Arbeiter:innenmacht

US-Wahlen: Keine Stimme für die kapitalistischen Parteien!

Dave Stockton, Infomail 1266, 15. Oktober 2024

Seit Joe Biden nach seiner katastrophalen Debatte mit Trump aus der Präsidentschaftswahl in den USA ausgestiegen ist, hat Kamala Harris in den Umfragen einen knappen Vorsprung. Aber das sind kaum sichere oder verlässliche Mehrheiten. Daher herrscht in der liberalen und reformischen, sozialistischen Linken eine an Raserei grenzende Angst vor Trumps Wiederwahl. Die von Biden und den liberalen Medien verbreitete Botschaft, dass dies das Ende der amerikanischen Demokratie bedeuten würde, heizt das Feuer weiter an.

Natürlich ist ein Mann, der seine Anhänger:innen dazu aufforderte, das Kapitol zu stürmen, um die amtliche Beglaubigung von Bidens Sieg zu verhindern, der sich immer noch weigert, diesen anzuerkennen, und damit droht, dies zu wiederholen, falls er verliert, zu Recht beunruhigend. Trump hat auch eine massive Säuberung des öffentlichen Dienstes auf Bundesebene angekündigt und erstellt eine Liste von etwa 50.000 Mitarbeiter:innen, die entlassen werden könnten.

Das Gerede liberaler „Expert:innen“ über einen „Bürgerkrieg“ ist jedoch ein Versuch, die Demokratische Partei als einzige Hoffnung darzustellen, um ein Armageddon unter Trump zu verhindern. Infolgedessen haben sich die US-Gewerkschaftsbewegung, die sozialen Bewegungen und die „Demokratischen Sozialist:innen“ ordnungsgemäß hinter Harris eingereiht.

Demokratische Sozialist:innen

Die Democratic Socialists of America (DSA) mit ihren angeblich 90.000 Mitgliedern und der angesehenen Zeitschrift Jacobin mit einer verkauften Auflage von 75.000 Exemplaren und einer Website mit über drei Millionen monatlichen Besucher:innen stehen für ein Wiedererstarken eines linksreformistischen Sozialismus in den USA, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr zu beobachten war.

Die DSA schwankt seit langem zwischen dem Versprechen, eine unabhängige sozialistische Partei aufzubauen, und der von der Mehrheit ihrer Führung verfolgten Strategie des so genannten „schmutzigen Bruchs“ mit den Demokrat:innen zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. Das bedeutet, dass einige ihrer Sektionen und Mitglieder zwar als unabhängige Kandidat:innen in den Wahlkampf ziehen, die DSA oder zumindest ihre bekanntesten Vertreter:innen auf nationaler Ebene aber immer noch die Demokrat:innen unterstützt, die sich selbst als Sozialist:innen bezeichnen, wenn es um Kongress- und Präsidentschaftswahlen geht.

Auf nationaler Ebene werden sie von Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) und der sogenannten „Squad“, neun Mitgliedern des Repräsentant:innenhauses, sowie dem altgedienten Senator Bernie Sanders aus Vermont vertreten. Auf dem Parteitag der Demokrat:innen bezeichnete AOC Harris als „die Frau, die jeden Tag dafür kämpft, dass die arbeitenden Menschen nicht mehr unter den Stiefeln der Gier leiden müssen, die auf unserer Lebensweise herumtrampeln“.

Freunde der Arbeiter:innenklasse?

Seit dem New Deal von Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren ist die US-Arbeiter:innenbewegung ein fester Bestandteil der demokratischen „Koalition“. Dazu gehörten Gesetze wie der National Industrial Recovery Act (zur Erholung der nationalen Industrie), der National Labor Relations Act (zu nationalen Arbeitsverhältnissen) und der Social Security Act (zur sozialen Sicherung) sowie eine enorme Ausweitung von Projekten der Bundesregierung. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder stieg von 2,8 Millionen im Jahr 1933 auf 14 Millionen im Jahr 1945, d. h. auf ein Drittel der Menschen in abhängiger Beschäftigung.

30 Jahre später hat Präsident Lyndon B. Johnson – obwohl er in Vietnam Kriegsverbrechen befohlen hat – auch bedeutende Reformen der sozialen Wohlfahrt und Bürger:innenrechte  eingeführt. Die Allianz der Demokrat:innen mit der Arbeiter:innenschaft hat dem Kapital seither einen großen Dienst erwiesen, trotz schnell verminderter Vorteile für die Arbeiter:innen unter Carter, Clinton und Obama. Dies hat jeden Versuch der Gewerkschaften unterbunden, eine zumindest formale politische Unabhängigkeit zu etablieren, wie sie in Westeuropa die Norm ist.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in den USA stetig gesunken, von 20,1 % im Jahr 1983 auf 10 % im Jahr 2023. Dennoch kam es im Land zu einer Welle von Lohnforderungen und Streiks, angetrieben durch einen Anstieg der Lebenshaltungskosten infolge der Pandemie und natürlich ausgelöst durch Inflation. Infolgedessen fühlte sich Biden verpflichtet, die Rolle der Demokrat:innen als „Freund:innen der Arbeiter:innen“ zu erneuern, die von früheren demokratischen Regierungen vernachlässigt wurde.

Er versprach, „der gewerkschaftsfreundlichste Präsident aller Zeiten“ zu sein. Tatsächlich hat sein im März 2021 verabschiedetes Gesetz zum Schutz des Koalitionsrechts einige der unglaublichen Hindernisse für die gewerkschaftliche Organisierung beseitigt. Letztes Jahr trat er als „Blue Collar (Blaukragen) Joe“ in die Streikpostenkette der Automobilarbeiter:innen ein. Die ihn als Präsidentschaftskandidatin ablösende Kamala Harris hat weniger explizites Engagement für arbeitsrechtliche Anliegen gezeigt und es fehlt Bidens volkstümliches Image. Allerdings sind beide Multimillionär:innen.

Viele Gewerkschaften haben Harris ihre Unterstützung treu übertragen, darunter die SEIU (Service Employees International Union (Internationale Dienstleistungsgewerkschaft), die mit zwei Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft des Privatsektors des Landes ist. Das gilt auch für die 1,7 Millionen Mitglieder zählende American Federation of Teachers (Föderation amerkanischer Lehrer:innen).

Die United Auto Workers (Vereinigte Automobilarbeiter:innen) sind mit 391.000 aktiven Mitgliedern in wichtigen Swing States (Staaten mit Wechselwähler:innenschaft) einflussreich. Ihr Präsident voll linker Rhetorik, Shawn Fain, sagte: „Als bei General Motors 40 Tage lang gestreikt wurde, war Trump nirgendwo zu finden. Kamala Harris stand mit Arbeiter:innen an der Streiklinie. Trump ist den Milliardär:innen verpflichtet, hat keine Ahnung von der Autoindustrie und würde die Arbeiter:innenbewegung in den Rückwärtsgang schicken, wenn er erneut gewählt würde.“

Die International Brotherhood of Teamsters (IBT; Transportarbeiter:innen) bilden mit 1,3 Millionen Mitgliedern die Ausnahme. Sie haben es abgelehnt, Harris oder Trump zu unterstützen. Ihr Präsident Sean O’Brien nahm eine Einladung zur Teilnahme am Republikanischen Nationalkonvent an.

Partei des Imperialismus

Bei den demokratischen Vorwahlen in Michigan im Februar stimmten mehr als 100.000 Parteianhänger:innen „unverbindlich“, um gegen Bidens proisraelische Politik zu protestieren. Seine Unterstützung für die israelische Operation machte einen wichtigen Faktor für seinen Einbruch in den Umfragen aus und damit für seinen Rückzug. Immer mehr junge Menschen, eine wichtige Bevölkerungsgruppe für die Demokratische Partei, sind besorgt über den anhaltenden Völkermord, wie die Gaza-Zeltlagerbewegung an den Universitäten gezeigt hat. Das Meinungsforschungsinstitut Pew Research stellte im April fest, dass nur 16 % der Erwachsenen unter 30 die Bereitstellung von Militärhilfe durch die USA für Israel befürworteten.

Ist Kamala Harris in dieser Hinsicht attraktiver als Biden? Sicherlich ist er ein langjähriger und häufig als solcher geäußerter „Freund Israels“ und seines falschen „Rechts, sich selbst zu verteidigen“. Trotz der wiederholten Ohrfeigen, die er von Netanjahu erhalten hat, hat er außer Worten nichts getan, um die Lage einzudämmen. Zwar hat Vizepräsidentin Harris ein paar Wochen vor ihrem Chef einen Waffenstillstand gefordert, aber es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie sich im Amt anders verhalten würde.

Die „Unverbindlichkeitskampagne“ versuchte, Harris dazu zu bringen, eine Waffenblockade gegen Israel zu versprechen oder zumindest die geltenden internationalen und Menschenrechtsgesetze in Gaza sicherzustellen und aufrechtzuerhalten, aber das ist kläglich gescheitert. Die Kampagne betont nun, wie wichtig es ist, Trump zu stoppen, und warnt vor der Gefahr, Minderheitskandidat:innen wie Jill Stein von den Grünen zu unterstützen, d. h. sie wird Harris wählen.

Was den Ukrainekrieg angeht, gibt es zwischen Harris und Trump eine Kluft. Harris hat erklärt, dass sie die Ukraine weiterhin unterstützen wird, während Trump offen seine Feindseligkeit gegenüber der finanziellen und logistischen Unterstützung der USA und NATO für Selenskyj zum Ausdruck gebracht und angedeutet hat, dass er Kiew unter Druck setzen würde, Territorium für den Frieden aufzugeben. Er deutete sogar seine „enge Beziehung“ zu Putin an, einem weiteren „starken Führer“.

In Bezug auf Einwanderung hat Harris Trump – von rechts – angegriffen, weil er sich gegen Bidens einwanderungsfeindlichen Gesetzentwurf ausgesprochen hat, der 20 Milliarden US-Dollar für die Einstellung von 1.500 weiteren Grenzschutzbeamt:innen, 100 weiteren Einwanderungsrichter:innen und erweiterten Hafteinrichtungen ausgegeben hätte. Harris prahlte auch mit ihrer harten Bilanz als „Generalstaatsanwältin des Grenzstaats“ und versprach wiederholt, „tausende weitere Grenzbeamt:innen einzustellen“.

Warum nicht die Demokrat:innen wählen?

Die Demokratische Partei wird seit langem als „Friedhof sozialer Bewegungen“ bezeichnet, an denen es in Amerika nicht mangelt. Dies traf auf die Antikriegs-, Bürger:innenrechts- und Frauenrechtsbewegungen der 1960er und 1970er Jahre zu. Es war ein Prozess, der sich mit den sozialen Bewegungen der 2000er Jahre wiederholte: den antikapitalistischen und Antikriegsbewegungen, Occupy, Black Lives Matter, #MeToo und dem Green New Deal. In Wahlperioden werden diese Bewegungen gezähmt und in einen Unterstützungsapparat für den liberalen Teil der imperialistischen herrschenden Klasse verwandelt.

Was in diesem Prozess verlorengeht, ist erstens die eigenständige kritische Dynamik und radikale Schärfe dieser Bewegungen und zweitens die Möglichkeit, ein politisches Instrument zu schaffen, das sich für ihre Ziele einsetzt. Es verschleiert die Erkenntnis für die Arbeiter:innen, dass der Kapitalismus selbst die Wurzel der Rassen- und Geschlechterunterdrückung und der Ausbeutung von Mensch und Natur ist und er gestürzt und durch den Sozialismus ersetzt werden muss. Stattdessen wenden sich die Anführer:innen dieser Bewegungen, die Gewerkschaftsbürokratie und die Linken innerhalb und um die Demokratische Partei im Wahlkampf an ihre Aktivist:innen mit dem Slogan, es sei notwendig, das kleinere Übel zu unterstützen.

Die Stimmabgabe für die Demokratische Partei verhindert die politische Repräsentanz der Arbeiter:innenklasse, die sich von der Ausbeutung durch die Milliardär:innen, von gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen und vom Verfall der Gesundheits-, Bildungs- und Sozialdienste befreien muss. Dieser Befreiungskampf kann nicht einmal ohne den Kampf für eine Arbeiter:innenpartei beginnen. Die Wahl einer kapitalistischen und imperialistischen Partei und Präsidentschaft blockiert den Weg zur Befreiung für diejenigen, die unter rassischer oder geschlechtsspezifischer Unterdrückung leiden, zur Beendigung des Albtraums der imperialistischen Kriegstreiberei und zur wirksamen Bekämpfung des Klimawandels.

Die Aufgabe der US-amerikanischen Arbeiter:innenklasse und der Bewegungen der sozial Unterdrückten besteht darin, ihre Organisationen, vor allem die Gewerkschaften, endgültig und unwiderruflich von den Demokrat:innen zu lösen und eine Partei der sozialistischen Revolution zu gründen. Alle diese Kräfte müssen sich vereinen, um gegen die Person zu kämpfen, die am 20. Januar 2025 als Präsident:in der USA vereidigt wird.

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One thought on “US-Wahlen: Keine Stimme für die kapitalistischen Parteien!”

  1. Diethelm Lazar sagt:

    Nein! Nicht eine Partei der Sozialistischen Revolution. INDIPENDENT LABOUR PARTY!

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