Stefan Katzer, Infomail 1246, 23. Februar 2024
Seit Wochen gehen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Hunderttausende beteiligten sich an Kundgebungen in den großen Städten und auch in mittelgroßen und kleineren kam es zu Protesten. Die Teilnehmer:innen zeigen sich vielfach empört über die Deportationspläne, die auf einem Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und Vertreter:innen rechtsextremer Gruppierungen diskutiert und durch eine Recherche Anfang Januar bekanntwurden. Diese Pläne machen deutlich, was die AfD vorhat, sollte sie an die Regierung kommen. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine reale Bedrohung dar, insbesondere für rassistisch unterdrückte Menschen. Sollte man sie deshalb verbieten? Diese Frage wird seitdem vermehrt diskutiert.
Zunächst ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass sich die Lage rassistisch unterdrückter Menschen bereits unter der regierenden Ampel-Koalition dramatisch verschlechtert hat. Während die AfD aufgrund ihrer Rolle als Oppositionspartei bisher nur davon träumen kann, Menschen massenweise abzuschieben, hat die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen eine Abschiebeoffensive angekündigt. In diesem Zusammenhang hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet und die Repression gegenüber Geflüchteten massiv verschärft. Der Entscheidung vorausgegangen war eine monatelange Debatte, in der sowohl die regierenden Ampel-Parteien als auch die oppositionelle CDU/CSU das „Problem“ der „illegalen“ Migration immer weiter aufbauschten und der AfD damit in die Karten spielten. Sowohl die Ampel-Parteien wie auch die oppositionelle Union haben dadurch dem Rechtsruck und weiteren Aufstieg der AfD den Boden bereitet.
Nun aber, da die AfD in einigen ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen stärkste Kraft zu werden droht, reihen sich diese Heuchler:innen in die Anti-AfD-Proteste ein und versuchen zugleich, sie für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Dementsprechend handelt es sich bei der Bewegung, die in den letzten Wochen auf der Straße war, um ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das von sehr unterschiedlichen politischen Kräften und gesellschaftlichen Schichten getragen wird. Die Frage, die dabei im Raum steht, ist die, wie die AfD wirksam bekämpft werden kann.
Ein Vorschlag, der in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, ist der nach einem Verbot der Partei. Eine Online-Petition, die ein solches Verbot fordert, konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits hunderttausende Unterschriften sammeln. Die Befürworter:innen des Verbots beziehen sich dabei auf Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verfassungswidrig sind und daher verboten werden können.
Auch in linken Kreisen wird dieser Vorschlag vermehrt diskutiert. In der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ argumentieren die Autor:innen des Artikels „Verboten faschistisch“, dass die Linke den Verbotsvorschlag aufgreifen und mit ihren eigenen Argumenten unterfüttern solle. Sie plädieren dafür, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit deren konkreter Politik zu begründen und nicht mit dem Hinweis darauf, dass diese „extremistisch“ sei. Dies ermögliche es der Linken, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit einer Kritik an anderen bürgerlichen Parteien und deren migrationsfeindlicher Politik zu verbinden und sich selbst aus der Schussbahn zu nehmen.
Es ist dabei keineswegs so, dass die Autor:innen das Verbot als Allheilmittel gegen Rechtsruck und Faschismus betrachten. Vielmehr begreifen sie es als eine Art Notwehrmaßnahme, um bestehende Handlungsspielräume für die eigene, linke Politik zu sichern. Laut den Autor:innen sei das Verbot der AfD derzeit „der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß“ und daher unterstützenswert. Dem Einwand, dass sich eine solche Verbotsforderung auch gegen linke Organisationen richten könnte, messen sie gegenüber den Vorteilen eines Verbots weniger Gewicht bei.
Zwar sind auch die Autor:innen überzeugt, dass durch ein Verbot der AfD die rassistischen Einstellungen ihrer Anhänger:innen und Wähler:innen nicht einfach verschwinden würden, doch würde es „die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken.“
Allein: Bis zu einer Entscheidung über ein Verbot könnten Jahre vergehen. Es ist also keineswegs so, dass es, sollte es tatsächlich dazu kommen, kurzfristig den Aufstieg der Rechten stoppen könnte. Ein solches Verbot kann zudem nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Der bürgerliche Staat wäre in dieser Strategie also der entscheidende Akteur, während die Bewegung gegen die AfD sich selbst in eine passive Rolle fügen würde. Der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus würde dadurch an eine bürgerliche Institution delegiert, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, im Zweifelsfall mit Gewalt verteidigt.
Was eine solche Strategie zudem in Bezug auf die Dynamik der Bewegung bedeuten könnte, kann man am Beispiel des Volksentscheids in Berlin zur Frage der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. beobachten. Dort wurde die Bewegung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne, die zwischenzeitlich massive Proteste organisierte, letztlich durch den Senat ausgebremst, der eine Entscheidung immer weiter hinauszögerte und der Bewegung damit den Wind aus den Segeln nahm. Zur Enteignung kam es dann trotz erfolgreichen Volksentscheids letztlich nicht – und die Bewegung erlahmte, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.
In Bezug auf das AfD-Verbot ergäben sich ähnliche Probleme. So ist es keinesfalls sicher, dass die AfD tatsächlich verboten würde, sollte es zu einem Verfahren gegen sie kommen. Zwar gibt es mit dem „Flügel“ um Björn Höcke eine einflussreiche Strömung innerhalb der Partei, die Verbindungen zu faschistischen Gruppierungen unterhält und auch vom sog. „Verfassungsschutz“ als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Doch ist die Partei als Ganze keineswegs faschistisch, wodurch ihr Verbot eher unwahrscheinlich erscheint.
Neben den geringen Erfolgsaussichten eines solchen Verbotsverfahrens und der Tatsache, dass sich Verbotsforderungen immer auch gegen linke Organisationen richten könnten, spricht vor allem dagegen, dass mit einem Verbot der Partei keineswegs die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt würden, die den Aufstieg der AfD begünstigten. Ein erneuter Aufstieg der Rechten nach einem Verbot der Partei wäre wahrscheinlich, zumal die Krisen, die der Kapitalismus produziert, sich immer weiter zuspitzen. Dessen scheinen sich auch die Autor:innen des Artikels bewusst zu sein, wenn sie schreiben, dass ein Verbot der AfD der Linken lediglich eine Atempause verschaffen würde.
Doch die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, stellen die Autor:innen erst gar nicht. Es ist die nach der strategischen Perspektive im Kampf gegen die AfD. Sie gilt es, zu diskutieren und praktisch zu beantworten. Hierfür muss man zuallererst die Ursachen ergründen, die den Aufstieg der AfD begünstigten.
Der Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte steht in engem Zusammenhang mit der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ja ist selbst Ausdruck dieser krisenhaften Entwicklung. Fallende Profitraten und die Überakkumulationskrise des Kapitals führen zu einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen wie zwischen den nationalen Gesamtkapitalen, die ihre Rivalität auf internationaler Bühne vermehrt mit kriegerischen Mitteln austragen. Die Verschärfung der Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt aber bilden den Nährboden für Rassismus, Militarismus, Populismus, Autoritarismus und faschistische Tendenzen.
Die Rechten verleihen dabei dem Unbehagen kleinbürgerlicher Schichten, die durch die verstärkte Konkurrenz zunehmend an die Wand gedrückt werden, einen politischen Ausdruck, stehen aber auch insgesamt für eine andere Strategie von Teilen der Bourgeoisie, die weniger exportorientiert sind und stärker auf Protektionismus setzen. Angesichts des Fehlens einer revolutionären Alternative wirkt die Demagogie der Rechten zugleich anziehend auf Teile der Arbeiter:innenklasse, die aufgrund von Krise und Inflation ebenfalls immer stärker unter Druck gerät.
Begreift man den Aufstieg der Rechten aber als ein Krisenphänomen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wird klar, dass der Kampf dagegen in eine Gesamtstrategie zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden muss. Die Linke darf somit den Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus nicht isoliert betrachten und danach ausrichten, was unmittelbar als machbar erscheint, sondern muss ihn als integralen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes begreifen und ihn mit den Kämpfen gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau verbinden.
Es greift hingegen zu kurz, im Kampf gegen die AfD zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufzurufen und die „Einheit aller Demokrat:innen“ zu beschwören. Zwar ist es richtig, demokratische Rechte zu verteidigen, doch darf eine Bewegung gegen den Rechtsruck vor einer Kritik an der bürgerlichen Demokratie nicht zurückschrecken. Das führt nur dazu, dass sich die AfD auch weiterhin als einzige Opposition zu den „Systemparteien“ positionieren kann.
Verbot und Einheit der Demokrat:innen erlauben es der AfD und anderen, offen faschistischen Gruppierungen nicht nur, sich als Pseudoopposition darzustellen. Sie bilden zugleich auch eine politische Reserve für die herrschende Klasse, sollten neben der staatlichen Repression auch andere Mittel notwendig werden, um gegen Streiks und andere Widerstandsformen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. Daher wird jedes Verbot logischerweise immer inkonsequent bleiben müssen – und die „Vernetzung“ von extremer Rechter, AfD und (ehemaligen) Teilen der Union, wie sie bei den Enthüllungen von Korrektiv auch deutlich wurde, zeigt, dass Querverbindungen von Staat (inklusive Repressionsorganen), faschistischen und rechtsradikalen Kräften sowie „Wertkonservativen“ längst schon bestehen. Die krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft wird dies weiter befördern.
Zweitens würde ein Verbot der AfD und anderer Rechter unwillkürlich nicht nur Illusionen in die Rolle des bürgerlichen Staates stärken, es würde vor allem auch dessen Machtmittel vergrößern. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn das Verbot nicht durch wachsende Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden sowie durch den Ausbau des Personals unterfüttert würde. In diesem Fall würde es nur auf dem Papier bestehen, wäre faktisch eine Fiktion. Würde es wirklich umgesetzt, so würde es zu einer Stärkung des repressiven Staatsapparates führen müssen, dessen Mittel „natürlich“ auch gegen alle anderen „Gefährder:innen“ „der Demokratie“ verwendet werden würden. Es würde also unwillkürlich die Tendenz zum Autoritarismus, zur Einschränkung demokratischer Rechte, deren Ursache selbst in der Krise und imperialistischen Konkurrenz liegt, zusätzlich stärken und legitimieren.
Drittens versetzt es die Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten in eine passive, rein abwartende Rolle, die durch die scheinbare und fiktive Einheit von Arbeiter:innenklasse und „demokratischer“ Bourgeoisie auch ideologisch untermauert wird. Die Verbotslosung (wie ein umgesetztes Verbot) stärkt letztlich das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates, also der herrschenden Klasse, auch wenn es sich auf den ersten Blick ausnahmsweise auch gegen rechts zu richten scheint.
In Wirklichkeit entwaffnet es die Arbeiter:innenklasse politisch-ideologisch und materiell bzw. verfestigt die bestehende ideelle Entwaffnung, indem die Gewerkschaften, linke Parteien und auch Teil der „radikalen“ Linken politisch hinter bürgerlichen Kräften hertraben (auch wenn diese bei den Demonstrant:innen nur eine Minderheit sind). In Wirklichkeit müssen Revolutionär:innen und alle klassenkämpferischen und internationalistischen Kräfte daran arbeiten, die klassenübergreifenden „Einheit der Demokrat:innen“ aufzubrechen. In der Verbotslosung bündelt sich gewissermaßen diese Einheit zu einem zentralen Ziel. Wenn die AfD und rechte Organisationen auch legal verboten werden können, wozu braucht es dann noch Selbstverteidigungsorgane der Unterdrückten und der Arbeiter:innenklasse? Wozu müssen faschistische Aufmärsche und Organisationen militant bekämpft werden, wenn der Staat sie ohnedies verbietet?
Statt die Einheit mit den selbsternannten „Demokrat:innen“ zu suchen, muss die radikale Linke für die Einheit der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Hierzu muss sie Druck auf die reformistischen Organisationen ausüben und sich darum bemühen, die Gewerkschaft in den Kampf hineinzuziehen. Innerhalb dieser Bewegung muss die radikale Linke für Forderungen kämpfen, die auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse zielen, AfD, Nazis und staatlichen Rassismus bekämpfen! Zugleich muss sie in der Bewegung dafür argumentieren, dass dieser Kampf mit dem zur Überwindung des Kapitalismus und für die Errichtung der revolutionären Rätemacht des Proletariats verbunden werden muss.
So sollte die Linke innerhalb dieser Bewegung für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees eintreten, die von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften getragen werden, anstatt sich an den bürgerlichen Staat zu wenden. Diese Selbstverteidigungsorgane sind mögliche Keimformen von zukünftigen Milizen der Arbeiter:innenklasse, Kampforgane nicht nur gegen die Rechten, sondern auch gegen jede Form der Repression. Ihre Propagierung und Errichtung stellt eine Brücke zum Kampf um die Rätemacht dar, wenn wir den Faschismus nicht nur bekämpfen, sondern im globalen Maßstab tatsächlich besiegen wollen. Dies kann die Linke nur, wenn sie mit dem imperialistischen Weltsystem zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen für die autoritär-reaktionären Formierungen bekämpft, die derzeit in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind. Kein bürgerlicher Staat der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.