argumentiert, dass die lange aufsteigende Welle der kapitalistischen Entwicklung, die mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten zwischen 1989 und 1991 begann, die Kapitalisten in die Lage versetzte, der Periode der Stagnation in den 70er und 80er Jahren zu entrinnen. Das heißt nicht, dass es keine Krisen und Rezessionen mehr geben kann, aber sie werden von der allgemeinen Periode der kapitalistischen Entwicklung geformt, in der sie stattfinden. In Perioden der Stagnation werden sie lang andauernd und tief sein. In Perioden der Expansion werden sie flach und kurzlebig sein.“ (28)

Das hört sich zunächst an wie Trotzkis Vorstellung einer Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung: „Es gibt ganze Epochen in der kapitalistischen Entwicklung, in denen eine Anzahl von Zyklen durch stark ausgeprägte Booms und schwache kurzlebige Krisen charakterisiert sind. Das Resultat ist eine scharf ansteigende Bewegung der grundlegenden Kurve der kapitalistischen Entwicklung. “ (29)

Doch der offenkundige Unterschied zwischen Jeffries und Trotzkis Analyse liegt in der Einführung des Konzepts der langen Wellen – abgeleitet von Kondratieff – das Trotzki abgelehnt hat. Kurz nach der Leugnung seiner ursprünglichen Analyse der Globalisierungsperiode schrieb Harvey einen Artikel, in dem er der vulgären Theorie der langen Wellen einen marxistischen Anstrich zu geben versucht. Dabei bedient er sich stark der Schriften von Ernest Mandel, dem führenden Theoretiker der Vierten Internationale nach dem Krieg. Er erklärt richtig, dass Trotzki Kondratieff’s Konzept der langen Zyklen ablehnte, schließt sich dann aber Mandels Vorstellung an, die Annahme sei immerhin berechtigt, dass die langen Perioden einem zeitlich gesetzmäßigen Grundmuster folgen könnten, so lange sie als Wellen und nicht als Zyklen verstanden würden und so lange betont wird, dass die Aufwärtsbewegungen der langen Wellen von externen Faktoren bestimmt werden, während ihre abfallenden Kurven von inneren Widersprüchen des Kapitals beherrscht werden.

In beiden Fällen ist das Unsinn und ein klares Beispiel für Mandels lange Tradition der Versöhnungsversuche von marxistischen und bürgerlichen Theorien, stets in marxistischen Sprachwendungen, doch mit Inhalt und Wirkweise bürgerlicher Herkunft gefüllt.

Der erste Punkt ist leicht zu widerlegen. Eine Welle ist wie ein Zyklus ein definiertes Bewegungsschema, sozusagen bestimmt durch eine Formel. In der konkreten Formgebung kann es natürlich kein getreues Abbild der mathematischen Formel geben, ähnlich wie kein Kreis mathematisch genau kreisförmig ist. Aber die zu Grunde liegende Gesetzmäßigkeit ihrer Gestalt ist klar und entspricht gewissen bestimmenden Merkmalen. So verhält es sich in der Wirklichkeit auch mit Zyklen und Wellen. Das gilt gleichermaßen für die Wirklichkeit der Politökonomie des Kapitalismus.

Die industriellen Zyklen von 7-10 Jahren werden durch einen materiellen Faktor und den Einfluss auf Überakkumulation und Abwertung des fixen Kapitals bestimmt. Wie echte geometrische Figuren, wenn sie nicht abstrakt, sondern konkret wahrgenommen werden, werden sie durch zufällige Erscheinungen gestaltet und verändert und haben nicht dieselbe Länge. Aber sie werden ungefähr 7- 10 Jahre dauern. Sie bleiben Zyklen, weil sie einem Gesetz unterliegen, das ihre Entwicklung bestimmt.

Wie erwähnt gilt das einfach nicht für die Faktoren, die die metazyklischen Entwicklungsschemata bestimmen. Wie kann es zur Klärung von metazyklischen Auswirkungen der ‚Wellen‘ von Klassenkampf und Geopolitik beitragen? Sind die Entdeckungen von Erdteilen, Völker mordende Kriege, proletarische Revolutionen, Konterrevolutionen in irgendeiner Form nach einem Schema verlaufen wie die Korrosion von Metall? Harvey behauptet, Mandels 50 Jahre währende Wellen seien keine statistischen Durchschnittswerte einer 50jährigen Periode nach dem Zufallsprinzip, sondern würden mit den wirklichen Geschichtsperioden (Kriege, Revolutionen und Konterrevolutionen, neuen Entdeckungen) übereinstimmen (30). Aber er gerät in Erklärungsnöte, wenn er sagen soll, warum diese Erscheinungen für ihr Auftreten einen Zeitplan beinhalten. Er sagt, es scheine vielleicht so, als ob er eine ‚falsche Analogie‘ herstelle, dass die „Bewegung der Preise, Zinsen und so weiter einen bestimmten und unterscheidbaren Verlauf in allen Phasen“ nähme (31). Das wiederum kann aber genau so gut ohne Zuflucht zu einem schematisch kryptozyklischen Konzept von langen ‚Wellen‘ erklärt werden.

Harvey erkennt, dass diese fragwürdige Theorie einer marxistischen Unterfütterung bedarf, und sagt:

„Wo Nicht-Marxisten versuchen, die Triebkräfte hinter diesen Trends in solchen Faktoren wie der Wirkung von ‚gebündelten Erneuerungen‘ (Schumpeter) oder langfristigen infrastrukturellen Kapitalinvestitionen (Kondratieff) zu finden, muss für eine marxistische Theorie der langen Wellen die Theorie der Profitrate heran gezogen werden. Für Mandel bleiben ‚die wichtigsten Bewegungen jene, die die grundlegenden Trends des Systems bestimmen. bleiben die Fluktuationen der durchschnittlichen Akkumulationsrate des Produktivkapitals.“ (E. Mandel, Lange Wellen der kapitalistischen Entwicklung, S. 18) (32)

Es wäre töricht zu meinen, dass weltweite, geschichtliche, gesellschaftliche, politische und geographische Bedingungen – also ‚externe‘ Faktoren für den Prozess der Kapitalakkumulation – keine Auswirkung auf die Zusammensetzung des Kapitals und somit auf die Profitraten hätten. Aber was hier wieder eindeutig fehlt, ist eine Erklärung, warum diese die Zyklen zu einem etwa 25jährigen Auf- oder Abschwung nötigen sollten. Mandels ‚Lösung‘, die von Harvey übernommen wird, ist die Bildung einer weiteren ‚offensichtlich falschen Verallgemeinerung aus einer formalen Analogie‘.

Zunächst wollen wir Aspekte der Argumentation, die wir im Artikel die „Marxsche Krisentheorie“ entwickelt haben, in Erinnerung rufen. Marx zeigt, dass das Auf und Ab des industriellen Zyklus vom Umschlag des fixen Kapitals abhängen. Die Bildung der Durchschnittsprofitrate bedeutet, dass Überakkumulationskrisen eine ganze Reihe von Kapitalen gleichzeitig in Mitleidenschaft ziehen und Entwertungskrisen auftreten, die den Wert vieler dieser Einzelkapitale zeitgleich herabsetzen. Die Kapitalisten trachten danach, größere Anlagen in fixem Kapital zu tätigen, wenn Maschinen, Gebäude und Kredite billig zu haben sind, d.h. am Ende der Krise. Die Notwendigkeit zur Ersetzung von fixem Kapital wird durch die physische Entwertung, den Zugang zu Krediten, technischem Fortschritt und Konkurrenz bestimmt. Die physische Komponente beinhaltet eine zeitliche Entwicklungsstruktur. Dies ist ein ‚innerer‘ oder ‚endogener‘ Faktor in der Formierung von Kapital, Akkumulation und Krise.

Die Aufwärtsbewegung des Zyklus folgt einem Zeitmuster, das von endogenen Faktoren beeinflusst wird, während die Länge der Krisen- und folgenden Rezessionsphase davon nicht betroffen ist. Diese Phasen sind vielmehr von der Entwertung des Kapitals bestimmt und davon, wie wirksam diese für die Wiederherstellung der Voraussetzungen zur profitablen Akkumulation ist. Sie sind nicht durch ‚endogene‘ Faktoren geformt, sondern durch politischen und wirtschaftlichen Kampf zwischen Kapitalen, Nationen und Klassen. Die externen ‚exogenen‘ Faktoren folgen keinem klaren Zeitschema. Das gilt für den wirtschaftlich-industriellen Zyklus. Wie missbraucht dann Mandel die marxistische Theorie für die Zwecke von Kondratieffs Theorie der langen Wellen? Indem er einfach einen Trick anwendet, hinter dem nichts anderes steckt als die Übertragung der Merkmale des industriellen Zyklus auf die ‚langen Wellen‘, ohne die geringste logische Untermauerung.

Keith Harvey erklärt: „Mandel versuchte Kondratieffs Theorie zu verbessern, indem er Trotzkis Kritik am ‚stilisierten‘ Charakter der ‚langen Wellen‘ aufnimmt, und machte einen Unterschied zwischen den Ursachen für die Abwärtsbewegungsphasen der langen Wellen und denen für die Anstiegs- und Ausdehnungsphasen. Um die Abschwungphase zu erklären, müssen die wesentlichen ‚endogenen‘ oder internen Faktoren berücksichtigt werden , d. h. die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals sichert den zunehmenden Einfluss des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate auf den Akkumulationsprozess und die gegenläufigen Tendenzen verlieren stetig mehr an Nachdruck.“ (33)

Die Willkürlichkeit dieser Formulierung ist auffällig. Die Abschwungsphasen des Zyklus entspringen anscheinend dem endogenen Prozess der Kapitalakkumulation, v.a., so Harvey, einem allgemeinen allumfassend zyklischen Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals und entsprechend der Tendenz zum Fall der Profitrate. Aber in der Anstiegsphase der langen Welle hält er es für geboten, auf die Faktoren zu achten, die dem Kapitalakkumulationsprozess äußerlich sind. In dieser Form von Theoriebildung entwickeln Harvey und Mandel eine erstaunliche Verwirrung des Verständnisses des Verhältnisses zwischen endogenem Prozess der Kapitalakkumulation und den räumlich-zeitlichen Bedingungen, unter denen die Akkumulation vonstatten gehen soll.

Wenn, wie es korrekt sein müsste, in aufeinander folgenden Zyklen die Steilheit oder Flachheit der Abwärtskurven von exogenen Faktoren geformt wird, dann müsste die gleiche Gesetzmäßigkeit für beide, also auch für die nach oben gerichteten Segmente der Entwicklungskurve gelten.

Doch für Keith Harvey ist der Einfluss geschichtlicher Umstände wie Politik, Klassenkampf, Geografie, zwischenstaatliche Beziehungen usw. auf die ‚Welle‘ oder Darstellbarkeit des Verlaufs in ihrem Abfall anscheinend auf Null herunter geschraubt, während sie im Augenblick des Aufschwungs plötzlich voll durchschlagen. Das versetzt theoretisch in Erstaunen, zumal räumlich-zeitliche Umstände immer die tragenden Kräfte für die Gesamtheit der kapitalistischen Entwicklung bilden. Ebenso wenig hält diese These einer geschichtlich-empirischen Überprüfung stand. Hatte das Fehlen einer eindeutig vorherrschenden imperialistischen Macht in der Zwischenkriegsperiode 1918-1939 etwa keinen tiefen Einfluss auf die abfallende Kurve der kapitalistischen Weltentwicklung dieser Zeit?

Harveys Anwendung von Mandels Theorie enthält zwar schwache Anflüge der Marxschen Theorie des Industriezyklus, aber die Frage, ob diese äußeren Klassenkampfereignisse, wissenschaftliche Entdeckungen, geopolitischen Vorkommnisse usw. eine allgemein gültige 25jährige Periodizität schaffen, bleibt unbeantwortet. Selbst wenn dem so wäre – wie und warum verhält es sich so?

Harvey zitiert weiter Mandel, dass in Perioden mit überzyklischen Ausweitungsmerkmalen sich die organische Zusammensetzung des Kapitals verringert und der tendenzielle Fall der Profitrate aufgehalten wird.

„Ein plötzliches Ansteigen der Mehrwertrate, eine jähe Verlangsamung der Wachstumsrate der organischen Kapitalzusammensetzung, eine plötzlich Beschleunigung des Kapitalumschlags oder eine Kombination einiger oder aller dieser Faktoren kann als Erklärung für einen plötzlichen Anstieg der Durchschnittsprofitrate dienen. Marx wies zusätzlich darauf hin, daß zu den Kräften, welche die Wirkungen einer sinkenden Profitrate dämpfen, auch ein Anstieg der Mehrwertmasse und ein Kapitalfluß in Länder (wir sollten hinzufügen: und Sektoren) gehört, in denen die durchschnittliche organische Zusammensetzung des Kapitals deutlich geringer ist als in den bestimmenden Industriezweigen der kapitalistischen Industrieländer“. (34)

Damit stimmen wir selbstverständlich überein. Aber warum ist dies eine Welle mit Zeitvorgaben? Darauf gibt Mandel ungenügende und Harvey keine Antworten. Er glaubt, er habe genügend Bausteine zur Untermauerung seiner Position. Im Verlauf seiner Darstellung zeigt er, dass wichtige Elemente der internationale Lage eine Verringerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals beinhalten: Niederlagen der Arbeiterklasse und eine Ausdehnung des Welthandels. Er spricht davon, dass „viele von Mandels Vorbedingungen (für eine lange ansteigende Welle) seit den 1990er Jahren als erfüllt gelten können“ u.a.

„- Bedeutende Niederlagen für die Arbeiterklasse in Nordamerika und Europa im Laufe der 1980er und 1990er Jahrzehnte mit Reallohneinbußen, Erhöhung der Produktivität und Mehrwertrate“

„- Die Restauration des Kapitalismus in China, Russland und Mitteleuropa“

“- Eine Markterweiterung für Waren und Dienstleistungen durch imperialistische multinationale Konzerne”

„- Zentralisation von Kapital durch aggressive Fusionen und Übernahmen in den 1990ern, die den großen Industrien globale Reichweite und Möglichkeit zum Ausgleich verschafft“

„- Wiederherstellung der US-Vormachtstellung in den 1990ern, die sie in die Lage versetzte, internationale Einrichtungen für ihre wirtschaftspolitischen Zwecke umzugestalten und einzuspannen.“

„- Entfaltung neuer Technologien seit Mitte der 1990er Jahre, z. B. Internet, die neue Märkte erschlossen haben (z. B. Handel auf elektronischem Wege), hat zur Neubesetzung von wichtigen Dienstleistungs- und Hochtechnologieindustrien geführt und haben die Umschlagskosten im Warenverkehr gesenkt und die  Umschlagszeiten im Kapitalverkehr beschleunigt“. (35)

Das waren natürlich wichtige Merkmale der internationalen Lage. Dass diese von großer Bedeutung waren oder sind, erfordert keine Diskussion, obwohl Maß und Schwerpunkt ihrer fortgesetzten Wirkung später noch untersucht werden sollen und müssen. Aber nicht Harveys Erkenntnis dieser geschichtlichen Faktoren ist das Problem, sondern die völlige Folgenlosigkeit seiner Schlussfolgerung zu Zeitschema und Perspektive, abgeleitet aus den Tatsachen der Globalisierung. Das zeigt sich besonders klar am Schluss seiner Ausführungen 2005, wo er eine vollendete Vermischung von konkreter Analyse und Mandelschem/Kondratieffschen Schematismus bietet, was hier in voller Länge zitiert werden soll:

„Wenn ein Aufschwung der Geschäftsinvestitionen der USA den Verbrauchsrausch ablöst, würde dies eine Erweiterung und Vertiefung der Expansionsphase anzeigen. Japan (die zweitgrößte Volkswirtschaft) hat seine strukturelle Depression der 1990er Jahre klar hinter sich gelassen und seit 2000 wieder ein Wachstum, das auf steigenden Kapitalinvestitionen fußt, erreicht. Weitere Produktions- und Arbeitsmarktreformen in Euroland würden auch Profite und Investitionen anheben. Wenn Japan und die EU 2006 wie erwartet wachsen und die USA, Mittel- und Osteuropa sowie die asiatischen Ökonomien sich weiter erholen, wäre dies seit Mitte der 80er Jahre die erste Aufschwungphase in einem Geschäftszyklus, in dem alle größeren Ökonomien gleichzeitig boomen würden. Es wäre der Tatsachenbeweis einer neuen Expansionsphase.“ (36)

Die fieberhafte Konjunktur 2004-06 überzeugte Harvey, dass der Tatsachenbeweis angetreten wäre. Aber dieser Versuch zur Übertragung auf die Dauer dieser langen Welle wird gestört durch die theoretischen Mängel und schematischen Annahmen der Theorie der langen Wellen.

„Die Zukunft der Expansionsphase hängt von China und zunehmend auch Indien ab. Chinas industrielle Revolution entfacht die Ausdehnung im übrigen Asien und des weiteren in Lateinamerika. Ihre Extraprofite zirkulieren als Anleihekapital in die USA und bewirken dessen aus Verschuldung finanzierte weitere Ausbreitung. China unterstützt die dynamische Komponente des europäischen Kapitals, da dort die Ausfuhr von Gütern, Dienstleistungen und Kapital wächst. China bestimmt den weltweiten Standard von Waren- und Aktienpreisen sowie in einem offenen Weltmarkt das Lohnniveau. Indien steht in vorderster Reihe der Hochtechnologiedienstleistungen und Computerprogrammindustrien und verfügt im Gegensatz zu China bereits über weltumspannend agierende Großkonzerne.

Schließlich wird die Erschöpfung des Arbeitskräftereservoirs in China und Indien verstärkten Druck auf Löhne ausüben, so dass eine Veränderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals zu erwarten ist, da Maschinen die lebendige Arbeitskraft ersetzen werden und somit die Profite nach unten drücken. Wie weit sind wir davon entfernt? Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass das Arbeitskraftreserveheer nicht vor 2015 ausgeschöpft sein wird. In der Zwischenzeit wird der Geschäftszyklus funktionieren; die Dellen können als Wachstumspausen gewertet werden. Auseinandersetzungen werden sich aufbauen, besonders zwischen USA/Europa/Japan auf der einen und Russland/China auf der anderen Seite, weil alle Mächte danach trachten, die materiellen Voraussetzungen für ihr Wachstum zu monopolisieren und schützen.“ (37)

Drei Angriffspunkte sind in dieser äußerst schematischen Darstellung hervor zu heben. Zunächst stimmt die Periodisierung 1990-2015 mit Mandels und Kondratieffs Zeitschiene von 25 Jahren wie zufällig überein, obzwar hier ebenso wenig wie bei Mandel oder Kondratieff ein zwingender Grund für diese Festlegung genannt wird. Der zweite Einwand ist noch gewichtiger. Er betrifft Harveys außergewöhnliche Begründung für das auf 2015 datierte Auslaufen von Chinas Expansionsdruck auf die Weltwirtschaft. Er sagt, das wird eintreten, wenn die Reservearmee der Arbeitskräfte vom beschäftigten Proletariat aufgesogen wird, d.h. wenn alle Bauern und Erwerbslosen in der kapitalistischen Industrie- und Landwirtschaftsproduktion arbeiten.

Gemäß diesem Schema wirkt die niedrige organische Kapitalzusammensetzung auf die Erhöhung der Profitraten, bis nicht mehr genug neue ungelernte Arbeiter in den Produktionsprozess eintreten. Ihr Druck auf die Herabsetzung der Wertzusammensetzung des Kapitals durch die Ausweitung des Anteils von lebendiger Arbeitskraft gegenüber dem konstanten Kapital (Maschinen, Gebäude, Rohstoffe) würde anhalten, bis niemand mehr da wäre, der noch beschäftigt werden könnte. An diesem Punkt, nimmt er an, wird die Konkurrenz die Löhne hoch treiben und damit auch die organische Zusammensetzung des Kapitals, was wiederum die Profite mindert. Aber vorher könne dies nicht geschehen. Somit wären weltgeschichtliche zyklische Krisen kaum mehr als ‚Wachstumspausen.‘

Die Geschichte geht nüchtern mit dieser Theorie um. Hier wird die Idee verfolgt, dass das Kapital rational zur Senkung seines organischen Bestandteils agiert, indem es neue Arbeitskräfte ansaugt, ehe es die Technologie im Verhältnis zur lebendigen Arbeitskraft erhöht. Auch die Idee, dass der tendenzielle Fall der Profitrate aufgehalten wird, bis die gesamte Reservearmee aufgebraucht ist, und erst danach die Löhne zu steigen beginnen, wohnt dieser Theorie inne. Doch das hat alles nichts zu tun mit marxistischer Krisentheorie und gründet sich auf Annahmen einer harmonischen kapitalistischen Entwicklung, bevor dann nicht-kapitalisierte Sektoren inkorporiert sind.

Die Wirklichkeit hat dieses Gedankengebäude bereits im April 2007 zum Einsturz gebracht, als die US-Einfuhren aus China merklich im Preis anzogen. Die Kosten für Löhne, Nahrungsmittel, Öl und Land sind in China drastisch gestiegen. Dadurch gerieten die Profite auf der ganzen Welt unter gewaltigen Druck. Das allein verrät das innewohnende unausgeglichene Wesen der Kapitalakkumulation selbst – gerade in „fernen“ Ländern mit ungezügeltem Wachstum. Die Wirklichkeit stellt gnadenlos die haltlosen Unterstellungen bloß, wonach die chinesische Expansion sich nicht nur fortsetzen und seine Arbeiterreservearmee aufbrauchen würde, sondern stempelt auch die Idee, der Globalisierungsboom werde 25 Jahre bis 2015 dauern, zum Irrglauben.

Trotz ihrer Irrtümer mit der aufgewärmten Theorie der langen Wellen ist Jeffries und Harvey ein weltgeschichtlicher Wendepunkt in Bezug auf die geänderte Zusammensetzung des Kapitals nicht ganz entgangen. Sie sagen dazu, dass die Restauration des Kapitalismus im früheren Sowjetblock und China die Wirkung hatte, die Lohnkosten und die Unkosten des konstanten Kapitals zu verbilligen und so den tendenziellen Fall der Profitrate aufzuhalten. Damit senkte sich weltweit die organische Zusammensetzung des Kapitals und ließ die Profitraten anschwellen. Die Zyklen würden dennoch mit ihren krisenhaften und phasenweise rezessiven Begleiterscheinungen auftreten. Aber die aufwärts strebenden Kurven während einer solchen Periode würden länger und tiefer als üblich sein, die Krisen und Rezessionen kürzer und flacher.

Daran ist etwas Wahres. Als Bill Jeffries 2004-06 seine Theorie schrieb, schienen zunächst einige Merkmale der Weltwirtschaft seine Sichtweise zu bestätigen. Die Rezession Anfang der 1990er in den USA und Britannien wich einem Aufschwung Mitte des Jahrzehnts. Der erdstoßartige Schock der Asienkrise und der Zusammenbruch der argentinischen Ökonomie führten nicht in eine Weltrezession. Der kurze und flache Rückgang 2000/01 in den USA und Britannien währte nicht lange. Die chinesische Entwicklung, die bereits im vergangenen Jahrzehnt mit Steigerungsraten von über 10% aufgewartet hatte, ging nun nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) voran und gab dem Welthandel einen kräftigen Schub. 2004 befanden sich Britannien und Nordamerika dann in einer unübersehbaren Erholungsphase. Das asiatische, afrikanische und lateinamerikanische BSP-Wachstum zeigte steil nach oben. 2005 erfasste die Erholung allmählich und tastend auch Deutschland und Japan, die seit Mitte der 90er Jahre an einer tief wurzelnden Stagnation laborierten.

Natürlich müssen getreu Trotzkis Methode die hauptsächlichen geopolitischen Bedingungen, die das Abhängigkeitsverhältnis von konstantem und variablem Kapital weltweit prägen, in Betracht gezogen werden, wenn die Tragweite der Dynamik des Zyklus und die Tiefe und Strenge der nächsten Krise und Rezessionsphase eingeschätzt werden sollen. Aber dieser Analyseprozess wäre nicht durch Vorurteile beeinflusst, die einen festen 25-Jahres-Rhythmus eines Zyklus, wie ihn Kondrateff verstanden hatte, vorsehen. Jeffries und Harvey unterstellten dies, weil sie von der falschen Beurteilung des Übergangs von der Spekulationsblase der Jahre 2004 -06 zur Krisenphase des Zyklus 2007 ausgingen. Erst langsam begriffen sie, was vor sich ging, denn sie nahmen an, dass die Hälfte der Erholungsphase des Zyklus durchschritten war. Weil sich die Weltökonomie in einer ‚aufwärts zeigenden langen Welle‘ befände, erwarteten sie eine unnormal lange Erholungsphase.

Deswegen sagte Jeffries trotz der Kreditkrise 2007 ein Wirtschaftswachstum voraus, das sich „im nächsten Jahr beschleunigt, wie es typisch ist für die zweite Hälfte des Geschäftszyklus.“

Aus demselben Grund beharrte Keith Harvey darauf, die Unternehmensschulden seien so niedrig, dass die Kreditkrise die nicht zum Finanzsektor zählenden Firmen gar nicht treffen könnten. Im Anfangsstadium der Erholungsphase des Zyklus ist die Expansion zur Hauptsache durch Profitrücklagen finanziert statt durch Kredite.

Unsere Argumente, wie mit Hilfe von marktbezogenen Bilanzen und besonderen Anlagevorrichtungen die Körperschaftsschulden verschleiert werden können, wurden ignoriert. Ebenso wurden Zahlen ignoriert, die von nationalökonomischen statt von Firmenberechnungen ausgehen und die bezeugen, dass die Körperschaftsschulden auf einem historischen Höchststand sind. Schließlich wurden auch die Tatsachen des sehr hohen kreditfinanzierten Anteils des BSP-Wachstums der USA und des zunehmenden Gewichts von kommerziellem und zinstragendem Kapital in dieser Bilanz ignoriert. Stattdessen bezog sich Harveys erste Argumentation auf die Kreditkrise, die die Hebel der ökonomischen Aktivität in den USA nicht ernstlich in Gefahr bringen könnte.

Zurück zu einer von Harveys Aussagen, die bereits teilweise zitiert worden ist, um ein volleres Bild seiner nichtsdestoweniger irrigen Ansichten zu erhalten.

„Wenn die Kreditkrise allgemein profitable Geschäftssektoren betreffen sollte, denen es in jüngster Zeit sehr gut ging, könnte eine ernste Rezession in den USA eintreten. Aber die meisten Firmen sind durch eigene Rücklagen gedeckt, die sie in den letzten 5 Jahren für Finanzanlagen genutzt haben statt bei Banken um Kredite vorstellig zu werden. Eine größere Kreditkrise ist also nicht in Sicht.“ (38)

Harveys Uneinsichtigkeit liegt ein Missverständnis zu Grunde. Ein Anwachsen der Profitmasse ist nicht nur ein Merkmal in einer Erholungsphase. Es kann sich in der Endphase des Zyklus fortsetzen. Marx bemerkte hierzu (siehe auch „Die Marxsche Krisentheorie“), dass es am Vorabend der Krise so scheinen mag, als ginge es Kapitalisten und Arbeitern noch nie so gut wie in diesem Augenblick. Diesem Eindruck erliegen Jeffries und Harvey, wenn sie sich an das Schema des gegenwärtigen Zyklus klammern und es herleiten von einer schematischen Theorie der langen Wellen. Diese vorgefasste Meinung verstellt ihnen den Blick auf den wirklichen Ablauf der Dinge. Sie lassen sich von derselben ideologischen Befangenheit blenden, die die Bourgeoisie in jeder wilden Spekulationsphase des Zyklus befällt.

Der Hauptfehler von Jeffries und Harvey ist leicht verständlich. Sie haben ihr Schema auf die Annahme gebaut, dass Chinas Werdegang die organische Zusammensetzung des Kapitals gemindert und die Profitraten weltweit gefördert hat. Natürlich beruhte die chinesische Entwicklung auf einer niedrigeren organischen Kapitalzusammensetzung und höheren Profitraten in China im Vergleich zum Westen. Aber Jeffries und Harvey übersahen die Widersprüchlichkeit dieser Erscheinung.

Zwei Faktoren haben sich als besonders bedeutsam für das Verständnis erwiesen, wie das Ungleichgewicht zwischen USA und Asien sich von einer den US-Boom begünstigenden Kraft in eine Gegenkraft verwandeln konnte, die die US-Wirtschaft in die Krise gezogen hat. Als erstes muss der Auslagerungsprozess genannt werden, mit dessen Hilfe die Produktion in den USA ersetzt worden ist durch die Herstellung von Komponenten, in Asien. Natürlich haben amerikanische Kapitalisten aus dieser Nutzung billiger Arbeitskraft Extraprofite ziehen können. Aber das senkt nicht die organische Zusammensetzung von Kapital bzw. steigert nicht die Profitraten im Kernbereich der US-Hochtechnologieproduktion. Dort geraten die Profitraten unter ständigen Druck, treiben spekulative Aktivitäten an und enden schließlich im Zusammenbruch, der sich bei der Profitmasse im letzten Viertel des Jahres 2007 und in den alarmierenden Profitwarnungen bei sehr großen und strategisch bedeutenden Konzernen wie General Electric 2008 vollzogen hat.

Der andere Faktor ist die riesige Ausdehnung des Handels und der Einfuhren aus China. Billige Güter, die von Arbeitern als Lebensmittel verbraucht werden, setzen den Wert der Arbeitskraft herab, fördern den relativen Mehrwert und die Ausbeutungsrate. Natürlich steigert sich damit zunächst auch die Profitmasse. Aber wie jeder Marxist weiß, erhöht die Abwertung der menschlichen Arbeitskraft (das variable Kapital) den Anteil des konstanten im Verhältnis zum variablen Kapital. Wie in „Die Marxsche Krisentheorie“ ausgeführt, kann weder ein Anstieg in der Ausbeutungsrate noch die Verbilligung des Werts des konstanten Kapitals ausreichen, um diese Veränderung dauerhaft außer Kraft zu setzen. Die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt, die Profitrate fällt schließlich und das betrifft auch die Profitmasse.

Jeffries und Harvey sollten dies eigentlich wissen. Stattdessen lassen sie Marxens Theorie der Überakkumulation des Kapitals praktisch links liegen und konzentrieren sich ganz darauf, wie die asiatische Entwicklung die organische Zusammensetzung des Kapitals weltweit herab drückt und gehen von der Erwartung aus, dass dies im gesamten nächsten Zyklus auch der Fall sein würde. Eine Zeit lang wirkten die verbundenen Faktoren der billigen Einfuhrgüter und die daraus resultierende Senkung des Wertes von konstantem und variablem Kapital im Westen als Bremse gegen den Eintritt der Krise gewiss nach, aber sie konnten nicht die Tendenzen zur Überakkumulation aufheben. Die wiederkehrende Inflation in China schlug im April 2007 durch, die Krise brach erneut auf und ruinierte nicht nur den durch US-Kredite entfachten Boom, sondern auch Jeffries und Harveys harmonisierende Perspektive einer globalen kapitalistischen Entwicklung.

Harvey ignorierte das Ungleichgewicht, das die Exportfertigung China bringen würde. Er versuchte stattdessen, seine ursprüngliche Einschätzung, dass die Kreditkrise nicht die ‚reale‘ Ökonomie angreifen würde zu unterfüttern. Er schrieb, die Gewinne der US-Konzerne im Ausland würden „die geringeren Inlandseinkünfte wettmachen und den Aktienmarkt stützen helfen. Die Aussicht, dass die gegenwärtige Krise einen voll entfalteten Wirtschaftskrach auslöst, bleibt schwach.“ (39)

Jeffries drückte sich dazu gröber aus:

„Die vermeintliche Stagnation der Weltwirtschaft oder Überkapazität in der kapitalistischen Fertigung, u. a. vorgetragen von Chris Harman und Robert Brenner lassen einfach den absolut fundamentalen Richtungswechsel und Herkunftswandel der kapitalistischen Produktion im Zeitalter der Globalisierung außer Acht. Die Aushöhlung der imperialistischen Produktionsstätten wird mehr als wettgemacht durch die Entwicklung des Kapitalismus auf der ganzen Welt und im Besonderen durch die Umwandlung der ehemals zentral geplanten Ökonomien wie China und die UdSSR in kapitalistische Ökonomien. Das ist wirklich ein elementarer und grundlegender Fehler.“ (40)

In Wirklichkeit haben Harvey und Jeffries einen Fehler begangen. Die ‚Aushöhlung‘ der Investitionen in den hoch produktiven Industrien der entwickelten Länder wird durch ihre hohe organische Zusammensetzung verursacht und ist ein Ausdruck des tendenziellen Falls der Profitrate. Ihre Ersetzung durch Produktion auf niedrigerem organischem Zusammensetzungsniveau in anderen Ländern kann dies nicht ‚mehr als wettmachen,‘ weil die Weltwirtschaft aus nationalen Ökonomien besteht, die das Kapital zwar zu überwinden trachtet, aber nicht abschaffen kann und wird. Die nationale Ökonomie der USA wird also nicht nur von Chinas Entwicklung oben gehalten, weil eine niedrigere organische Kapitalzusammensetzung in China sich nicht einfach in eine niedrige Zusammensetzung in den USA überträgt, als ob Nationalökonomien nicht mehr bestehen würden. Die anfänglich deflationäre Wirkung der Handelserweiterung durch die bislang zurück rückständigen Länder vermag zwar Profite zu steigern und eine Umgebung zu schaffen, in der billige Kredite weiter gegeben werden, wenn aber unvermeidlich die Entwicklung im ‚empor kommenden Markt‘ voranschreitet, steigt die organische Zusammensetzung, platzt schließlich die Kreditblase. Die Weltentwicklung ist nicht nur kombiniert, sondern ungleichzeitig kombiniert; sie bedeutet nicht nur Globalisierung von Kapital, sondern Globalisierung von in der Tat elementaren und grundlegenden Widersprüchen des Kapitals.

In der Hoffnung auf die Stärkung ihrer Analyse haben Jeffries und Harvey auf ihrer Webseite einen Artikel des US-Ökonomen Fred Mosley veröffentlicht. Dies geschah, um ihre Behauptung zu stützen, dass Profitraten und Profitmasse sich in der Boomphase des Zyklus in den USA gesteigert haben, was auch gar nicht bestritten werden soll. Doch ist den Lesern aufgefallen, wie Mosley seinen Artikel schließt?

„Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die US-Wirtschaft wegen des beispiellosen Schuldenbergs sowohl bei kapitalistischen Firmen wie auch bei Privathaushalten trotz minderer Profitraten im Stande war, eine beträchtliche Wachstumsrate in den vergangenen 3 Jahrzehnten aufrecht zu erhalten. . Das meiste davon wurde mittels eines riesigen nie da gewesenen Zustroms von Fremdkapital in die USA bestritten. Diese wachsende Abhängigkeit der US-Wirtschaft von ausländischem Kapital erhöht jedoch die sehr große Gefahr, dass in einer nicht allzu fernen Zukunft die ausländischen Zentralbanken und Anleger nicht mehr willens sein könnten, den USA angesichts sich ständig weiter auftürmender Schulden noch Geld zu leihen. Wenn das geschieht, geriete die US-Ökonomie in eine sehr enge Klemme.“ (41)

Doch die Theoretiker der langen Welle kümmern sich nicht um dieses Ungleichgewicht. Sie haben vielmehr den ‚virtuosen‘ Einfluss der kostengesenkten Produktion in Asien für das Kapital im Blick. Jeffries Anhänger Graham Balmer fasst die Analyse von ‚Permanent Revolution‘ auf deren Webseite zusammen:

„Dem Kapitalismus fiel eine Masse von Kapital, Fabriken, Büros, Infrastruktur usw. praktisch in den Schoß, als die stalinistischen Regime auseinander fielen oder vor dem internationalen Kapital in die Knie gingen. Es gibt zu dem Übergang der Planwirtschaften in Osteuropa und China zum Marktkapitalismus , zu ihrer Eingliederung in die Weltwirtschaft (siehe Debatte über die ‚Entkopplung‘) sowie zum gewaltigen Anstieg bei der Ausfuhr von Kapital der imperialistischen Nationen, um hunderte Millionen von verhältnismäßig billigen neuen Arbeitern auszubeuten, reichlich Datenmaterial. Dies schafft einen Kern für eine marxistische Analyse der Globalisierung – eine unvermittelte Verbilligung des konstanten Kapitals und ein Wertverfall der Arbeitskraft im Weltmaßstab, das kam den Arbeitern auf der ganzen Welt gewiss nicht zu Gute, sondern ist eine Blütezeit für Kapitalisten gewesen!“ (42)

Für Balmer wie für ‚Permanent Revolution‘ besteht der ‚Kern‘ der marxistischen Analyse demnach im Effekt der Reduzierung der organischen Zusammensetzung des Kapitals in den ehemaligen Arbeiterstaaten. Ihre Wirkung auf die Vergrößerung der Widersprüche des Finanzkapitals und der Weltordnung bildet allerdings nicht den ‚Kern‘ ihrer Analyse. Diese Einseitigkeit ist auch ihr Verhängnis. Jeffries argumentiert: „Am Ende steht nicht die Frage, ob es einen Geschäftszyklus gibt oder ob der Kapitalismus ein krisenanfälliges System ist, was sicher zutrifft, sondern ob die Weltwirtschaft sich noch in einer Periode des Abschwungs wie in den 1980er und 1990er Jahren befindet oder nicht und ob die Fähigkeit der USA, die Auswirkungen der recht beträchtlichen faulen Kreditkrise zu meistern, die Idee bestätigt, dass mit der Globalisierung der Weltkapitalismus tatsächlich seiner Stagnationsphase entronnen ist.“ (43)

Wenn sich zeigt, dass die USA die Kreditkrise doch nicht ‚absorbiert‘ haben, sondern in einen tiefen Niedergang geworfen werden; wenn der Internationale Währungsfonds vorhersagt, dass dies zu einem bedeutenden weltweiten Abschwung führt – wird dann Jeffries seine Anschauung korrigieren? Wird er daraus schließen, dass dies nicht nur ein Fehlschlagen seiner Analyse, sondern auch das Scheitern der Theorie der langen Wellen bedeutet?

Die widersprüchliche Natur der Globalisierungsperiode

Eine marxistische Analyse der gegenwärtigen Globalisierungsphase muss sicherlich die Auswirkungen des Zusammenbruchs der UdSSR auf die Zusammensetzung des Kapitals in der neuen Periode der Weltgeschichte, die im Jahr 1991 begann, in Betracht ziehen. Dennoch können wir, unbelastet durch die „symmetrisch angeordnete Konstruktion“ eines 50 Jahre andauernden Superzyklus, beobachten, dass trotz des starken Booms und der schwachen Abschwünge in den USA und Britannien zwischen 1993 und 2007 und trotz der sprießenden Entwicklung der Kapitalakkumulation in Asien, die Schlüsselsektoren des produktiven Kapitals in den imperialistischen Kernländern nicht in der Lage waren, sich von der strukturellen Überakkumulation des Kapitals und der damit verbundenen Tendenz zur Stagnation der Produktivkraft zu befreien, welche sie seit der Periode 1973-1990 prägt.

Diese Analyse wurde vor nicht langer Zeit vor allem in Artikeln von Keith Harvey, die vor seiner Konversion zur Lange-Wellen-Theorie geschrieben wurden, was nicht zufällig 2005, in der Mitte des kreditangeheizten Booms von 2004-06, passierte, im Detail entwickelt (44).

Die Bedingungen der gegenwärtigen Periode der Globalisierung wurden in den späten 1970ern und 1980ern gelegt. Eine weltweite kapitalistische Offensive zielte darauf ab, aus der stagnativen Entwicklung auszubrechen, die im Jahr 1973 mit dem Ölschock und dem Ende des Nachkriegbooms begonnen hatte. Das System von Bretton Woods von 1944, das für die Kontrolle der Finanzen und die Dollar-Gold- Parität stand, wurde aufgegeben; neue neoliberale ökonomische Methoden wurden in Ländern wie Chile mit großer politischer und wirtschaftlicher Brutalität ausprobiert. Jedoch existierten eine hohe strukturelle Inflation und eine mächtige depressive Phase nebeneinander her, die in einer stagflationären Rezession in den Jahren 1974-76 mündete. Die gegen die Rezession ausgerichtete keynesianische Politik trieb die Inflation weiter in die Höhe, eine starke Arbeiterbewegung in Europa wehrte sich gegen Einkommensverluste; ebenso begrenzten die Handelsbarrieren und Kapitalkontrollen der „Dritten Welt“, den “freien” Fluss der Investitionen der stagnierenden imperialistischen Mächte.

Die Gegenoffensive vertiefte sich 1978 mit dem massiven Ansteigen der Zinssätze auf 18 %, das durch den Vorsitzenden der US-Zentralbank Paul Volcker durchgesetzt wurde, der danach strebte “Liquidität in Übermaß und überbewertetes Kapital” aus dem System hinauszudrängen. Das bedeutet, eine Überakkumulationskrise durch eine vorsätzliche kurzfristige Einführung von Deflation und Rezession zu korrigieren. Die neue Weltrezession von 1979-82 hatte begonnen und die Ära der Krisenpolitiker Reagan und Thatcher war angebrochen; eine große Welle von Bankrotten überschwemmte die USA und Britannien zwischen 1980 und 82. Die Arbeitslosigkeit nahm extrem zu.

Wie man weiß, erlebten die 1980er Jahre eine entschlossene und systematische Offensive der angelsächsischen Imperialisten – nicht nur, um die Macht der Arbeiterbewegung in ihrem eigenen Land zu brechen, sondern vor allem, um die Handelsbarrieren und die Hindernisse für den Kapitalexport in die halbkoloniale „Dritte Welt“ niederzureißen. Sie wollten die Tendenz des Falls der Profitrate dadurch ausgleichen, indem sie eine Produktion etablierten, die auf niedrigeren Arbeitskosten basierte, indem sie durch die Ausdehnung der Größe der produktiven Unternehmen Ökonomien von größerem Ausmaß aufbauen wollten und indem sie Schutzrechte und die organisierte Arbeiterbewegung umgingen (die sie selbst als „restriktiv“ denunzierten), indem sie in Länder mit despotischen Regimes investierten und indem sie Bedingungen schufen, die es ermöglichten, den maximierten Profit wieder zurückzuführen, ohne von Zöllen, Währungskontrollen oder Besteuerung gestört zu werden.

Die internationalen Finanzinstitutionen spielen dabei als Instrumente eine zentrale Rolle , um die imperialistische Politik mit dem Ziel durchzusetzen, die halbkoloniale Welt aufzubrechen. Ihre hauptsächliche Waffe waren die Schulden. Nach dem Höhepunkt des Ölpreises 1973 verfügten die „Dritte Welt“- Länder, die vom Ölexport profitiert hatten, über keine bedeutende eigene finanzielle Infrastruktur und hatten keine ausreichenden Binnenmärkte, um eine profitable innere Entwicklung durchzusetzen. Ihr ungeheuer großer Dollar-Reichtum war in westlichen Banken deponiert, die jetzt nach Kunden Ausschau hielten, die sehr große Darlehen aufnehmen würden. Als die Bank-Kreditzinsen in der Rezession in der Mitte des Jahrzehnts niedrig waren, verliehen die Banken enorme Summen an „Dritte-Welt“-Regierungen, was in einer Verschuldung der „Dritten Welt“ endete, die 1982 in den Himmel schoss – auf den bis dahin unerreichten Stand von 827 Mrd. Dollar.

Der Volcker-Schock machte es den Schuldner-Ländern nicht nur unmöglich, ihre Schulden zu bedienen. Durch die Erhöhung der Gewinne auf US-Regierungs-Bonds wurden Kapitalinvestitionen von den rückständigen („sich entwickelnden“) Ländern in die USA gezogen. Als Länder in Südamerika (v.a. Mexiko) und Afrika sich unfähig sahen, ihre Schuldenrückzahlungen zu begleichen, hörten die Banken ganz einfach auf, Darlehen an halb-koloniale Länder auszugeben.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) schritt mit kurzfristigen Schuldenerlassprogrammen ein, die einen gewaltigen Pferdefuss hatten: Sie waren mit massiven Auflagen verbunden. Es mussten Strukturanpassungsprogramme angenommen werden, die die Schuldnernationen dazu verpflichteten, Staatsausgaben bzgl. der sozialen Vorsorge, selbst wenn sie noch so gering war, zu kürzen, Staatsunternehmen zu privatisieren, Einfuhrkontrollen und Subventionen zu streichen und natürlich ausländische Investitionen und ausländisches Eigentum in ihren eigenen Ökonomien zuzulassen.

Noch stellte die Existenz von mächtigen bürokratisch geplanten, nicht-kapitalistischen Ökonomien in der UdSSR und in China ein enormes Hindernis für die Expansion von Kapital auf weltweiter Ebene dar. Auf der geopolitischen Ebene stellten die degenerierten Arbeiterstaaten außerdem auch eine alternative Macht dar, an denen sich halbkoloniale Regimes orientieren konnten, die begrenzten Schutz vor der Dominanz des westlichen Finanzkapitals suchten und sich bemühten, einen Binnenmarkt zu schaffen – und zwar durch eine den Import ersetzende und durch eine vom Staat stimulierte Entwicklung. Die Intensivierung der imperialistischen ökonomischen Offensive in den 1980ern ging einher mit einer großen Intensivierung der Militärausgaben und der Rivalität – dem „Zweiten Kalten Krieg“ – mit dem Ziel, die Ökonomien der nach-kapitalistischen Staaten noch weiter zu erschöpfen.

Das Ende des Stalinismus war unausweichlich, er befand sich im Morast der bürokratischen Stagnation, war aber nicht in der Lage, bei fehlender Arbeiterdemokratie die Arbeitsproduktivität zu steigern; er war nicht in der Lage, die Bedürfnisse seiner Bevölkerung zu sichern. Die Nicht-Existenz einer Massenbewegung, die sich der Ausdehnung der Arbeiterdemokratie auf dem Fundament eines reorganisierten sozialistischen Plans in der UdSSR widmete, bedeutete, dass die soziale Konterrevolution als einziger Ausweg erschien und rasch siegte. In der UdSSR und in Osteuropa folgte dem Kollaps der regierenden Parteien die Machtübernahme durch kapitalistische restaurative Regime. In China entschied sich die kommunistische Partei 1992 rasch dazu, die kapitalistische Restauration selbst umzusetzen.

Die neoliberale Offensive in den 1980ern blieb eine imperialistische politisch-ökonomische Antwort auf den stagnativen Charakter der Periode von 1973-1990. Mit der Niederlage der UdSSR wurde eine neue Periode der Globalisierung eröffnet: eine Periode, die von der Zerstörung der Arbeiterstaaten, die von der partiellen und langsamen Integration eines signifikanten Teils des Proletariats der früheren Arbeiterstaaten in variables Kapital; von einer massiven Ausdehnung des Welthandels und der Investitionen über die Grenzen hinweg; von einer Expansion des Kapitals und seiner Widersprüche auf Weltebene geprägt war.

Wie der Nachkriegs-Boom begann diese neue Periode der Globalisierung mit der Zerstörung großer produktiver Kapazitäten: die Schließung und sogar die sofortige Verschrottung von Unternehmen in Russland und China, die nicht profitabel geführt werden konnten. Millionen verloren ihre Jobs. Jedoch anders als die größere Zerstörung von 1939-45 hatte der Zerstörungsprozess bei Beginn der neuen Globalisierungsperiode nicht den Effekt, überakkumuliertes Kapital zu eliminieren und stagnative Effekte aus dem weltweiten System herauszudrücken.

Nichtsdestoweniger stellte die Expansion der kapitalistischen Produktion in Russland und China die weltweite Machtverschiebung, die mit dem Ende der bipolaren Weltordnung assoziiert wird, einen historischen Wendepunkt dar, der eine neue Reihe von geopolitischen Beziehungen eröffnete und der die Zusammensetzung des Kapitals weltweit neu formte. Ohne das Opfer schematischer Annahmen, die mit der Theorie der langen Wellen verbunden sind, werden zu wollen, ist es essentiell festzuhalten, dass die gewaltige Expansion des Welthandels und der Investitionen ins Ausland und über all dem die Integration von Millionen von ArbeiterInnen mit sehr geringem Arbeitskraftwert in den Weltmarkt, massive Auswirkungen auf das weltweite Kapital hatte.

Wie wir gezeigt haben (45) revolutionierte die Restauration des Kapitalismus in Russland und in China das weltweite Muster der Investitionsflüsse. Von 1991 an gab es bei den im Westen basierten multinationalen Unternehmen einen mächtigen Ansporn, privatisiertes Vermögen im Ausland zu erwerben, Geld an Regierungen und Unternehmen in Entwicklungsländern für eine export-orientierte Produktion zu verleihen und in neue Fabriken und Maschinen für die Produktion in Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten zu investieren.

“Im Ergebnis nahm der Anteil des produzierenden Gewerbes von weniger als ein Viertel an den Exporten von Entwicklungsländern im Jahre 1980 auf mehr als 80 % im Jahr 1998 zu. In ähnlicher Weise nahm der Kapitalfluss in die Entwicklungsländer von weniger als $ 28 Milliarden in den 1970ern auf $ 306 Milliarden im Jahr 1997 zu. In diesem Prozess änderte sich seine Zusammensetzung entscheidend. Die staatlichen Zuflüsse wurden um mehr als die Hälfte beschnitten und private Zuflüsse wurden die große Kapitalquelle für eine Reihe von ‚Schwellenländern‘.“ (46)

Ausländische Direktinvestitionen wuchsen über die ganzen 1990er Jahre hinweg an, mit Anlageinvestitionen durch private Fonds und Renten, die von 0,01 Milliarden US-Dollar im Jahr 1979 auf 103 Milliarden allein 1996 anstiegen. Zwischen 1991 und 2000 ergriffen Länder der „Dritten Welt“ insgesamt 1.187 gesetzgeberische und regulative Maßnahmen, um ausländische Direktinvestitionen zu liberalisieren. Im Jahr 1995 wurde das GATT, das allgemeine Übereinkommen über Zölle und Handel, in die Welthandelsorganisation (WTO) transformiert, um eine Struktur einer internationalen quasi-juristischen Macht für die Liberalisierung des Handels und der Investitionen zu schaffen.

Der asiatische Boom führte unaufhaltsam in die Asienkrise. 1997 erlebten wir den plötzlichen Abfluss der Fonds von den Kapitalmärkten in Südostasien, der die Kapitalflüsse des vorherigen Jahres mehr als umkehrte. Während 1996 noch 93 Mrd. US-Dollar in die ostasiatischen Kapitalmärkte flossen, zwang die Krise im Jahr 1997 105 Milliarden wieder heraus. Die Abwertung des thailändischen Baht führte zu Aufständen in den Straßen, als die Inflation ins Unermessliche wuchs. Hunderte von Unternehmen gingen über Nacht in Malaysia bankrott und in Indonesien rutschten 40 Millionen Menschen – jeder Fünfte! – unter die Armutsgrenze.

Als die Währung in diesen Ländern kollabierte, setzte eine scharfe Inflation ein, die Aktienwerte fielen in den Keller. Geldverleiher an den asiatischen Märkten tauschten Aktien und Anleihen zu Tiefstpreisen, nahmen damit aber ungeheuer große Teile der asiatischen Wirtschaft in Besitz. Der IWF half den Staaten aus der Patsche – mit Darlehen, welche die weitere Öffnung der Märkte erzwangen. Die Globalisierung schritt noch einmal voran.

Nichtsdestoweniger fand dieses ungeheure Volumen von reimportiertem fiktivem Kapital seine Absatzmöglichkeit – natürlich nicht in erster Linie in der Mehrwert schaffenden Kernproduktion, aber in einer erneuerten Runde der Spekulation im Westen – im „dot com-Boom“. Unternehmensaktien, die einen Gewinn von Null hatten und nie einen Gewinn machen würden, erreichten außergewöhnliche Höhen, ein klassisches Beispiel für die Irrationalität der spekulativen Phase des Zyklus. Der Explosion von fiktivem Kapital lagen – wie immer – die Überakkumulation von Kapital und der tendenzielle Fall der Profitrate zugrunde. In den USA fiel während der Phase des „dot com- Booms“ die reale Unternehmensprofitabilität um 15 Prozent, die 2000 in einem gewaltigen Kollaps des Börsenmarktes endete.

Heute ist es üblich, das Abflauen von 2000/01 als Episode zu betrachten, sogar als ein Pseudo-Abflauen. Als die Rücknahme der wirtschaftlichen Aktivität in Britannien nicht das Niveau einer „technischen Rezession“ (zwei Quartale eines negativen BIP-Wachstums) erreichte, behaupteten einige sogar, dass es in diesem Jahr kein Abflauen gäbe und dass wir 15 Jahre einer ungebrochenen Expansion in den Metropolen erlebt hätten. Doch jetzt sank die industrielle Produktion in den USA 2001 um 6 Prozent, um 3 Prozent im Jahr 2002 und in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2003. Zwischen 2000 und 2003 gingen drei Millionen Jobs in der erzeugenden Industrie in den USA verloren (47).

Die Auswirkungen auf die zukünftige negative Entwicklung der US-amerikanischen Wirtschaft waren sicherlich nicht mehr als ein Vorspiel, verglichen mit dem, was dem Kollaps von 2000 folgte: eine massive Kürzung bei den Zinssätzen in Amerika und ein ungeheures Wachstum von ausländischen Direktinvestitionen in die exportorientierte Produktion von China.

Diese zwei miteinander verbundenen Faktoren schufen einen außergewöhnlichen Aufschwung in den USA und in Britannien. Da dieser der kurzen Rezession von 2000/01 schnell folgte, überzeugte dies viele, dass Zyklen entweder ein Ding der Vergangenheit seien oder dass wir in der Mitte eines neuen aufwärts strebenden Super-Zyklus seien. In der Tat war dieser Aufschwung außergewöhnlich, aber nicht so, wie sich das viele Enthusiasten vorstellen. Er war außergewöhnlich in dem Maß, wie er sich für sein Überleben auf Kredite und sogar auf inländische Haushaltsschulden verließ. Doch das war nicht seine einzige Achillesferse. Der billige Kredit in den USA und in Britannien war selbst auf den deflationären Effekt der Exporte aus China angewiesen – etwas, das selbst ständig durch eben die Entwicklung, auf der sie fußte, unterminiert wurde: dem chinesischen Wirtschaftswachstum. Die Annahme, dass die letzten Jahre der Globalisierungsphase einen US-amerikanischen Kapitalismus erlebt haben, der seine strukturelle Überakkumulation und seine starke Tendenz zur Stagnation überwunden hätte, hat sich als ein Mythos herausgestellt.

Die Reaktion des US-Kapitals auf die Krise von 2001 bestand darin, den aggressivsten Anreiz für die kreditbasierte Expansion in der US-amerikanischen Geschichte in Bewegung zu setzen, nämlich drei Jahre negativer realer kurzfristiger Zinssätze. Zwischen Januar 2001 und Sommer 2003 kürzte die US-Zentralbank die Zinsrate 11 mal, von 6% auf nur 1%. Wie wir im Sommer 2006 in „Fifth International“ Vol. 2, Issue 1 gezeigt haben, führte dies zu einer Explosion der Konsumentenschulden und Hypotheken. Die Preise für Häuser stiegen. Doch trotz dieser enormen Anreize, um die Nachfrage anzukurbeln, war die US-amerikanische zyklische Erholung schwach und stotternd.

In den Jahren 2001, 2002 und 2003 machte das BIP-Wachstum gerade durchschnittlich 1,7% aus, auch wenn man den ungeheuren Anstieg der Militärausgaben in Betracht zieht. Ein signifikanter Anstieg des BIP-Wachstums wurde erst in den Jahren 2004 und 2005 erreicht. Aber bedeutet dies alles, dass die Globalisierung oder die Expansion von Kapital nach China eine neue Periode der expansiven, zyklenübergreifenden Dynamik in den USA eröffnet hätte?

Nein! Im Jahr 2004 sprang das BIP Wachstum auf genau 4,2%, 2005 auf 3,5% und in den ersten 5 Jahren des industriellen Zyklus von 2001-05 blieb es bei einem Durchschnitt von 2,56 Prozent stehen – niedriger oder gleich hoch wie jeder andere vergleichbare Zyklus seit 1950 (48). Das durchschnittliche Wachstum des BIP, des BIP pro Kopf, des Kapitalstocks, der realen Löhne, der Arbeitslosigkeit – all das war gleich oder schlechter ausgeprägt als in der depressiven Phase von 1990-1995.

Darüber hinaus war die Zunahme der Beschäftigung schwach. Sie stieg in den ersten drei Jahren des Aufschwungs, der dem November 2001 folgte, nur um 1,1%. Im Vergleich dazu lag der Anstieg in vorherigen Perioden der Erholungsphasen des industriellen Zyklus bei 8,3% (49).

Die Beschäftigung im privaten Sektor erreichte den Stand der Rezession vor 2001 erst wieder im Mai 2005. Selbst in den “Boomjahren“ 2004/05 wuchs die Beschäftigung nur um 1,3% im Jahr – um ein Drittel weniger als in der Periode von 1990-2000.

Wie war das angesichts des mächtigen deflationären Effekts der chinesischen Entwicklung möglich? Erstens ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass diese niedrige organische Zusammensetzung des Kapitals, die die Produktion in China ausmacht, keine irgendwie geartete, „niedrigere weltweite organische Zusammensetzung des Kapitals“ bewirkte oder auch nur bewirken konnte, wie es Bill Jeffries und die „Permanente Revolution“-Strömung behauptet. Deshalb stimulierte sie auch nicht die industrielle Produktion und auch keinen lang anhaltenden Boom in Amerika.

Es gibt nämlich keine “globale organische Zusammensetzung des Kapitals.” Das ist eine falsche Vorstellung, die Marx explizit zurückgewiesen hatte und die einen kompletten freien Kapitalfluss und das Verschwinden des Nationalstaats implizieren würde: eine Mischung aus Kautskys revisionistischer Vorstellung des Ultra-Imperialismus und noch vulgäreren modernen „Anti-Globalisierungs“-Theoretikern. Natürlich prallt das weltweite Kapital mit den Grenzen des Nationalstaates zusammen, genauso wie es mit den Hindernissen des Privateigentums zusammenprallt, aber es hat diese nicht überwunden können noch kann es dies. Die Weltwirtschaft hat die Nationalstaaten oder die nationale Ökonomie nicht abgeschafft.

Natürlich heißt das nicht, dass es keine Tendenzen zur Bildung einer internationalen Durchschnittsprofitrate gäbe. So ist z.B. die Ausdehnung des Welthandels ein Hebel in diese Richtung. Eben weil die Produktionspreise durch die Arbeitskosten und das konstante Kapital plus die Durchschnittsprofitrate gebildet werden, machen Unternehmen, die in imperialistischen Ländern ihre Basis haben, einen Superprofit, wenn sie sich mit Unternehmen austauschen, die ihre Basis in Ländern haben, die eine niedrigere organische Zusammensetzung des Kapitals haben und damit eine höhere Durchschnittsprofitrate aufweisen. Aber das bedeutet nicht, dass die organische Zusammensetzung des Kapitals in allen Ländern gleich ist. Im Gegenteil: der imperialistische Superprofit setzt vielmehr die unterschiedliche organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals verschiedener Länder und deren Perpetuierung voraus.

Deshalb davon zu sprechen, dass die Einführung Chinas in den Weltmarkt dazu geführt hätte, die organische Zusammensetzung des Kapitals weltweit abzusenken, ist ein absoluter Fehler. Sie verbilligt den Lohn und die Kapitalgüter, die von geringerem Wert sind und hält somit den Wert des konstanten und variablen Kapitals im Westen in seinen Schranken. Aber sie kann nicht für längere Zeit die Tendenz, dass das konstante Kapital in den entwickelten Ländern in Relation zum variablen Kapital im Wert steigt, ausgleichen. Und es ist genau dieser Prozess, der zur Krise führt!

Durch den geringeren Wert und damit die höhere Profitrate, mit denen Produkte erzeugt werden, die mit einer niedrigen Zusammensetzung des Kapitals produziert wurden, hatte China nur eine Wirkung auf die Mehrwertrate in den USA, indem es die Kosten der Reproduktion der Ware Arbeitskraft dort senkte. Dies verstärkt die Ausbeutungsrate, aber es kann nicht das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate auf immer ausgleichen. Indem es den Wert des variablen Kapitals in Relation zum konstanten Kapital durch den Import von billigen Konsumartikeln senkt, steigert es letztendlich die organische Zusammensetzung des Kapitals in den importierenden Metropolen und verschlimmert so den tendenziellen Fall der Profitrate.

Der eigentliche Effekt der chinesischen Entwicklung bestand in der Deflation, die einen historisch niedrigen Zinssatz ermöglicht hat: einen Kredit-Boom. Das Wachstumsmuster in den expansivsten Jahren 2004/05 zeigt das sehr klar.

Im Dezember 2005 sank die industrielle Beschäftigung in den USA auf ihren niedrigsten Stand seit 1945, mehr als 3 Millionen weniger als im Juli 2000, 78.000 weniger als im vorhergehenden Jahr! Die Beschäftigung in der Telekommunikation, im Verkehr, in der Lagerhaltung, in Versorgungsunternehmen, im Großhandel fiel. Dieser Beschäftigungsverlust belief sich zwischen 2000 und 2005 für all diese Sektoren zusammen auf 3,94 Millionen.

Welche Wirtschaftszweige wuchsen? Genau jene, die man mit einer Kreditblase assoziieren würde: die Finanzdienste einschließlich der Banken, Versicherungen und Immobilien wuchsen um 563.000; der Freizeitsektor wuchs um fast eine Million; das Baugewerbe um 45.000 (inmitten eines Hausbau-Booms); höherwertige Dienstleistungen um 620.000; der Einzelhandel um 17.000 und der Gesundheits- und Erziehungsbereich um ungeheure 2,4 Millionen (50).

Schließlich gingen die jährlichen Nettoexporte (das US-Handelsdefizit) während dieser Periode weitere 60 % in die falsche Richtung (51).

Das Bild hat sich seit 2005 nicht verbessert. Im Gegenteil: Im November 2007 setzte die US-Zentralbank ihre Vorhersage für das Wirtschaftswachstum für 2008 auf einen Wert zwischen 1,8 und 2,5% herab – verursacht durch einen engen Kreditmarkt und eine Schwäche im Wohnungsbau. Dies wurde in breiten Kreisen unter diesen Bedingungen als überraschend optimistisch bewertet. Mittlerweile werden negative Wachstumsraten von vielen ganz offen vorhergesagt, einschließlich der Citigroup, der größten Bank der USA, von der Intelligence Unit des Economist u.a.

Wir müssen aus all dem schließen, dass es sogar den mächtigsten expansiven Merkmalen der Globalisierungssphase – trotz der deflationären Wirkung der Restauration des Kapitalismus in China u.a. vorherigen degenerierten Arbeitersaaten – nicht gelungen ist, die grundlegende Überakkumulation des Kapitals im Kern der US-Wirtschaft und die Tendenz der Stagnation der Produktivkräfte des US-Imperialismus und anderer imperialistischer Mächte zu überwinden. Darüber hinaus bedeutet die Überakkumulation in China, dass sich sogar diese gegenläufige Tendenz abschwächt.

Was können wir also über die Periode der Globalisierung, die 1991 begann, aussagen?

Sicher haben wir die Wirkung der chinesischen Kapitalakkumulation nach der Restauration des Kapitalismus 1992 und der WTO-Aufnahme 10 Jahre später auf den schnellen Aufbau der Beschäftigung miterlebt. Die globale Hegemonialmacht USA und ihr Verbündeter Britannien (und damit die Weltwirtschaft) standen immer noch der zyklischen Krise nach 1992 gegenüber, aber 1998 und 2001 verbesserte sich ihre Kraft und Position, weil die deflationären Effekte der asiatischen Entwicklung gegenzyklische Maßnahmen erlaubten – im wesentlichen billiges Geld, kreditangeheizte Gewinn-Preis-Booms – ohne einen korrespondierenden „normalen“ Inflationsdruck zu befürchten. Deswegen waren die Rezessionen in diesen Ländern unnormal flach in dieser Periode – wegen der kapitalistischen Entwicklung in den früheren Arbeiterstaaten und wegen der Halbkolonien wie Indien, die stärker in den Weltmarkt integriert wurden.

Nichtsdestoweniger war und ist dies keine Periode des langen Booms analog zu 1951-1973. Wiederholte Versuche der hegemonialen Mächte, die Last der Abwertung abzuwehren, brachten für Deutschland fast durch die ganzen 1990er Jahre hindurch bis heute Rezession und Stagnation mit nur milden und widerstrebenden Erholungen. Japan befand sich während der gesamten Periode hindurch in einer Stagnation und kommt nur vorläufig jetzt daraus heraus – nach fast einem Jahrzehnt mit einem Zinssatz, der fast gegen Null ging. Die gegenwärtig entstehende Rezession in den USA und die Dollarabwertung drohen Japans und Deutschlands zögerliche Erholung entgleisen zu lassen, indem sie sie in niedrigen Wachstumsraten gefangen hält oder indem sie sie vollends in die Rezession treibt. Südostasien und Südamerika erlebten ein Wachstum des BIP, trugen aber auch in der seismischen Krise der Jahre 1998 und 2000/01 die volle Wucht der Abwertung.

Noch wichtiger ist, dass wir eine anhaltende Stagnation in den Kernsektoren der US-amerikanischen Wirtschaft erleben: eine kurze kreditangefeuerte und konsumgetriebene Expansion, die 2007 in die Krise lief.

Die Periode hat Wachstum/Ausdehnung und Beschleunigung, die prinzipiellen Charakteristika der imperialistischen Epoche, erlebt, wie sie Lenin in seinem „Imperialismus“-Buch ausführlich beschrieben hat: Parasitismus, Monopol, Teilung, Neuaufteilung, Niedergang. Die Epoche bleibt klarer denn je das höchste Stadium des Kapitalismus, das den Übergang zum Sozialismus vorbereitet.

Wie oben dargelegt, sehen wir weiterhin eine hohe organische Zusammensetzung des Kapitals im Westen und daraus folgend massive gegenläufige und gegenzyklische Aktionen, die nichtsdestoweniger in die Krise münden. Gegenzyklische Maßnahmen durch die Zentralbanken verschlimmern die Inflation und schüren internationale Spannungen. Wenn der historische Fall des Dollars in der Welt anhält, steigert dies die Rivalität mit anderen exportierenden Staaten.

Die Periode hat die Fähigkeit des Westens erlebt, gegenzyklische Maßnahmen in den Jahren 1998 und 2001 zu nutzen, ohne die ansonsten normalerweise ruinösen inflationären Folgen. Doch diese Möglichkeit ist heute ausgeschöpft. Der Aufschwung Mitte des Jahrzehnts in den USA und in Britannien restaurierte zweifellos das kapitalistisch-ideologische Selbstbewusstsein, verwöhnte das Kleinbürgertum und die Arbeiteraristokratie, demoralisierte Teile der Avantgarde der Arbeiterklasse, zog sie nach rechts und erfüllte die Intelligenz mit Ehrfurcht vor der scheinbaren Unverwüstlichkeit des Kapitals. Aber die Krise von 2007 bringt zum Vorschein, dass diese glücklichen Umstände für das angelsächsische Kapital nun zu einem Ende kommen – damit könnte die Periode der Globalisierung in einer Krise enden.

Obwohl sich die Periode von 1992 bis 2007 von der vorherigen Phase von 1973-1992 in ihren geopolitischen Beziehungen und in den Mustern der weltweiten Entwicklung unterscheidet, ist sie keine expansive Periode, die durch einen nach oben strebenden Trend der Entwicklung der Produktivkräfte weltweit charakterisiert wäre. Wenn man die lange Rezession und Stagnation in Deutschland und Japan, die seismische Krise der Abwertung in Südostasien und Südamerika und vor allem die schwache Erholung in den USA in Betracht zieht, die die wichtigsten Mehrwert produzierenden Sektoren der US-Wirtschaft entweder im Niedergang oder in einem sehr trägen Wachstum lässt, können wir daraus schließen: Im Großen und Ganzen bleibt die Globalisierungsphase, die nach 1992 stattfand, prinzipiell durch die Tendenz zur Stagnation der Produktivkräfte charakterisiert. Das weist natürlich nicht auf einen Mangel an Bewegung hin, sondern eher darauf, dass das Ungleichgewicht der Weltordnung, die ungleichen Muster des Wachstums und des Niedergangs nicht vermocht haben, den mächtigen Trend zur Überakkumulation in den vorherrschenden imperialistischen Ländern zu überwinden.

Trotz der rasenden Produktionsentwicklung in wichtigen Teilen der halbkolonialen Welt war die Globalisierungsperiode unfähig, die Ökonomien der am weitest entwickelten imperialistischen Mächte von der strukturellen Überakkumulationskrise des Kapitals zu befreien. Der vorherrschende Trend in den entwickeltsten Ökonomien blieb die Tendenz zur Stagnation.

Die Frage für uns besteht heute nicht darin, ob wir uns in einer neuen langen Aufwärtswelle befinden, sondern ob die vor uns liegende Periode eine sein wird, in der die stagnative Richtung der Entwicklungskurve beibehalten wird oder ob eine neue Periode des Niedergangs der Produktivkräfte beginnen wird.

Eines ist sicher: Die Krise der Globalisierung hat zu einer Reihe miteinander verbundener ökonomischer Schocks geführt. Im Juni 2008, ein Jahr nach der Kreditkrise, schießen die Nahrungsmittel- und Ölpreise in die Höhe, führen zu Aufständen und Massenprotesten in Asien, Afrika, Amerika und Europa. Der Fall des Dollar führt zur Ausweitung der Inflation in den USA und zu größerer Asymmetrie zwischen Chinas Wachstum und der US-Rezession. Die Kreditketten bleiben anfällig und die Immobilienpreise in den USA, in Britannien und Spanien fallen weiter. Die Rezession ist der einzige Weg, in diesem System die Inflation einzudämmen. Die US-Zentralbank diskutiert offen über die weitere Erhöhung der Zinsrate, um sie in den Griff zu kriegen.

Diese Schocks werden unvermeidlich eine weitere Offensive der Kapitalistenklasse mit sich bringen, um die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen: durch Entlassungen, Lohnkürzungen, Streichung von Zuschüssen und Inflation (Entwertung der Reallöhne). Dabei ist die Widerstandskraft der ArbeiterInnen selbst durch deren Führung geschwächt, die keine Antwort auf die Krise hat, ja nicht einmal auf die Erklärung der Krise, wie sie von der Bourgeoisie präsentiert wird. Wie soll man auch ein „Einfrieren“ der Löhne überzeugend bekämpfen können, wenn man selbst meint, dass „höhere Löhne die Inflation verursachen“?

Der Zweck einer marxistischen Analyse des Kapitals und seiner Krisen ist ein dreifacher. Erstens geht es darum, die Apologeten des Systems zu widerlegen, die behaupten, dass die Globalisierung Armut, Ungleichheit und Instabilität überwinden würden, und eine optimistische Perspektive der krisengeschüttelten Dynamik der imperialistischen Weltordnung suggerieren. Zweitens geht es darum, eine akkurate Erklärung der Ursachen der Krisen zu liefern, um so der Arbeiterklasse zu helfen, den bürgerlichen Klassencharakter der Argumente der herrschenden Klasse zu durchschauen. Drittens geht es darum, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus zur Krise und zur Paralyse weiterer Entwicklung führen, die selbst einen weltweiten Kampf notwendig machen – gegen das gesamte kapitalistische System.

Fußnoten

(1) Paul Mattick, Economic Crisis and Crisis Theory, London, 1981, Kapitel 5, ‚Ernest Mandel’s Late Capitalism‘; s. auch <www.marxists.org/archive/mattick-paul/1974/crisis/>; auf Deutsch: Kritik der Neomarxisten, Ernest Mandels «Spätkapitalismus» (1973), S. 132 ff., Frankfurt/M., Februar 1974

(2) Trotzki, „The Curve of Capitalist Development“, 1923, MIA, <http://www.marxists.org/archive/trotsky/1923/04/capdevel.htm>; Leo Trotzki, „Die Kurve der kapitalistischen Entwicklung (Deutsche Erstveröffentlichung)“, in: Parvus, Karl Kautsky, Leo Trotzki, N. D. Kondratieff und Ernest Mandel, „Die langen Wellen der Konjunktur – Beiträge zur Marxistischen Konjunktur- und Krisentheorie“, Berlin/W., 1972, S. 121 ff.

(3) Paul Mattick, a.a.O., S. 182

(4) Siehe Weekly Worker,, 2008, <www.cpgb.org.uk>

(5) www.permanentrevolution.net

(6) Trotzki, a.a.O., S. 126

(7) ebda.

(8) ebda.

(9) Trotzki, a.a.O., S. 127 f.

(10) Carchedi, Frontiers of Political Economy, London/New York, 1991, S. 190 f.

(11) Bill Jeffries, A bubble about to burst?, auf www.permanentrevolution.net

(12) Workers Power, März 2007

(13) K. Harvey, Financial crisis rocks stock markets, 13. August 2007, www.permanentrevolution.net

(14) B. Jeffries, „The Socialist Party Editorial: World Economy Fundamentaly Unsound: Review“, 30. August 2007

(15) K. Harvey, Financial Crisis rocks stock markets, 13. August 2007

(16) B. Jeffries, The sub-prime crisis and the world recession (or not), 13. September 2007

(17) B. Jeffries, Chris Harman, globalisation and the upward long wave, part 1, 2. November 2007

(18) Ebenda

(19) Ebenda

(20) B. Jeffries, OECD assesses world economy, 7. Dezember 2007

(21) Ebenda

(22) Ebenda

(23) B. Jeffries, Recession in 2008?, Januar 2008

(24) Ebenda

(25) Ebenda

(26) K. Harvey, Credit Crunch: Is it easing or about to get worse?, Januar 2008-07-13

(27) Ebenda

(28) B. Jeffries, Recession in 2008?, Januar 2008

(29) Leo Trotzki, „Die Kurve der kapitalistischen Entwicklung. S. 126

(30) K. Harvey, Marxism and long waves, 17. July 2006

(31) Ebenda

(32) Ebenda

(33) Ebenda

(34) Mandel, Die langen Wellen der Konjunktur, Frankfurt/Main 1987, S. 20

(35) K. Harvey, Marxism and long waves

(36) Ebenda

(37) Ebenda

(38) K. Harvey, Financial Crisis rocks stock markets, 13. August 2007

(39) Ebenda

(40) B. Jeffries, OECD assesses world economy

(41) Zitiert aus: Ebenda

(42) B. Jeffries, The Socialist Party: Credit crunch threatens global downturn: review, 15. Oktober 2007

(43) B. Jeffries, The sub-prime crisis and the world recession (or not), 13. September 2007

(44) Siehe Keith Harvey, Globalisierung: Jüngstes Stadium des Imperialismus, in: Revolutionärer Marxismus 35, Berlin, Juli 2005; zur Analyse siehe auch: Globalisierung, Antikapitalismus und Krieg. Ursprünge und Perspektiven einer Bewegung, Berlin 2001

(45) Ebenda

(46) Keith Harvey, Globalisierung: Jüngstes Stadium des Imperialismus, in: Revolutionärer Marxismus 35, S 58

(47) Ebenda

(48) Robert Brenner, The Economics of Global Turbulance, 2006, S. 330 – 331. Alle Zahlen stützen sich auf die Angaben es US Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis und des US Department of Labor, Bureau of Labor Statistics.

(49) Ebenda, S. 331

(50) Ebenda, S. 331-32

(51) Ebenda

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