Marco Zito, Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006
Im März und April 2006 rüttelte die Bewegung gegen eine neoliberale Reform – den Ersteinstellungsvertrag (contrat premier embauche, CPE) – Frankreich auf und zwang die Regierung zum Rückzug. Sie erschütterte die gesamte EU, das Europa von Maastricht, des Abkommens von Nizza und der Lissabon-Agenda. Junge Leute, SchülerInnen und Studierende, zeigten, dass es möglich ist zu siegen, wenn gemeinsam entschlossen gekämpft wird.
Mit einer demokratischen Leitung ausgestattet, auf Massenmobilisierungen an praktisch allen Universitäten und Hunderten von Schulen gestützt und mittels radikaler Kampfmethoden bewies die Anti-CPE-Bewegung, wie Erfolge möglich sind. Durch ihren Sieg veränderten sie das Kräfteverhältnis und erschütterte die Regierung Dominique Villepins in ihren Grundfesten.
Im vor uns liegenden Jahr müssen wir auf diesem Erfolg aufbauen und die Regierung noch härter treffen. Aber wie, auf welcher Grundlage sollen wir uns organisieren? Wie können wir absichern, dass die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahlen 2007 nicht den Klassenkampf in Betrieben und auf den Strassen in den Hintergrund drängen, wie so oft in der Vergangenheit? Wie können wir die Funktionäre der Sozialistischen (PS) und Kommunistischen Partei (PCF) daran hindern, die Kämpfe abzuwürgen, um Ämter zu erlangen, um danach selbst neoliberale Politik zu machen? Kurz: wie können wir eine Strategie finden, mit der dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann?
Dieser Artikel will versuchen, diese grundlegenden Fragen zu beantworten.
Zuerst untersuchen wir die Klassenkämpfe in Frankreich seit 2002, besonders die von 2005 und 2006, und ziehen Lehren aus unseren Niederlagen und Siegen.
Im zweiten Teil richten wir das Augenmerk auf die vom Bürgertum geplanten Angriffe und die gegenwärtige Führungskrise innerhalb der Arbeiterbewegung.
Zum Schluss treten wir für eine breite, demokratische Debatte über ein Klassenkampfaktionsprogramm ein, die sich vom Ende der Sommerferien bis zu den Wahlen 2007 erstreckt. Das bedeutet v.a., eine neue Arbeiterpartei zu schaffen, eine wirkliche Alternative zum Reformismus, die mit einer revolutionären Strategie bewaffnet ist.
Der gegenwärtige Klassenkampfzyklus begann mit den Präsidialwahlen 2002. Lionel Jospin, Kandidat der PS, hoffte auf ein gutes Ergebnis im ersten Wahlgang, das auf der Arbeit der Regierung der Gauche Plurielle (der pluralistischen Linken) basierte, die seit 1997 im Amt war. Seine Hoffnungen wurden grausam zunichte gemacht. Millionen ArbeiterInnen weigerten sich, ihn zu wählen. In der ersten Runde wurde er Dritter hinter Amtsinhaber Jaques Chirac und dem alten faschistischen Führer der Front Nationale (FN) Jean Marie Le Pen. Chirac gewann schließlich klar mit über 82 Prozent.
Wie hatte Jospin so viele seiner StammwählerInnen verprellt?
Zuerst und v.a. entfremdete sein – selbst gegenüber den vorherigen Rechtsregierungen – Einsatz für weitere Privatisierungen die ArbeiterInnen im Öffentlichen Dienst von der PS. Auch die einzige ernsthafte „positive“ Reform, jene für die 35-Stundenwoche, ging nur auf Kosten eines Lohnstopps und der Einführung „flexibler Arbeit“. Die andere bedeutende Reform, das „Jugendarbeits-Schema“ lief lediglich auf jämmerlich bezahlte, niedrig qualifizierte Arbeit ohne Aussicht auf Dauerbeschäftigung hinaus.
Kurz: all diese Reformen enttäuschten die Erwartungen von ArbeiterInnen und Jugendlichen. Viele zeigten das durch Stimmabgabe für KandidatInnen der extremen Linken. Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière (LO) erhielt 1.630.244 Stimmen (5,72 Prozent) und Olivier Besancenot von der Ligue Communiste Révolutionaire (LCR) 4,25 – zusammen also nahezu 10 Prozent! Beide übertrumpften damit die 960.757 Stimmen (3,37 Prozent) für den Kandidaten der PCF, Robert Hue – auch deshalb, weil die PCF durch ihre Rolle in Jospins Administration kompromittiert war. In dieser Periode verlor sie ihre halbe Mitgliedschaft und viele ihrer kommunalen Bastionen.
Natürlich war die Bloßstellung der beiden reformistischen Hauptparteien durch ihre Regierungspolitik eine große Chance für die extremen Linken. Doch diese vergeudeten sie durch ihre opportunistischen und sektiererischen Zickzacks. Zwischen den beiden Präsidentschaftswahlrunden versäumte es die Linke, die durch die Massendemonstrationen gegen Le Pen entstandene Gelegenheit beim Schopf zu greifen und die ArbeiterInnen auf die Attacken vorzubereiten, die folgen sollten. Schlimmer noch, die LCR sprach davon, „Le Pen auf der Straße und an der Urne“ zu bekämpfen; mit anderen Worten, sie rief zur Stimmabgabe für Chirac, den Kandidaten der Bourgeoisie, auf und trug so zu dessen gewaltigem Erfolg bei.
Ohne zu zögern nutzte Chirac sein Mandat, um eine ganze Serie von Angriffen auf die Arbeiterklasse, die Jugend und auf ImmigrantInnen vorzutragen. Innenminister Nicolas Sarkozy initiierte eine Polizeipolitik der Unterdrückung Jugendlicher und Einwanderer, die bis auf den heutigen Tag mit dem rassistischen CESEDA (Einwanderungs- und Aufenthaltskodex für Ausländer und Asylrecht) anhält und auf verstärkte Repressionen gegen ImmigrantInnen ohne Ausweispapiere (sans papiers) hinauslaufen könnte. Ähnlich offen regierte Chiracs erster Ministerpräsident Jean Pierre Raffarin zugunsten der Reichen (Senkung der privaten Vermögensabgabe für die Sozialversicherung und anderer Steuern) und nahm die öffentlich Beschäftigten ins Visier.
Anfangs verwirrte das Ausmaß von Chiracs Sieg die LohnarbeiterInnen und lähmte jeden unmittelbaren Widerstand. Erst 2003 gab es wieder eine merkliche Bewegung gegen die Regierung. Von Beginn an war sie von zwei wichtigen Merkmalen geprägt, die auch in den folgenden Jahren zentral waren: einerseits radikale Massenaktionen der Basis, andererseits Passivität und Schwäche – und sogar offene Kumpanei mit der Administration – auf Seiten der politischen und Gewerkschaftsführungen.
2003 führte eine gut organisierte und entschlossene Abteilung, die LehrerInnen, einen sehr kämpferischen Streik gegen die Pensionsreform, der über zwei Monate dauerte. Die Gewerkschaftsspitzen beschränkten sich darauf, mit der üblichen Taktik von „Aktionstagen“ Dampf bei der einfachen Mitgliedschaft abzulassen. Diese waren oft sehr eindrucksvoll – über eine Million Beschäftigte war im Mai 2003 auf den Straßen – doch sie waren zeitlich begrenzt und es gab keine weiterführende Dynamik des Kampfes. So wurden die LehrerInnen isoliert, verbittert mussten sie sich mit einer Niederlage abfinden, die noch heute nachwirkt. Natürlich änderten die reformistischen Bonzen ihre fatale Strategie nicht und hofften lediglich darauf, bei einer Niederlage der Rechten bei den Regionalwahlen 2004 Nutzen ziehen zu können.
Ebenfalls 2003 gab es eine weitere Chance, eine große Bewegung aufzubauen: mit dem Kampf gegen die Privatisierungen von Électricité de France (EDF) und Gaz de France (GDF) und die Reform der Sozialversicherung. Die ArbeiterInnen der Elektrizitäts- und Gaswerke zeigten, dass sie bereit waren zu kämpfen. Beschäftigte aus privatem und öffentlichem Sektor wurden massenhaft mobilisiert. Zusammen hätten sie die Privatisierungen leicht verhindern können, aber die Confédération Générale du Travail (CGT), die stärkste Gewerkschaft in diesen Bereichen, setzte auf Verhandlungen und erzielte einen schäbigen Kompromiss mit Sarkozy. Dieser akzeptierte eine „Rechtsformänderung“ von EDF und GDF im Gegenzug für vage Versprechen, dass diese nicht Privatisierung bedeute. Heute können wir bei der angekündigten Privatisierung der GDF sehen, wie viel diese Abmachung wert war.
2005 gab es eine Verschärfung des Klassenkampfs. Zuerst trat die Arbeiterbewegung für Lohnerhöhungen ein, dann demonstrierten SchülerInnen von Februar bis Mai gegen die Erziehungsreform Fillons. Obwohl diese beiden Mobilisierungen zeitgleich liefen, stellten ihre Führungen, besonders jene der Gewerkschaften, sicher, dass sie nicht vereinigt und koordiniert wurden. So versandeten beide Bewegungen ohne spürbaren Erfolg.
Diesem Kräftemessen folgte die kämpferische Kampagne für das NEIN bei der Volksabstimmung über die neoliberale EU-Verfassung. Diese brachte nicht nur die Unzufriedenheit der Lohnabhängigen zum Ausdruck; der Sieg der NON-Kampagne versetzte den Plänen der europäischen Bourgeoisie einen ernsten Schlag. Doch erneut wurde die Gelegenheit vergeben, diese Dynamik für eine generelle Offensive gegen alle neoliberalen Reformen zu nutzen. Tatsächlich führte die Regierung im Sommer eine weitere Arbeitsrechtsreform ein, den contrat nouvel embauche (CNE); sie war die Spitze einer Reihe von Angriffen auf das Kündigungsrecht.
Die Gewerkschaften taten so gut wie nichts. Deshalb machte die Bewegung erst im Herbst einen entscheidenden Schritt vorwärts. Im September und Oktober gab es einen sehr energischen zweiwöchigen Streik auf den Korsika-Fähren (SNCM) und bei den Marseiller Nahverkehrsbetrieben sowie eine große Demonstration gegen die Angriffe auf den Öffentlichen Dienst. Doch wiede sabotierten die Gewerkschaftsvorstände diese Bestrebungen. Tatsächlich war es die Jugend der Vorstädte, zumeist Kinder nordafrikanischer zugewanderter LohnarbeiterInnen, die ihre aufgestaute Wut und Enttäuschung austrugen. Das war keine unpolitische Revolte; die Aktionen der Jugendlichen drückten deren radikale Ablehnung eines Systems aus, das ihnen nichts als Arbeitslosigkeit, mieseste Arbeitsverhältnisse und brutalen Polizeirassismus zu bieten hat.
Doch wie zu erwarten, verurteilte die reformistische Linke die Jugend wegen ihres Aufruhrs, d.h. wegen ihres Abwehrkampfes gegen den Rassismus. Noch schändlicher verdammte LO die Jugendlichen und ihre Taten und belehrte sie, wie notwendig eine Annäherung an die Arbeiterklasse sei. Tatsächlich unternahm die Arbeiterbewegung aber wenig oder nichts, um gegen den Ausnahmezustand zu opponieren, den die Administration am 8. November erließ; einige PS-BürgermeisterInnen forderten sogar die Entsendung der Armee.
Die LCR und andere linke Organisationen veranstalteten jedoch Demos gegen Polizeirepression und Ausnahmezustand. Diese Massenrevolte der am meisten unterdrückten und ausgebeuteten Schichten junger Menschen in Frankreich hob die Klassenkampfsituation auf eine höhere Ebene – in Richtung einer vorrevolutionären Situation, die sich dann im Februar und März 2006 mit der Anti-CPE-Bewegung entfaltete.
Diese Bewegung war deshalb außergewöhnlich, weil sie einen bedeutenden Erfolg errang und Umfang und die Kampfkraft der Jugend und der ArbeiterInnen demonstrierte. Das Ringen gegen das CPE war aus mehreren Gründen erfolgreich. Erstens mobilisierten die StudentInnen massenhaft, besetzten die Universitäten und schlossen sich mit den Aktionen an den Schulen zusammen. Sie bildeten eine Einheitsfront auf Grundlage der Forderung nach Rücknahme des CPE und des gesamten Gesetzeswerks, das auf die Zerstörung der Rechte am Arbeitsplatz zielte (zynisch „Chancengleichheit“ genannt). Noch wichtiger war, dass die StudentInnen und SchülerInnen neue Formen demokratischer Organisation und Entscheidung schufen: die assemblée générale oder AG (Vollversammlung), die Studierenden- und Schülerkoordinationen und die Kampfverbindungskollektive. Einheit in der Aktion, Basismobilisierung, ein klares Ziel und eine rechenschaftspflichtige, demokratische Leitung waren die Qualitäten der Bewegung, die sie befähigten, die Regierung zu schlagen.
Wäre es ihnen möglich gewesen, die Regierung zu stürzen? Ja, wenn die Beschäftigten, die sich auf Solidaritätsaktionstagen mit den Studierenden in Marsch gesetzt hatten, in der Lage gewesen wären, die ihnen von ihren reformistischen Gewerkschaftsbonzen auferlegten Fesseln zu durchbrechen und wenn es einen wirklichen Generalstreik gegeben hätte. Aber dazu hätte es des bewussten Eingreifens von RevolutionärInnen auf Basis eines Aktionsprogramms bedurft.
Die aus den Jahren zu ziehende Lehre ist der schreiende Widerspruch zwischen der radikalen Natur der Bewegungen, der Kampfbereitschaft der Basis einerseits und der offensichtlichen Gier der Gewerkschaftsfunktionäre, diese Tendenzen zu beschränken, zu kontrollieren, zu schwächen und sogar zu sabotieren andererseits.
Die Massenbewegungen hätten sehr wohl das Funktionieren der Gesellschaft blockieren können – wenn sie sich der von den Gewerkschaftsspitzen auferlegten Fesseln hätten entledigen können. Doch die Gewerkschaftsbürokratie ist stets entschlossen, die Bewegung zu kanalisieren und zu beschränken, sie nur zur Aufwertung ihrer Vermittlungs- und Verhandlungsposition gegenüber dem Staat zu nutzen.
Darum ist die Lösung der Führungskrise der sozialen Bewegung und der Arbeiterklasse zentral. So notwendig Selbstorganisation und demokratische Strukturen für die kommenden Konflikte auch sind – sie lösen die Frage der Führung noch nicht. Dafür bedarf es der Umwandlung der Gewerkschaften aus bürokratischen Werkzeugen des Reformismus in Instrumente des Klassenkampfes. Dazu bedarf es absoluter Klarheit, wohin die Bewegung gehen und was ihr Ziel sein soll. Eine neue politische Ausrichtung für die Arbeiterbewegung zu erarbeiten, wirft die Frage der Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Arbeiterpartei auf: einer revolutionären Alternative zu PS und PCF.
Der Wahlausgang 2007 ist ungewiss. Aber eines ist sicher: Wer auch immer gewinnt, wird die Attacken gegen die Arbeiterklasse noch verschärfen! Warum?
Europa und besonders Frankreich sind Ausnahmen innerhalb des globalen Imperialismus, weil dort noch relativ viele der von den Werktätigen im Laufe des letzten Jahrhunderts erreichten Errungenschaften intakt sind. Jahrelang haben die Industriekapitäne radikale ‚Reformen‘ verlangt, besonders bezüglich des Arbeitsrechts, im Öffentlichen Dienst, der Anzahl, der Entlohnung und der Stellung der Staatsbediensteten. Der CPE war ein Vorgeschmack dessen, was zu erwarten ist: verallgemeinerte Tagelöhnerei, ein allgemeines Bestreben, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zugunsten des Kapitals zu verschieben. Das würde den Bossen erlauben, noch mehr Druck auf Löhne und Gehälter zu erzeugen, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und so ihre Profite zu steigern. Die „Liberalisierung“ von Gesundheits-, Bildungs-, Sozialversicherungswesen und der Renten würde den Unternehmern gewaltige und einträgliche Märkte zuschanzen.
Auf Weltebene müssen und wollen die europäischen und besonders die französischen KapitalistInnen erhebliche Summen, die momentan sozialen Zwecken dienen, in Kontroll-, Unterdrückungsmaßnahmen und v.a. in die Streitkräfte umleiten. Nur so können sie mit dem US-Imperialismus konkurrieren, der den Planeten beherrscht und sich den Löwenanteil der Beute sichert. Mit anderen Worten, die Angriffe auf unsere Rechte stellen keine „Verirrung“ eines Systems dar, das genauso gut friedlich funktionieren und unsere sozialen Errungenschaften bewahren könnte. Die Angriffe gegen die Lohnarbeiterschaft und der Aufbau einer europäischen imperialistischen Supermacht sind zwei Seiten derselben Medaille: Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung.
Es ist klar, dass Sarkozy als Galionsfigur der bürgerlichen UMP (Union pour un Mouvement Populaire) sich auf diese Angriffe vorbereitet. Ungezügelte freie Marktwirtschaft und Unterdrückung sind die beiden Schlüsselkomponenten seiner Politik, die schon in seinen Jahren als Innen- und Finanzminister und bei seiner Rolle als Provokateur der Aufstände in den Vorstädten deutlich sichtbar wurde. Kurz: Er will der französische Thatcher sein.
Den potenziellen KandidatInnen der PS ist eine Gemeinsamkeit eigen: Ob Jack Lang, Dominique Strauss-Kahn, Ségolène Royale, Lionel Jospin oder Laurent Fabius – sie alle profilierten sich unter Mitterand. Jenseits der Querelen und Manöver, die sie entzweien, ist ihnen gemeinsam, dass sie das Land im Interesse der Bosse zu lenken lernten und dabei ihre Attacken mit einem zunehmend dünneren Firnis reformistischer Rhetorik übertünchten. Wie alle sozialdemokratischen Parteien steuerte auch die PS unter Mitterand einen Rechtskurs und entfernte sich immer weiter von der Arbeiterklasse.
Momentan scheint Ségolène Royale das Kandidatenrennen in der PS gewonnen zu haben. Sie erklärt sich selbst als Anhängerin Blairs und versucht, Sarkozy auf dem Feld von Recht und Ordnung auszustechen. So forderte sie, jugendliche Delinquenten unter quasi militärische Kontrolle zu stellen. Einwanderer, die verurteilt sind, sollen nach Verbüßung ihrer Strafe ausgewiesen werden. So ist klar, dass auch dann, wenn die Präsidentschaft von der PS gestellt wird, weiter neoliberale Politik umgesetzt und die Arbeiterklasse angegriffen wird.
Könnte die PCF, die sich nach 2002 in ihrer Todeskrise zu befinden schien, den Kern einer ‚Umgruppierung‘ der anti-neoliberalen, ja sogar antikapitalistischen Linken bilden, wie viele glauben? Eindeutig: nein! Seit 1935, als die PCF ihre von Moskau verordnete, klassenversöhnlerische Volksfrontpolitik verfolgte und die bürgerliche Laval-Regierung unterstützte, dient die PCF-Politik nur einem Ziel: die Arbeiterklasse organisieren – um der Bourgeoisie zu dienen. In jedem kritischen Augenblick während des vergangenen Jahrhunderts, von 1936 über 1944 bis 1968, erwies sich die PCF als verlässliches Werkzeug der Bourgeoisie. Immer rettete sie den Kapitalismus gerade dann, als die ArbeiterInnen und die Jugend ihn hätten stürzen können.
Die PCF ist heute auf den Status einer Kleinpartei mit 134.000 Mitgliedern geschrumpft, von denen im Februar 2006 nur 99.281 überhaupt Mitgliedsbeiträge zahlten. Diesen Niedergang verdankt die Partei v.a. ihrer treuen Unterstützung für die Mitterand-Regierungen zwischen 1981 und 1995. Die PCF war Teil der Jospin-Regierung und segnete deren neoliberale Politik ab. Die historische Rolle der PCF hat darin bestanden, den reformistischen Regierungen eine linke Flankendeckung zu verleihen, um die Arbeiterbewegung in den Reformismus – und damit in den Kapitalismus – zu integrieren. Daran hat sich nichts geändert, außer dass die PCF in Anbetracht ihres fast völligen Verschwindens bei der Wahl 2002 versucht hat, sich selbst ein ‚radikales‘ und modernes Antlitz zuzulegen.
Marie-George Buffet, ihre nationale Sekretärin, kündigte nach Jospins Debakel 2002 das ständige Bündnis mit der PS auf. Sie führte die PCF an die Seite der Antiglobalisierungsbewegung und war die verantwortliche Kraft hinter der Unterstützung für das Europäische Sozialforum (ESF) in Saint Denis. Danach warf sie all ihre Kräfte in die Kampagne für das NON. Sie hat mit der LCR geliebäugelt und dadurch deren Hoffnungen Mut gemacht, sie könne vielleicht einer Art Wahlblock für 2007 zustimmen. Doch sie hat trotzdem nie ihr strategisches Ziel widerrufen, mit der PS zusammen an die Regierung zurückzukehren. Weit von einem wirklichen Politikwechsel entfernt, diesen diese Manöver, die der PCF wenig gekostet haben, nur dazu, den Preis für ihre zukünftige Unterstützung einer PS-Regierung hochzutreiben.
Wegen ihrer Hoffnung auf ein Wahl-Bündnis mit der PCF versucht die LCR auch, die Kritik an ihr unter dem Deckel zu halten. Doch dieser Opportunismus nützt letztlich immer nur den Rechten und Reformisten und ist nur ein Belügen der Massen über die wirkliche Rolle der PCF als linkes Feigenblatt der regierenden neoliberalen PS.
Der Preis der PCF für ihre Politik war hoch. Sie wandelte sich von einer Partei, die 15-20 Prozent der Stimmen erhielt, zu einer, die 2-4 erreicht! Die LCR, welche die PCF in den Wahlen 2002 übertrumpfte, hat nichts von einem Flirt mit der PCF zu erwarten. Was soll ein Bündnis mit einer Partei, die Jahrzehnte ohne Murren eine reformistische Linie verfolgt hat, für den Aufbau einer größeren und besseren radikalen Linken in Frankreich bringen?!
Natürlich ist die PCF noch eine Massenpartei und kontrolliert de facto die CGT. Revolutionäre, die eine revolutionäre Massenpartei aufzubauen anstreben, sollten keine Debatte mit ihren AktivistInnen meiden, von denen manche ernsthafte KämpferInnen sind, und noch weniger mit den Hunderttausenden Lohnabhängigen und GewerkschaftsaktivistInnen, die sie lenkt. Aber zu behaupten, die Scheidelinie zwischen den „zwei Linken“, den Sozialliberalen und AntikapitalistInnen, verlaufe durch die PCF, wie es die LCR tut, bringt uns nicht weiter. Es gibt keinen organisierten antikapitalistischen Sektor in der PCF. Wenn BasisaktivistInnen echte Fragen stellen, müssen wir mit ihnen diskutieren und gemeinsam kämpfen, um Wege zu finden, sie ihren Vorständen abspenstig zu machen. Aber das wird nicht durch private Unterredungen, Verhandlungen und Manöver mit ihren Führern erreicht.
Ein Wahlblock auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner – das kennzeichnet das Herangehen der LCR und ihres Kandidaten Olivier Besancenot. So glaubt man, die Zustimmung der PCF sichern zu können. Doch das Herangehen an Wahlen muss dadurch bestimmt sein, wie der Klassenkampf, wie Aktionsniveau und Bewusstsein der Klasse gehoben werden können. Die LCR ordnet diese Ziele auf opportunistische Weise der Schaffung eines linksreformistischen Wahlblockes unter.
In den kommenden Monaten stehen die Werktätigen und die Jugend vor bedeutenden Auseinandersetzungen. Zweifellos werden jene Jungen und Arbeitermilitanten, die in der Anti-CPE-Bewegung aktiv waren, verstärkt nach einer Partei Ausschau halten, die ihre Ablehnung von Neoliberalismus und Rassismus am besten verkörpert.
RevolutionärInnen stehen deshalb in der Pflicht, ihnen etwas Besseres anzubieten als die blasse Perspektive einer gemeinsamen Kandidatur mit Zentristen und Reformisten wie Marie George, Besancenot oder José Bové. Sie verdienen etwas Besseres als die Selbstproklamation von LO zur neuen Arbeiterpartei. Stattdessen geht es jetzt um die Schaffung einer Aktionseinheit, um die neoliberale Regierungsoffensive zu stoppen. Jede Zurückhaltung dabei zugunsten von parlamentarischem Erfolg ist schlicht Wahlkretinismus. Tatsächlich wird sie den umgekehrten Effekt erzielen, weil sie einen Umschwung nach rechts in Gang setzt.
Es gibt eine elementare Lektion, die wir aus der Anti-CPE-Bewegung lernen müssen: die Bedeutung der Demokratie in ihr und die enge Beziehung zwischen Basis und Führung. Wenn das in der Aktion funktioniert – warum nicht damit fortfahren? Warum nicht in der Bewegung den besten Weg für die Wahlkampagne offen diskutieren, statt ihr ein Projekt zu diktieren? Warum nicht diskutieren, welche Partei die Bewegung für den Sieg braucht? Warum sollen die Zehntausenden Jugendlichen, GewerkschafterInnen und BasisaktivistInnen ausschließen – zum Wohl eines Abkommens einer Handvoll reformistischer und zentristischer Häuptlinge?
Eine offene, demokratische Massendebatte wäre der beste Weg, sicher zu stellen, dass diese neuen Kräfte sich einbringen – Kräfte, die nicht nur für den Kampf gegen den Kapitalismus gebraucht werden, sondern ganz konkret zum Aufbau einer neuen Arbeitermassenpartei.
In diese Debatte würden wir einbringen, was wir für Hauptbestandteile eines Aktionsprogramms halten, das die ArbeiterInnen befähigt, sich zu organisieren und die Angriffe abzuwehren. Ein solches Programm muss die direkte Aktion der Massen in Betrieben, Schulen, Unis und auf den Straßen betonen. So müssen wir für ein „Verbot“ von Entlassungen die Notwendigkeit von Arbeiteraktionen klar machen. Das bedeutet: Besetzung bedrohter Betriebe und Ausdehnung auf die ganze Branche; Schutz vor der Aufstandspolizei CRS mittels Arbeiterverteidigungseinheiten; Aufbau von Organisationen, Aktions- und Solidaritätskomitees und Mobilisierung der gesamten Arbeiterschaft für einen unbegrenzten und vollständigen Generalstreik!
Hier gibt es tiefe Differenzen zu LCR und LO. Bei diesen Organisationen werden die Forderungen nach einem Notstandsplan großenteils dadurch entschärft, dass zentrale Losungen, welche die Machtfrage aufwerfen, über den Kapitalismus hinausweisen und mit der Unterordnung der Klasse unter die Bourgeoisie (und den Reformismus) brechen, entweder weggelassen oder aber unvermittelt in einen reformistischen Rahmen gestellt werden. Das Ausklammern dieser Übergangsforderungen (Arbeiterregierung, Räte, Milizen, Arbeiterkontrolle usw.) bedeutet aber, die Klasse – und besonders ihre Vorhut – über den Weg und die Methoden zum Sturz des Kapitalismus im Unklaren zu lassen. Dieses „Weglassen“ ist der Preis dafür, einen prinzipienlosen Block mit den Reformisten zu ermöglichen.
So enthält z.B. der „Notplan,“ den sie vorbringen, Forderungen nach einem „Gesetz“, das Entlassungen verbietet. Ausgezeichnet! Aber wie auch LCR und LO wissen, müssen wir das Kräfteverhältnis zwischen Industriekapitänen und Belegschaften radikal ändern, um ersteren eine solche Politik aufzuzwingen. Das erfordert, dass letztere den Kampf gegen Entlassungen in den Betrieben beginnen. Nicht eine Parlamentsmehrheit wird ein solches Gesetz verabschieden und durchsetzen, sondern nur eine Arbeiterregierung, eine Alternative zur parlamentarischen Demokratie, die in der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen verankert ist.
LO und LCR wissen das, aber wenn sie es überhaupt erwähnen, tun sie es halbherzig, um nicht ehemalige PCF-WählerInnen aufzuschrecken. Wenn aber RevolutionärInnen nicht laut und klar aussprechen, welche Politik wir brauchen – wer dann? Tatsächlich sind jene, die das nicht ansprechen wollen, nicht Revolutionäre, sondern Zentristen, die unsicher zwischen Reform und Revolution schwanken.
Für uns gibt es keinen gesellschaftlichen Waffenstillstand beim Aufwärmen zu den Wahlen. Die beste Methode für die Arbeiterklasse, sich auf die Zeit nach 2007 vorzubereiten, ist, jetzt den Kampf zu organisieren! Mit dem Ende der Sommerpause müssen wir Belegschaftsversammlungen in jenen Firmen organisieren, die von Freisetzungen und Privatisierungen bedroht sind oder wo sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern. An Universitäten und Schulen, die durch Sparkurs und Personalmangel gebeutelt sind, in den Bezirken, wo Jugendliche täglich von den Bullen belästigt werden, müssen wir Aktionstreffen einberufen, um den Abwehrkampf zu organisieren. Dabei sollten wir auch mit der Debatte darüber anfangen, welche KandidatInnen wir brauchen und auf welchem Programm diese stehen sollen.
Unabhängig vom Wahlkampf ist klar: die ArbeiterInnen brauchen eine neue Partei! Angesichts der Situation verstehen immer mehr AktivistInnen die Notwendigkeit der Formierung einer neuen Arbeiterpartei. Schon 1995 rief Arlette Laguiller zu einer „großen Partei der Arbeiter“ auf, die LO mit einer Reihe von Treffen gründen wollte. Und diese stießen durchaus auf Widerhall. Doch als LO ein Licht aufging, was das bedeuten könnte, nämlich aus ihrem alten Trott herauszukommen, nur abgehobene Propaganda für den Sozialismus zu machen, sondern ArbeiterInnen im politischen Massenkampf zu führen, zog LO die Notbremse und behauptete, dies alles sei „schlicht eine Frage von Propaganda“ gewesen!
Jahrelang hat die LCR die Frage nach der „politischen Umsetzung“ der Bewegungen, sogar einer „neuen antikapitalistischen Kraft“ herausgestellt. Wenn ihr Abschneiden 2002 ihr nicht nur Verantwortung auferlegte, sondern auch die Gelegenheit bescherte, Gehör bei den Massen zu finden, so war ihre Reaktion darauf leider von Passivität geprägt. Die Bewegung von 2003, das Pariser Sozialforum, die Bewegung gegen den CPE – sie alle waren Gelegenheiten, den Ruf nach Gründung einer neuen Partei zu verbreiten und dafür Resonanz bei der kämpferischen Vorhut zu finden. Aber die LCR zog es vor, zu einem Wahlverein zu mutieren und alles auf den Ausgang der bürgerlichen Demokratie statt auf Klassenkampf zu setzen. Sie glaubte, auf der Woge ihrer Popularität reiten zu können und als vollwertige Partnerin der reformistischen Massenparteien anerkannt zu werden. Das Ergebnis? Die politische Vorherrschaft der PCF wurde nie offen attackiert und so konnte sie sich wieder erholen.
Nach dem enttäuschenden Stimmenverlust von 2004 favorisierte es die LCR, um die PCF zu werben und die Leute im Glauben zu lassen, eine neue Kraft könne aus einer Vermählung mit dieser reformistischen Partei hervorgehen.
Obwohl die Zentristen sich als unfähig erwiesen haben, auf die Rufe der Massen zu reagieren, bleibt die Frage einer neuen Arbeiterpartei immer noch zentral. PS und PCF haben die ArbeiterInnen immer verraten und werden es weiter tun, so lange sie existieren und ihren Einfluss auf die Arbeiterklasse behalten.
LO und LCR haben die zahlreichen Chancen und Erfolge der letzten Jahre nicht dazu genutzt, ernsthaft den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei auf die Tagesordnung zu setzen und praktisch damit zu beginnen. Dazu hätten LO und LCR die jeweils andere Organisation, aber auch die kämpferische Vorhut und jene großen Teile der Bewegung, die von PCF, PS und den reformistischen Gewerkschaftsführungen enttäuscht sind, auffordern müssen, die Frage der Arbeiterpartei offen und massenhaft zu diskutieren. Sie hätten z.B. versuchen können und müssen, die NON-Komitees oder auch die Aktionskomitees gegen das CPE in Initiativen für eine neue Arbeiterpartei zu verwandeln. Doch das taten sie nicht und verharrten stattdessen einerseits in ihrer sektiererischen Pose als die „wahren Trotzkisten“ bzw. opferten die Perspektive einer neuen Arbeiterpartei einem perspektiv- und prinzipienlosen Wahlbündnis mit der PCF. So wurden etliche Chancen, der Vorhut der Bewegung und sogar größeren Massen, konkrete Ansatzpunkte für den Aufbau einer Arbeiterpartei zu bieten, vergeudet.
Die Schlüsselfrage für jede Partei, ihre Daseinsberechtigung, ist die des Programms, ihre Machtstrategie. Welchen Typ Partei benötigt die Klasse? Eine reformistische Partei? Eine „klassenkämpferische“ Partei, die aber nicht sagt, dass und wie der Kapitalismus abgeschafft werden kann? Oder aber eine revolutionäre Partei?
Für uns muss eine Partei ein Programm haben, welches ausgehend von der Lage der lohnabhängigen Klasse heute Lösungen vorschlägt, die sowohl gestatten, Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen als auch die Massen zu organisieren, neue Kampforganisationen an den Arbeitsplätzen, in den Gemeinden, Industrie- und Dienstleistungszweigen, wo wir arbeiten, zu entwickeln.
Es muss ein unverfälschtes Übergangsprogramm sein, leicht verständlich, frei von Standessprache und vagen Phrasen, das entschlossen die Interessen der Unterdrückten ökonomisch, politisch und ideologisch verteidigt. Es muss die Massen von den heutigen Debatten zur gewaltsamen Zerschlagung des kapitalistischen Staats, zum Zerbrechen von Armee und Polizei und der Bildung einer Regierung, die auf Arbeiterräten und einer Arbeitermiliz fußt, leiten: einer neuen französischen Revolution, die die arbeitende Klasse an die Macht bringt.