Arbeiter:innenmacht

BSW: Populismus als Alternative?

xtranews.de, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Martin Suchanek, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Gründen oder nicht gründen – diese Frage machte Sahra Wagenknecht monatelang zum Dauergast in den Talkshows. Der Bruch mit der Linkspartei stand längst fest, fraglich war nur, ob und wann eine neue Partei gegründet wird. Seit dem 23. Oktober wissen wir es. Am 27. Januar 2024 soll die neue Partei von 400 ausgewählten Mitgliedern gegründet werden.

Demokratisch ist das alles nicht für eine „Bewegung“, aber Wagenknecht und ihr innerer Kreis wollen so wohl absichern, dass sie sich von Beginn auf Funktionär:innen, Apparat und ein Fußvolk stützen können, das ihren Ansprüchen an „Politikfähigkeit“ und „Zuverlässigkeit“ genügt. Schließlich wollen sie sich nicht mit „dubiosen Figuren“ und „Querulant:innen“ abplagen, die eine neue linkskonservative Partei nur zu leicht kaputtmachen könnten. Programm, mediale Präsenz und innere „Demokratie“ – daran lassen sie keinen Zweifel – müssen auf Sahra zugeschnitten sein und auf sonst niemanden.

Wofür steht linkskonservativ?

Das Beste an Wagenknechts Parteiprojekt ist, dass niemand auf die formale Gründung oder das Programm warten muss, um zu wissen, wofür die neue Partei steht. Linkskonservativ mag ja ein schräger Begriff sein, links ist daran jedoch – nichts!

„Unser Land ist in keiner guten Verfassung.“ So beginnt das Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), das allen „wirtschaftliche Vernunft“, „soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“ verspricht. Schließlich verdiene „unser Land“ „eine selbstbewusste Politik, die das Wohlergehen seiner Bürger in den Mittelpunkt stellt“.

Und diese versprechen Wagenknecht und 15 weitere Abgeordnete und Politiker:innen der Linkspartei, die mit dem offenen Brief „Warum wir DIE LINKE verlassen“ ihren Austritt aus der Partei erklären. Die 16 hätten immer wieder argumentiert, „dass falsche Schwerpunkte und die fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden das Profil der Partei verwässern.“ Ihre Positionen hätten keinen Platz mehr in der Partei gefunden.

Vorweg: Begriffe wie Kapitalismus, Imperialismus, Sozialismus, Arbeiter:innenklasse, Klassengesellschaft oder links kommen im Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das am 23. Oktober auf der Bundespresskonferenz vorgestellt wurde, erst gar nicht vor.

Chauvinismus und Rassismus

Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 werden Wagenknecht und ihre Anhänger:innen nicht müde,  gegen offene Grenzen zu wettern. „Regulierte“ Zuwanderung lautet ihr Motto und sie befinden sich damit ganz auf Linie der Bundesregierung und Unionsparteien. Während die Linkspartei die jüngsten Angriffe auf das Asylrecht als rassistisch und menschenfeindlich bezeichnet hatte und damit einmal wenigstens verbal ein richtiges Zeichen setzte, ergriff Wagenknecht im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“, der Bildzeitung für Spiegel-Leser:innen, die Seite der EU-Staaten. Mit der Kritik an den geplanten Gefängnislagern zur Abfertigung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen dürfe man es sich, so Wagenknecht, nicht „so einfach“ machen, sondern man müsse erst abwarten und sehen, ob diese funktionieren!

Damit setzte sie ein weiteres rechtes Ausrufezeichen. Auch beim Schleifen des Asylrechts macht Wagenknecht gerne mit. Um diesen Scheiß zu rechtfertigen, greift sie einmal mehr in die Mottenkiste rechter Lügenmärchen. Die Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, behauptet Wagenknecht gegenüber „Die Welt“, wären schließlich nicht „die Ärmsten der Armen“, sondern stammten vor allem aus den Mittelschichten. Woher sie das weiß? Ganz einfach. Die „Ärmsten der Armen“ würden es nämlich gar nicht schaffen, Krieg, Hunger, Umweltkatastrophen zu entfliehen. Folglich könnten diese Menschen nur vergleichsweise „Privilegierte“ sein – und die könnten daher auch ebenso gut in ihren Heimatländern wie Syrien und Afghanistan bleiben.

Sicherlich unterstützen nicht alle Anhänger:innen einer zukünftigen Wagenknecht-Partei diese lupenrein rassistischen und antidemokratischen Positionen. Aber sie nehmen sie billigend in Kauf, wenn sie mitmachen. Und auch die Gründungserklärung des BWS lässt keinen Zweifel daran, dass Zuwanderung und Migration begrenzt werden müssen. Denn die Freiheit, die das BSW verspricht, gibt es nur für jene, die dem deutschen „Sozialstaat“ zumutbar sind. „Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert, und sofern Integration aktiv gefördert wird und gelingt.“ Und – daran lässt Sahra Wagenknecht schon lange keinen Zweifel mehr – dieser Punkt sei längst überschritten und daher stimmt die neue vorgebliche Oppositionspartei gleich in den Chor all jener ein, die praktisch täglich neue rassistische Gesetzesverschärfungen fordern.

Lifestyle-Linke vs. bodenständige Menschen

Forderungen nach offenen Grenzen und eine „überzogene“ Kritik an Einreisebeschränkungen bilden für das auf dem rechten Auge blinde BSW einen weiteren Beleg dafür, dass sich DIE LINKE von den „normalen“, hart arbeitenden Menschen entfremdet hätte. Und damit nicht genug. „Übertriebener“ Genderismus,  Veganismus, Ökologismus und Kosmopolitismus seien allesamt Ausdruck desselben Grundproblems. DIE LINKE hätte sich lt. Wagenknecht und ihren Anhänger:innen von ihrer eigentlichen Klientel, den Lohnabhängigen, den Erwerbslosen, aber auch von den Handwerker:innen und vom „Mittelstand“ abgewandt. Sie würde sich auf urbane „Aufsteiger:innenmilieus“, auf Linksliberale konzentrieren.

Wagenknecht greift dabei reale Schwächen und Probleme der Identitätspolitik an – vermischt sie jedoch zu einem populistischen Brei, der auch gleich die Kritik an realer sozialer Unterdrückung entsorgt, die in ihr zum Ausdruck kommt.

Wagenknecht punktet darüber hinaus, wenn sie den Rechtsruck von Grünen und SPD anprangert. Aber sie verkennt dabei vollkommen deren Ursache. Sie vermag diese Anpassung nicht als Ausdruck veränderter Akkumulationsbedingungen des Kapitals – und damit veränderter Rahmenbedingungen reformistischer, auf einen Klassenkompromiss zielender Politik – zu begreifen. Die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt verengt nämlich den Verteilungsspielraum für sozialpartnerschaftliche Politik, was bei der SPD, aber auch bei der Linkspartei zu immer mehr Zugeständnissen an die uneingeschränkt kapitalistischen „Partner:innen“ führt.

Wagenknecht (und vor ihr Lafontaine) werfen im Grunde der SPD vor, an ihrer traditionellen Politik nicht einfach festzuhalten, weil sie in der Tat glauben, dass der Staat den Kapitalismus zum Wohle aller regulieren könne.

Daher bleibt ihre Kritik letztlich rein moralistisch. DIE LINKE hätte sich von Sozialstaat und nationalstaatlicher Umverteilungspolitik abgewandt. Hätte sie das nicht getan, so der Umkehrschluss, könnten wir heute noch immer in einem schön funktionierenden Sozialstaat leben, in dem die Armen versorgt, die Arbeiter:innen angemessen entlohnt und die Unternehmer:innen ehrliche Gewinne machen würden.

Die sogenannte Lifestyle-Linke hätte sich jedoch nicht nur dem Neoliberalismus angeschLossen, sondern sie würde auch unzumutbare Anforderungen an die Massen stellen, wenn sie ständig ihre Einstellungen und Verhaltensweisen in Frage stelle. Der „normale“ Mensch ist für Wagenknecht kein gesellschaftliches Wesen, die vorherrschenden Gedanken, Einstellungen und familiären Verhältnisse sind kein Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern quasi natürliche, letztlich unveränderliche Eigenschaften „der“ Menschen. „Normale“ Lohnabhängige seien ebenso wie „normale“ Kleinbürger:innen oder Kleinunternehmer:innen eben heimatverbunden, bodenständig, stolz darauf, Deutsche zu sein. Sie lebten mehrheitlich gern in Familien, sind gerne heterosexuelle Männer und Frauen und wollen nicht „ständig gemaßregelt“ werden, wenn sie einen Witz über Schwule machen.

Wagenknecht präsentiert sich dabei gern als Verteidigerin der einfachen Leute. In Wirklichkeit verhält sie sich jedoch paternalistisch und bevormundend, indem sie darüber bestimmt sagt, was diese einfachen Leute ausmache und was nicht. Ihr zufolge könnten die Lohnabhängigen „überzogenen“ Erwartungen an Fortschrittlichkeit prinzipiell nicht genügen. Man müsse die Menschen eben so nehmen, wie sie (angeblich) sind – darauf läuft das Credo von Wagenknecht wie jedes (linken) Populismus hinaus. Ansonsten liefen die Leute zur AfD über. Und um das zu verhindern, müsse man eben auch den Ball flach halten, wenn es um rückständiges Bewusstsein unter der Masse der Bevölkerung geht.

Populismus und Elektoralismus

Das erscheint Wagenknecht und Co. umso zwingender und unproblematischer, weil es in ihrer politischen Konzeption erst gar nicht vorgesehen ist, das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse zu verändern. Die Überwindung von inneren Spaltungen stellt für sie kein Problem dar, weil die Lohnabhängigen ohnedies nicht als Subjekt zur Veränderung der Gesellschaft begriffen werden. Sie bilden nur eine besonders zahlreiche Wähler:innenschicht unter anderen „Leistungsträger:innen“, die Wagenknecht ständig im Blick hat: Mittelschichten, städtisches und ländliches Kleinbürger:innentum und, als Krönung der deutschen Wirtschaft, nichtmonopolistische Unternehmen. Das Subjekt einer möglichen Veränderung ist nicht die Arbeiter:innenklasse, sondern es geht nur darum, bei den Wahlen möglichst viele Stimmen der einfachen Leute zu erhalten. Das Subjekt der Veränderung ist sie – Sahra Wagenknecht. Damit sie längerfristig Kreuzchen erhält, muss man den Menschen natürlich etwas bieten. Nämlich Ausgleich zwischen den Klassen, Gerechtigkeit, Sicherheit, Ruhe und Ordnung auf dem Boden der „sozialen Marktwirtschaft“.

Zur sozialen Marktwirtschaft zurück

Ludwig Erhard und Willi Brandt sind die Leitbilder der Wirtschafts- und Sozialpolitik einer Sahra Wagenknecht. Dabei sorgt der Staat für den Ausgleich zwischen den Klassen, zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Das ginge, so können wir beispielsweise in „Reichtum ohne Gier“ nachlesen, weil gute Unternehmen eigentlich gar nicht auf Profit aus wären. Dieser entstünde auch nicht, wie uns Marx weismachen wollte, in der Ausbeutung im Produktionsprozess, sondern durch die Monopolprofite der Großkonzernen. Echte Unternehmen hingegen bräuchten gar keinen Kapitalismus, wohl aber eine funktionierende freie Marktwirtschaft.

Diesen kleinbürgerlichen Schwachsinn verkauft Wagenknecht – und der gesamte mediale Rummel um sie – allen Ernstes als „Theorie“, als „tiefgehende“ Gesellschaftsanalyse. Links oder gar marxistisch ist darin gar nichts.

Dafür tischt uns Wagenknecht wie dereinst auch Oskar Lafontaine das Märchen auf, dass der Staat die Wirtschaft zum Wohle aller regulieren könne. Er müsse nur entschlossen eingreifen. Ansonsten drohten dem armen Deutschland Niedergang und Deindustrialisierung.

Damit der Staat im Inneren „freien“ und gerechten Wettbewerb organisieren könne, müsse er sich der Globalisierung widersetzen. Ansonsten werde er ohnmächtig und schwach. Nur auf Basis eines nationalen Programms könnten Wohlstand für alle und sogar ein gewisser Grad ökologischer Nachhaltigkeit erreicht werden. „Alle“ sind dabei natürlich nur deutsche Staatsbürger:innen und jene Ausländer:innen, die ihr Gastrecht nicht verwirkt hätten. Die anderen Länder der Welt müssten eben selbst eine solche Politik umsetzen – dann wird alles gut, sozial und gerecht auch in der Marktwirtschaft.

Das Gründungsmanifest des BSW präsentiert „unsere“ Wirtschaft im Niedergang, nicht unähnlich jeder anderen oppositionellen Bundestagsfraktion, ob nun AfD oder CDU/CSU. Die Rahmenbedingungen für Industrie und Mittelstand hätten sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, beklagt das BSW.

Woran liegt es? „Von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik und das Versagen der Kartellbehörden haben eine Marktwirtschaft geschaffen, in der viele Märkte nicht mehr funktionieren.“ Und die Lösung? Echter, also fairer Wettbewerb, wie es ihn angeblich mal unter Ludwig Erhard und Willi Brandt gegeben hätte.

„Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an. Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.“

Dass die Konkurrenz selbst zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals führen muss, davon will die ehemalige Marxistin Wagenknecht längst nichts mehr wissen. Statt dessen folgt der Griff in die Mottenkiste des kleinbürgerlichen Antimonopolismus, der hofft, mit staatlichen Regulierungen die Entwicklungsdynamik des Kapitals lenken zu können. Es handele sich um eine Wirtschaftspolitik, in deren Zentrum der vorzugsweise deutsche Mittelstand stehe: „Wir brauchen Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen und Start-ups und nicht Milliardensubventionen für Konzerne aus Übersee.“ Gegen staatliche Förderungen des Privatkapitals ist also nichts weiter einzuwenden, solange es nicht aus Übersee kommt, sondern deutsch und innovativ ist.

Dieses Programm wird von Wagenknecht zwar als klassenübergreifende Wohltat angepriesen. Den Interessen der Arbeiter:innenklasse entspricht es jedoch nicht. Im Gegenteil, es bindet die Lohnabhängigen an eine kleinbürgerliche Utopie, an ein Programm, das vor allem im Interesse des Kleinbürger:innentums und der auf den nationalen Markt orientierten Unternehmen liegt. Sollte sie wirklich mal in eine Regierungsverantwortung kommen, dann darf sie sich bereits am Tag eins nach Dienstantritt tief vor den verfluchten Monopolen verbeugen und sich als erste Vorkämpferin des deutschen Imperialismus beweisen – auch gegen die einfachen Leute. Es ist nicht die einzige Parallele zum Rechtspopulismus. Auch, dass rassistisch Unterdrückte und LGBTIA+ dann besonders mit Angriffen von der großen Führerin rechnen müssen, mit denen sie von ihrer völlig kapitalkonformen Politik ablenken wird (wenn auch gemäßigter und weniger aufgeblasen aggressiv als die AfD), passt dazu.

Starker Staat und sozialer Imperialismus

Die Schwachen, so hatte schon Oskar Lafontaine verkündet, bräuchten einen starken Staat. Dabei bleiben die Schwachen zwar auch weiter schwach – aber sie werden besser, „anständig“ und „ausreichend“ versorgt. Die Starken bleiben natürlich weiter stark, aber sie müssen höhere Steuern zahlen.

Die braucht der Staat schließlich, um weiter zu funktionieren. Damit ist bei Wagenknecht und Co. keineswegs nur (was immerhin richtig wäre) ein Ausbau von Bildung, Gesundheitswesen oder Infrastruktur gemeint.

Auch wenn sich Wagenknecht gern als Friedensengel hinstellt, so ist sie eine realistische „Pazifistin“. Deutschland brauche natürlich eine leistungsfähige, verteidigungsbereite Bundeswehr, erklärt sie in zahlreichen Interviews. Das Problem an der Kriegstreiberei der aktuellen Bundesregierung besteht für sie nicht darin, die eigene Armee aufzurüsten, sondern sich in Kriege zu verwickeln, die Deutschland schaden würden.

Auch wenn das Gründungsmanifest des BSW zu Recht die Aufrüstung der NATO anprangert, so bleibt es vollkommen utopisch. Schließlich muss auch in der Welt des BSW der Weltfrieden irgendwie garantiert werden. Aber wie? Inmitten des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen imperialistischen Mächten strebt es eine „neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit an“. Die imperialistische Ordnung soll – ganz wie der Kapitalismus – nicht bekämpft, sondern nur reguliert werden – und zwar vorzugsweise von jenen Mächten, die heute die Welt dominieren.

Deutschland soll dabei aktiv mitmischen, ja voranschreiten. So erfahren wir vom BSW: „Europa benötigt eine stabile Sicherheitsarchitektur.“ Natürlich mit Bundeswehr. Diese hätte schließlich den „Auftrag, unser Land zu verteidigen. Für diese Aufgabe muss sie angemessen ausgerüstet sein.“

Abschottung nach außen

Doch mit der Anerkennung der Bundeswehr nicht genug. Wagenknecht fordert Investitionen für alle anderen Repressionsorgane und -institutionen – für „unsere“ Polizei, „unsere“ Gefängnisse, „unsere“ Frontex-Kräfte und Abschiebebehörden. Racial Profiling von Migrant:innen oder Schikanieren von Jugendlichen durch Cops? All das gibt es in der Welt des Links-Konservativismus allenfalls als Marginalie. Die Einzelfälle lassen grüßen.

So wie Wagenknecht den von Rassismus, Sexismus oder Transphobie Betroffenen und anderen gesellschaftlich Unterdrückten den Rücken kehrt, so wie sie von der Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse durch das gesamte Kapital – inklusive des sog. Mittelstandes – nichts wissen will, so verschwindet für sie auch der Klassencharakter des bürgerlichen Staates.

Für die einstige Marxistin ist dieser längst kein Herrschaftsinstrument des Kapitals mehr, sondern eigentlich der Gipfel menschlicher Zivilisation. Wo der Staat keinen Klassencharakter mehr hat, verschwindet folgerichtig auch der deutsche Imperialismus.

Imperialistisch sind allenfalls die anderen – sicherlich die USA, wohl auch China, vielleicht sogar Russland. Deutschland droht in Wagenknechts Weltsicht, unter die Räder zu kommen, ja abhängig zu werden, weil es die eigenen Unternehmen nicht ausreichend fördert und schützt. Während die Großkonzerne Teile der Produktion ins Ausland verlagern und so den Standort schwächen, drohen die „kleinen“, also die Mittelständer:innen, die auch mehrere Tausend Arbeiter:innen ausbeuten, einzugehen.

Wenn Wagenknecht ein düstereres Bild des deutschen Kapitalismus zeichnet, geht es ihr natürlich nicht um dessen Kritik, sondern Rettung. Die Bundesregierung, so ihr, der AfD nicht ganz unähnlicher Vorwurf, fahre unsere Wirtschaft „an die Wand“. Sie habe versagt, es brauche eine/n andere/n Arzt/Ärztin am Krankenbett der Marktwirtschaft, eine/n, der/die Staat, Unternehmen und nebenbei auch noch die Lohnarbeit rettet. Dazu wären Regierung, Unionsparteien, aber auch die AfD nicht imstande. Dazu brauche es Wagenknechts rettende links-konservative Partei.

Deutschland-Retterin im Wartestand

Mehr noch als die reformistische Linkspartei bietet Wagenknecht eine neue links-konservative Partei als Rettung aller Klassen an. Und sie bedient dabei durchaus eine reale Stimmung. Der rechtspopulistischen AfD will sie eine (links)populistische Alternative entgegensetzen. Ob dies gelingt, ist zweifelhaft.

Es ist aber bezeichnend für den Charakter eine möglichen Wagenknecht-Partei, woher ihre potentiellen Wähler:innen kommen würden. In verschiedenen Umfragen wird einer solchen Partei ein Potential bis zu 25 % zugerechnet, was jenen Menschen entspricht, die sich vorstellen könnten, eine solche Gruppierung zu wählen. Ob sie das gegebenenfalls wirklich tun würden, ist eine andere Frage, aber die Herkunft dieses Potentials ist dennoch von Interesse.

Im Artikel „Wo liegt das Potenzial einer Wagenknecht-Partei?“ verweist Carsten Braband auf eine Studie des Instituts Kantar vom Februar 2023. Dieser zufolge kämen 15 % der potentiellen Wähler:innen von der Linkspartei, 3 % von den Grünen, 12 % von der SPD, also insgesamt nur 28 %. Die überwältigende Mehrheit des Wähler:innenpotentials rekrutiere sich aus  bürgerlichen und rechten Parteien: FDP: 8 %, CDU/CSU: 22 %, AfD 41 %!

Diese Zahlen sind zwar auch für DIE LINKE bedrohlich, weil sie angesichts ihres maroden Zustandes das endgültige parlamentarische Aus der Partei herbeiführen könnten. Aber entscheidend ist, dass Wagenknecht in der AfD ihr größtes Wähler:innenreservoir vorfindet, gefolgt von den Unionsparteien!

Die Anhänger:innen von Wagenknecht betrachten das als eine Bestätigung ihrer Rolle als Bürgerinnen- und Rechten-Schreck. Doch warum spricht sie gerade diese Wähler:innen an? Ganz einfach. Sie verspricht einerseits eine gewisse soziale Sicherheit, die CDU/CSU und auch die AfD nicht ganz so überzeugend zu vermitteln vermögen. Vor allem aber signalisieren ihre Anhänger:innen: Reaktionäre Einstellungen, Rassismus, Nationalismus, Sexismus, Transphobie – all das ist für Wagenknecht und Co. kein Problem, ja es erscheint ihnen geradezu als Erfolgsgarant. Indem man konservative und traditionelle „Werte“ zu Familie, Ehe, Migration akzeptiert und sich selbst zu eigen macht, würde man die Anhänger:innen der AfD mittels Sozialstaatsversprechen wieder für eine vorgeblich „linke“ Politik zurückgewinnen.

Das ist nicht nur spalterisch gegenüber den Lohnabhängigen und reaktionär, es ist auch dumm und kurzsichtig. Die letzten Jahre haben in zahlreichen europäischen Ländern gezeigt, dass gerade die rassistischen Zugeständnisse gegenüber den Rechten ihnen nicht das Wasser abgegraben, sondern diese bestärkt haben. Und so wird es auch hier laufen. Die Ideologie des Links-Konservativismus ist letztlich Wasser auf den Mühlen der AfD – nicht umgekehrt.

Wagenknecht begeht hier im Grunde einen ähnlichen fatalen Fehler wie die Regierungssozialist:innen in der Linkspartei. Während sich diese mehr und mehr den grünen und sozialdemokratischen Parteien anpassen und dabei immer offener die demokratisch verbrämte imperialistische Politik Deutschlands verteidigen, passt sich Wagenknecht an die rechten, konservativen und reaktionären kleinbürgerlichen Gegner:innen dieser Politik an. Ihr Programm und ihre Partei sind nicht Teil der Lösung der Krise der Arbeiter:innenbewegung, sondern ein mögliches neues, populistisches Hindernis.

Statt reformistisch eingehegter, im Grunde bürgerlicher Arbeiter:innenpolitik, die immerhin noch den Klassengegensatz formal berücksichtigt, kennt die neue Partei keine Klassen. Das Großkapital wird nicht als Kapital kritisiert, sondern der Verzerrung des Wettbewerbs angeklagt, der eigentlichen Quelle allen Übels.

Daher stellt es den Monopolen und insbesondere den ausländischen Großkonzernen die Einheit des „Volkes“, vom mittleren und kleinen Unternehmen bis zum/r prekär Beschäftigten entgegen. Von einer „richtigen“ Wirtschaftspolitik könnten dann alle profitieren, vorausgesetzt, der Staat würde sich um die „wirklichen Menschen“ und nicht um „Randgruppen“ kümmern und auch die Zahl der Menschen auf ein „vernünftiges“ Maß durch effektive Einreiserestriktionen begrenzen.

Diese Weltsicht, diese politische Heilserwartung entspricht der „Vernunft“, genauer der Klassenlage, deutscher Kleinbürger:innen und Mittelschichten. Links und oppositionell ist daran – nichts.

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