Arbeiter:innenmacht

Offene Grenzen für alle! Wie bauen wir eine Bewegung gegen rechts auf?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 286, Oktober 2024

Angesichts der Schlagzeilen in den Medien, Politiker:innen, die alle gleichzeitig versuchen, sich von rechts zu übertrumpfen und nur noch „Brot, Wasser und Seife“ für Geflüchtete fordern oder wie Kubicki (FDP, nicht AfD) das Grundrecht auf Asyl gleich aus dem Grundgesetz streichen wollen, fällt es schwer, Hoffnung zu schöpfen. Gewaltvolle Übergriffe auf Migrant:innen, gezielte antimuslimische Straftaten, brennende Häuser in Solingen und Eberswalde: Seit 2014 vollzieht sich der Rechtsruck und leugnen kann das niemand mehr.  Wer anfangs noch von „Polarisierung“ sprach und „rote Haltelinien neu ziehen“ wollte, der/die muss sich eingestehen: Eine kampfstarke Linke, die dem entgegenwirkt, scheint es nicht zu geben. Doch der automatische Umkehrschluss kann nicht sein, dass wir nun deprimiert aufgeben, Pläne schmieden, wohin man ausreisen sollte, oder zu behaupten, dass man mal „realistisch“ sein muss und die Frage des Rassismus nun hintanstellen sollte. Vielmehr ist klar: Veränderung ist notwendig, aber wie?

Kurzer Rückblick auf die antirassistische Bewegung in Deutschland

Der Suizid eines Flüchtenden 2012 in Würzburg brachte viel ins Rollen wie den Marsch der Geflüchteten nach Berlin. Es folgten zahlreiche Hungerstreiks wie der von 95 Betroffenen in München 2013 und Besetzungen wie die des DGB-Hauses Berlin-Brandenburg 2014. Am bekanntesten ist wohl heute noch das Camp auf dem Berliner Oranienplatz, welches vom 6. Oktober 2012 bis 8. April 2014 existierte. Im Zuge dessen entwickelten sich viele Supporter:innenstrukturen. Doch deren lokale Isolation erschwerte eine dauerhafte Arbeit. Es folgten zahlreiche Antifavollversammlungen, Krisenmeetings und letzten Endes bildeten sich nach zwei Jahren bundesweit verschiedene Bündnisse: „Jugend gegen Rassismus“, „Aufstehen gegen Rassismus“, „Nationalismus ist keine Alternative“, „Welcome2Stay“ und „Fluchtursachen bekämpfen“. Dies erfolgte zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 als Mittel gegen das Aufkommen der wöchentlichen Pegida-Proteste (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Doch der verhinderbare Aufstieg der AfD ging weiter. Antirassistische Proteste wurden kleiner, kratzten nicht mal an der Zahl von 10.000 Teilnehmer:innen. Besetzungen wurden geräumt und die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete stieg weiter. Bei den Wahlen hatten SPD und DIE LINKE fast überall Stimmen verloren. Es wurden stetig verschärfte Asylgesetze verabschiedet.

An Aktionen mangelte es nicht. Doch die fehlende Strategie der Bewegung hat nicht dazu geführt, den Rechtsruck in Deutschland zu stoppen oder auf europäischer Ebene einen koordinierten Protest zusammen mit Geflüchteten zu initiieren. Vielmehr mündete die Bewegung in einer Niederlage. 2022 starteten vereinzelte Seenotretter:innen, die wagemutig und auf eigene Faust Menschenleben retten, und NGOs, die vor Ort an den Grenzen versuchen, das Leid ein bisschen zu lindern, ab und zu große Aktionen, wenn es brennt, wie in Moria. Sie zeigten, dass Potenzial für eine antirassistische Bewegung existiert und blieben doch ein Zeichen der Schwäche, da sie so schnell, wie sie spontan entflammten, auch wieder verglommen.

Und jetzt, 2 Jahre später gab es Anfang Januar kurz Hoffnung: Nach der Correctiv-Recherche über das Hinterzimmertreffen der AfD und die „Remigrationspläne“ war kurze Zeit von einer Protestwelle die Rede, als in ca. 200 deutschen Städten am Wochenende Menschen auf die Straße gingen. Bis Ende Februar waren etwa 4 Millionen Menschen beteiligt, nicht nur in Großstädten, sondern auch im ländlichen Raum. Dazu muss allerdings auch geschrieben werden, dass sich der Protest primär gegen die AfD und die Angst vor dem Ende der Demokratie richtete, Antirassismus oder Positionen gegen Abschiebungen waren eher zweitrangig. Doch selbst das ist – ein halbes Jahr später – scheinbar aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden.

Die treibenden Kräfte des Rechtsrucks

Auch wenn es mittlerweile klar sein sollte, wollen wir es an dieser Stelle nochmal wiederholen: Die Frage des Rechtsrucks ist weder ein Problem der mangelnden Bildung noch fehlender Empathie von Individuen. Das reduziert das Phänomen auf eine individuelle Ebene. Dabei ist es Ergebnis der kapitalistischen Krise und des Versagens der Linken, eine revolutionäre Perspektive zu weisen, sowie der sich daraus ergebenden gesamtgesellschaftlichen Kräfteverschiebung. Erkennt man das nicht, wird es schwer, den Rechtsruck aufzuhalten. Angefeuert wurde die aktuelle Entwicklung durch die Wirtschaftskrise 2007/2008. Im Zuge dieser stieg die Konkurrenz innerhalb der Kapitalist:innenklasse. Während manche davon profitierten, gingen andere pleite. Und wieder andere fürchteten ihren sozialen Abstieg. Genau dieser Teil ist es, der die letzten Jahre erfolgreich hetzte und mittlerweile die anderen Parteien erfolgreich vor sich hertreibt. Denn nicht nur die Angst, Wähler:innenstimmen zu verlieren, sondern auch die internationale Konkurrenz haben sich massiv verschärft. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt hat mit dem Ukrainekrieg eine neue Schärfe angenommen, aber auch der Genozid in Palästina bringt das Potenzial mit sich, den gesamten Nahen Osten in einen Krieg zu verwickeln.

Gesellschaftliche Kräfteverhältnisse ändern

Gesellschaftliche Kräfteverhältnisse lassen sich jedoch nicht mit Voluntarismus auf individueller Ebene ändern. Gleichzeitig sind sie auch nicht in Stein gemeißelt, sondern können aufgebrochen werden. Deswegen ist es unerlässlich, dass Linke und Revolutionär:innen verstehen, dass sie in der kommenden Zeit zwar gegen den Strom schwimmen, aber antirassistische sowie internationalistische Positionen nicht einfach über Bord werfen können, weil diese „nicht anschlussfähig“ sind. Das scheint schwer, wenn mittlerweile selbst Phrasen wie Toleranz, Menschlichkeit und Vielfalt auf Ablehnung stoßen. Doch für Veränderung braucht es eine Kombination aus erfolgreich geführten Kämpfen. Dabei darf man nicht der Illusion verfallen, dass es nur ausreicht, die „sozialen Fragen“ zu betonen. Diese Forderungen müssen konsequent mit Antirassismus verbunden werden, denn nur in praktischen Kämpfen kann man den sich etablierenden Rassismus anfangen zu beseitigen. Sonst vergisst man, dass Rassismus spaltet, kann ihn also schlechter bekämpfen. Denn fortschrittliches Bewusstsein ist nichts, was sich nur graduell entwickelt, sondern gerade in Krisenzeiten potenziell sprunghaft – wie reaktionäres auch.

Wie kann sich was ändern?

Das heißt: Es muss es nicht so bleiben – die wohl einzige tröstliche Erkenntnis. Doch was brauchen wir nun genau, um zu einer Bewegung gegen rechts zu kommen?

1. Raus aus der Defensive: Bewegung schaffen, Kämpfe verbinden!

Die antirassistische Bewegung hierzulande ist derzeit geschwächt, fast gar nicht mehr existent. Deswegen dürfen wir nicht einfach auf die nächste Katastrophe warten, sondern müssen aktiv Bewegung schaffen. Naheliegend und mehr als notwendig ist es, für die Gründung eines Antikrisenbündnisses einzutreten, das sich gegen die drohenden Massenentlassungen unter anderem bei VW sowie den geplanten sozialen Kahlschlag, die der neue Bundeshaushalt mit sich bringt, richtet. Die Mobilisierung dagegen kann breite Teile der Arbeiter:innenklasse auf die Beine bringen.

Wir schlagen folgende Forderungen vor:

  • Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglöhne, Armut und Wohnungsnot!
  • Mindestlohn von 15 Euro/Stunde, Mindestrente und Arbeitslosengeld von 1.600 Euro/Monat für alle!
  • Hunderte Milliarden für Bildung, Umwelt, Renten und Gesundheit statt für Rüstung – finanziert durch Besteuerung der Reichen!

Darüber hinaus muss, dort wo Kämpfe existieren oder wiederaufleben, wie in der Umweltbewegung oder um Wohnraum (Deutsche Wohnen & Co. enteignen), für klare, antirassistische Positionen eingetreten werden. So ist die Umweltzerstörung eine der häufigsten Fluchtursachen. Bei der Enteignung von Wohnraum ist es zentral, auch für die Abschaffung von Geflüchtetenunterkünften und für die dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen einzustehen. Doch insbesondere beim Thema Antirassismus reicht es nicht aus, nur die Angriffe abzuwehren. Wenn ein Protest Erfolg haben und nachhaltig die Situation von Migrant:innen und Geflüchteten ändern soll, dann müssen auch konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Das heißt konkret, dass wir nicht nur dafür kämpfen müssen, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist, wir nicht nur gegen Abschiebungen eintreten, sondern auch für offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle, damit Geflüchtete nicht ewig in Lagern leiden müssen oder als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Auch ist der Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen gegen die wachsende rechte Gefahr essentiell.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stoppt alle Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!
  • Gemeinsamer Kampf gegen die sozialen Wurzeln von Faschismus und Rassismus!
  • Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees gegen rassistische Angriffe, organisiert von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften!

2. Klarer Klassenstandpunkt: Keine Zugeständnisse, Schluss mit dem Opportunismus!

Wer wirklich etwas verändern will, muss bereit sein zu kämpfen – auch gegen die Regierung und das Kapital. Wer von der „Brandmauer” gegen rechts und Rassismus spricht, darf über die Ursache des Rechtsrucks nicht schweigen, sondern muss einen klaren Klassenstandpunkt beziehen. Auch wenn wir uns an den „Brandmauer“-/„Aufstehen gegen Rechts“-Demonstrationen beteiligten (die zumindest in einigen ländlichen Gebieten auch zu einer gewissen Vernetzung von Widerstand geführt haben), so warnen wir doch vor der Idee, solche breiten Bündnisse gegen speziell AfD und noch rechtere Organisationen könnten letztlich die allgemeine autoritäre Tendenz stoppen. Denn letzten Endes hindern Bündnisse mit Kräften wie der CDU oder FDP uns daran, Forderungen, die im Interesse der Arbeiter:innenklasse liegen, also soziale Verbesserungen, zu erkämpfen. Dabei ist die Einheitsfront der Organisationen der Arbeiter:innenbewegung und der Unterdrückten das Gebot der Stunde und es müssen sowohl Gewerkschaften, Klimabewegung wie auch die Linkspartei, aber auch Teile der SPD gewonnen werden.

Gleichzeitig müssen wir jedoch sehr klar gegen Opportunismus, insbesondere in den Gewerkschaften kämpfen. Es ist eines der Schlüsselelemente von Solidarität, dass der DGB Geflüchtete als Mitglieder aufnimmt und nicht wie in der Vergangenheit vor Angst, dass eine klare antirassistische Positionierung Mitglieder kosten kann, davor kneift. Das führt dazu, dass Unterdrückte gegeneinander ausgespielt werden und hängt mit der Ideologie der „Standortsicherung“ zusammen. Dabei sorgt die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften dafür, dass diese in Kämpfe vor Ort eingebunden werden können – auch wenn sie nicht arbeiten dürfen.  Der Angst, dass noch mehr Mitglieder abspringen, muss man entgegenhalten, dass die aktive Organisierung von Kämpfen um die soziale Frage dem Abhilfe schaffen kann. Dafür müssen der DGB und seine Einzelgewerkschaften Forderungen aufstellen wie nach bezahlbarem Wohnraum oder Mindestlohn für alle.

3. Gegen Eventhopping, für den Aufbau von Basisstrukturen an Schulen, Unis und in Betrieben!

Wenn wir effektiv antirassistischen Widerstand aufbauen wollen, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen. Weder von zunehmendem Rassismus noch Sektierertum der Linken oder der fadenscheinigen Überzeugung, dass Geflüchtete, Jugendliche, Parteien und Autonome jeweils ihr eigenes kleines Bündnissüppchen kochen sollen. Wir brauchen zwischen allen von ihnen und den größeren Organisationen der Arbeiter:innenklasse zusammen mit denen der Geflüchteten eine Einheit in der Aktion. Dabei reichen nicht nur einzelne, große Mobilisierungen aus. Diese Events gab es bereits in der Vergangenheit und haben wenig gebracht. Deswegen ist es zentral, im Zuge der Proteste Verankerung vor Ort an Schulen, Unis und in Betrieben aufzubauen. Ziel muss es sein, Menschen zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind, und in Konfrontation für unsere Position zu gehen. Dies kann durch Aktionskomitees entstehen, die mobilisieren, indem sie beispielsweise Rassismus thematisieren, Vollversammlungen und Veranstaltungen vor Ort organisieren (bei denen Proteste durchaus als Aufhänger genutzt werden können) und über Forderungen der Bewegung mit entscheiden. Passiert das nicht, verbleiben wir nicht nur in unserer eigenen Blase, sondern überlassen den Rechten mehr und mehr die Diskussion!

4. Der Kampf ist international!

Mit Deals zwischen unterschiedlichen Staaten oder gemeinsamen „Initiativen“ wie Frontex versuchen vor allem imperialistische Länder, sich die Probleme der Geflüchteten vom Leib zu halten. Um Festungen wie die Europas erfolgreich einzureißen, bedarf es mehr als einer Bewegung in einem Land. Deswegen müssen wir das Ziel verfolgen, gemeinsame Forderungen und Aktionen über die nationalen Grenzen hinaus aufzustellen. Nicht nur um mehr Druck aufzubauen, sondern auch aus dem Verständnis heraus, dass Flucht ein Problem ist, welches erst durch die Ausbeutung der halbkolonialen durch die imperialistischen Länder so virulent wird. Ebenso stellen die kommenden sozialen Angriffe kein rein deutsches Phänomen dar, sondern finden auf gesamteuropäischer Ebene statt. Statt also vereinzelt Widerstand aufzubauen, sind beispielsweise Aktionstage sowie -konferenzen auf europäischer Ebene etwas, das den gemeinsamen Kampf beleben und stärken kann!

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