Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1107, 14. Juni 2020
Mit Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland stand die Situation der Krankenversorgung im Fokus. So wurden die vielen Einschränkungen, Schließungen und Ausgangsverbote vor allem aus dem Grund vorgenommen, weil die Regierung ein Zusammenbrechen des Gesundheitssystems befürchtete und nicht riskieren wollte, dass in einem der reichsten Länder der Welt Situationen wie in Italien oder China Realität werden und ÄrztInnen vor der Entscheidung stehen, wer noch beatmet wird und wer sterben muss.
Auch wenn in Deutschland aufgrund der getroffenen Maßnahmen die erste Welle der Corona-Pandemie nicht zu einem Kollaps des Gesundheitswesens führte, wurde doch deutlicher denn je zuvor, dass dessen Ausrichtung auf die Behandlung von lukrativen Fällen, die möglichst viel Geld bringen mit möglichst wenig Personal, die Ursache für die ganze Misere ist.
Es ist jetzt schon vorauszusehen, dass es aufgrund der Einnahmeausfälle während der Umstellung auf die Versorgung der PatienInnen mit Corona keine geordnete oder allmähliche Rückkehr zum Regelbetrieb geben wird. Es wird mit ziemlicher Sicherheit einen Wettbewerb – nicht nur unter den privatisierten Krankenhäusern – um die lukrativsten Behandlungs- und OP-Fälle geben, mit denen am schnellsten wieder Geld gemacht werden kann. Die rigide Organisierung des Krankenhausbetriebs wird sehr schnell wieder dazu führen, dass die DRGs in vollem Umfang – solange es keine Alternative zu diesen gibt – Einzug in die Krankenhausabrechnung finden werden, um wieder profitabel „arbeiten“ zu können.
Die KollegInnen – seien es ÄrztInnen oder Pflege- oder Reinigungskräfte – werden sehr schnell wieder möglichst viele PatientInnen in möglichst kurzer Zeit „durchschleusen“ müssen. Auch wenn der bayerische Ministerpräsident Söder, der die Pflegekräfte seit Ausbruch der Pandemie als systemrelevante Berufsgruppe entdeckt hat, verspricht, dass er dafür sorgen wird, dass diese mehr Geld bekommen sollen, wird das nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein.
Die Situation in den Krankenhäusern wird sich nicht verbessern, wenn wir es den Gesundheitskonzernen und den Regierungen überlassen, die dafür gesorgt haben, dass die Gesundheit zur Ware wird.
Und da regt sich auch tatsächlich was im Gesundheitswesen. Die Beschäftigten und PatientInnen melden sich auch immer wieder zu Wort und sind bei vielen Aktionen der Pflegenden, der ÄrztInnen, des Reinigungspersonals und der Logistik dabei. Bis zum 12. Mai gab es tatsächlich nicht wenige Petitionen, offene Briefe von Personal- und Betriebsräten, Unterschriftensammlungen, Mahnungen der Gewerkschaften und kleine Kundgebungen vor Krankenhäusern, um auf die Situation hinzuweisen und mehr Geld, kürzere Arbeitszeit, mehr Personal und bessere Ausstattung zu fordern.
Vor Ort, also in den Häusern, wurde die jeweilige Belegschaft aber gleichzeitig ermahnt, ja zur Arbeit zu kommen. Jetzt müssten „wir“ erstmal durch die Krise kommen, egal wie die eigene Gesundheit leidet – bei gleichzeitiger Nichterreichbarkeit von Personal- und Betriebsräten und geschlossenen Gewerkschaftshäusern.
Am 1. Mai wurde deutlich, dass es zwar eine Interessenvertretung gibt, diese aber, statt kämpferische Wege auf der Straße auch in Pandemiezeiten zu finden, den Schulterschluss mit dem Kapital noch enger ausübt. Daraufhin sind einige linke Gruppen, Bündnisse für mehr Personal im Krankenhaus und betroffene Beschäftigte und PatientInnengruppen aktiv geworden und haben Kundgebungen abgehalten, am 1. Mai und am Tag der Pflege, am 12. Mai. Der bundesweite Zusammenschluss der Bündnisse für mehr Personal im Krankenhaus hat eine Online-Pressekonferenz durchgeführt. Die VGK (Vernetzung der Gewerkschaftslinken) bereitet eine Kampagne vor.
Der Druck in den Krankenhäusern ist hoch, die Gewerkschaft ver.di und der Marburger Bund pressen mit aller Kraft den Deckel drauf. Das wird früher oder später zu einer explosiven Entladung kommen.
Die Ausgangsbedingungen sind also jetzt günstig: Nicht zuletzt – wie oben beschrieben – hat sich durch die reale Situation die Erkenntnis nicht nur bei vielen Beschäftigten, sondern auch bei vielen in der arbeitenden Bevölkerung durchgesetzt, dass die ganze Misere des Gesundheitswesens an der durch Privatisierung ermöglichten Profitmacherei hängt.
Eine gute Ausgangsbedingung dafür, die Diskussion fortzuführen und auch Initiativen zu ergreifen, um das Gesundheitswesen auf eine Grundlage zu stellen, die es ermöglicht, alle PatientInnen ob jung oder alt oder chronisch krank gleich gut zu versorgen unter guten Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten:
Dafür wäre es notwendig,
Um dies vorzubereiten, muss die Gewerkschaft jetzt Aktivitäten der Beschäftigten in Koordination mit den PatientInnen initiieren. Als erster Schritt wäre die Einberufung von Aktiventreffen der Beschäftigten bundesweit und lokal notwendig.
Als zweiter Schritt wäre es angebracht, diese Aktivitäten in einer bundesweiten Aktionskonferenz aller im Gesundheitsbereich aktiven Kräfte (wie ver.di, BR/PR, gewerkschaftliche Strukturen in den Einrichtungen, Pflegebündnisse, PatientInnenorganisationen, Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, DIE LINKE, SPD etc.) zusammenzufassen und das weitere gemeinsame Vorgehen bis hin zu bundesweiten Streiks zu besprechen.
Als Ausgangspunkt für die Diskussion einer solchen Konferenz wären folgende Forderungen sinnvoll:
Nur wenn die Beschäftigten und die arbeitende Bevölkerung gemeinsam gegen die Krise in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vorgehen, kann sich daraus eine Kraft entwickeln, die ein Gesundheitssystem durchsetzen kann, das alle PatientInnen gleichermaßen voll und gut versorgt, bei gleichzeitig guten Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten.