Fareed Ahmad, Infomail 1282, 15. Mai 2025
In den letzten Wochen wurden Tausende Afghan:innen gewaltsam aus Pakistan abgeschoben. Seit dem 30. März wurden 800.000 Menschen aufgefordert, Pakistan zu verlassen, oder sie mussten mit Abschiebung rechnen. Dies ist eine dramatische Eskalation der rassistischen Angriffe auf afghanische Staatsangehörige in Pakistan. In den letzten 18 Monaten wurden bereits mehr als 845.000 Menschen zur Rückkehr nach Afghanistan gezwungen.
Die pakistanische Regierung hat beschlossen, bis 2023 fast 4 Millionen afghanische Flüchtlinge, die in den letzten 40 Jahren ins Land gekommen sind, zurückzuführen. In den 1980er Jahren richtete die Regierung das Ministerium für Staaten und Grenzregionen (Ministry of States and Frontier Regions; SAFRON) ein, um afghanische Flüchtlingsorganisationen bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
Damals war die wichtigste Voraussetzung für die Registrierung afghanischer Flüchtlinge in Pakistan, dass sie den islamistisch-dschihadistisch Mudschahidin-Gruppen angehörten, die in Afghanistan gegen die Sowjetunion kämpften. Der Hauptgrund dafür war, diesen Gruppen in ihrem reaktionären Krieg Arbeitskräfte und Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Diese Gruppen wurden vom amerikanischen Imperialismus und dem pakistanischen Staat massiv unterstützt.
Dies änderte sich 1992, nachdem sich die Sowjetunion aus Afghanistan zurückgezogen hatte und die afghanischen Flüchtlingslager geschlossen wurden. Während des Bürgerkriegs kam eine große Zahl von Flüchtlingen, aber ein starker Anstieg erfolgte nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul im Jahr 2021, als etwa 800.000 Flüchtlinge nach Pakistan kamen.
Nach Angaben der pakistanischen Regierung gibt es drei Gründe für ihre drastischen Maßnahmen: erstens angebliche Sicherheitsbedrohungen, zweitens die wirtschaftliche Belastung und drittens die staatliche Souveränität.
Die Regierung behauptet, dass afghanische Staatsbürger:innen extremistischen Gruppen wie der Tehrik-i-Taliban Pakistan (Bewegung der pakistanischen Taliban) angehören. Sie liefert jedoch keine stichhaltigen Beweise für diese Behauptungen. Tatsächlich ignoriert sie völlig die Tatsache, dass Hunderttausende der angeblichen „Extremist:innen“ vor der reaktionären islamistischen Herrschaft geflohen sind.
Verschiedenen Minister:innen zufolge leben eine große Anzahl afghanischer Flüchtlinge illegal in Pakistan. Die Tatsache, dass mehr als 80 Prozent der Inhaftierten gültige Dokumente hatten, widerlegte jedoch die Behauptung der Regierung und führte im November 2023 zu einer plötzlichen Strategieänderung. Nun holen sie afghanische Flüchtlinge ohne rechtliche Schritte aus ihren Häusern, Schulen und von Märkten ab und bringen sie direkt in Haftanstalten, obwohl sie genau wissen, dass die überwiegende Mehrheit tatsächlich einen legalen Status besitzt.
Die Wirtschaftskrise in Pakistan ist derzeit aufgrund der halbkolonialen Stellung des Landes im globalen Kapitalismus besonders schwerwiegend. Deshalb ist es zum Zentrum globaler Krisen und Konflikte geworden. Obwohl die kapitalistische Regierung, die verschiedenen bürgerlichen Parteien und die Medien die afghanischen Flüchtlinge für die Krise verantwortlich machen, ist es eine Tatsache, dass sie den Kapitalist:innen hier jahrzehntelang mit sehr niedrigen Löhnen gedient haben. Der Staat entzieht sich seiner Verantwortung für das Versagen des Systems und die kapitalistische Krise, indem er die afghanischen Flüchtlinge beschuldigt.
Afghanische Familien, die seit Generationen in Pakistan leben, leben nun in tiefer Angst, da Gemeinschaften und Familien auseinanderbrechen. Eltern schicken ihre Kinder aus Angst vor Verhaftung nicht mehr zur Schule. Aus dieser Angst heraus gehen sie auch nicht mehr ins Krankenhaus, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Es herrscht ein Gefühl emotionaler Verletzlichkeit, insbesondere bei Frauen und Kindern, die die Demütigungen durch Polizeirazzien erdulden müssen.
Selbst unter diesen Umständen zeigen die afghanischen Flüchtlinge großen Mut. Sie haben ihre Kommunikation verstärkt, damit alle auf verschiedene Weise über Polizeirazzien informiert werden. Viele von ihnen sind an sicherere Orte gezogen und haben auch rechtliche Hilfe organisiert. Eines ist bei den Polizeirazzien ganz klar: Sie treffen fast ausschließlich die arbeitenden und armen Afghan:innen, während die afghanische Elite relativ sicher ist. Selbst unter Repressionen spielen die Macht des Kapitals und Klassenprivilegien offensichtlich eine Rolle.
Der Rassismus gegen afghanische Flüchtlinge in Pakistan hat stark zugenommen, weil der Staat seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich Hass-Propaganda verbreitet, die sich auf die breite Öffentlichkeit ausgewirkt hat. Viele glauben den rassistischen Lügen, dass Afghan:innen ihre Arbeitsplätze und Geschäfte besetzen und auch in Terrorismus verwickelt sind. Aber die Realität sieht, wie wir bereits gesagt haben, völlig anders aus. Das beschämendste Verhalten in dieser Hinsicht zeigt ein Teil der Linken, der eine nationalistische Position gegen junge afghanische Flüchtlinge eingenommen hat, sie als Belastung für die Wirtschaft und als demografischen Wandel bezeichnet und sich für ihre Ausweisung ausspricht.
Trotz alledem gibt es Beispiele dafür, dass gewöhnliche Pakistaner:innen afghanischen Flüchtlingen helfen und die Regierungspropaganda ablehnen, insbesondere dort, wo sie auf Nachbarschaftsebene zusammenleben. Da es jedoch keine nennenswerte politische Bewegung gegen die Ausweisung afghanischer Flüchtlinge gibt, tun sie dies in Form stiller Unterstützung.
Afghanische Flüchtlinge, von denen viele seit Jahrzehnten in Pakistan leben, wären in Afghanistan Ausländer:innen der dritten oder vierten Generation. Sie haben in Pakistan Arbeitsplätze, Wohnungen und Beziehungen, die sie sich in jahrzehntelanger harter Arbeit aufgebaut haben. Nun sollen sie unter das Taliban-Regime nach Afghanistan zurückgeschickt werden. Das bedeutet die Zerstörung ihres Lebens und ihrer Existenzgrundlage, die sie sich hier zusammen mit der lokalen Bevölkerung aufgebaut haben. Insbesondere das Leben und die Zukunft von Frauen, Mädchen, ethnischen und sexuellen Minderheiten, vor allem der Hazara (Hasara, Hesor:innen; Hauptsiedlungsgebiet dieser Ethnie ist Zentralafghanistan), von Journalist:innen und Personen, die mit der ehemaligen Regierung oder internationalen Organisationen in Verbindung stehen, sind in Afghanistan in großer Gefahr.
Das Taliban-Regime hat die Rechte der Frauen systematisch ausgehöhlt und fast überall abgeschafft. Mädchen sind vom Zugang zu weiterführenden Schulen und Hochschulen ausgeschlossen, und ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Noch schlimmer ist die Lage für Frauen, die keine männlichen Verwandten in ihrer Familie haben. Sie sind Zwangsehen, Verhaftungen und zunehmender geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, ohne jeglichen rechtlichen Schutz. Ethnische und religiöse Minderheiten unterliegen ebenfalls systematischer Diskriminierung. Die jahrzehntelange Intervention und Besetzung Afghanistans durch die USA und europäische Imperialist:innen haben die afghanische Gesellschaft zerstört, und die Art und Weise, wie die USA aus Kabul abgezogen ist, hat deutlich gemacht, wie der Imperialismus das, was er benutzt, wegwirft. Die Behauptungen der USA und Westeuropas über Menschenrechte, Demokratie und Frauenrechte sind nichts als eine Lüge, und diejenigen, die daran geglaubt haben, stehen nun vor dem Ende ihres Lebens und der Inhaftierung durch die Taliban.
Die Lage der Afghan:innen, die nach 2021 nach Pakistan gekommen sind, ist sehr besorgniserregend. Die USA und die Europäische Union haben sie der Gnade der Taliban ausgeliefert. Der Bürgerkrieg, den der US-Imperialismus durch seine afghanischen Stellvertreter:innen aufgezwungen hat, hat die afghanische Gesellschaft zerstört. Heute sind viele in verschiedene Länder vertrieben worden, während diejenigen, die nach Afghanistan zurückgeschickt werden, der schlimmsten Gewalt durch die Taliban und Bürgerkriegsbefehlshaber ausgesetzt sind.
Unter diesen Umständen bedeutet die Zwangsausweisung afghanischer Flüchtlinge für viele nichts anderes als ein Leben in Folter und Gefangenschaft. Deshalb fordern wir ein Ende der Schikanierung afghanischer Flüchtlinge, die Freilassung aller Inhaftierten und ein Ende der Zwangsräumungen. Wir rufen die globale Arbeiter:innenbewegung dazu auf, sich gegen die Rückführung afghanischer Flüchtlinge in Pakistan und international zu organisieren.
Allen afghanischen Bürger:innenn in Pakistan sollten die pakistanische Staatsbürger:innenschaft und volle Rechte gewährt werden. Der systematische Rassismus auf Regierungsebene muss beendet werden, der Staat muss Arbeitsplätze, angemessene Wohnungen und Bildung für ihre Kinder bereitstellen, finanziert durch die Besteuerung der Reichen und der Kapitalist:innenklasse. Dies muss mit einem gemeinsamen Kampf der gesamten pakistanischen Arbeiter:innenklasse und der Armen gegen die Krise, für Arbeitsplätze und Löhne, die die Lebenshaltungskosten decken und an die Inflation gekoppelt sind, verbunden werden. Eine solche kämpferische Einheit erfordert eine massive Mobilisierung, um die Abschiebungen zu verhindern und zu stoppen, und kann auch die Grundlage für die Überwindung nationaler Spaltungen zwischen afghanischen und pakistanischen Arbeiterinne und Arbeitern bereiten.
Wir rufen die gesamte Arbeiter:innenklasse und die Linke weltweit dazu auf, gegen ähnliche rassistische Abschiebungen von afghanischen und anderen Flüchtlingen in Europa, den USA oder anderen Ländern zu kämpfen. Internationalist:innen müssen dafür kämpfen, dass die Grenzen Europas und Amerikas für afghanische Flüchtlinge geöffnet werden und ihnen Visa, die volle Staatsbürger:innenschaft und Arbeitsplätze gewährt werden. Diese imperialistischen Staaten und ihre Verbündeten wie Pakistan haben Afghanistan jahrzehntelang aus ihren eigenen geostrategischen Interessen heraus besetzt und ruiniert. Jetzt wollen sie die afghanischen Flüchtlinge für ihre Zerstörung bezahlen lassen. Nur unser gemeinsamer, internationaler Kampf kann sie daran hindern.