Arbeiter:innenmacht

Wahlen in Ungarn: Orbán verfestigt seine Macht, aber Zehntausende demonstrieren

Michael Märzen, Infomail 999, 19. April 2018

Seit acht Jahren regiert Viktor Orbán mit seinem „Ungarischen Bürgerbund“ (Fidesz-MPSZ). Die ungarische Regierung war und ist eine der Vorreiterinnen der rechten Regierungen in Europa. Mit offenem Rassismus gegenüber MuslimInnen und Flüchtlingen sowie vermehrt auch Antisemitismus stellt die Fidesz-Regierung das Vorbild für viele rechtskonservative und rechtspopulistische Parteien in Europa dar. Mit der jüngsten Wahl am 8. April konnte sie nicht nur erneut den ersten Platz behaupten (49,27 %), sondern sogleich die verloren gegangene Zweidrittelmehrheit im Parlament zurückholen. Damit kann Orbán seine Macht weiter verfestigen.

Autoritäre Umstrukturierung

In den Jahren seit 2010 machte Ungarn eine starke autoritäre Wende durch. Fidesz nutzte ihre bei den Wahlen mit nur 52,7 % der Stimmen erreichte 2/3-Mehrheit an Mandaten im Parlament um den Staatsapparat in ihrem Sinne umzugestalten. Orbán schritt – offenbar auch gegen die Empfehlung vieler ParteikollegInnen – schnell zur Tat. Es wurde eine restriktive Mediengesetzgebung erlassen, die es der Regierung erlaubt, hohe Strafen gegen unliebsame Beiträge zu verhängen und die staatlichen Medien wurden unter die Fuchtel von Fidesz-AnhängerInnen gebracht. 2011 wurde mit der 2/3-Mehrheit der Fidesz auch eine neue Verfassung beschlossen, die (vor allem mit der Schwächung des Verfassungsgerichts) die Macht der regierenden Partei noch weiter zementierte. Über die Jahre kamen weitere autoritäre Entwicklungen hinzu: Änderungen bei den Wahlgesetzen, Einschränkungen für NGOs (insbesondere solche im Flüchtlingsbereich) und schließlich auch noch die Betonung Orbáns, dass er eine „illiberale Demokratie“ anstrebe.

Außenpolitisch beansprucht Orbán die Stellung der EU-kritischsten Regierung für sich. Bei zentralen Vorhaben der EU zeigte er sich ablehnend und blockierend (in vielen wichtigen Fragen müssen EU-Beschlüsse einstimmig getroffen werden). Das ist sicher nicht die Ursache der Krise der EU, verschärft diese aber, umso mehr als 2015 in Polen mit der PiS eine Fidesz ähnliche Partei an die Macht kam. Zusätzlich dazu pflegt Orbán auch ein gutes Verhältnis zu Putin, der ein sogar noch autoritäreres System betreibt.

Rassismus und Korruption

Durch kaum etwas aber sticht Orbáns Fidesz so hervor wie durch ihren Rassismus. Durch ihren Erfolg ist sie darin auch Vorbild für viele rechte Parteien und PolitikerInnen. Der gesamte Wahlkampf war von der Feindlichkeit gegenüber Flüchtlingen geprägt. Orbán phantasiert von einer drohenden Massenzuwanderung, gesteuert von mächtigen FeindInnen im Ausland, um die ungarische Nation zu zerstören. Damit lenkt er gekonnt von den sozialen Missständen im Land ab wie etwa von der Armut, den niedrigen Löhnen, dem schlechten Gesundheits- und dem veralteten Bildungssystem.

In der sogenannten Flüchtlingskrise baute Ungarn einen 4 Meter hohen Zaun an der serbischen Grenze und legte sich bei der EU-weiten Verteilung von Geflüchteten quer. Seit einigen Jahren ist neben der Hetze gegen Roma und Sinti auch der offene anti-muslimische Rassismus ein wichtiger Bestandteil der Politik von Fidesz, die mit ihrer Kampagne gegen den in Ungarn geborenen US-Multimilliardär George Soros aber auch vor dem Schüren von Antisemitismus nicht zurückschreckt.

Mit ihrer demagogischen und reaktionären Rhetorik gegen die EU und das „amerikanisch-jüdische“ Finanzkapital schafft es die Fidesz erfolgreich, ein populäres Image zu bewahren, obwohl Korruption und Vetternwirtschaft für Orbán und Co. auf der Tagesordnung stehen. So haben fünf enge Bekannte von Orbán alleine 5 % der EU- und Regierungsgelder für ihre diversen Unternehmen erhalten.

Fragen der Opposition

Die zweitstärkste Partei nach der Fidesz ist mit 19,06 % die faschistische Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn). Sie hat sich in diesem Wahlkampf etwas moderater präsentiert, da sie politisch kaum Zugewinne rechts der Fidesz erwarten konnte. Jobbik konnte ihr Ergebnis relativ stabil halten und verlor 1,16 Prozent gegenüber 2014. Dies verdeutlicht, dass sich im Windschatten der regierenden Fidesz eine faschistische Partei mit relativ stabiler Massenbasis etabliert hat.

Die Sozialistische Partei MSZP hingegen – bislang größte oppositionelle Kraft im Parlament – erlebt wie schon 2010 eine starke politische Krise. Sie hat mehr als die Hälfte der Stimmen (13,66 Prozent) verloren und sackte auf 11,91 Prozent ab. Die offen bürgerlichen liberalen Kräfte erreichten zwischen 3 und 7 Prozent und können sich politisch kaum behaupten.

Nach der Wahl wurde von Oppositionsparteien der Verdacht auf Wahlbetrug geäußert, Stimmen könnten vernichtet worden sein. Sie haben die Forderung nach einer Neuauszählung der Stimmen erhoben. In weiterer Folge gingen mehrere zehntausend Menschen in Budapest gegen die Regierung auf die Straße. Der Protest griff die Forderung der Opposition auf, forderte zugleich aber auch ein neues Wahlrecht und Neuwahlen. Bei dem Protest waren einige EU-Fahnen zu sehen und unterschiedliche VertreterInnen politischer Parteien nahmen daran teil, sogar die Jobbik.

Der politische Charakter der Proteste, aber auch die Schwäche der Opposition gegenüber Fidesz wirft wichtige politische Fragen prinzipieller Natur auf. Das wird auch dadurch verdeutlicht, dass in ausländischen kritischen Medien immer wieder die Meinung verbreitet wurde, die ungarische Opposition müsse an einem Strang ziehen und die einflussreichsten OppositionskandidatInnen in den Direktmandatswahlkreisen unterstützen. In der gegenwärtigen Lage hätte das vor allem die Jobbik begünstigt, was für die ArbeiterInnenklasse kein bisschen besser gewesen wäre, im Gegenteil. Aber auch wenn es nicht die Jobbik wäre, bedeutete das für fortschrittliche Kräfte die Unterordnung unter bürgerliche Parteien. Dabei ist es die allererste Aufgabe in Ungarn, eine wahrnehmbare, unabhängige proletarische Kraft zu schaffen und die Interessen der ArbeiterInnenklasse eigenständig zu artikulieren. Denn Klasseninteressen der ArbeiterInnen sind denen der Fidesz entgegengesetzt und nur über ein eigenständiges Sprachrohr wird die arbeitende Klasse kollektiv in Aktion treten, um das autoritäre Orbán-Regime zu stürzen.

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