Arbeiter:innenmacht

Die Offensive des Imperialismus und die Führungskrise der Arbeiterbewegung

Resolution des 7. Kongresses der Liga für die Fünfte Internationale zu den internationalen Perspektiven (Juli 2006) (1); Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006

Die Weltlage ist von einer permanenten ökonomischen, politischen und militärischen Offensive der imperialistischen Bourgeoisie und einer zunehmenden Tendenz zum Massenwiderstand dagegen geprägt.

Soziale und politische Krisen und Explosionen bahnen sich an. Sie zeigen, dass die Globalisierung weit entfernt davon ist, in eine neue Periode von Stabilität, Wachstum und sozialem Frieden für den Kapitalismus einzutreten. Tatsächlich ist die Globalisierung nur die jüngste Phase des Imperialismus: der Herrschaft des Monopolkapitals. Unsere Epoche bleibt eine von Kriegen und Revolutionen. Die Periode, in der wir leben, steckt voll revolutionärer Möglichkeiten.

Die zentrale Frage ist aber, ob die am Massenwiderstand beteiligten Kräfte eine Strategie und Organisationsformen entwickeln können, um diese Offensive zu stoppen, ehe sie die Welt in den nächsten Jahrzehnten in ökonomische, militärische und Umweltkatastrophen stürzt.

Der imperialistische Vorstoß weist zwei Grundeigenschaften auf:

1. Krieg in Mittelost um die Kontrolle über die Ölzufuhr; um eine eventuelle Opposition gegen die neue Weltordnung einzuschüchtern; um die Position der USA im Vergleich zu ihren möglichen Rivalen in den kommenden Jahrzehnten zu stärken und eine Ideologie für die US-Vorherrschaft und die Globalisierung zu etablieren (Krieg gegen den Terror, für „Demokratie“ und „westliche Zivilisation“).

2. Ein Generalangriff gegen die ArbeiterInnen einschließlich Attacken auf Renten und Reallöhne, Anschlägen auf den „Sozialstaat“, Vorstöße zur Verlängerung der Arbeitswoche und der Verdichtung der Arbeit, zum Abbau von Arbeitsplätzen und der Verlagerung von Firmen in Gebiete mit Niedriglöhnen und weniger oder ohne demokratischen Arbeitsrechten sowie der Ersetzung von Festanstellungen durch sozial und rechtlich prekäre Jobs. Auch der Staat übt Druck auf die Lohnabhängigen aus. „Reform“wellen unterspülen immer mehr soziale Errungenschaften, privatisieren oder vermarkten öffentliche Einrichtungen, Verkehr, Wohnungen, Ausbildung, Gesundheitsfürsorge.

Unaufhörlich wird dazu die neoliberale Ideologie über die milliardenschweren Privat- und Staatsmedien verbreitet. Sie will uns einhämmern, dass es keine Alternative zum Markt als Beherrscher des gesellschaftlichen Lebens gäbe. Trotz ihrer demagogischen Ausfälle gegen „den Staat“ weiten auch die neoliberalen Regierungen dessen Kernfunktionen Überwachung und Unterdrückung aus. Der Staat wird nur insoweit „abgebaut“, als er von der Arbeiterbewegung dazu benutzt wird, die schlimmsten Härten des Kapitalismus abzumildern. Stabilität und Kontinuität von Ausbeutung und Unterdrückung sollen ungefährdet bleiben. Das reale Ziel ist nicht der minimale „Nachtwächterstaat“ der neoliberalen Traumwelt. Der Staat, der mit einer immer hohleren Demokratie verbunden ist, rückt vielmehr den visionären Albträumen des 20. Jahrhunderts näher, wie sie in Samjatins „Wir“ oder Orwells „1984“ beschrieben sind.

Der US-Imperialismus bleibt seiner Strategie treu und setzt seine aktuelle wirtschaftliche, politische und militärische Hegemonie dafür ein, Ressourcen, v.a. Öl und Gas, sowie Märkte für die nächsten 20 bis 30 Jahre zu sichern. Der Vierjahresbericht des Pentagons 2006 nimmt Erhöhungen im Militärhaushalt vorweg, aber auch einen politischen Taktikwechsel: weg von Invasionen und Besatzungen (im Gefolge seiner Niederlage im Irak und in Afghanistan) hin zu Stellvertreterkriegen und verdeckten Operationen. Die Aufrüstung Indiens und Israels Invasion im Südlibanon sind Beispiele dafür (2).

Die Strategie der USA besteht darin, sich entlang des „Bogens der Instabilität,“ der sich von Somalia durch den Mittleren Osten, Südasien und Indonesien erstreckt, befreundete Regime zu erhalten oder einzuverleiben. Sie zielt darauf, Amerikas imperialistische Konkurrenten und halbkoloniale Möchtegern-Herausforderer zerstritten und schwach zu halten.

Die EU und Japan verbleiben in zu schwacher Position, dieses Konzept der USA offen zu hinterfragen. Die EU ächzt unter teuren Sozialsystemen. Die europäische Bourgeoisie muss ihre Volkswirtschaften dringend neoliberaler umgestalten, um mit den USA mitzuhalten. Das ist ihr Hauptanliegen, nachdem die Dynamik der Bildung eines neuen europäischen Superstaats durch die Niederlage bei der französischen Volksabstimmung einen heftigen Dämpfer erhielt. Dieses neoliberale Programm wird sowohl auf kontinentaler (Bolkestein, Bildung) Ebene wie national verfolgt (Angriffe auf Renten, Gewerkschaftsrechte, Sozialfürsorge). Erst im Gefolge bedeutender Niederlagen der Lohnabhängigen kann sie hoffen, ihr Hauptprojekt einer politisch-militärische Union und die Schaffung eines paneuropäischen imperialistischen Staates wieder zu forcieren.

Die europäische Bourgeoisie hat das große Problem, dass sich das Vereinigte Königreich dem verweigert. Es wird weiter den Spielverderber mimen – wenigstens, bis den USA eine Rezession ins Haus steht. Bis dahin werden Frankreich, Britannien und Deutschland weiter um die Aufrechterhaltung der Kontrolle über ihre speziellen Einflusssphären ringen – sowohl untereinander wie gegen die USA. Japan steht vor der scharfen Herausforderung durch China, die es zwingt es, ein Bündnis als Juniorpartner mit den USA einzugehen.

Diese neoliberale Offensive hat in den vergangenen Jahren eine Welle von Widerstand ausgelöst: millionenfacher Protest gegen Krieg (3), Generalstreiks, vorrevolutionäre (4) sowie revolutionäre (5) Situationen, als Jugendliche, ArbeiterInnen und Bauern Präsidenten gestürzt, neoliberale Programme blockiert und „Reformen“ durchkreuzt haben.

Kurz: die neoliberale Offensive und der massenhafte Widerstand führen zu einer Wiederbelebung von Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten in allen Erdteilen. Aber das geschieht nicht gleichmäßig und nur erfolgreich, sondern ist mit Zusammenbrüchen, Spaltungen und Krisen der etablierten Arbeiter- und Volksorganisationen, Gewerkschaften und Parteien verbunden. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass viele Traditionsparteien und -bewegungen der Arbeiterschaft und der Armut von neoliberalen Politikern übernommen worden sind. Das umfasst die meisten sozialdemokratischen Parteien, viele des traditionellen „Drittwelt“nationalismus und -populismus und einige „Kommunistische Parteien (6).”

Das erzeugt große Spannungen mit den damit verbundenen Teilen der Gewerkschaftsbürokratie. In Britannien und Deutschland z.B. weigern sich die Gewerkschaftsführungen, mit der Sozialdemokratie zu brechen, auch wenn sie von jenen selbst unter Beschuss geraten. Die Zerreißproben nehmen noch zu, wenn ihre Mitgliedschaft schrumpft und der „Sozialstaat“ angegriffen wird.

Dieser Prozess hat Platz links von der Sozialdemokratie geschaffen. Dieser wird zunehmend von den „gewendeten“ stalinistischen Parteien besetzt. Diese traditionellen „Kommunistischen“ Parteien und deren zahlreiche Abspaltungen versuchen nun, als Vorreiter für eine Rückkehr zum klassischen Linksreformismus zu punkten. Die Verbreitung von lateinamerikanischem Neopopulismus und „Indigenismus“, das Auftauchen neuer Arbeiterparteien bzw. von Strömungen, solche zu gründen, können nur im Zusammenhang einer Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verstanden werden (7).

Doch der Eindruck, alle Massenmobilisierungen gegen Neoliberalismus und Imperialismus seien im Sinne von Arbeiter-, Demokratie-, Minderheiten-, Frauen- oder Jugendrechten usw., ist gefährlich: auch starke reaktionäre Massenkräfte sind auf dem Vormarsch.

Rassistische, volkstümelnde und offen faschistische Parteien wachsen in den imperialistischen Ländern und Halbkolonien gleichermaßen. Religiöse und nationale Minderheiten, Einwanderer und Flüchtlinge sind ihre Hauptziele. Oft attackieren sie „Globalisierung“ und Modernisierung, die Rechte von Frauen und Homosexuellen im Namen von Religion, ethnischen oder „rassischen“ Traditionen. Die Medienmilliardäre steigern diese Wirkung und ermuntern den Staat, darauf zu reagieren. Sie fordern Repressionen und Abschiebung von Einwanderern, Einführung von Religionsgesetzen, Abtreibungsverbote und Verbote bestimmter Formen religiösen Gehorsams (Kopftücher) (8).

Diese Entwicklungen zeigen die ideologische Schmelze nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten, dem in Misskredit geratenen weltlichen bürgerlichen Nationalismus und den Sünden der Sozialdemokratie unter Konsorten wie Blair, Schröder und Jospin.

Sie geben aber auch Aufschluss über die Tiefe der Führungskrise bei den Kräften des Widerstands. Sie sind die Hefe, aus der neue Lösungen kommen können – wenn RevolutionärInnen kühne und überzeugende Antworten für die gegenwärtigen Massenkämpfe geben und sie in Agitation wie Propaganda umsetzen können, die auf die militanten Kader solcher Kämpfe zielen.

Die Klassenkampfentwicklung dieser Periode war kein geradliniger Prozess, in dem die Radikalisierung stets zunimmt. Sie war durch Auf- und Abschwünge gekennzeichnet. So gab es von Ende 1999 bis 2001 einen rasanten Anstieg an Auseinandersetzungen mit den globalen Finanzinstitutionen: die „Gipfelbelagerungen“ in Seattle, Prag, Quebec, Göteborg und Genua, die Revolutionstage in Argentinien, die Massenkämpfe auf dem Land in Indien und Brasilien. Doch nach dem Höhepunkt der Antikriegsmobilisierungen im Februar 2003 stieß die Bewegung an ihre Grenzen, war unfähig, den Kriegsausbruch und die Besetzung des Irak abzuwenden.

Das war ein weltweiter Rückschlag für den Widerstand gegen die kapitalistische und imperialistische Offensive. Das fand seinen Niederschlag in nachlassender Lebendigkeit und Dynamik bei Weltsozialforum und Kontinentalsozialforen wie dem europäischen, in Stärkung der reformistischen Kräfte in der Bewegung (der Europäischen Linkspartei, Lulas Arbeiterpartei PT in Brasilien).

Doch seit Sommer 2005 sind wir Zeugen eines neuen globalen Klassenkampfaufschwungs. Dabei ist nicht die numerische Steigerung maßgeblich, sondern die Tatsache, dass die Bourgeoisien Europas und der USA eine Reihe empfindlicher Niederlagen oder Rückschläge hinnehmen mussten: das Nein im französischen Referendum, die Aufgabe der französischen Unternehmeroffensive CPE, die Unfähigkeit der US-Besatzer im Irak, den Widerstand zu brechen und das Land zu „befrieden“, die Revolution in Bolivien, die Wahl Morales‘ und der Linksruck in Venezuela (9).

Diese Erfolge zeigen, dass die Attacken aufgehalten werden können, dass die Massen nicht nur in den Kampf gezogen werden, sondern sie auch gegen vermeintlich überlegene Gegner siegen können. Die herrschenden Klassen in den Halbkolonien und imperialistischen Ländern sind beunruhigt über die Massenbewegungen von 1999 bis 2006. Sie suchen eifrig nach Unterstützung unter den rückständigeren Schichten der Massen, weil sie eine soziale Kraft brauchen, welche die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft in Schach halten und spalten kann. In allen Perioden einer fortschreitenden Krise nehmen auch die Kräfte der Reaktion auf dem Gegenpol von Gegenwehr und Revolution zu.

Deshalb werden die Frage von Strategie und Taktik, d.h. des Programms, und die Notwendigkeit einer bewussten revolutionären politischen Alternative – einer Partei- immer brennender! Dies ist eine Frage der Massenbewegung und ihrer Avantgarde, nicht nur eine für winzige marxistische Propagandazirkel!

Wir durchleben also eine Periode zunehmenden politischen Ungleichgewichts auf nationaler wie internationaler Ebene, eine Periode von Kriegen und ansteigenden Klassenkämpfen. Wir kennzeichnen sie als vorrevolutionäre Periode, weil die neoliberale Offensive, weil die „permanenten Kriege“ zunehmend Massenbewegungen in verschiedenen Ländern hervorrufen, die die Macht der herrschenden Klasse bedrohen (vorrevolutionäre oder sogar revolutionäre Situationen).

Die Gleichförmigkeit und Tiefe der sozialen Krise kann aber erst dann objektive Schranken überwinden, wenn eine wirklich synchronisierte und massive Wirtschaftskrise der Globalisierungsphase einsetzt.

Subjektiv stößt die Verschärfung der Krise an ihre Grenzen durch die Schwäche und Unfähigkeit der bestehenden Führungen der Massen, die immer wieder eine zusammenhängende und wirkungsvolle Gegenbewegung vereiteln. Ein zunehmender Ausbruch der Widersprüche im Kapitalismus, insbesondere eine weltweite Wirtschaftsrezession, würde den Grundstein für ein Überschreiten dieser Grenzen legen.

Globalisierung: Eine neue Weltunordnung

Die Analyse der L5I in Bezug auf die Globalisierung in den vergangenen sieben Jahren hat ihre Prüfung bestanden (10). Wir haben die geschichtlichen Hintergründe, die zur Entwicklung der neoliberalen Globalisierung geführt haben, durchleuchtet. Wir haben die Triebfeder für diesen Prozess, der durch die Überakkumulation des Kapitals in den imperialistischen Metropolen, d.h. eine sinkende Profitrate in Gang gesetzt worden ist, analysiert. Wir haben die zu Tage tretenden Tendenzen zu Stagnation und Schmarotzertum und genauso die Chancen, diese Dynamik durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Wiederherstellung des Kapitalismus in China zu bremsen, benannt.

Der lange Aufschwung in den 50er und 60er Jahren war außergewöhnlich in der Epoche des Imperialismus. Der tendenzielle Fall der Profitrate, der aus der Überakkumulation von Kapital herrührt, wurde für eine ganze Periode überwunden. Die massive kapitalistische Ausdehnung während dieser Zeit und die heftige Ausweitung der Industrieerzeugung in den stalinistischen Staaten bedeuteten, dass es eine außerordentliche Entwicklung der  Produktivkräfte der Menschheit gab. Mit Einsetzen der Krise Anfang der 1970er normalisierten sich die Verhaltensmuster der imperialistischen Epoche, die Tendenz zu Stagnation setzte sich wieder durch. Ursache dafür war das klassische Problem des Kapitalismus: Überproduktion und Überakkumulation von Kapital schlugen in eine Krise der profitablen Investitionen um.

Aber wie schon Marx zeigte: der Kapitalismus hält nicht nur den unerbittlichen Fall der Profitrate aus, sondern diesem wirken unterschiedliche Kräfte entgegen (11). Die Mehrwertrate lässt sich durch Verlängerung des Arbeitstages, Lohnsenkungen, größere Arbeitshetze, durch Ausdehnung der kapitalistischen Ausbeutung auf neue, nichtkapitalistische oder unterkapitalisierte Gebiete sowie durch Verbilligung der Kosten für Anlagen und Maschinen, Verstärkung des Welthandels usw. hochtreiben. Die Globalisierung ist insofern im Wesen ein Bündel gegenläufiger Tendenzen, um das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate aufzuhalten und umzukehren.

In den USA wurden in der Globalisierungsphase ständig die Reallöhne gedrückt und das Arbeitsjahr verlängert. Das hat in den letzten beiden Jahren zu einem Profitwachstum geführt, welches vergleichbar mit dem Niveau Mitte der 90er Jahre ist. Produktionsstätten wurden aus Gebieten verlagert, wo die Arbeiterschaft gut organisiert war, hin zu Regionen mit unorganisierter Belegschaft: erst innerhalb der USA, dann nach Lateinamerika, schließlich in die asiatischen „Tiger“staaten.

Vor gab es eine enorme Freisetzung von internationalem Finanzkapital durch Abschaffung aller Kontrollen, was ihm erlaubte, sich aus den Fesseln nationaler Produktions- und Handelshemmnisse zu lösen und seine Reichweite auf die halbkoloniale Welt und die ehemaligen Arbeiterstaaten auszudehnen. Das sozialdemokratische Staatsmodell wurde angegriffen, um große Teile der Wirtschaft für die Kapitalakkumulation zu öffnen und unprofitable Sektoren zugunsten von profitablen auszumerzen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank schlüpften aus der Rolle von Wächtern über stabile Handels- und Währungsbeziehungen in die Funktion von Instrumenten zur Zwangsöffnung der Halbkolonien für den Einfluss des US-Kapitals. Hierbei wurde die Verschuldung der Halbkolonien seit den 70er Jahren als Haupthebel benutzt.

Die Aufrechterhaltung der Profitraten durch neoliberale Maßnahmen, besondere durch die zügelloser Aufblähung von stark schmarotzenden Sektoren, gestattete dem Imperialismus, den Wachstumsschwund beim Bruttoinlandsprodukt in einzelnen Ländern aufzuhalten. Der beeindruckende Anstieg des BIP in Halbkolonien straft scheinbar ihre Abhängigkeit von imperialistischer Kapitalinvestition und dem Rückfluss von Mehrwert in die imperialistischen Metropolen Lügen. Doch seit 1997 ist mehr Kapital aus den halbkolonialen Staaten zurück in die imperialistischen Kernländer geflossen als umgekehrt. 2005 erreichte der Nettotransfer mit 483 Mrd. US-Dollar seinen vorläufigen Höhepunkt. Der größte Anteil stammt aus den „aufstrebenden“ Märkten, die als Hätschelkinder des Imperialismus im Globalisierungsprozess gelten.

Die Schwankungen bei den Auslandsdirektinvestitionen (FDI) bringen auch den parasitären Charakter des Imperialismus zum Ausdruck. Sie erreichten im Jahr 2000 1,4 Billionen US-Dollar und stürzten dann bis 2003/04 um 60 Prozent ab, um letztes Jahr wieder auf beinahe 900 Milliarden zuzulegen. Aber diese setzten sich mehr aus Fusionen und Aufkäufen durch immer weniger Einzelkapitale aus als Investitionen auf der „grünen Wiese“ zusammen.

Das Wachstum des Kapitalismus in China

Bis zum Krach von 1997 waren die „Tiger“ Südostasiens das Hauptziel der FDI-Ströme in Entwicklungsländer. Diese Region schluckte 20 Prozent des Weltaufkommens (12). Der Krach von 1997 veranschaulichte, dass die Globalisierung außerstande war, das strukturelle Grundproblem von Überakkumulation, Überproduktion und tendenziellem Fall der Profitrate zu überwinden, wie  noch im langen Boom nach dem 2. Weltkrieg durch die große Erweiterung der Produktivkräfte. Nach der 40%igen Währungsabwertung 1994 demonstrierte Chinas Exportsteigerung – von Januar bis September 1997 um atemberaubende 25% – die Anfälligkeit der „Tigerökonomien,“ Deren exportgestütztes Wachstum war durch kurzfristige Auslandsanleihen finanziert worden, die mittels hohen Zinsfußes und fester Wechselkurse zum US-Dollar angelockt wurden.

Das Ausbleiben von Leihkapital und gigantische Devisenspekulationen führten Währungszusammenbrüche herbei, beginnend mit dem thailändischen Baht. Anschließend folgte die unvermeidliche Rezession. Die Erholung 2002 fußte v.a. auf einer Umorientierung der Erzeugung in Richtung Belieferung des chinesischen Marktes mit Agrarprodukten, Rohstoffen und Komponenten.

Der Schwenk der chinesischen Bürokratie zu tieferen Marktreformen, der Schwächung und schließlich dem Bruch mit dem zentralen Plan, der Zusammenbruch der sowjetischen und osteuropäischen degenerierten Arbeiterstaaten eröffneten neue Chancen für Globalisierung und Neoliberalismus. Die Integration der UdSSR in die kapitalistische Weltökonomie hatte hingegen nur eine begrenzte Wirkung. Bedeutsamer war indes die ideologische Untermauerung der aggressiven Ausdehnung der Vorherrschaft und Macht des US-Kapitalismus und dessen neoliberaler Wirtschaftspolitik in den Halbkolonien.

In den 90er Jahren sorgte dies a) auch für die beschleunigte Herausbildung des Weltfinanzmarktes, worin die USA und Britannien strukturelle Vorteile genossen und b) für erhöhte geographische Beweglichkeit des Kapitals führte, was wiederum die Konkurrenz zwischen Monopolen und Staaten antrieb und die Bedingungen für die Globalisierung schuf.

Zwischen 1996 und 2004 betrugen die Auslandsdirektinvestitionen nach China im Jahresschnitt 47 Mrd. US-Dollar, 2004/05 landeten sie bei einer Marke von 60 Milliarden (13). Damit erreichte China Platz 3 nach den USA und Britannien. Wegen der gewaltigen Schwankungen der FDI in der vergangenen Dekade – von 1,4 Billionen US-Dollar 2000 auf 632 Milliarden 2003 – pendelten die Anteile Chinas am globalen FDI-Zufluss zwischen 2 und 10%. Mehr noch: ganz Süd-, Südost und Ostasien (inkl. China) erhält immer noch etwa 20% oder weniger aller Zuströme (vergleichbar dem Prozentanteil in den 1990ern).

Das Modell der chinesischen KP zur kapitalistischen Restauration beruhte auf einer starken staatlichen Entwicklungsstrategie und war wirtschaftlich weitaus erfolgreicher als die „Schocktherapie“ des anderen großen ehemaligen Arbeiterstaats Russland. Dort tobte ein Jahrzehnt wilder Zerstörung von Produktivkräften, von der nur die Konzerne profitierten, die die Naturreichtümer verscherbelten und eine herrschende Schmarotzerbourgeoisie hervor brachte.

Im Gegensatz dazu haben sich aber die Produktivkräfte in China trotz Umstrukturierung, Trustgründungen und Privatisierungen in der alten Schwerindustrie des degenerierten Arbeiterstaates mächtig ausgeweitet. Das hat zwar heftige innere Klassenwidersprüche (14) erzeugt, jedoch den Weltimperialismus wirklich herausgefordert, der China braucht, aber auch fürchtet. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Landes – verbunden mit seiner erheblichen Militärmacht, gestützt auf Atomwaffen und mit Sitz im UN-Sicherheitsrat – verschaffen China eine herausragende Stellung unter den halbkolonialen Staaten.

Trotz und wegen des unerhörten Aufschwungs durchziehen China ungeheure soziale, ökonomische und politische Widersprüche. Es ist hochgradig abhängig vom Weltmarkt. Der Außenhandel hat einen wachsenden Anteil an der Wirtschaft, wie am BIP abzulesen ist. Der Exportanteil am BIP wuchs von 18% (1990) auf 32% (2003). Der größere Teil von Wirtschaftsentwicklung und -wachstum ist also außenorientiert. Der größte Teil von Chinas Handel wird von internationalen Konzernen beherrscht, die Einzelteile nach China zur dortigen Endfertigung schaffen und diese wieder ausführen. Das Ausmaß dieser Geschäfte ist nunmehr so groß, dass es bereits als grundlegend für das Gleichgewicht der mächtigsten Wirtschaft der Welt, der USA, angesehen wird. Die erste ernsthafte Krise in den USA wird also auch eine größere Krise in China hervorrufen. Wenn sein größter Absatzmarkt schrumpft, wird dies in China zu Entlassungen und Bankrotten führen.

Auch der chinesische Kapitalismus weist scharfe innere Widersprüche auf. An erster Stelle ist die klassische Überakkumulation von Kapital zu nennen. Die Fixkapitalbildung macht 26% des jährlichen BIP aus, 2002 waren es noch 21%. Irgendwann wird die Profitrate ins Trudeln kommen, ausgedrückt in Überproduktion und Pleiten. Außerdem hat das Reformprogramm die Klassenwidersprüche in der chinesischen Gesellschaft erheblich zugespitzt. Die Wanderungsströme vom Land in die Stadt und das Wachstum haben die Arbeiterklasse schätzungsweise auf 350 Millionen anschwellen lassen. Doch dies geschieht gleichzeitig mit der Vernichtung von 30% aller Arbeitsplätze in der Staatsindustrie mit anschließender Arbeitslosigkeit von Millionen Angehörigen der „alten“ Arbeiterklasse.

Flexibilisierung, Überausbeutung und unsichere Arbeitsplätze sind die Basis für die chinesische Expansion. Die LohnarbeiterInnen sehen sich konfrontiert mit der Abschaffung gesellschaftlicher Rechte und sozialer Standards, mit der Privatisierung von Wohnungen und der Gesundheitsfürsorge und sehr begrenzter staatlicher Armenhilfe.

In kaum mehr als einem Jahrzehnt hat Chinas Entwicklung die weltweiten Strukturen von Produktion und Handel verändert. Obwohl oft als riesiger potenzieller Markt beschrieben, ist Chinas Rolle in der Weltwirtschaft heute und in naher Zukunft von der Versorgung mit billiger Arbeitskraft in einem stabilen globalen Umfeld abhängig. Diese Entwicklung ist notwendigerweise widersprüchlich. Die Profitraten für die Weltkonzerne steigen, die Kosten zur Reproduktion der Arbeitskraft in den imperialistischen Ländern sinken. Die Zinsen bleiben niedrig durch massive Käufe von US-Pfandbriefen. Aber China lockt auch Kapitalinvestition aus anderen Teilen der Welt an, untergräbt die Fertigungsindustrien in vielen Ländern und lässt die Warenpreise besonders für Energie und industrielle Rohstoffe hoch schnellen.

Die USA und die Weltwirtschaft

Globalisierung und Neoliberalismus konnten die strukturellen Probleme des Weltimperialismus seit den 70er Jahren nicht beseitigen – trotz seiner historischen Erfolge in den 1980ern und 90ern durch die Restauration des Kapitalismus in den Arbeiterstaaten und strategischer Niederlagen für Kernsektoren der Arbeiterklasse in den USA, Britannien, Bolivien usw. oder der „Öffnung“ von China und Indien. Das starke Konjunkturwachstum der 90er Jahre hat keine Rückkehr zu Wirtschaft oder Politik des „goldenen Zeitalters“ nach dem 2. Weltkrieg eingeläutet. Die Arbeitslosigkeit in den G 7-Ländern ist zwar niedriger als vor 15 Jahren, jedoch noch wesentlich höher als in den Nachkriegsjahrzehnten. Die Früchte des gegenwärtigen Wachstums fallen v.a. den Aktionären und Banken zu. Im Unterschied zur Periode 1945-1970 wird heute eine unbarmherzige Attacke gegen die industrielle, soziale und regulative Rolle des Staates geritten. Das Kapital versucht, immer größere Sektoren (Medien, Wohlfahrt, Bildung, öffentliche Versorgung, Wohnungen) in den Prozess der Kapitalakkumulation zu ziehen. Zugleich fließen immer weniger Mittel in jene Bereiche, wo sich Widerstand gegen Privatisierung regt oder wo die Profitabilität zu gering ist.

Außerdem ist die Rolle von Schulden und Defizitfinanzierung entscheidend, wenn in den imperialistischen Kernstaaten die Produktion kaum noch ausgeweitet wird. Das US-Finanzministerium ist gezwungen, Kapital aus der übrigen Welt anzusaugen, um seinen militärischen Keynesianismus und Steuergeschenke für die Reichen zu bezahlen – beides ist für die ökonomische Stabilität wichtig.

In der US-Binnenwirtschaft waren Schulden ein Mittel, um die Nachfrage trotz stagnierender Reallöhne anzufachen – eine Aufgabe, die für das Gleichgewicht der Weltwirtschaft entscheidend ist. Doch das kann nicht ewig so weiter gehen!

Die herrschende Klasse der USA ist gespalten darüber, wie sie auf Chinas Aufstieg reagieren soll. Bisher gab es erstaunliche „Harmonie“, eine von neoliberalen Ideologen erträumte Gewinnersituation auf beiden Seiten. Aber die Ahnung von Chinas Aufstieg in den Rang einer wirtschaftlichen Supermacht hat die US-Politik entzweit. Einige befürworten Schutzzölle und Militärbündnisse, um China aufzuhalten, sowie die Förderung einer bürgerlichen „Demokratiebewegung“ dort, um über eine „Volksrevolution“ die chinesische KP durch eine offen bürgerliche Regierung zu ersetzen. Aber die Hauptkräfte des US-Kapitals sind vorerst zu befangen von den goldenen Investitionsaussichten, als dass sie eine Destabilisierung Chinas wünschten. Die Bush-Regierung will deshalb zweigleisig zu fahren. Sie ist pragmatisch genug, zu erkennen, dass ein Protektionismus Gegenmaßnahmen auslösen könnte mit der Folge der „Entglobalisierung“ und gravierender Destabilisierung der Weltwirtschaft und der beherrschenden Rolle der USA.

Grob gesagt, war nach 2002 erneut die US-Wirtschaft die Lokomotive, um die Weltwirtschaft aus der Rezession zu ziehen (wie schon in den letzten drei Zyklen seit Mitte der 70er). Die EU und v.a. Japan litten länger unter der Rezession und kamen später aus ihr heraus. Der zyklische Aufschwung in den USA nach 2001 beruhte auf einer Verbindung von massiven staatskapitalistischen Maßnahmen, insbesondere Rüstungsprogrammen (Militärkeynesianismus) und Steuersenkungen. Die USA stehen vor einer Aufblähung der Haushaltsschulden, die nicht durch inländische Spar-guthaben gedeckt sind (diese sind mit nur 13,7% des BIP auf einem geschichtlichen Tiefstand), und einem historisch beispiellos hohen Minus auf den Girokonten (fast 8% des BIP). Der US-Aufschwung ist also großteils mit der Erhöhung privater und öffentlicher Schulden und den Zu-strom von Fremdkapital erkauft – und schafft so weltweit riesige Widersprüche und Ungleichgewichte.

Das Schicksal der USA ist gegenwärtig eng mit der Weltwirtschaft als Ergebnis der 30jährigen zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung verkettet. Die „herausragende Isolation“ ist Schnee von gestern. Das macht die USA zu einem ausgesprochenen Schmarotzerkapitalismus. Ohne den Zustrom von mehr als 2 Milliarden Dollar täglich (!) könnte es seine Produktion und den Schuldendienst nicht mehr bezahlen. Die Hälfte der Profite der US-Konzerne kmmt entweder unmittelbar aus den Auslandsinvestitionen oder aus dem Finanzsektor, der höchst abhängig ist vom Weltfinanzmarkt. Deswegen muss die herrschende Klasse der USA einen ständigen Krieg führen, um sich vom Rest der Welt diese Abhängigkeit bezahlen zu lassen. Ihre wirtschaftliche Stellung ist gegenüber ihren imperialistischen Konkurrenten zwar stärker als in vergangenen Jahrzehnten, doch zugleich immer angespannter und deshalbanfällig für scharfe und „unerwartete“ Einbrüche.

Wenn sich die wirtschaftliche Stellung der USA weiter abschwächt, während ihre Rivalen wirtschaftlich empor kommen, wird dies die Rolle der USA als Welt-Hegemon untergraben und zu verschärften Konflikten zwischen den Großmächten führen. Die Verbindung von steigender Rohstoffnachfrage, v.a. nach Öl und Gas, mit der politischen Instabilität in Schlüsselgebieten der Weltpolitik wie Mittelost oder Venezuela kann eine weitere Verteuerung des Öls mit ernsten Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zeitigen.

Es ist möglich, dass Europa und Japan nach langer und tiefer Rezession sich in den nächsten beiden Jahren zu neuen Höhepunkten ihrer Zyklen aufschwingen. Dies kann eine weltweite Rezession kurzfristig aufschieben, wird aber die Widersprüche des Weltkapitalismus zugleich vertiefen. Gegenwärtig ist jedoch der EU-Block der „kranke Mann“ des Imperialismus. Sein Hauptmotor Deutschland stottert trotz der derzeitigen zyklischen Aufschwungphase und steigenden Profiten für die Schlüsselunternehmen.

Dies drückt sich v.a. durch die Nullwachstumsrate in der Fertigungsindustrie, der Hauptquelle der Mehrwertschöpfung aus. Nach 2001 fiel dort der Index in allen Triadenländern. Setzen wir das Jahr 2000 auf den Index 100, so hat Deutschland dieses Niveau 2004 mit 103,5 übertroffen. 2005 liegt die Zahl nur unwesentlich höher. In anderen  Ländern wie USA und Britannien war der Abfall sogar noch krasser. Der Handel mit Fertigungsgütern ist weiterhin geprägt durch Überkapazität und Überproduktion für die globale Nachfrage. Im Ergebnis dessen verschärft sich die internationale Konkurrenz.

Das Nachlassen der Investitionstätigkeit, d.h. die Verlangsamung der Akkumulationsrate, zeigt ein noch klareres Bild. Hier ist Deutschland auf dem Niveau eines Index von 90 verglichen mit 2000, d.h. es gab einen klaren Rückgang von Investitionen. Davon sind die meisten zudem Ersatzinvestitionen und nur 10% echte Neuinvestitionen. Der parasitäre Charakter der heutigen Akkumulationsform, dominiert vom Finanzkapital, zeigt sich darin, dass neben sinkenden Unternehmenssteuern ein immer größerer Teil des Profits vom Finanzkapital vereinnahmt wird. Etwa ein Drittel der verfügbaren Gelder wird bei größeren Firmen in Zinszahlungen, Wertpapierkäufe, Optionen usw. gesteckt, während Investition zunehmend in kurzfristig profitable Bereiche fließen. Entlang dieser Linie gibt es für das Kapital keinen Ausweg aus dem Teufelskreis von Überakkumulation und Stagnation.

Kurz: seit Ende der 1990er hat sich die Globalisierung als unfähig erwiesen, die Stagnationstendenzen des Kapitalismus zu überwinden. Ihre Erfolge – die Erhöhung der Ausbeutungsrate, die Durchdringung und Auspressung der halbkolonialen Welt – vermochten nicht, die Überakkumulation des Kapitalismus zu überwinden. Erfolge galten nur für bestimmte Länder und eine bestimmte Zeitspanne. Die allgemeine Stagnationstendenz hat sich im Grunde beschleunigt.

Der stagnative Trend der Produktivkräfte führt zu wachsender Verwandlung in Destruktivkräfte, wie z.B. vermehrte Umweltkrisen zeigen (Rekorde bei der globalen Erwärmung, steigende Zahl von Katastrophen mit 100.000en Toten, Gefahr weltweiter Seuchen usw.). Die zerstörerischen Aspekte des Kapitalismus werden immer bedeutender und immer stärker zu sozialen und politischen Krisen beitragen.

Da der Kapitalismus nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein soziales und politisches System ist, führt die Zuspitzung der Krisen auch zu verschärfter Rivalität zwischen Staaten, imperialistischen wie halbkolonialen, zu mehr Kriegen, „Terrorismus“, Verelendung und Zerstörung. Wir befinden uns trotz zyklischen Wirtschaftsaufschwungs in einer Periode sich verschärfender sozialer Krisen, in der die imperialistische Bourgeoisie gezwungen ist, die Arbeiterklasse und die Unterdrückten global anzugreifen, um ihr System zu stützen. Wenn das sich während eines Aufschwungs abspielt, kann man sich vorstellen, was ein Wirtschaftstief, geschweige denn eine Weltrezession, mit sich brächte.

Europa: vor größeren Konflikten

Wir haben oft gesagt, dass die Alternative für den europäischen Kapitalismus „Amerikanisierung oder Bankrott“ lautet. Der Hintergrund dafür ist die sich zuspitzende Konkurrenz zwischen den imperialistischen Blöcken. Europa ist augenblicklich das schwächste Glied des Imperialismus – dank Arbeiteraktionen und politischer Widersprüche, die dem Versuch zur Formierung eines einheitlichen Superstaates in einer Periode des Stillstands und sozialen Rückschritts entgegenstehen. Zusätzlich hat der Beitritt von ost- und mitteleuropäischen Staaten – eine Politik, die von Britannien und den USA mit dem Ziel, die Bildung eines EU-Superstaates zu blockieren, gefördert wird – größere Hindernisse aufgebaut (Haushalts-, Steuer-, politische Schwierigkeiten).

Trotz der aktuellen Lähmung bleibt die EU die stärkste und gefährlichste Nebenbuhlerin der USA und spielt in deren strategischen Überlegungen die Hauptrolle. Die USA versuchen, die europäische Rivalität durch Zusammenarbeit einzudämmen und einige der Lasten aus der Regulierung des Weltmarktes auf die europäische Konkurrenz abzuwälzen. Die EU, d.h. die wichtigsten Kontinentalmächte Deutschland und Frankreich, möchten wiederum jede offene Konfrontation mit den USA vermeiden, teils weil die USA noch als Weltpolizist im imperialistischen Interesse auch die-ser Mächte handelt; teils weil die EU noch zu schwach ist, den offenen Konkurrenzkampf militärisch und politisch bestehen zu können.

Mit der „Lissabonner Agenda“ von 2000 haben sich die Herrschenden in Europa ein Programm gegeben – mit dem Ziel, die EU zum stärksten und dynamischsten Wirtschaftsgebiet unter deutsch-französischer Herrschaft zu formen und langfristig eine politisch-militärische Macht zu errichten, die es mit den USA aufnehmen kann. Dazu müssen jedoch noch große innere Widersprüche gelöst werden.

Die herrschende Klasse muss eine Arbeiterklasse mit der militantesten Tradition und den größten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen in der imperialistischen Welt in die Knie zwingen. Die EU muss die nationalen Gräben überwinden, um zum ernsthaften Konkurrenten von USA (und Japan) zu werden. Doch wie der Fehlschlag um die Verfassung zeigt, war sie bisher nicht imstande, Begeisterung für eine kapitalistische EU zu erzeugen. Das überrascht nicht, weil dieser Versuch mit der Lissabonner Agenda und den Angriffen auf die Einkommen und sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnen und Kleinbauern gekoppelt war.

Deshalb gab es mehrere erfolgreiche Widerstandswellen. Die letzte hat in Belgien zwei eintägige Generalstreiks, den Sturm der HafenarbeiterInnen auf das EU-Paparlament und die so erzwungene Rücknahme der Richtlinie zur Hafenarbeit (Port package) bewirkt; sie hat gewaltigen Aufruhr in Frankreich und Griechenland gebracht; sie war mit wichtigen Teilkämpfen und dem politischen Bruch bedeutender Arbeiterschichten mit der SPD in Deutschland verbunden.

2005 lebte der Klassenkampf in Frankreich wieder auf. Die Arbeitslosenquote betrug im Januar über 10%, die höchsten Zahlen seit fünf Jahren. Im Privatsektor setzten die Bosse Jobflexibilisierung durch und forderten die Erhöhung der Arbeitswoche von 35 auf 40 Stunden. Zwischen Februar und März fand eine Reihe von Aktionstagen statt, die von den großen Gewerkschaftsverbänden mit machtvollen Demonstrationen und Streiks organisiert worden waren. Am 8. März protestierten 200.000 SchülerInnen und Studierende landesweit gegen die Fillon-Reformen zu den Lehrplänen an Universitäten und Gymnasien und erzwangen die Rücknahme.

Der Volksentscheid über die EU-Verfassung und die Nein-Kampagne der Linken führten die Mobilisierungen des Frühjahrs fort. Es gab Großkundgebungen in den Zentren und vielen Kleinstädten. Die ArbeiterInnen, die daran teilnahmen, sahen in den neoliberalen „Reformen“ den Hauptfeind. Das Abstimmungsresultat brachte den großen Parteien, die den Verfassungsentwurf befürworteten, eine deftige Niederlage durch die von LCR und PCF geführte Gegenkampagne.

Im Herbst brachen sich dann Wut, Frustration und Entrüstung der arbeitslosen Einwandererjugendlichen aus den Vorstädten in einem Aufstand gegen die Polizeiunterdrückung Bahn. Binnen weniger Tage – und angeheizt durch rassistische Stellungnahmen des reaktionären Innenministers Sarkozy – griffen die Proteste auf 250 Städte über. Erst nach über zwei Wochen bekamen die Behörden durch ein gewaltiges Polizeiaufgebot und die Ausrufung des Ausnahmezustandes – zum ersten Mal seit den 50er Jahren – die Lage wieder in Griff. Diese Ereignisse deuteten an, dass Frankreich in eine vorrevolutionäre Lage schlitterte.

In der Massenbewegung vom März und April 2006 erlebten wir dann die vollständige Entfaltung einer vorrevolutionären Situation (16). Drei Millionen folgten dem Aufruf zu zwei Aktionstagen. Hunderte Universitäten und Schulen wurden besetzt und fast tägliche Massendemonstrationen durchgeführt, bis die Regierung den CPE zurückzog. Die schrittweise Einführung von neoliberalen Reformen ist damit praktisch zum Erliegen gekommen. Die Hoffnung der Rechten ruht nun auf der Wahl des hartgesottenen Neoliberalen Sarkozy zum Präsidenten 2007. Um zu gewinnen, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach wie schon 2005 die rassistische Karte spielen.

Auch Italien erlebte im Herbst 2005 eine Welle von Kämpfen, als StudentInnen und Arbeiterjugendliche gegen eine neoliberale „Bildungsreform“ demonstrierten, was zu Ausschreitungen vor dem Parlament führte. Am 25.10. riefen die größten Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL einen halbtägigen Generalstreik gegen die Kürzungen der Berlusconi-Regierung aus, die für 2006 vorgesehen waren. Das war bereits der 6. Halb- oder Ganztagsstreik seit Berlusconis Amtsantritt.

In Italien ist Berlusconi nun abgewählt und eine Regierung in einer „Volksfront“koalition unter Führung des neoliberalen Romano Prodi amtiert. Seine Unterstützung für die Politik der Lissabonner Agenda, der Bolkestein-Regelung und für einen verzögerten Abzug italienischer Truppen aus Afghanistan hat erste Risse in Rifondazione Comunista (RC) verursacht. Die RC hat sowohl Ministerposten erhalten und ihren Vorsitzenden Bertinotti als Sprecher der italienischen Parlamentskammer durchbekommen. Wenn die italienische Regierung ihre prokapitalistische und proimperialistische Politik durchzieht, stehen die starken linken und antikapitalistischen Kräfte des Landes vor der Aufgabe, Bertinotti zu bekämpfen. Sie werden gezwungen sein, sich zu fragen, ob die RC eine Partei ist oder dazu umgewandelt werden kann, welche die Lohnarbeiterklasse für den Feldzug gegen den neoliberalen Angriff braucht.

In Deutschland gewann Schröder 2002 unerwartet die Wahlen – dank eines demagogischen Nein zum Irakkrieg (hinter den Kulissen half er den USA bei ihren Kriegsanstrengungen). Der SPD-Kanzler legte als erste Maßnahme die neoliberale Agenda 2010 auf. Besonders das Hartz IV-Gesetz war der härteste Einschnitt in das deutsche Netz der sozialen Sicherung seit dem 2. Weltkrieg. In den beiden Folgejahren verließen daher nicht weniger als 100.000 Mitglieder die Regierungspartei SPD.

Die Bundestagswahlen verdeutlichten eine stärkere Polarisierung. Das Kapital wollte die Koalition aus SPD und Grünen durch eine CDU/FDP-Regierung ersetzen. Im Wahlkampf übten sich die offen bürgerlichen Parteien in angriffslustiger neoliberaler Rhetorik, die sich wohl für die FDP auszahlte, aber die CDU/CSU Stimmen kostete. Zudem agierten Schröder und die SPD, als seien sie die Opposition. So konnte die SPD ihre Verluste begrenzen. Die Große Koalition war geboren, eine Regierung zwischen SPD und CDU unter Kanzlerin Angela Merkel.

In den ersten Monaten agierte die Regierung wenig selbstbewusst, doch die Unternehmer preschten auf wirtschaftlichem Gebiet vor (angedrohte Massenentlassungen usw.). Die Gewerkschaftsspitzen verrieten bedeutende Kämpfe und vereitelten so im Herbst 2005 das Aufkommen einer politischen Bewegung gegen die Regierung. Ende des Jahres holte diese zum Schlag aus mit der Ankündigung satter Steuererhöhungen. Diese Offensive verschärft sich: Arbeitslose, Gesundheits- und Bildungssektor (Universitäten) werden in die Mangel genommen, zusätzlich öffentliche Unternehmen verkauft; gleichzeitig steigt der Drang zu Militärinterventionen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) rief nicht zu Streiks gegen die Agenda auf. Ihre Spitzen redeten sich damit heraus, dass politische Streiks ja von der Verfassung verboten seien. Einige Demonstrationen wurden von den Gewerkschaften organisiert, die größten zeitgleich am 3.4.04 in Köln, Berlin und Stuttgart, die 500.000 auf die Beine brachten. Während des Sommers 2004 fanden in Berlin, Leipzig und anderen großen Städten, v.a. im Osten jede Woche die Montagsdemonstrationen mit Tausenden Teilnehmern statt.

Diese Bewegung förderte den organisatorischen Bruch mit der SPD und die Gründung der Wahlalternative (WASG) durch langjährige Regionalfunktionäre der SPD und GewerkschaftsaktivistInnen. Die WASG wuchs schnell auf 11.000 Mitglieder. Sie steht fest auf reformistischer Grundlage, richtet sich jedoch gegen die Agenda 2010. Bei ihrer ersten Wahlkandidatur in Nordrhein-Westfalen gewann sie 2,2%. Bei den Wahlen zum Europaparlament 2004 sackte die SPD auf den Nachkriegstiefstand von 21%, 2005 verlor sie bei den Landtagswahlen ihre Hochburg Nordrhein-Westfalen. Am 10.6.2005 bildeten WASG und PDS ein Wahlbündnis für die Bundestagswahlen im September 2005 und gewannen dort 54 Sitze bei 8,7% Stimmanteil. Die Widersprüche zwischen WASG und PDS bleiben bestehen und kreisen um die Regierungskoalitionen der PDS mit der SPD in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo neoliberale Politik gemacht wird.

Griechenland steht gleichfalls in der ersten Reihe der Arbeitermilitanz in der EU 2005 und 2006. 2005 gab es zwei eintägige Generalstreiks. Am 15.3. legten der Öffentliche Dienst und viele Privatbetriebe die Arbeit nieder. Der Seeleutestreik vom 16.-23.2. war eine ernsthafte Streikaktion. Leider endete er durch den Verrat der gesamten linken wie rechten Bürokratie und der Parteien (PASOK, Synaspismos, KKE) (16) in einer Niederlage, weil sie sich weigerten, einen Generalstreik zu organisieren, als die Regierung die Streikenden an die Arbeit zurück rief.

Aber größere Kämpfe stehen bevor. Premierminister Karamanlis von der Neuen Demokratie-Partei will Eisenbahn, Post, Stromversorgung privatisieren und staatliche Gelder in private Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen fließen lassen. Er will die Macht des Öffentlichen Dienstes durch Beendigung der Arbeitsplatzsicherheit zerschlagen. Eintägige Generalstreiks sind angesichts dieser Angriffe unzureichend. Nur ein unbefristeter Generalstreik, ausgehend von den ArbeiterInnen des Öffentlichen Dienstes und der Jugend unter Einbezug des privaten Sektors, kann Karamanlis stürzen oder ihn zwingen, sein Programm fallen zu lassen. Eine vorrevolutionäre Krise wie in Frankreich oder Italien ist in den nächsten beiden Jahren möglich.

In Britannien haben eine Rekordkonjunktur und gewaltige Profite für die Ölmagnaten und Banken zu keiner nennenswerten Verbesserung für das Gros der Lohnabhängigen geführt. Der Lebensstandard ärmerer Arbeiterschichten sank sogar. Beträchtliche Teile der Arbeiteraristokratie und der Mittelschichten haben aber Nutzen aus Labours neoliberaler Politik gezogen; die Statistiken weisen größere Einkommensunterschiede aus als je zuvor. Einschnitte bei sozialem Wohnungswesen, öffentlichen Gemeindediensten, Gesundheitssektor und Ausbildung haben Durchschnittsverdiener und Arme am härtesten getroffen. Deregulierte Arbeitsmärkte, Ersatz von gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätzen durch prekäre, unorganisierte und niedrig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse hatten vergleichbare Auswirkungen. Arbeitende Frauen leiden unter verhältnismäßig schlechterer Bezahlung als 1997.

Vor dem Irakkrieg veranstaltete die Antikriegsbewegung die größte Demonstration in der britischen Geschichte. Doch sie scheiterte dabei, den Krieg zu verhindern, weil ihre Führung – die Generalsekretäre der Gewerkschaften und Labour-Parlamentsabgeordneten wie auch die Stalinisten und Zentristen, die sich weigerten, Forderungen an diese zu stellen – nicht zu Streikaktionen und Blockaden aufrief. So flutete die antikapitalistische Bewegung zurück. Der Staat nutzte seinen Vorteil aus, brach den „Krieg gegen den Terror“ vom Zaum, schoss zwei ImmigrantInnen nieder, setzte mittels Hausarresten, Verhaftungen ohne Urteil und Beschränkungen von Protest und freier Rede demokratische Rechte außer Kraft. Der Staat versucht, die antikapitalistische Stimmung zu entmutigen, schürt Hetzkampagnen gegen asiatische Jugendliche und versucht, innerhalb asiatischer und muslimischer Gemeinden zu polarisieren. Die Jugend wird mit Knebelgesetzen verfolgt, eine Hexenjagd gegen radikale Moslems ist in vollem Gang.

In vielen Gewerkschaften haben Mitglieder für neue Anführer gestimmt, die sich von der Labour-Regierung distanziert und militante Gegenwehr versprochen haben. Trotz einer Delle im Wahljahr 2005 hat die Streikaktivität seit 2000 ständig zugenommen. Im März 2006 legten über eine Million die Arbeit in Verteidigung der Renten im Öffentlichen Dienst nieder. Doch der Streik wurde anschließend mit verblüffender Leichtigkeit von der Gewerkschaftsbürokratie ausverkauft; das spricht Bände über das erbärmliche Niveau der Organisiertheit an der Basis.

Die Vorstände der größeren Gewerkschaften bleiben sklavisch an Labour gekettet. Sie haben trotz zunehmenden Unmuts über Labour und populärer Antikriegs- und antineoliberaler Stimmungen im Sinne der Ruhigstellung des Klassenkampfs gehandelt. Eine breite Arbeitervorhut – nach Hunderttausenden zählend – hat mit Labour gebrochen; das zeigen Labours dramatische Stimmenverluste und anschwellende Opposition in den Gewerkschaften, in Labours Parteikasse zu zahlen. Zwei der kämpferischsten Gewerkschaften (FBU und RMT) haben Labour verlassen. Letztere begann eine Debatte über die politische Vertretung der Arbeiterklasse. Die Aufgabe besteht jetzt darin, dieser Avantgarde beizustehen, eine neue Arbeiterpartei aus der Taufe zu heben.

Wie lautet das Fazit? Trotz des Nein in Frankreich, trotz Chiracs und de Villepins Niederlage beim Entwurf für ein Ersteinstellungsgesetz (CPE), trotz der Ungewissheit des Schicksals der großen Koalition in Deutschland und der „linken“ Prodi-Koalition in Italien bleibt die europäische Bourgeoisie gezwungen, die Lissabonner Agenda durchzusetzen Die Konkurrenz aus USA und Fernost bedeutet, dass die europäischen Konzerne ihre Attacken auf das Lohnniveau und die Arbeitsbedin-gungen weiterführen und sie sogar verschärfen müssen. 2006 und 2007 stehen weitere Großoffensiven auf Kernschichten der Arbeiterklasse und die organisierte Arbeiterbewegung an. Gleichzeitig wird die europaweite Offensive v.a. Bildungs- und Gesundheitswesen sowie öffentliche Daseinsfürsorge betreffen. Die Abwehrkämpfe werden voran schreiten und damit auch die Spannungen zwischen Gewerkschaften und sozialistischen, sozialdemokratischen und Labour-Parteien, wo diese sich an der Regierung befinden.

Die Europäische Linke (EL) in Kontinentaleuropa schart um sich Kritiker der Mehrheitssozialdemokratie wie die KP Frankreichs (KPF), Rifondazione Comunista (RC), die deutsche L.PDS und die griechische Synaspismos. Sie sind innerhalb des ESF aktiv und spielen sich als antineoliberale Systemgegner auf. Doch ihnen geht es nur darum, Posten zu erobern oder sich an ihre Ämter zu klammern. Das gelingt aber gemäß Wahlarithmetik nur in Koalitionen mit großen rechtsreformistischen Parteien wie der DS in Italien, der SPD in Deutschland oder der französischen Sozialistischen Partei (PS). Diese wird als Preis die Unterstützung für ein völlig „sozialliberales“ Programm verlangen, eines neoliberalen in Taten und sozialreformerischen in Worten. Die linksreformistischen Kräfte in Europa werden so in den kommenden Jahren vor einer ähnlichen Krise stehen wie das ESF, das sie dominieren.

Zunehmende Spannungen in den USA

Die neokonservative Präsidentschaft Bush-Cheney wird ihren „Anti-Terror-Krieg“ bis zum Ende ihrer Amtszeit verfolgen. Aber das passiert gegen eine ansteigende Welle des Widerstands: sowohl daheim wie dort, wo sie direkt Krieg führt. Das Ziel ist, wirtschaftlich wertvolle Länder einzuschüchtern und zu plündern sowie strategische Militärstützpunkte zu errichten. Parallel dazu dient die „Terrorgefahr“ als Vorwand für eine „Strategie der Spannung“ im Heimatland: Angriffe auf demokratische Freiheiten, Gewerkschaftsrechte, das Anfachen rassistischer und reaktionärer Strömungen, Pogrome usw. eingeschlossen.

Der Konflikt bei Delphi stellt den schlimmsten dieser Angriffe dar und ist schon bezüglich seiner Bedeutung für die amerikanischen Bosse mit dem Patco-Streik von 1981 verglichen worden. Jener ist jedoch nicht der einzige Streik, der jüngst in der US-Industrie stattgefunden hat; auch endeten nicht alle diese Streiks in Niederlagen.

Unter dem Druck der Unternehmeroffensive und nach einer Gärung innerhalb der Gewerkschaften spaltete sich 2005 die US-Arbeiterbewegung – ein historisches Ereignis an sich. Die zwei Gewerkschaftsverbände Change to Win (Wandel fürs Gewinnen) und AFL-CIO verkörpern einerseits eine prinzipienlose bürokratische Spaltung, die die Klasse schwächt, weil sie zum Streikbruch bei Kämpfen der jeweils anderen Seite geführt hat. Andererseits aber repräsentiert sie das Ringen von Teilen der US-Arbeiterschaft, effektivere Instrumente zu ihrer Selbstverteidigung, ja Selbsterhaltung zu finden.

Der organisierende Flügel (CTW, angeführt von Andy Stern von der SEIU) versucht, den Dienstleistungsbereich gewerkschaftlich zu organisieren und die Löhne zu heben. Er wird militante Kampagnen führen und dabei Methoden des Stadtteil-Gewerkschaftertums anwenden. Er ist dennoch in seiner Arbeitsweise bürokratisch, d.h. feindlich gegenüber der Basisorganisierung. Allerdings versucht er, die örtliche Bevölkerung und studentische Organisatoren einzubeziehen.

Verknüpft damit, aber eigenständig, ist die Selbstorganisation der eingewanderten Latino-ArbeiterInnen. Eine neue Bewegung ist erwacht, die das Potenzial hat, die US-Arbeiterbewegung zu stärken. Sie fällt zusammen mit dem Beschluss der Bush-Administration, eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich der Aufruf „Für einen 10. März ohne Latinos“. Es war ein Streik, der die Unersetzlichkeit der eingewanderten Lohnabhängigen für die US-Wirtschaft demonstrierte. Eine halbe Million (inkl. KoreanerInnen, PolInnen, IrIn-nen usw.) folgte diesem Aufruf. Auch Kleinhändler, SchülerInnen, RentnerInnen schlossen sich an.

Diese Massenbewegung brachte darüber hinaus die größte Demonstration in der Geschichte von Los Angeles auf die Beine: 1.000.000 am Samstag, dem 25. März. Am 10. April waren bundesweit zwei Millionen auf den Straßen (wochentags und darum tw. ein politischer Generalstreik). Für den 1. Mai rief man zu einem „Großen Amerikanischen Boykott 2006“ auf: kein Einkauf, keine Schule, keine Arbeit.“

Diese Bewegung ist deshalb im Kern eine proletarische, verwurzelt in Arbeitergemeinden, Klassenkampfmethoden anwendend und Klassenforderungen aufstellend. Sie verfügt über massive Unterstützung unter der Jugend. 40.000 SchülerInnen verließen in Solidarität mit ihren Eltern in Los Angeles am 27. März den Unterricht – trotz heftiger Polizeirepressalien. Gewerkschaftsführer – besonders Andy Stern und die SEIU – mischten kräftig mit. Doch die Latino-Gemeinde ist wie alle klassenübergreifend. Sie besteht auch aus anderen, teils unterdrückten Klassen: Kleinbauern (die in Solidarität mit der LA-Demo vom 26. März an die Öffentlichkeit gingen), Ladenbesitzer etc. Die Demokratische Partei und die katholische Kirche sind auch mit dabei und versuchen, die Kraft der  Bewegung auf die Mühlen bürgerlicher Politik zu lenken, d.h. in Stimmen für die DP umzumünzen.

Die Gewerkschaften der AFL-CIO wie die der Automobilarbeiter UAW sind waren in die Defensive geraten, so dass sich dort eine Basisopposition formiert hat. Der besonders arbeiterfeindliche Charakter der amerikanischen Demokratie kann an der Behandlung ermessen werden, die dem New Yorker Verkehrsstreik im Dezember 2005 zuteil wurde. Der  TWU Ortsverein 100 (U-Bahn) wurde für den Streik vom 21.-23. Dezember 2005 mit 2,5 Mio. Dollar bestraft. Deren Vorsitzender Roger Toussaint mit 1000 Dollar, zusätzlich wurden gegen ihn 10 Tage Gefängnisstrafe wegen Rädelsführerschaft verhängt (beachte: alle Streiks im Öffentlichen Dienst New Yorks sind illegal). Es besteht eine echte Möglichkeit, dass es weitere Spaltungen und Brüche in der AFL-CIO gibt und diese sogar der CTW und den Latino-Teilen der Arbeiterbewegung einen neuen demokratischen und kämpferischen Impuls verleihen.

Um zu vermeiden, dass die Arbeiterbewegung auf den Holzweg geführt wird, die großbürgerlichen Demokraten zu unterstützen, müssen aktive ArbeiterInnen und sozialistische Organisationen eine Kampagne für die Bildung einer Arbeiterpartei führen – nicht als reformistische, sondern als Massenarbeiterpartei, die in den Gewerkschaften und Arbeitervierteln, bei den rassistisch Unterdrückten und Einwanderern verankert ist und ihr Programm demokratisch debattiert. Dabei sollten RevolutionärInnen versuchen, sie für ein revolutionäres Übergangsprogramm und eine neue Internationale zu gewinnen. Jeder größere Schritt in Richtung Klassenunabhängigkeit und Internationalismus seitens der Lohnabhängigen wird die Weltherrscher erzittern lassen!

Nah- und Mittelost in Flammen

Die Situation in Mittelost ist gekennzeichnet durch die Besatzung des Irak und Fortführung der von USA und Britannien befehligten Invasion und die Versuche der Zionisten, den letzten Widerstand gegen ihr Projekt Großisrael aus dem Weg zu räumen. Diese Situation wird in zunehmende, v.a. antiimperialistische Kämpfe münden. Um die Kontrolle dieser Widerstandsbewegungen gegen Unterdrückung und Imperialismus konkurrieren verschiedene Klassenkräfte. Dabei muss das Proletariat zum Führer dieser Bewegung werden.

Der prägende Widerspruch in der Region ist der zwischen der zunehmenden antiimperialistischen Radikalisierung der Massen und dem Verlangen der diktatorischen arabischen Regime, den US-Imperialismus zu besänftigen, eine Annäherung oder einen Kompromiss zu erreichen. Die Staatsführer werden vor die fatale Wahl gestellt, die USA zu unterstützen oder in der „Achse des Bösen“ und auf der Fahndungsliste des Pentagon zu landen. Selbst Iran und Syrien, prominente „Schurkenstaaten,“ haben ihre Bereitschaft zum Verhandeln und zum Manövrieren zwischen EU und USA bewiesen, zugleich pflegen sie ihre antiimperialistische Rhetorik.

Kurzfristig ist es wahrscheinlicher, dass die USA ihre Okkupationskräfte in Irak und Afghanistan verstärken werden, als den Iran anzugreifen. Ein Angriff ist aber nicht ausgeschlossen und ein Rückzug wäre höchstens vorübergehend, weil es unter den aktuellen Umständen der US-Herrscherklasse unmöglich ist, Vereinbarungen mit ausdrücklich islamistischen und rhetorisch antiwestlichen Regimes zu treffen.

Im Irak flaut die Gegenwehr gegen die Besatzung nicht ab. Der April 2006 war einer der blutigsten Monate für die Besatzer. Das gilt auch für die Briten in Basra, die eine kämpferische Massendemonstration, welche in Ausschreitungen gegen die Besatzung überging, niederwerfen mussten. Die USA betrachten die Wahl der Regierung als Schritt auf dem Weg zur „Stabilisierung“ des Konflikts. Die Unfähigkeit der Verbündeten, die Widerstandsbewegung vollständig auszurotten, bedeutet aber, dass diesem politischen Übergang Instabilität und Probleme auf dem Fuß folgen. Die Widerstandsbewegung selbst ist jedoch damit gescheitert, die Besatzungsstreitkräfte wirklich zu besiegen. Die zunehmend sektiererischeren Überfälle seitens einer Minderheit der Bewegung und die Anfänge einer tiefen und materiell bedingten Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten könnten mittelfristig zum offenen Bürgerkrieg.

In diesem Falle wird die US-gelenkte Koalition auf den Ölfeldern im Süden präsent bleiben und den Rest des Landes sich selbst überlassen. Das würde dazu führen, sich zunehmend auf andere Golf-Öl-Staaten verlassen zu müssen, denn die Pipelines durch den Norden des Landes können unmöglich beschützt werden. Nur der Rauswurf der imperialistischen Mächte durch den Widerstand und eine Arbeiterschaft an dessen Spitze kann eine fortschrittliche Lösung einleiten.

Der militaristische Grundcharakter des Siedlerstaats Israel ist bei seinen Handlungen im Gazastreifen und im Libanon im Juni 2006 erneut offenbar geworden. Die angebliche Provokation durch Hisbollah und Hamas wurde erfunden, um die wahren Aggressoren in der Region vor Kritik abzuschirmen. Die Taten der Guerillabewegung münden stets in prompte und ausschweifende Vergeltung durch die überlegene Militärkraft der israelischen Armee. Das Ausmaß der Zerstörungen im Libanon und die anhaltende Besatzung im Gazastreifen verdeutlichen, dass der israelische Staat die echte Bedrohung für die Stabilität in der Region ist.

Die Imperialisten können ihre israelischen Verbündeten nicht zügeln (17), obwohl ihre Machenschaften eine prowestliche, antisyrische Regierung in Beirut zu stürzen drohten. Das zeigte, dass es innerisraelischen Druck in die Richtung hin gibt, seine Militärmacht wieder zu festigen, um jeglichen „Gesichtsverlust“, den es beim Abzug aus dem Gazastreifen 2005 erlitten haben mag, wettzumachen.

Die Aktionen der Israelis waren geplant. Wie Washington einen permanenten weltweiten Krieg braucht, um seine Weltherrschaft durchzusetzen, so braucht Israel permanenten Krieg, um seine regionale Dominanz zu behaupten.

Das Finale der Intifada wird gerade eingeläutet. Mangels einer kohärenten Führung wird die ehedem radikale islamistische Hamas-Bewegung zunehmend zwischen ihrer Basis unter der Stadtarmut im Gazastreifen und den Wünschen und Ansprüchen ihrer parlamentarischen Spitzenvertreter zerrieben. Die klassische Falle für kleinbürgerliche Bewegungen, die schon bei Sinn Fein und der PLO funktionierte, ist auch in Nahost aufgestellt. Hamas könnte infolge ihrer gesellschaftlichen Position wohl gezwungen sein, ihre radikaleren Forderungen (z.B. Nichtanerkennung Israels) aufzugeben und sich mit den Imperialisten zu arrangieren. Das könnte ihre Unterstützerbasis gründlich durchschütteln (18).

Der Bau der Apartheid-Mauer und das Ende des Traums von einem starken, lebensfähigen Palästinenserstaat bedeutet zunehmend Armut und Elend für die Mehrheit der auf dem Westufer lebenden PalästinenserInnen. Diese Albtraumexistenz – Israel hat palästinensischen Boden und die Infrastruktur zerstückelt – wird die völlige Unangemessenheit der „Zwei-Staaten-Lösung“ für Palästina enthüllen.

Nun steht Iran im Fadenkreuz des US-Imperialismus. Die Entfernung des Regimes, seine Ersetzung durch eine beugsame, prowestliche Regierung ist für die nachhaltige Ordnung der Region für die USA und ihre Verbündeten wichtig. Iran ist ein höchst instabiles Regime, das als Organisator für den politischen Islam fungiert. Gleichzeitig sieht es sich einer erstarkenden Regimeopposition seitens der Lohnarbeiterklasse gegenüber. Iran hat eine junge Bevölkerung, ein sehr verfestigtes reaktionäres Regime und zunehmende Sozialprobleme. Über 12 Millionen leben in Armut. Gewaltige Polizeiunterdrückung selbst der grundlegendsten Arbeiterforderungen stellt den politischen Islam als Feind der Arbeiterschaft in einem seiner Kernländer bloß.

Veranstaltungen am 1. Mai zogen viele ArbeiterInnen an, die im Kampf standen. Jüngste Massenarreste streikender Busfahrer und von GewerkschafterInnen hat internationale Kampagnen auf den Plan gerufen, die die Freilassung der meisten von ihnen erreichen konnten.

Eine Unterschriftenliste für höheren Mindestlohn kursierte ist in vielen Städten des Landes. Der Busfahrerstreik wurde so brutal von der Polizei niedergeknüppelt, dass er internationale Aufmerksamkeit erregte. Kurz: seit vielen Jahren macht die iranische Arbeiterschaft wieder auf sich aufmerksam. Doch weil der Stalinismus in den 1970er und 80ern daran scheiterte, eine alternative Klassenführung zu den Islamisten aufzubauen, wurde das Gros der Arbeitervorhut im Iran von der reaktionären Diktatur nach der Revolution zerstört.

Es besteht die Gefahr, dass die neue Arbeiterbewegung dabei versagt, nicht nur in Opposition zu Unternehmern und dem Regime zu treten, sondern auch zu den Plänen des US-Imperialismus für die Region. Das würde Ahmadinedschad mit seiner antiimperialistischen verbalen Kraftmeierei gestatten, sich als Kopf der antiimperialistischen Bewegung in Mittelost zu posieren. Statt die Politik des „Dritten Lagers“ einzuschlagen, sich aus dem antiimperialistischen Kampf herauszuhalten, muss die Arbeiterbewegung im Iran, ja in ganz Nah- und Mittelost, danach trachten, zur Speerspitze des Kampfs gegen den Imperialismus zu werden und mit dem gegen Kapital und Reaktion daheim zu verknüpfen.

Die Diktatur in Ägypten zeigt sich weiterhin in der Lage, ihre pro-imperialistische Linie mittels der Staatsgewalt durchzusetzen. Sie ist praktisch kompromittiert durch ihre Unterstützung für den Irakeinmarsch und ihre Verträge mit Israel. Das hat zu einem Wiederaufflammen der Protestbewegungen von ArbeiterInnen und BürgerrechtlerInnen gegen das Regime geführt. Die anhaltende Bedeutung der regelmäßigen Konferenzen in Kairo hat sich als Anziehungspol für antiimperialistische Kräfte international entpuppt.

Angesichts massiver Repression existiert die Demokratiebewegung „Kifaya“ weiter. Ihre Mitgliedsbasis innerhalb von Teilen der Intelligenz und der Anfang neuer Entwicklungen in der Arbeiterbewegung verweisen darauf, dass es ein Potenzial für eine Massenbewegung in Ägypten gibt, die mittelfristig die Regierung stürzen könnte. Doch gegenwärtig hat sie keinen Massencharakter und wird von Nasser-Anhängern, der Moslembruderschaft und verstreuten subjektiv sozialistischen AktivistInnen dominiert.

Lateinamerika: Ein Kontinent in Aufruhr

Es existiert eine „Einheitsfront“ aus bürgerlich-populistischen und Volksfrontregimes in Lateinamerika. Sie ist aber weit von einem vereinten radikalen Bündnis entfernt. Viele darunter – Kirchner in Argentinien, Lula in Brasilien, Tabare Vasquez in Uruguay, sogar Morales in Bolivien – verfolgen eine „sozialliberale“ Politik. Sie machen sich daran, Schulden an den IWF zurückzuzahlen unter dem Vorwand, das würde den IWF davon abhalten, ihre versprochenen (aber kaum ein-gehaltenen) Sozialprogramme zu blockieren, die auf Linderung der Armut zielen.

Der IWF vertraut Kirchner in Argentinien noch aus zwei Gründen: weil seine peronistische Ideologie eine Form konservativer bürgerlicher Volkstümelei bleibt und der IWF erhebliche Zugeständnisse machte, um Argentinien aus der vorrevolutionären Situation 2001/2002 herauszulotsen. Kirchners „Sozialreformen“ sind so teils ein Produkt des Neustarts der argentinischen Wirtschaft nach ihrem Kollaps und teils der Tatsache geschuldet, dass der IWF keine weitere Krisenherd will. Trotzdem haben auch in dieser Aufschwungphase Schichten argentinischer Lohnabhängiger gestreikt, um wieder Lohnniveaus zu erlangen, die 2000-2003 verloren gegangen waren.

In Brasilien und Uruguay stehen Lula und Tabare Vasquez an der Spitze von Administrationen, die eher klassische Volksfronten darstellen als dass sie nur populistisch sind. Sie umfassen die Mehrzahl der Arbeiterorganisationen, halten somit den Arbeiterwiderstand nieder. „Bürgerliche Minister“ bleiben voll zuständig für Finanz- und Industriepolitik. Deshalb ihre neoliberale Politik und die Mitleid erweckend geringen Ressourcen für die Bedürfnisse der Armen.

Da ist die Außenpolitik eine einfachere Sphäre, um gegen den Imperialismus anzutreten. Die OAS-Treffen im Sommer 2005 weigerten, Venezuela zu „isolieren“ oder den USA irgendeinen Vorwand zur Intervention zu geben, „wenn die Demokratie bedroht würde,“ Die Freihandelsära beider Amerikas sollte angeblich am 1. Januar 2005 unterzeichnet werden. Aber auf dem Amerikagipfel in Mar del Plata, umringt von einer riesigen Protestmobilisierung, war es selbst für George Bush offensichtlich, dass das eine Totgeburt war.

Aber Venezuela unter Hugo Chavez agiert weiterhin als enorm radikalisierendes Element in Zentral- und Südamerika, ja darüber hinaus. Auf dem ganzen Kontinent möchten populistische Führer als Lokalausgaben von Chavez betrachtet werden und möglichst dessen Segen erhalten. Chavez‘ Radikalität ist Folge einer tief gehenden und anhaltenden revolutionären Periode in Venezuela, kein Charakterzug einer Einzelperson. Mehrmals musste er die Massen mobilisieren: bei seiner Wahl 1998 und 2000, am spektakulärsten bei der Niederschlagung des Putsches 2002 und jüngst beim Abberufungs-Volksentscheid der Rechten 2004.

Unmittelbar nach seiner Wahl folgte ein harter Konflikt mit den Eliteinstitutionen, dem Kongress und der Geschäftsführung der Ölindustrie. Das erforderte eine Verfassunggebende Versammlung und den Bruch des „Streiks“ seitens der Manager- und Arbeiteraristokratie„gewerkschaften“ und die Gründung neuer. Die Allianz mit Castro ist für beide vorteilhaft: Ärzte und Militärberater aus Kuba, Öl aus Venezuela – ein offener Bruch des US-Embargos gegen Kuba. Die Wut der USA über das Bündnis hat Chavez enormes Renommee als „Revolutionär“ trotz des sozialdemokratischen Kernes seines bolivarianischen Programms verschafft. Die augenscheinlichen sozialen Errungenschaften wurden v.a. durch die Öleinkünfte des Landes möglich – und weil das Proletariat und die Bauernschaft Druck auf ihn ausüben.

Chavez genießt immense Autorität als bonapartistischer Caudillo. Die „Bolivarianischen Missionen“ stellen auch eine Massenmobilisierung dar, doch unter Kontrolle radikaler Chavistas. Sie ersetzen folglich die „amtlichen“ Abteilungen der Staatsmaschine bei der Umsetzung bedeutender Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Alphabetisierung,, den Eingeborenenrech-ten, der Landreform und Dorfentwicklung. Unter diesem Druck bewegt sich Chavez sich nach links – von Sozialismus schwätzend – und trotzt verächtlich den aggressiven Tönen des US-Imperialismus.

Anfang 2005 gab es eine Reihe von Landbesetzungen in Venezuela, die bemerkenswerteste darunter auf den 130 km2 großen Latifundien, die der britischen Vestey Gruppe gehörten. Chavez verkündete ein Dekret zur Beschleunigung der Landreform. Es gab auch eine Reihe Fabrikbesetzungen sowie Anerkennungen von Arbeiterselbstverwaltung seitens der Regierung. Die Chavista-Gewerkschaften sind schnell gewachsen und zu wirklichen Verbänden geworden, nicht einfach zu Marionetten von Chavez. 2005 rekrutierte er die 1,5 Millionen starke „Militärreservemission“.

Auf dem Weltsozialforum (WSF) 2005 und dem WSF 2006 in Caracas bewarb sich Chavez um die ideologische Führerschaft der weltweiten antikapitalistischen Bewegung. Er erklärte, sie müsse eine „Strategie für die Macht entwickeln“ und es sei „notwendig, den Kapitalismus zu überschreiten“. Sicher, sein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ und „Internationalismus“ besitzen einen reformistischen/populistischen Grundzug, wirken aber als Sammelpunkt für Kräfte, die vom sozial-liberalen Lula und von der brasilianischen PT enttäuscht sind. Sein Europabesuch könnte diesen Einfluss ausweiten.

Die Beanspruchung der USA durch Afghanistan/Irak/Iran und den „Krieg gegen den Terror“ macht jede ernsthafte Intervention gegen Chavez in der nächsten Periode unwahrscheinlich. Solange das Konjunkturhoch anhält und die Ölpreise hoch bleiben, gerät Chavez wahrscheinlich auch nicht in eine innenpolitische Krise, die vom Bürgertum ausgelöst wird. Doch ein Weltwirtschaftseinbruch könnte das ändern.

Wir wurden Zeugen der am schärfsten zum Ausdruck gekommenen revolutionären Situation Mitte 2005 in Bolivien. Boliviens Präsident Carlos Mesa wurde am 6. Juni nach einem Monat von Generalstreiks, Massendemonstrationen und Straßenblockaden zur Abdankung gezwungen. Die Bewegung entsprang in El Alto und wurde von Volksversammlungen organisiert, die sich in einer räteähnlichen Körperschaft aus Delegierten der ArbeiterInnen und Armen konzentrierten: der Föderation von Nachbarschaftskomitees (Fejuve). Sie verlangte die vollständige Verstaatlichung der Gas- und Ölvorkommen des Landes, die Ende der 1990er privatisiert worden waren. Im Mai rief die Fejuve, unterstützt vom bolivianischen Gewerkschaftsdachverband COB, einen unbefristeten Generalstreik für diese Forderung aus.

Anfang Juni waren La Paz und die meisten anderen Großstädte von Streik und Straßensperren gelähmt und der Präsident reichte seinen Rücktritt ein. Der Kongress ernannte Eduardo Rodriguez als Nachfolger, der die Situation entspannen sollte. Die Großgrundbesitzer und Spitzengeschäftsleute aus der reichen Provinz Santa Cruz erwogen, ihre Region, in der fast alle Öl- und Gaslvorkommen liegen, als unabhängig zu erklären und einen Kuhhandel mit den imperialistischen Ölgesellschaften abzuschließen, wichen aber dann davor zurück.

Der Präsident und Lückenbüßer, dessen Aufgabe es war, neue Präsidialwahlen zu arrangieren, hat seine Arbeit erledigt. Bei allem revolutionären Gerede konnten die Führungen der Gewerkschaften, der Fejuve und der mannigfaltigen Volksversammlungen keine Alternative anbieten, weil sie über kein Programm und kein politisches Instrument, d.h. eine Partei, zur Machtergreifung verfügten. Evo Morales war so bei aller Kritik an ihm, seinem Reformismus, seinem Verrat des Kampfes von 2003, seiner Doppelzüngigkeit bezüglich der Nationalisierung, der einzige „populäre“ Kandidat. So wurde er Präsident. Obwohl die Hauptorganisationen, die den Generalstreik leiteten, der COB und die Fejuve, ihm misstrauten, schafften sie nicht, eine Arbeiterpartei oder ein Bündnis zwischen Lohnarbeitern, Armen, Bauern und Eingeborenenkommunen zu schmieden, die allein den revolutionären Kampf fortführen können.

Morales scheint dem Imperialismus, der ihn beharrlich hofiert, Zugeständnisse zu machen, ebenso den Grundeigentümern in Cruzeno, denen er eine Volksabstimmung über Autonomie versprochen hat, bevor sich die Konstituierende Versammlung trifft – ein verräterischer Betrug an den Forderungen der Massen. Ein heikler Punkt ist die Einberufung einer souveränen Konstituante, die wirklich über das Eigentum an Öl, Gas und anderen Naturschätzen entscheiden kann, aber auch über das an Grund und Boden sowie Fabriken. Um souverän, d.h. unter Kontrolle der Massen, nicht des Obersten Gerichts, der Armee oder „autonomer“ bürgerlich kontrollierter Regionen zu stehen, muss die Massenorganisation, die den Generalstreik ins Leben rief, die Kontrolle der Wahlen zur Konstituante in die Hand nehmen. Doch wenn die revolutionäre Periode in Bolivien anhält, wird sich Morales bald Massenaktivitäten der ArbeiterInnen, Bauern und der Stadtarmut gegenüber sehen.

Mehrere Populisten stehen vor einem Wahlsiegs: am bemerkenswertesten Ollanto Humala in Peru und Lopez Obrador (19) in Mexiko, beide wahrscheinlich Morales oder sogar Lula näher stehend als Chavez. Die lateinamerikanische Linke ist alles andere als eine vernachlässigbare Kraft. „Trotzkistische“ Gruppen haben wichtige Rollen in der Arbeitervorhut in einer Reihe bedeutender Länder gespielt (Argentinien, Bolivien und Mexiko). In Brasilien und Venezuela haben die Ereig-nisse zu einem Anwachsen zentristischer Parteien geführt, die Militante aus verschiedenen „trotzkistischen“ Strömungen sammeln. Sektiererische Verdammung von und Heraushalten aus volks-tümlichen Auseinandersetzungen mit dem US-Imperialismus und seinen Handlangern in den nationalen Establishments ist genauso verhängnisvoll wie die Anpassung an Chavez und Co. Aber die Notwendigkeit, die Strategie für die permanente Revolution konsequent zu vertreten und Über-gangsforderungen anzuwenden, erfordert den Aufbau unabhängiger Klassenparteien auf einem revolutionären Programm.

Asien: ansteigende Welle von Klassenkämpfen

Die unerwartete Wahl der von der Kongress-Partei angeführten UPA-Koalitionsregierung von Ministerpräsident Manmohan Singh 2004 änderte nichts daran, dass die Bourgeoisie und ihre Regierung ein Programm neoliberaler Reformen umsetzen. Indiens beschleunigte Wirtschaftsentwicklung mit hohen Jahreswachstumsraten und florierenden Exporten hat das Handelsbilanzdefizit des Landes massiv verbessert, obwohl es Nettoimporteur bleibt. Die Auslandsdirektinvestitionen sind angestiegen, aber die „Liberalisierung“ muss vom Bürgertum noch weiter voran gebracht werden wegen des noch bestehenden hohen Niveaus an Arbeitsschutz, Staatseigentum und staatlicher Kontrolle der Arbeitsmärkte, Einschränkungen durch Planung, Zölle und hohe Besteuerung.

Die neue Regierung versicherte den Investoren sofort, dass sie das neoliberale Reformprogramm energisch durchziehen würde. Die KP Indiens (M) hat keinen systematischen Widerstand gegen Privatisierungen und andere neoliberale Maßnahmen geleistet – und hat das auch nie versucht. Wo sie in einer Provinzregierung herrscht – in Westbengalen und Kerala – hat sie tatsächlich die Angriffe selbst durchgeführt. Singh will eine noch größere neoliberale „Gegenreform“ und bietet den Gemeinden 11 Mrd. Dollar für „Investitionen“ an – als Ausgleich für ein Paket struktureller Anpassungsprogrammen.

Dieses beinhaltet den Wegfall der Mietobergrenzen, Privatisierung und Verteuerung öffentlicher Servicedienste (Wasser), Abschaffung der Einschränkungen für Großgrundbesitz, Senkung der Unternehmenssteuern usw. In einem Land mit entsetzlicher Armut, mit amtlich 10% Arbeitslosen und Hunderten Millionen, die in absolutem Elend in den wachsenden Slums der Großstädte leben, werden Singhs Deformen die Leiden der Massen noch verschlimmern und Abwehrkämpfe provozieren.

Die USA haben natürlich Ambitionen zur Bildung eines starken Bündnisses mit Südasiens wirtschaftlich und militärisch dynamischster Regionalmacht. Die USA betrachten Indien als ihren potenziell effektivsten und verlässlichsten Gendarm in der Region. Mit seiner gewaltigen Armee und 19 Mrd. £ Militärbudget erlangt Indien für die USA immer größere Bedeutung. Washington sieht es als wirtschaftliches und militärisches Gegengewicht zu China und als Aufpasser gegen die potenziell destabilisierende Radikalisierung in Pakistan, Nepal und Sri Lanka.

Aber in Indien sind auch die gegen die neoliberale Globalisierung gerichteten Kräfte riesig. Außer in den äußersten nordöstlichen Berggegenden provozierte Bushs Staatsbesuch gewaltige Demonstrationen in jedem Staat. Von Kaschmir bis Tamil Nadu protestierten die Arbeiterbewegung, Bauernorganisationen und Muslime unter Parolen wie „Teufel Bush, geh nach Hause“. Attacken gegen die Eisenbahnarbeiter und die ständigen Bestrebungen der Regierung, ihrem Privatisierungsprogramm neues Leben einzuhauchen, lösten im September 2005 einen Generalstreik (hartal) aus. Die Bauern beteiligen sich permanent an Kämpfen um Land gegen die Zamindari-Landbesitzer (z.B. Aufstände in Bihar, s.u.) wie auch gegen globale Agrarkonzerne wie Monsanto (Kampagne „Ä-schert Monsanto ein!“).

Die Führungskrise des indischen Proletariats ist zugespitzt. Die KPI (M) – die größte indische Arbeiterpartei – gewann 2004 über 22 Millionen Stimmen, obwohl sie nur für 69 der 543 Sitze antrat. Ihre 43 Unterhausabgeordneten (Lok Sabha) unterstützen die UPA-Regierung, obwohl die KPI (M) formell nicht an der Koalition teilnimmt.

Die Maoisten profitieren vom Zorn der Bauern und den Auswirkungen des Bauernkrieges in Nepal. 2004 fusionierte die Gruppe Volkskrieg mit dem „Marxistischen Koordinationszentrum“ zu einer neuen Partei: der KPI (Maoisten). Sie blockierten Wahlen, waren aber unfähig, eine nennenswerte proletarische Gefolgschaft zu organisieren. Die Maoisten führten Guerillaüberfälle gegen die Privatarmee der Grundbesitzer, das Heer und die Polizei durch. Sie wollen eine an der Grenze zu Nepal gelegene Zone für Militäroperationen, besonders in Bihar, und in Andhra Pradesh einrichten.

Das Risiko kommunalistischer Gewalt bleibt hoch. Obwohl die Kaschmir-Krise nachgelassen hat, bleiben die Spannungen. Die provokative Unterstützung der hindu-chauvinistischen Hauptoppositionspartei BJP für den Bush-Besuch, Bombenexplosionen an heiligen Hindu-Plätzen in Varanasi in Uttar Pradesh und die Kontrolle des Hindu-Kommunalisten Shiv Sena über Mumbais Stadtregierung sind extrem gefährliche Entwicklungen.

Wenn MarxistInnen sich dieser Führungskrise zuwenden, müssen sie hauptsächlich die KPI (M) entlarven. Angesichts ihrer enormen Stimmenanzahl, ihrer Präsenz selbst in verstreuten kleinsten Dörfern, ihrer Massenmitgliedschaft von über 800.000, ihrer Kontrolle über die Hauptgewerkschaftsföderation CITU und ihrer Frauen- und Jugendmassenorganisationen bleibt diese bürgerliche Arbeiterpartei sowohl die Hauptpartei der indischen ArbeiterInnen wie das Haupthindernis für die Herausbildung einer revolutionären Partei. Die Existenz kleinerer, aber immer noch vergleichsweise großer „alternativer kommunistischer“ Parteien wie der RSP und ihrer Jugendbewegung RYF verkompliziert die Aufgabe. Jede Wiederbelebung des Leninismus-Trotzkismus in Indien müsste Politik und Programme solcher Parteien einer rigorosen Kritik unterziehen.

In Pakistan verliert die Diktatur des Generals Pervez Musharraf sechs Jahre nach dem Militärputsch schnell an Rückhalt in der Bevölkerung. Seit dem Putsch versuchte er, sich Unterstützung auf Grundlage seines Images als „starker Mann“ gegen Korruption zu sichern. Aber dann kam der „Krieg gegen den Terror“ und die Besatzung Afghanistans.

Da die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Muslime sind und angesichts der Nähe zu Afghanistan, hat Musharrafs sklavische Unterstützung für Bush und die US-Bombenangriffe auf die pakistanische Seite der afghanischen Grenze weit verbreiteten Hass auf die USA und das Musharraf-Regime provoziert.

Was ist die entscheidende Herausforderung für die pakistanische Arbeiterbewegung? Sie besteht darin, die antiimperialistische Massenstimmung und ihre Forderungen mit dem revolutionären Programm der Befreiung der arbeitenden Klasse zu verbinden – gegen das reaktionäre Programm des Islamismus.

Die Herangehensweise der Arbeiterpartei Pakistans (LPP) ist dabei nutzlos. Ihre Neutralität in der Schlacht zwischen national-islamischen Kräften und den imperialistischen Besatzern (wie im Afghanistankrieg vertreten) stärkt nur die Hegemonie der Islamisten über die antiimperialistische Jugend. Der erbärmliche Block der LPP mit der Nationalpartei und anderen nichtproletarischen Kräften in ihrer neuen AJT – der „Demokratischen Volksbewegung“ – ist ein nichts als furchtbarer pseudopopulistischer Wahlkretinismus, der den Kampf für Unabhängigkeit der Arbeiterklasse in Pakistan zurückwirft.

Der Weg vorwärts für die revolutionären ArbeiterInnen liegt darin, antiimperialistische mit wirtschaftlichen, innenpolitischen und Umweltkämpfen zu verknüpfen, um gegen die reaktionären Islamisten um die Führerschaft des antiimperialistischen Volkes zu kämpfen. Trotz des niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Pakistan existieren wichtige Ausgangspunkte für revolutionäre Agitation und Propaganda im wachsenden Proletariat. 2005 kämpften 65.000 Postbedienstete gegen die Privatisierung. Demonstrationen mit Hunderttausenden von Dezember 2005 bis Januar 2006 zwangen Musharraf, seine Pläne zum Bau eines gigantischen Staudamms am Indus aufzugeben. Im Februar setzten sich 15.000 LehrerInnen in Lahore mit der Polizei auseinander und forderten unbefristete Einstellung sowie höhere Bezahlung. 2006 wurde die gesamtpakistanische Bewegung „Stoppt den Krieg!“ gegründet. Eine islamistische Rebellion ist die wahrscheinlichste nächste Entwicklung in den vor uns liegenden Monaten und Jahren. Wenn die ArbeiterInnen beim Aufbau einer alternativen revolutionär-sozialistischen Führung der Volksmassen Erfolg haben wollen, wird eine revolutionäre marxistische Kaderorganisation dringend gebraucht.

Die Revolution in Nepal ist für die Bauern- und Arbeitermassenbewegungen in der Region weiterhin Ansporn. Schon vor der revolutionären Krise von 2006 hatten die nepalesischen Maoisten die indischen ermutigt, sich zu vereinigen und einen neuerlichen Krieg auf dem Lande zu starten. Aber der Aufstand in Kathmandu vom April 2006 liefert eine dramatische Bekräftigung der Tatsache, dass selbst in Ländern mit zahlenmäßig kleinem Proletariat, die städtischen Massen während der Revolution in den Vordergrund treten, während das feige Bürgertum den Kampf gegen den Absolutismus verrät.

Die nepalesischen Ereignisse können deshalb ein gutes Beispiel für eine gemeinverständliche Darstellung fundamentaler strategischer und taktischer Lektionen des Trotzkismus-Leninismus unter der Vorhut der südasiatischen Arbeiterklasse sein. Die Radikalisierung der Jugend, die Existenz zahlreicher kleiner „kommunistischer“ Gruppen und Strömungen, die Ablehnung von Tradition und Hinduvergötterung des Souveräns seitens der neuen Generation sind mächtige revolutionäre Entwicklungen. Die Annahme leninistisch-trotzkistischer Perspektiven und Programme durch nur eine dieser kleinen Gruppen könnte massiven Eindruck in der Massenbewegung erzeugen.

In China verschärfen sich die sozialen Widersprüche weiter. Der bedeutendste ist der zwischen politischem Überbau und ökonomischer Basis. Die stalinistische Parteidiktatur, die mehr denn je ihrem politischen Zwilling, der faschistischen Diktatur, gleicht, wird für die entscheidenden Klassen im chinesischen Kapitalismus immer lästiger.

Obwohl einzigartig in Ausmaß wie sozialem Inhalt, weil es soziale, politische und ökonomische Überbleibsel des degenerierten Arbeiterstaats mit den verstärkenden und umwälzenden Auswirkungen der einheimischen Kapitalakkumulation, dem Import imperialistischen Kapitals kombiniert, weist auch China – wie die klassischen Fälle des 20. Jahrhunderts – das explosive Potenzial der kombinierten und ungleichmäßigen Entwicklung auf.

20 Jahre nach der Auflösung der Volkskommunen ist der anfängliche Schub für die ländlichen Einkommen, bedingt durch die Rückkehr zur Familienlandwirtschaft, längst verpufft. Von Unzufriedenheit, die sich oft in bewaffneten Zusammenstößen mit Polizei und paramilitärischen Einheiten entlädt, wird praktisch aus allen Gegenden berichtet. Allein 2005 wurden über 80.000 Fälle von Volksaufruhr in Stadt und Land registriert.

Bauernvertreibungen und die Zerstörung ländlicher Gemeinschaften waren dabei genauso wichtige Anlässe, wie Misshandlungen von ArbeiterInnen, Nichtzahlung von Löhnen an Arbeitsimmigranten oder Angriffe auf Rentenansprüche. Die Weiterentwicklung kapitalistischer Agrikultur durch Konzentration von Pachthöfen und Mechanisierung wird nicht nur durch das Staatseigentum an Grund und Boden, sondern auch durch Traditionen von Landumverteilung und die 30jährige Erbpacht von Familienland blockiert. Obwohl noch die Bevölkerungsmehrheit, wird die Bauernschaft unfähig sein, als unabhängige politische Kraft zu handeln. Sie kann nicht ewig eine soziale Stütze der Parteidiktatur sein und wird sich entweder mit dem Bürgertum oder dem Proletariat verbünden müssen.

Die Restauration des Kapitalismus hat eine neue Bourgeoisie in China geschaffen, aber diese hat sich noch nicht auf die Höhe einer Klasse für sich erhoben. Ihr Reifeprozess als Klasse wird durch ihre eigene Zersplitterung in Einheimische, wie unter die „Auslandschinesen“ Taiwans, Hongkongs, Südostasiens und weiter weg in den USA und Europa behindert. Sie alle sind aber momentan auf die Parteidiktatur angewiesen, damit die gesellschaftliche Ordnung gewahrt bleibt. Parallel dazu wächst ihr Verdruss über bürokratische Privilegien und die Hilfe für staatskapitalistische Trusts. Wie die Entwicklung jeder halbkolonialen Bourgeoisie ist auch ihre beschränkt durch die Durchdringung mit imperialistischem Kapital, das sehr wohl in der Lage ist, mit ihr um Arbeitskräfte zu konkurrieren und Anteile am Binnenmärkte zu besetzen. Obwohl sich Teile des chinesischen Bürgertums, besonders ihre Ideologen, mit der Sache demokratischer Reform identifizieren und für sie einsetzen, wird ihre begründete Furcht vor gesellschaftlicher „Unordnung“ immer dafür sorgen, dass sie unzuverlässige Verbündete der geknechteten Mehrheitsklassen sind.

Bezüglich ihrer Zahl und ihres objektiven sozialen Gewichts für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ist das chinesische Proletariat durch die kapitalistische Entwicklung gestärkt worden. Doch die Dynamik des Wandels hat zu beträchtlicher Ungleichheit innerhalb der Klasse geführt. Die Aufhebung des Plans und der Monopolstellung der Staatsindustrie führte zu enormen Entlassungswellen und Pauperisierung etablierter Schichten der Arbeiterklasse, besonders in der Schwer-industrie. Gleichzeitig hat die Entstehung der Kleinindustrie in ländlichen Gebieten und der Großproduktion in den Küstenprovinzen gänzlich neue Sektoren der Klasse geschaffen, die nach Zig-millionen zählen. Diese städtische Arbeiterklasse, die jetzt etwa 350 Millionen zählt, vergrößert sich kontinuierlich durch die Ankunft neuer Wanderarbeiter vom Land, wo etwa 200 Millionen ein riesiges Reservoir billiger Arbeitskraft stellen.

Nichtsdestoweniger drängen die Lebensbedingungen die ArbeiterInnen in Richtung gemeinschaftlicher Lösungen. Ob in der hochprofitablen Ölindustrie, in den umstrukturierten Eisen- und Stahlbetrieben, den kriminell gefährlichen Kohlebergwerken oder den streng beaufsichtigten Ausbeuterbetrieben der Küstenprovinzen – die Berichte über gemeinsame und Gewerkschaftsaktionen nehmen ständig zu. Das Bestehen effizienter Formen von Koordination und Solidarität wird sowohl durch koordinierte Arbeitsniederlegungen wie in der Ölbranche als auch durch den konstanten Informationsfluss, der über Streiks und Demonstrationen im ganzen Land berichtet, bewiesen. Immer wenden sich solche Ereignisse gegen die Unterjochung durch die Diktatur der Staatspartei, die immer bemüht ist, direkte Aktionen zu unterbinden und die Anführer zu entfernen. Doch die Geschichte des Klassenkampfes zeigt, dass Repression nur die Feindseligkeit anheizt und die Lohnabhängigen zwingt, ihre Politik zu verfeinern, ihre Handlungen zu verallgemeinern und neue ArbeiterführerInnen hervorzubringen.

Die großen Spannungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft werden weiter zunehmen. Aufgrund von Jahrzehnten Repression unter einem „kommunistischen“ Regime, werden jene Kräfte, die auf eine demokratische Revolution zusteuern, mindestens so vielfältig und politisch unentwickelt sein wie wir es in Osteuropa oder Zentralasien erlebten. Es ist sicher, dass der Imperialismus, wenn er es für angemessen hält, nicht nur für reaktionäre neokonfuzianische Bewegungen wie die Untergrundvereinigungen Falun Gong und „Qigong“, sondern auch für prokapitalistische „Arbeiter“führer und -parteien Hilfe bereit stellen wird.

Wachstum des Proletariats an Breite und Ausmaß, Zunahme sozialer Ungleichheit und steigendes Widerstandsniveau lassen nur einen Schluss zu: dass die Klassenwidersprüche in China sich verschärfen. Das 21. Jahrhundert wird Schauplatz eine der umfangreichsten Schlachten der bisherigen Geschichte sein: einer dritten chinesischen Revolution; einer Revolution, die diesmal voll und be-wusst eine permanente Revolution werden kann, in der das Proletariat selbst die ganze Macht erringt.

Der Schlüssel für die Wiedergründung einer revolutionär-kommunistischen Bewegung in China wird der Kampf für eine politisch unabhängige Führung der Arbeiterklasse in einem Prozess sein, der zuerst als demokratische Revolution gegen den Einparteienstaat wie auch die Raubzüge der Restauration und des aufsteigenden Kapitalismus in Auslandsbesitz beginnen wird. Sie muss sich auf die Bildung von Kampforganen für Arbeitermacht, ein Programm für die Enteignung des Großkapitals und die Unterwerfung der Produktion in Land und Stadt unter einen Plan stützen. Eine Partei für den Kampf um dieses Programm ist von zentraler Bedeutung!

In Anbetracht der Rolle Chinas in der regionalen und Weltwirtschaft wird eine Revolution in China den tiefsten Eindruck auf Politik und Wirtschaft der ganzen Welt hinterlassen und wird auf die Notwendigkeit einer internationalen Lösung verweisen: einer globalen Planökonomie als einzigem fortschrittlichen Ausweg aus der globalen Krise.

Afrika südlich der Sahara

In dieser Dekade war Afrika südlich der Sahara von blutigen Konflikten geprägt. Es gab einen brüchigen Frieden zur Beendigung des Krieges in der Demokratischen Republik Kongo. Dort waren neuen Staaten einmarschiert, es gab Millionen Tote und Millionen Flüchtlinge. Bürgerkriege sind in Westafrika (Liberia, Sierra Leone, Guinea) sporadisch wieder aufgeflammt, aber nicht in einem so blutigen Ausmaß wie in den 1990ern.

Die BIP-Wachstumsraten haben zugenommen, aber in geringerem Maße als woanders auf der Welt: die Kluft zwischen Afrika und dem Rest ist größer geworden. Einige Volkswirtschaften wie Kenia, Südafrika und Ghana scheinen Weltmarktnischen für sich entdeckt zu haben und wachsen. Aber andere Länder können es nicht mit den Billiggütern aufnehmen, die ihre Märkte überschwemmen. Es drohen zudem auch Umweltkatastrophen und Wasserverknappung (Austrocknung des Tschadsees), die Aids-Ausbreitung dauert an.

In letzten Jahren haben Kampagnen für fairen Handel und gegen Verschuldung – ein Höhepunkt war 2005 „Macht Armut zur Geschichte!“ – weltweit Aufmerksamkeit auf den Kontinent gelenkt und eine neue Schicht AktivistInnen radikalisiert. Aber unter der Ägide des IWF, der Weltbank und der G 8 ist diese Bewegung dazu verkommen, die afrikanischen Länder zu belehren, wie „gute Regierungsführung“ auszusehen habe. Strukturelle Anpassungsprogramme wurden bei wenig geänderten Inhalten, d.h. Privatisierungen und Marktöffnungen für die Handelsströme imperialistischer Länder, umgetauft.  Selbst winzigste Hilfen wie Browns G 8-Abkommen und die Abschreibung einiger Schulden Nigerais durch die britische Regierung waren an verschärfte Auflagen gekoppelt. Jede wirkliche Verbesserung für den afrikanischen Kontinent blieb Illusion.

In den letzten Jahren gab es einige chinesische Investitionen, gewöhnlich für Rohstoffe wie Öl.  China führt jetzt ein Viertel der angolanischen Ölerzeugung ein, kaufte 2004 die Hälfte des sudanesischen Öls auf und importierte Erdöl aus Gabun und Nigeria. 2005 ist der chinesische Handel mit Afrika – im allgemeinen Öl und sonstige Rohstoffe im Tausch gegen Billigwaren und Waffen – auf 30 Mrd. $ gestiegen. Das schafft aber keine Veränderung in diesen Ökonomien. Einen Eindruck davon kann man in Simbabwe bekommen, das weiter ins Unglück schlittert, und im Kongo, wo die Belegschaft der weltgrößten Kupfermine in der Provinz Kinshasa auf wenige tausend Halbwüchsige heruntergefahren wurde, die das Erz mit Spitzhacke und Spaten schürfen und an chinesische Schmelzen verkaufen. Zehn Jahre davor beschäftigte die Mine noch 20.000 Arbeiter bei kostenloser Gesundheitsfürsorge und Schulbildung für sie und ihre Familien. Doch der zunehmende chinesische Einfluss wird in Konflikte mit den imperialistischen Mächten münden.

Doch der Kontinent hat mehr zu bieten als Krankheiten, Auslandsschulden und Tod. Er hat auch kampfstarke Arbeiterklassen wie in Südafrika und Nigeria, wo die Arbeiterbewegung die Gesellschaft mittels Sozialforen hegemonisiert, welche Generalstreiks organisierten und leiteten. Auf ihm wurden erfolgreich Unterveranstaltungen des WSF abgehalten – das zeigt, dass auch dieser Kontinent für antikapitalistische und Antiglobalisierungsideen fruchtbar ist. Es existiert dort eine Geschichte von Kampagnen und Bewegungen in Auflehnung gegen diktatorische und bestechliche Staatsführungen, die normalerweise vom Westen ausgehalten werden, wie die letzten Ereignisse in Äthiopien und Uganda zeigen. Das Problem ist, dass diese Kampagnen und Arbeiterbewegungen – wie MDC und die Gewerkschaften Simbabwes – oft von bürgerlichen Demokraten gesteuert, von liberalen oder sozialdemokratischen NGOs beeinflusst oder westlichen Regierungen genötigt werden. Zweifellos existiert ein Potenzial für ernste Gesellschaftskrisen und plötzliche Umgestaltungen, für ein Eingreifen auf Basis eines revolutionär-marxistischen Programms.

Krise der proletarischen Führung

Mit der Globalisierung und der Neuzusammensetzung des Kapitals entstand in einem Maße, wie seit Beginn der Nachkriegsperiode nicht mehr gesehen, eine neu zusammengesetzte Arbeiterklasse. Ihre wichtigsten Merkmale sind: Schaffung neuer Arbeiterschichten aus der Landbevölkerung insbesondere in China und Indien, die Proletarisierung lohnabhängiger Mittelschichten und ArbeitsmigrantInnen aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Osteuropa, die niedrig bezahlte Arbeit in den Metropolen annehmen. Im Gegensatz dazu sehen wir in den imperialistischen Metropolen und in den meisten Halbkolonien ein Schrumpfen des Industrieproletariats und allgemein der produktiven Abteilungen der Klasse sowie die Ausdehnung unproduktiver Sektoren. Gleichzeitig hat die Globalisierung Teile der Klasse geschaffen, die in den internationalen Konzernen arbeiten und über enormes Potenzial verfügen, weltweit integrierte Produktionsketten zum Stillstand zu bringen.

Wir beobachten auch einen Schwund bedeutender Schichten der „traditionellen“ Arbeiteraristokratie. Wir erleben eine größere Differenzierung innerhalb der Klasse der LohnarbeiterInnen und eine massive Aushöhlung ihrer „gesicherten Errungenschaften.“

Die Katastrophe von New Orleans, die Stärkung der Einwandererbewegung in den USA und die Unruhen in Frankreich haben dazu beigetragen, ein breites und rasch anschwellendes Bevölkerungssegment zu beleuchten – die unteren Arbeiterschichten, die verarmten Kleinbürgerschichten, die dauernd an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Ganz offensichtlich betrifft rassisch Unterdrückte dieses Schicksal am meisten. Somit können wir mehr solche „Aufstände“ erwarten, wie sie in Britannien in den frühen 2000ern und in Frankreich 2006 stattfanden.

Ebenfalls dramatisch ist die Entwicklung in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Dort werden immer größere Bevölkerungsteile aus der gesellschaftlichen Produktion als solcher vertrieben. Hier hat die Integration in das imperialistische Weltsystem zur Verwüstung ganzer Gesellschaften geführt. Ökologische Schädigungen, Verbreitung von Krankheiten wie Aids, die Bedrohung durch Epidemien, Trockenheit und Wüstenausdehnung wegen des Klimawandels, von rivalisierenden lokalen Eliten ausgefochtene Kriege um Naturreichtümer haben ganze Staaten in den Zusammenbruch getrieben. Wir erleben ihren „Rückzug“ auf überholte Strukturen, die von vorkapitalistischen Gesellschaften geerbt wurden.

Gesteigerte imperialistische Ausbeutung, direkte Militärintervention und immer mehr auf den Weltmarkt ausgerichtete Kapitalaktivität führten auch zu massiver Zunahme von Flüchtlingsströmen und Arbeitsmigration sowohl von Land zu Land wie innerhalb von Staaten. Gleichzeitig schotten sich imperialistische Metropolenländer mittels immer strenger rassistischer Einwanderungskontrollen ab. Die Bewegung unter ArbeitsmigrantInnen in den USA 2006 zeigt, dass auch dies Massenwiderstand hervorruft.

Mehr als je zuvor in der Geschichte werden Lebens- und Arbeitsbedingungen vom Weltmarkt diktiert. Diese „Kommerzialisierung von allem“ erwächst besonders aus der bestimmenden Rolle, die die Finanzmärkte in der aktuellen kapitalistischen Wirtschaft spielen, und dem Zwang, immer mehr Branchen und Länder für den Markt und seine Akkumulation zu erschließen.

Das bedeutet, dass die internationale Einheit zwischen den Arbeiterklassen und mit den verarmten Kleinbauern als Verbündeten zur Vorbedingung für wirklich konsequente Abwehrkämpfe gegen die Übergriffe von Kapital und Imperialismus geworden ist. Das ist der fruchtbare Boden, aus dem nationale und internationale Strukturen für Abwehrkämpfe und letztlich die Bildung einer neuen Arbeiterinternationale erwachsen können.

Das WSF, das ESF und andere kontinentale Foren traten als Ausdruck dieses Widerstands gegen Neoliberalismus und Krieg auf die Bühne. Doch ihre Entwicklung verläuft vor dem Hintergrund bedeutender politisch-ideologischer Tendenzen innerhalb der Arbeiterschaft und der Unterdrückten. Sie ist geprägt von weiterem Niedergang und einer Rechtsverschiebung der traditionellen reformistischen Arbeiterorganisationen, Gewerkschaften und bürgerlicher Arbeiterparteien – während sich gleichzeitig einer Periode der Umgruppierung und Neuformierung der Avantgarde der Klasse abspielt.

Die Parteien der II. Internationale, also die althergebrachten sozialdemokratischen und Labour-Parteien, vollführten in den 1990ern einen politischen und ideologischen Rechtsschwenk. Die Ideologie der „Neuen Mitte“ oder des „Dritten Wegs“ drückt das Streben einer Abteilung der Arbeiterbürokratie aus, sich auf eine neue Allianz aus Teilen der lohnabhängigen Mittelschichten, gewissen Elementen der „alten“ Arbeiteraristokratie und neu entstandenen arbeiteraristokratischen Schichten zu stützen. Diese Strategie verfolgt auch eine Fraktion der Gewerkschaftsbürokratie und ihres Apparats.

Dieses Szenario fußt auf einer Anerkennung des Wandels im Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Ihr Ziel besteht darin, die Haut schwächer gewordener und neu zusammengesetzter Arbeiteraristokratien und Mittelschichten auf Kosten der Mehrheit der Klasse und der verschärften Ausbeutung der Bevölkerung der „Dritten Welt“ zu retten.

Doch es existiert immer weniger Spielraum für die soziale und politische Integration der Arbeiterklasse oder eine darauf beruhende neue Spielart von keynesianischem Reformismus. Wenn überhaupt, gibt es einen solchen nur für eine schwindende Fraktion der Arbeiteraristokratie und der Mittelschichten. Exakt darauf ist aber die Politik der meisten sozialdemokratischen und Labour-Parteien ausgerichtet.

Besonders da, wo die Reformisten sich an der Regierung befinden oder waren, hat diese Politik zu Spaltungen, Verlusten, Gründung neuer Parteien, Rissen in den Gewerkschaften, Bildung oppositioneller Strömungen und einer Orientierung dieser Fraktionen der reformistischen Arbeiterbewegung auf die antikapitalistische oder Antiglobalisierungsbewegung geführt.

Diese Entwicklung verläuft aber ungleichmäßig und hat nicht in allen Ländern gleichen Umfang erreicht; es gibt einige bedeutsame Ausnahmen. Besonders in einigen Ländern, wo es wirtschaftlich relativ stabil war und Wachstum erfolgte, verleiht dies der Sozialdemokratie eine gewissen Spielraum, um wichtige Arbeitererrungenschaften zu konservieren. Zusammen mit starkem Einsatz für die Idee des „Sozialstaats“ erklärt es die immer noch starke, gefestigte sozialdemokratische Stellung innerhalb der Arbeiterbewegung.

In den nordischen Ländern Europas stellen Illusionen in die Sozialdemokratie sowohl in der Gesamtklasse wie unter ihren fortschrittlichsten Elementen den vorherrschenden Trend dar. In anderen Ländern hat die starke Tradition der Unterstützung für diese Parteien zu einem Aufschwung bei Wahlen geführt, als Ausweg offen bürgerliche Regierungen zu schlagen und Arbeiterstandpunkte einzubringen – selbst nach vorherigen starken Stimmenverlusten. Dies ist bei den letzten Wahlen in Spanien der Fall gewesen und wir werden es wahrscheinlich 2007 in Frankreich erneut erleben.

Diese erneute Unterstützung für die bürgerlichen Arbeiterparteien der II. Internationale in manchen Ländern ist natürlich nicht bloß wegen der politischen Tradition möglich gewesen, sondern ebenso Folge des Mangels an radikalen Alternativen. Es demonstriert, dass der Bruch mit dem Reformismus und seinen Organisationen kein automatischer Vorgang ist, sondern revolutionäres Eingreifen erfordert.

Wo sich Oppositionsströmungen als Reaktion auf die neoliberale Politik der Parteien der II. Internationale herausgebildet oder an Stärke zugenommen haben, hat die Doktrin dieses Flügels in einer Rückkehr zu einem keynesianischen Wirtschaftsprogramm bestanden. Diese Politik teilen Ge-werkschaften, Abspaltungen von den Sozialdemokraten und die ehemals stalinistischen Parteien. Ausgesuchte Mittel zur Umsetzung des grundlegend reformistischen Programms sind Beteiligungen an Regierungen mit dem „anti-neoliberalen“ Flügel des Bürgertums. In Wahrheit bedeutet das aber Beteiligung an oder Deckung für Volksfrontregierungen (Brasilien) bzw. deren Vorbereitung (Italien).

In den letzten Jahren sind die internationalen Sozialforen immer mehr von den Reformisten vereinnahmt und in politische Foren unter ihrer Kontrolle verwandelt worden. In unterschiedlichem Maß trifft dies auch auf nationale Strömungen und Bündnisse zu (die Nein-Kampagne in Frankreich gegen den EU-Verfassungsentwurf, die Antikriegsbewegung, die Bestrebungen gegen Sozialabbau). Die Gründe für diese „Übernahme“ liegen teils im größeren Engagement der reformistisch beherrschten Arbeiterbewegung in der Antiglobalisierungsbewegung und darum mehr politischen Einfluss des Reformismus. Das hat sicher einen fortschrittlichen Aspekt: dass nämlich die Bewegung nun einen stärkeren sozialen Kontakt mit der Arbeiterschaft hat. Andererseits hegt die reformistische Bürokratie in den Gewerkschaften und früheren stalinistischen Parteien auch ihre eigenen Absichten für diese Bewegungen und trägt diese bewusst in sie herein.

Die Aufgabe für RevolutionärInnen besteht im Aufbau eines machtvollen linken Flügels innerhalb dieser Bewegung, der für koordinierten, militanten Klassenkampf gegen die neoliberale Offensive eintritt, die Angriffe auf demokratische und Gewerkschaftsrechte, staatsrassistische Politik und faschistische Strömungen, nicht nur für Antikriegsprotest, sondern Aktionen aus offen bekundeter Solidarität mit allen, die die Besatzungs- bzw. Invasionstruppen bekämpfen. Dieser linke Flügel muss auch die dringende Notwendigkeit neuer revolutionärer Parteien und einer neuen Internationalen ansprechen.

Die Zentristen wie die Vierte Internationale (in Deutschland RSB, isl) und die IST (in Deutschland Linksruck) stellen die Hauptkräfte auf der Linken der Antiglobalisierungsbewegung. Aber sie folgen einer Methode, die glaubt, der “objektive Prozess“ werde die in der Antikriegsbewegung, in den Sozialforen und Bewegungen wie der „Nein-Kampagne“ in Frankreich aktive Massen radikalisieren. Sie betrachten den vorherrschenden „anti-neoliberalen“ Reformismus als notwendiges Durchgangsstadium in der Entwicklung des Klassenbewusstseins. Die Vierte Internationale geht sogar so weit, selbst diese Ideologien in ihrer eigenen Propaganda zu verbreiten. Die IST verteidigt die reformistischen Führer gegen „voreilige“ Kritik und Aufforderung zu wirksamem Handeln. Sie baut gemeinsame Parteien auf einer für die Reformisten akzeptablen Programmplattform auf.

Andere linke Strömungen wieder stehen ganz abseits von diesen neuen Bewegungen. Sie kritisieren diese ob ihrer kleinbürgerlichen Politik, führen einen Kampf in Wort und Schrift, ohne aber praktisch in die Bewegung einzugreifen.

In Wirklichkeit blockieren aktuell jene, die in Distanz von einer Konfrontation mit den Führern der Bewegung bleiben und jene, die deren existierendes Bewusstsein beschönigen, die positive Transformation der Bewegung und behindern den politischen Kampf gegen die dominanten reformistischen Tendenzen auf.

Instinktiv sind Bürokraten und Populisten flott dabei, ihren eigenen Linksreformismus und Keynesianismus als den „Ausdruck“ des Massenwillens und den einzig „realistischen“ Weg vorwärts zu kredenzen, um die Bewegung gegen revolutionäre Kritik zu impfen. Es sind die echten Klassenkämpfe, wie sie sich z.B. in Bolivien oder dem Irak abspielen, die die Hoffnungslosigkeit, ja den konterrevolutionären Zug an der Suche nach einem „akzeptablen“ neuen Gesellschaftskompromiss aufzeigen. Ganz im Gegenteil: die soziale Revolution und der bewaffnete Befreiungskampf kehren in das Zentrum des Weltgeschehens zurück.

Die reformistische Bürokratie sucht eine sichere Zukunft im konservativen Bündnis mit alten und neuen Arbeiteraristokratien, der schrumpfenden Facharbeiterstände und neuen Angestelltenschichten, die aus der Proletarisierung akademischer Arbeit stammen und Risiken gegenüber abgeneigt sind. KommunistInnen müssen das Gegenteil anstreben: die politische Vereinigung jener Lohnabhängigen, die sich gegen neoliberale Übergriffe stemmen mit den am meisten ausgebeuteten und geknechteten Regimentern der Arbeiterklasse, den Einwanderern, der Jugend, dem nicht abgesicherten Armutssektor der Niedriglohn- und Gelegenheitstätigkeiten. Das sind jene, die von kämpferischen Auseinandersetzungen mit Bossen, Regierung, Kriegstreibern und Polizei am meisten zu gewinnen und am wenigsten zu verlieren haben. Eine politische Vorhut, die diese Schichten rekrutiert, kann die überwältigende Masse der Arbeiterschaft organisieren und radikalisieren. Deren Lebensbedingungen und -sicherheit verbessern sich nicht. In der nächsten Wirtschaftskrise werden sie heftige Übergriffe auf ihren Lebensstandard erfahren. Diese Aufgabe kann keine Gewerkschaft, kein Netzwerk oder Forum bewältigen; dafür ist nur eine revolutionäre politische Partei ein brauchbares und unverzichtbares Instrument.

Der Charakter der gegenwärtigen Periode und unsere politischen Aufgaben

Wir befinden uns am Beginn einer ganzen Periode heftiger Klassenkämpfe, einer vorrevolutionären Periode, an deren Ende entweder der Ausbruch einer offen revolutionären Periode oder eine konterrevolutionäre Stabilisierung des Weltkapitalismus auf der Basis einer Reihe schlimmer Niederlage der Unterdrüchten und einer gewaltigen Vernichtung überflüssigen Kapitals stehen wird.

Die Dauer dieser Übergangsperiode hängt wesentlich vom Klassenkampf selbst und diesbezüglich von zwei miteinander verknüpften  Faktoren ab: erstens davon, inwieweit es möglich ist, die Offensive der imperialistischen Bourgeoisien, v.a. der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zu unterbrechen bzw. aufzuhalten; zweitens vom Grad, bis zu welchem die Arbeiterbewegung fähig ist, einen Vorteil aus der Neuzusammensetzung der Klasse, der Radikalisierung der Jugend und der Destabilisierung des althergebrachten Reformismus zu ziehen, um eine international zusammenwirkende politische Organisation zu gründen – eine Weltpartei der sozialistischen Revolution.

In der vor uns liegenden Periode erfordert das kühne, aber flexible Taktiken: den Aufruf zum Aufbau neuer Arbeiterparteien auf einem revolutionären Programm in Ländern wie Deutschland oder Britannien oder revolutionäre Fraktionen in Ländern wie Italien ins Leben zu rufen, die vorbereitet sind, aufzustehen und dem Verrat der Vorstände solcher Parteien wie Rifondazione Comunista die Stirn zu bieten. In Ländern wie Brasilien oder Frankreich, wo einflussreiche zentristische und linksreformistische oder stalinistische Kräfte Parteien oder Bündnisse bilden, mag es für RevolutionärInnen nötig sein, in sie einzutreten und für ein revolutionäres Programm und das leninistische Parteimodell zu fechten. Solche Taktiken müssen in verschiedenen Ländern je nach Situation konkret entschieden werden. Sie müssen sich aber immer auf das Ringen um eine neue, Fünfte Internationale beziehen.

Globalisierung und Neoliberalismus haben nicht nur Massenwiderstand provoziert, sondern unter einer Massenavantgarde von AktivistInnen sowohl in imperialistischen wie halbkolonialen Ländern ein Gewahrwerden der gegenseitigen Bedeutung der Kämpfe anderer und ein mächtiges Verlangen, diese zu vernetzen, erzeugt. Die „Freihandels“agenda der USA, der EU und Japans, über die WTO, regionale Freihandelszonen, multilaterale Abkommen und „Reform“programme, von IWF/Weltbank durchgedrückt, wird weiterhin Widerstand auf den Plan gerufen, ob er sich nun antikapitalistisch oder anti-neoliberal nennt.

Der Kampf für die 5. Internationale muss in internationale Versammlungen wie die kontinentalen und Weltsozialforen hineingetragen werden. Das muss trotz des Übergewichts der Kräfte für Klassenzusammenarbeit darin unternommen werden: reformistischer und populistischer Parteien, Gewerkschaftsbürokraten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zentristische Tendenzen – die Vierte Internationale, die IST – werden dabei wenig Beistand leisten und sind stattdessen selbst ein ernstes Hindernis für diese Aufgabe, betrachten sie doch oben erwähnte Führungen als legitimen Ausdruck des aktuellen Massenbewusstseins.

In der halbkolonialen Welt einschließlich China und Indien führt der Drang, demokratische Rechte durchzusetzen bzw. zu verteidigen wie auch der Kampf gegen Überausbeutung zu einem beschleunigten Klassenkampftempo. Das gilt auch für jene Halbkolonien, die dank der Auslandsschulden und der Umlenkung der Investitionen in ein paar große Länder unter völligem Kapitalmangel leiden. So sind trotz weit ungünstigerer politischer und wirtschaftlicher Bedingungen als in den imperialistischen Kernländern die Signale von Gegenwehr der ArbeiterInnen und Bauern allgegenwärtig und zunehmend.

In den Halbkolonien bringen der Kampf gegen den Imperialismus, die Existenz des bürgerlichen Nationalismus in volkstümlicher Verkleidung, das Maß demokratischer Aufgaben in einem Land wie China, der anhaltende Einfluss verschiedener Strömungen von Stalinismus, Castroismus und Maoismus mit sich, dass das Problem des Etappenprogramms sich erneut stellt. Dieses beschränkt das aktuelle Kampfziel auf die Errichtung eines demokratischen, kapitalistischen Regimes. Der Kampf um Klassenunabhängigkeit für die Arbeiterschaft, für ihre Hegemonie innerhalb der anti-imperialistischen und demokratischen Auseinandersetzungen muss bewusst auf der Theorie der permanenten Revolution fußen. Diese betont, dass die Arbeiterklasse sich an die Spitze des demokratischen Kampfs setzt. Sie tritt dafür ein, dass sie die Macht ergreift statt gemeinsam mit der Bürgerklasse zu regieren. Sie begreift die Notwendigkeit, dass die Lohnabhängigen direkt von der Eroberung der Staatsmacht zur Vergesellschaftung des Wirtschaftslebens fortschreiten müssen. Die Theorie der Permanenten Revolution muss von zentristischen falschen Auslegungen und Verdrehungen gereinigt werden. Sie darf nicht als automatischer Vorgang verstanden werden, währenddessen die Lohnempfänger nur für demokratische Ziele eintreten sollen, während die Entwicklung „spontan“ in den Sozialismus „hinüber wächst“. Sie ist vielmehr eine Strategie, für die bewusst gegen die Bestrebungen von Populismus und Stalinismus gestritten werden muss, Arbeiterkämpfe nur auf bürgerlich-demokratische Ziele zu beschränken.

Eine spontane und halbbewusste Anerkennung des Gebots neuer und militanterer Taktiken und Organisationen hat den Weg für bedeutende Änderungen, Entwicklungen, Spaltungen und Fusionen in den Arbeiterorganisationen gebahnt, politischen wie gewerkschaftlichen, in den „Gemeinde“organisationen der Bauern und armen Stadtbewohner, der rassisch Unterjochten, Frauen und Jugendlichen. Aber diese Schritte erfolgen nicht im luftleeren Raum – sie sind mit den Erfahrungen  des 20. Jahrhunderts beladen – im Guten wie im Schlechten.

In den Betrieben bildet eine kämpferischere Schicht, bestehend aus Jungarbeitern, die unter Niedriglöhnen, Unsicherheit und auch häufig rassistischer Unterdrückung ächzen, die Grundlage für aktivistische Basisbewegungen, Massenrekrutierung oder sogar neue Kampfgewerkschaften. Wir sehen auf der ganzen Welt, von Nordamerika und Europa bis Indien, Indonesien und auch China, diese jungen AktivistInnen in Aktion oder werden es demnächst. Es ist Aufgabe von RevolutionärInnen, ein mutiges Programm aus Sofort- und Übergangsforderungen vorzuschlagen, die für die Bedingungen der Globalisierung und den Kampf innerhalb der und gegen die Multis um Arbeiterkontrolle und Enteignung/Vergesellschaftung neu ausgearbeitet werden.

Die anti-neoliberale Bewegung hat ein Ausmaß transnationaler Organisation geschaffen, das fähig ist, die Globalisierungsoffensive zurückzuschlagen. Ausdruck dessen ist eine Vielzahl internationaler Foren, Versammlungen und Treffen. Diese stellen eine dringliche Priorität für Interventionen von Revolutionären dar, nicht nur in ihren nationalen Sektionen, sondern auch als internationale Organisation.

Die existierenden Spitzen – von Chavez oder Morales in Lateinamerika bis zu Bertinotti von der RC und den Europäischen Linksparteien, von der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) bis zu den Leitungen der kampfbereiteren Gewerkschaften und der Antiglobalisierungsbewegung – führen die Bewegung in die Irre und letztlich den Kampf verraten.

Unsere zentrale Aufgabe, die sich aus der globalen kapitalistischen Offensive, den anschwellenden Verteidigungsmaßnahmen durch ArbeiterInnen und ihre Verbündeten und der Führungskrise herleitet, bleibt, in der Arbeitervorhut, die begonnen hat, die Notwendigkeit einer neuen internationalen Organisation und neuer Arbeiterparteien anzuerkennen, Kräfte zu sammeln und sie für den Aufbau einer neuen Weltpartei für die soziale Revolution, eine Fünfte Internationale auf einem kommunistischen Programm, zu gewinnen.

Fußnoten:

(1) Diese Resolution wurde auf dem 7. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale im Juli 2006 angenommen. Sie ist für die Veröffentlichung redaktionell überarbeitet worden. Die ursprüngliche, nicht redigierte Version, wie vom Kongress abgeändert und verabschiedet, kann im englischsprachigen Original herunter geladen werden unter www.fifthinternational.org.

(2) Der israelische Überfall auf Libanon hatte gerade begonnen, als der LFI-Kongress zusammentrat. Diese Entschließung ist deshalb keine detaillierte Untersuchung dieses Ereignisses. Die Stellungnahmen der Liga über den Krieg Israels gegen Hisbollah sind in FIFTH INTERNATIONAL VOLUME 2, Ausgabe 1, S. 10-18 abgedruckt.

Außerdem finden sich in dieser Ausgabe zwei Artikel zu Situation im Libanon bzw. zur Haltung der Linken im Krieg.

(3) Besonders die 20 Millionen umfassende weltweite Mobilisierung gegen den Irakkrieg vom Februar 2003.

(4) Die Massenmobilisierungen in Italien als Reaktion auf die Unterdrückung der Anti-G 8-Proteste in Genua 2001, die örtliche Sozialforen im ganzen Land ins Leben riefen; die nach vielen Millionen zählenden Mobilisierungen in Frankreich als Antwort auf den Angriff auf Rechte junger Arbeitender in Form des CPE-Gesetzes, gepaart mit kollektivem Unterrichtsboykott an Schulen und mit Arbeiteraktionen einschließlich Streiks und Blockaden. So geriet ein neoliberales Hauptprojekt der Kapitalistenklasse unter die Räder.

(5) In Argentinien, Bolivien, Venezuela und Nepal.

(6) Wie die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) – KPI(M).

(7) Beispiele für solche Parteien schließen die P-Sol in Brasilien und Linkspartei/WASG in Deutschland ein.

(8) Die Propagandakampagne gegen den Islam in Europa ist ein besonders hasserfüllter Ausdruck dieser Strömung.

(9) Seit dem Kongress können wir die Niederlage der zionistischen Invasion im Libanon dazurechnen.

(10) Vgl. die ersten drei Ausgaben des Journals FIFTH INTERNATIONAL (2003-05), „Anti-Capitalism: A Rough Guide to the Anticapitalist Movement” (2004) und „Globalisierung, Antikapitalismus und Krieg” (De-zember 2001).

(11) „Das Kapital, Bd. III“, Kap. 14, in: MEW 25, S. 242-250, Berlin/O., 1969.

(12) Quelle: UNCTAD

(13) a.a.O.

(14) Mit über 80.000 Unruhen in China, die allein für 2005 berichtet wurden.

(15) Eine vorrevolutionäre Lage ist eine politische Krise, in der die herrschende Klasse die Interessen der Massen derart verletzt, dass sie Millionen schockiert, die Gesellschaft polarisiert und eine Massenreaktion provoziert: Massenmobilisierungen finden statt, das Überleben der Regierung ist bedroht; um vorwärts zu gehen, steht die Massenbewegung vor Aufgaben, die – richtig angepackt – die Machtfrage aufwerfen. Darum sind Revolutionäre in vorrevolutionären Situationen verpflichtet, Losungen zur direkten Aktion auszugeben wie den Generalstreik, die Organisation von Arbeiterdelegiertenräten etc. Wenn solche Maßnahmen von den Massen aufgegriffen werden, verwandelt sich die Krise in eine revolutionäre Situation. Die Krise der proletarischen Führung ist entscheidend verantwortlich, ob die vorrevolutionäre Situation verebbt oder in eine revolutionäre Lage umschlägt. Im Zusammenhang mit jüngsten entstellenden Interpretationen der Analyse der L5I ist wichtig zu betonen, dass die L5I nicht behauptet, die Welt befinde sich aktuell in einer vorrevolutionären Situation. Wir sprechen von einer längeren vorrevolutionären Periode, die 1999 begonnen hat, in der vorrevolutionäre Situationen häufiger stattfinden als in der vorhergehenden reaktionären Weltperiode von 1991-1999. Es würde erdbebenartige Ereignisse erfordern, z.B. einen Sieg der sozialen Revolution in einem Land, eine weltweite Depression und/oder einen neuen imperialistischen Krieg, um eine neue weltrevolutionäre Periode wie zwischen 1914 und 1921 zu eröffnen.

(16) PASOK (Panhellenistische Sozialistische Bewegung): eine volkstümlerische, nationalistische Partei mit sozialdemokratischem Anstrich; Synaspismos: eurokommunistische Abspaltung von der Griechischen Kommunistischen Partei, die sich in sozialdemokratische und grüne Richtung entwickelt hat; KKE: Griechische Kommunistische Partei.

(17) Doch die Israelis wurden schnell an die Kandare genommen, als sie von der Hisbollah eine Niederlage verpasst bekommen hatten. Diese Entwicklung war im Dokument nicht vorhergesehen, sondern erst in nachfolgenden Stellungnahmen analysiert worden.

(18) Wieder führt der Sieg der Hisbollah eine wichtige Änderung der Situation herbei, mit der Hamas konfrontiert ist.

(19) Ollanta Humala verlor die peruanischen Wahlen am 4. Juni an Alan Garcia mit 44,5% zu 55,5%. Obradors knappe ‚Niederlage“ bei den Wahlen wurde von der Arbeiterklasse als Schiebung abgelehnt. Daraus entstand eine tiefe vorrevolutionäre, politische Krise, die mit Massenmobilisierungen, Straßenblockaden und Repression einherging.

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