Martin Suchanek, Infomail 1277, 6. März 2025
Donald Trump macht’s möglich. Die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD sind noch gar nicht abgeschlossen, schon bringt die Regierung Merz, die es formell noch gar nicht gibt, das größte Aufrüstungsprogramm seit Jahrzehnten auf den Weg. „Whatever it takes“, müsse jetzt die Richtschnur für den Verteidigungshaushalt heißen, so der CDU-Vorsitzende.
Zukünftig soll es für diesen keine Grenzen mehr geben, weil alles, was über einem Prozent des BIP liegt, nicht mehr unter die Schuldenbremse fallen soll. Unbegrenzte Kriegstüchtigkeit also. Damit soll ein lt. „Rüstungsexpert:innen“ und diversen Thinktanks notwendiger Investitionsbedarf der Bundeswehr von mindestens 400 Milliarden Euro in wenigen Jahren finanziert werden. CSU-Chef Söder schwadroniert stellvertretend für andere von „einer Drohnen-Armee mit 100.000 Drohnen“, von 800 neuen Panzern sowie 2.000 Patriot-Flugabwehrraketensystemen und 1000 Taurus-Marschflugkörpern.
Der Anstieg des Militäretats auf mindestens 3 % des BIP gilt den zukünftigen Koalitionsparteien mittlerweile als auagemachte Sache, fast schon als neue Untergrenze. 2024 betrugen die Ausgaben noch insgesamt 71,75 Milliarden Euro (51,95 Mrd. aus dem Verteidigungshaushalt und 19,8 Mrd. aus dem Sondervermögen). Nun sollen sie in kurzer Zeit auf 120 bis 150 Mrd. steigen.
Und das ist längst nicht genug. Auch die Europäische Union lässt die einst heilig gesprochenen Beschränkungen der Staatsschulden sausen. 800 Milliarden sollen zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten lockergemacht werden. Voraussetzung dafür: Bei der Aufrüstung muss zukünftig geklotzt und nicht gekleckert werden. „Wenn die Mitgliedsstaaten zusätzlich anderthalb Prozent ihrer Wirtschaftsleistung investieren“, so von der Leyen lt. tagesschau.de, „könnten innerhalb von vier Jahren bis zu 650 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben lockergemacht werden.“ Außerdem soll ein Fonds von 150 Milliarden Euro eingerichtet werden, um Luft- und Raketenabwehr, Artilleriesysteme und Munition im großen Stil anzuschaffen.
Das gigantische Aufrüstungsprogramm wird von CDU/CSU und SPD um ein nicht minder massives Paket zur Investition in die deutsche Infrastruktur ergänzt werden. Für die nächsten 10 Jahre soll abseits der Budgets ein Sondervermögen von 500 Mrd. Euro geschaffen werden. Durch diesen Taschenspielertrick wird die der CDU/CSU und allen Neoliberalen heilige Schuldenbremse nicht abgeschafft, sondern nur umgangen.
Die Koalitionsparteien werden dabei nicht müde, das Investitionsprogramm als Wohltat für alle zu präsentieren. In Wirklichkeit stützt es natürlich das deutsche Kapital und seine internationale Konkurrenzfähigkeit – einerseits als milliardenschweres Konjunkturprogramm, anderseits als Erneuerung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals selbst und der Produktivkräfte wie Verkehr, Kommunikation und IT-Infrastruktur. Die Profite der Unternehmen und die Vermögen der Reichen, die man zur Finanzierung der Infrastrukturausgaben auch hätte heranziehen können, werden „natürlich“ nicht höher besteuert. Ebenso wenig soll der Kürzungszwang, den die Schuldenbremse bei kommunalen und sozialen Ausgaben mit sich bringt, aufgehoben werden. Im Gegenteil: Während für Krieg und Kapital eine Billion losgeeist wird, wird bei den Leistungen für Geflüchtete, Erwerbslose, bei den Renten, bei Bildung, Kitas und Gesundheit weiter gekürzt.
Lügen, Halbwahrheiten, Fake News gehören schon immer zum bürgerlichen Politbetrieb. Noch kurz vor den Wahlen hatten Friedrich Merz und die CDU/CSU die von SPD und Grünen geforderte Aufhebung der Schuldenbremse abgelehnt. Jetzt hauen sie selbst ein Programm raus, das natürlich zu einem massiven Anstieg der Staatsschulden führt.
Begründet wird alles ausnahmsweise mit einem Körnchen Wahrheit. Mit der veränderten geostrategischen Ausrichtung der USA unter Trump steht die transatlantische Partnerschaft samt ihrer Institutionen selbst zur Disposition.
In der Tat: Die europäischen imperialistischen Staaten und die EU sind nicht mehr Alliierte der USA, sondern vor allem Rival:innen, deren Status neu bestimmt wird, die keineswegs darauf rechnen können, gegenüber anderen Mächten wie Russland bevorzugt behandelt zu werden. Natürlich waren die USA und die dominierenden europäischen Staaten immer ungleiche Partner:innen. Auch unter Biden gab es eine führende und viele geführte Mächte. Aber bei allen Differenzen bildeten sie eine Allianz, deren Mitglieder in der Regel bei wichtigen Vorhaben konsultiert und als formell Gleiche behandelt wurden.
Nun strebt Trump eine Unterordnung der Staaten Westeuropas inklusive ihrer führenden imperialistischen Mächte als offen untergeordnete Vasallen an – und das versucht die US-Administration, auch aktiv herbeizuführen. Allerdings kann dieser Kurswechsel auch genau zum Gegenteil dessen führen, was Trump und seine Leute erreichen wollen.
Auf dessen „Make America Great Again“ könnte ein „Make Europe Independent Again“ folgen, ein neuer Anlauf zur kapitalistischen, imperialistischen Vereinigung Europas unter deutsch-französischer Führung. Und nachdem Trump auch das historische Verhältnis zu Ländern wie Großbritannien oder Kanada in Frage stellt, könnten sich hier auch neue Verbündete anbieten. In jedem Fall mögen sich weder Macron, Merz noch von der Leyen mit dem ihnen von den USA zugewiesenen Platz als imperialistische Mächte zweiten Ranges abfinden, sondern noch einmal einen Anlauf auf einen Platz an der Sonne nehmen.
Und wie alle Mächte, die fürchten müssen, bei der Neuaufteilung der Welt zu kurz zu kommen, begründen die deutsche und die französische Regierung, die EU-Kommission – einmal von Orbán (Ungarn) und Fico (Slowakei) abgesehen – ihr eigenes Aufrüstungsprogramm, ihr eigenes Programm zur Stärkung der globalen Konkurrenzfähigkeit, ihr eigenes Programm zur politischen, ökonomischen und militärischen Vereinheitlichung als Akt der Selbstverteidigung gegen das Böse.
Hier bleibt kein Körnchen Wahrheit bei Merz oder Klingbeil, bei Söder oder Esken – auch nicht bei den Grünen, die auch gern beim Aufrüsten vorab stehen würden. Auch die gesamte deutsche Medienlandschaft, die gesamten Talkshows werden nicht müde, uns aufzurütteln in dieser „Schicksalsstunde“ unserer Demokratie, unserer Wertegemeinschaft. Von ökonomischen und geostrategischen imperialistischen Interessen Deutschlands hört man dabei natürlich nichts. Imperialist:innen sind nur Russland, die USA und China, während sich in Europa nur Demokrat:innen tummeln, die sich endlich ins Zeug legen müssen für die Demokratie, für die Verteidigung der Freiheit gegen die äußeren, aber natürlich auch gegen die inneren Feind:innen. Dazu gehören im ideologischen Jargon die „Extremen“ von rechts wie links gleichermaßen. Die AfD wird als Partei putin-trumpscher Vaterlandsverräter:innen attackiert, Die Linke abwechselnd umgarnt – und das bei Regierungssozialisten wie Ramelow und Gysi auch nicht ohne Erfolg – und als bestenfalls naive Idiot:innen verdammt, wenn sie der Aufrüstung doch nicht zustimmen wollen.
Um alle demokratischen Unwägbarkeiten bei der „Verteidigung der Freiheit“ auszuschließen, darf man sich natürlich auch von verfassungsmäßigen Hürden nicht ausbremsen lassen. Da CDU/CSU, SPD und Grüne im neu gewählten, aber noch nicht konstituierten Bundestag über keine Zweidrittelmehrheit verfügen und somit ohne AfD oder Linkspartei keine Verfassungsänderungen beschließen können, soll das alte Parlament noch schnell jede Beschränkung der Verteidigungsausgaben und ein Sondervermögen von 500 Milliarden durchwinken. Die Grünen melden zwar Bedenken gegen diese Vorgehensweise an, aber für das Vaterland sind sie natürlich auch gesprächsbereit. An parlamentarischen Hürden wird das Aufrüstungsprogramm wohl nicht scheitern, ebenso wenig werden Ungarn und die Slowakei das 800-Milliarden-Programm der EU dauerhaft verhindern können. Im Gegenteil: Merz, Pistorius und Co. können sich der Anerkennung der veröffentlichten, bürgerlichen Meinung sicher sein, denn – so wird uns seit Tagen in Nachrichtensendungen wie Talkshows erklärt – wer gegen Autokraten wie Trump und Putin erfolgreich sein will, muss auch selbst so skrupellos sein, darf sich von demokratischen Hürden nicht ausbremsen lassen.
Ergänzt wird das Ganze mit einem ideologischen Trommelfeuer, bei dem Deutschland als Opfer der Weltmächte erscheint. Der reaktionäre Krieg Russlands gegen die Ukraine und der reaktionäre Deal, den Trump in Abstimmung mit Putin durchpeitschen will, liefern dabei ein Narrativ, Deutschland, die EU und ihre Verbündeten als die letzten verbliebenen Kämpfer:innen für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung darzustellen. Zweifellos hat die Ukraine das Recht, sich gegen die russische Invasion zu wehren (und sie hat auch das Recht, sich die dazu nötigen Mittel zu beschaffen). Doch ebenso wenig wie den USA unter Biden geht es Deutschland oder der EU bei ihrer Unterstützung der Ukraine um das Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit des Landes, sondern darum, bei der Aufteilung einer Halbkolonie zwischen Russland, den USA und den EU-Mächten nicht zu kurz zu kommen. Von wirklicher Unabhängigkeit der Ukraine will man letztlich selbst nichts wissen, sondern setzt vielmehr darauf, dass ein großer Teil der Agrarwirtschaft unter deutsche und EU-Kontrolle fällt. Die Schulden der Ukraine sollen natürlich nicht erlassen werden, sondern auch in „Friedenszeiten“ als Hebel dienen, das Land ökonomisch auszupressen.
Vor allem aber geht es darum, sich selbst auf die nächste Konfrontation vorzubereiten. Wie auch immer ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine aussehen wird, so wird er keinen Frieden bringen. Und zwar nicht nur, weil es ein Raubfrieden zugunsten Russlands sein wird, sondern auch weil die Front gegen Russland an der NATO-Grenze in jedem Fall weiter massiv hochgerüstet werden soll, inklusive von Kampfverbänden der Bundeswehr, ob nun weiter in der NATO oder irgendwann im Rahmen eines anderen Bündnisses (z. B. einer möglichen europäischen Armee). Darüber hinaus droht auch die nukleare Aufrüstung in Europa, wenn von einem „europäischen Schutzschirm“ gesprochen wird, der unabhängig von den USA sein soll. Und von Seiten Deutschlands und der EU wird nicht nur die bestehende Rüstungsindustrie gefördert werden, sondern es sollen Kapazitäten und Fähigkeiten (und damit auch Rüstungskonzerne) aufgebaut werden, die zurzeit im Rahmen der NATO von den USA geleistet werden. Und schließlich geht es natürlich auch um die Vergrößerung der Bundeswehr mit mehr Soldat:innen, also die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eine Dienstpflicht für den Staat.
Dieses gesamte Programm wird damit gerechtfertigt, dass „unsere“ Demokratie, „unsere“ Werte, „unsere“ Freiheit, „unser“ Staat bedroht wären. Es ist hier gar nicht zu bestreiten, dass dieser Staat, dass der deutsche Kapitalismus und sein Herrschaftssystem in einem brutalen Konkurrenzkampf mit anderen imperialistischen Mächten stehen. Aber, anders als uns die vorherrschende bürgerliche öffentliche Meinung, aber auch SPD, Gewerkschaften und letztlich auch Die Linke weismachen wollen, sind dieser Staat und seine Werte nicht die unseren. Es ist der Staat des deutschen imperialistischen Kapitals, der seine Interessen, seine Werte, seine Demokratie, seine Freiheit zu „unseren“ verklärt. Und dabei geht es vor allem darum, dass wir – wir Lohnabhängigen – uns für ihre Profite, ihre Unternehmen, ihre Auslandsinterventionen, ihren Krieg, kurzum ihre Klasseninteressen ins Zeug legen. Zweifellos verfolgen Trump oder Putin die Interessen ihres imperialistischen Staates mit einem reaktionären, blutigen, räuberischen Elan, ob nun in der Ukraine oder bei der Unterstützung des Genozids in Palästina. Doch wie wir von der deutschen Staatsräson, der bedingungslosen Unterstützung Israels oder vom mörderischen Abschottungsprogramm Festung Europa wissen, ist auch „unserer“ herrschenden Klasse barbarischer Elan nicht fremd. Vor allem aber werden wir dem Aufrüstungsprogramm der kommenden Regierung, das nichts anderes ist als ein Programm zur Kriegsvorbereitung, keinen konsequenten Widerstand entgegensetzen können, wenn wir nicht klar erkennen: Unser Hauptfeind steht im eigenen Land.