Arbeiter:innenmacht

PDS, Linkspartei und die Wohnungsfrage: „Rebellisches“ Regieren in Berlin

Susanne Kühn, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Gern präsentiert sich DIE LINKE als einzige Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, die „konsequent“ für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. eingetreten wäre. Stolz verweist die Partei darauf, dass sie 2021 zehntausende Unterschriften gesammelt hat und viele ihrer Mitglieder aktiv an der Kampagne teilgenommen haben.

Dieser rosigen Seite der Mietenpolitik der Berliner Linkspartei und ihrer Vorläuferorganisation stehen jedoch zahlreiche dunkle Kapitel gegenüber, die die Grenzen „linker“ Reformpolitik deutlich machen.

Vom Saulus zum Paulus?

Über das unrühmlichste und wohnungspolitisch geradezu kriminelle Kapitel der eigenen Parteigeschichte hüllt DIE LINKE in Berlin gern den Mantel des Schweigens. Unter der rot-roten Landesregierung wurde massiv privatisiert. Von den knapp 400.000 landeseigenen Wohnungen bei Antritt des SPD-PDS-Senats blieben nur ca. 250.000 übrig.

Darüber hinaus wurden in Berlin in dieser Periode auch die Wasserwerke teilprivatisiert und Krankenhäuser an Vivantes, Helios und die Rhön-Kliniken verscherbelt.

Kurz gesagt, die Regierungsrebell:innen um Gregor Gysi und Harald Wolf rührten die Scheiße am Wohnungsmarkt mit an, die die Linkspartei seither beklagt. Gelernt hatte sie aber schon damals nichts aus der Enttäuschung ihrer Wähler:innen. Trotz Stimmenverlusten von beinahe 10 Prozent verblieb DIE LINKE als Juniorpartnerin im Senat unter Klaus Wowereit und werkelte von 2006 – 2011 weiter als treue Vasallin der SPD.

In der Opposition 2011 – 2016 reorganisierte sie sich ein wenig und erzielte 2016 15,6 % (ein Plus von 3,9 % gegenüber 2011). Von 2016 bis 2021 war sie, ebenso wie von 2021 bis zur Nachwahl 2023, Teil des Senats mit SPD und Grünen.

Anders als in den vorherigen Senatsperioden versuchte sich DIE LINKE darin, ihr tristes Regierungsdasein mit „oppositionellen“ Regungen zu verbinden, was noch 2021 dazu führte, dass sie relativ wenig Stimmen verlor. Doch gerade diese Zeit, die die Linkspartei am ehesten als „rebellisches Regieren“ verkaufen möchte, verdient eine genauere Betrachtung.

Gleich 2016 versuchte DIE LINKE mit der Ernennung des linken, antikapitalistischen Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär unter der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, einen Akzent zu setzen. Innerhalb weniger Monate wurde Holm jedoch durch eine reaktionäre Kampagne bürgerlicher Medien, von CDU und FDP sowie unter kräftiger Mithilfe des rechten Flügels von SPD und Grünen zum Rücktritt gezwungen – ein klares Signal, dass die Immobilienlobby und ihr politischer Anhang vor nichts zurückschrecken würden, um jede wohnungspolitische Wende zu verhindern, die sich auch nur im Ansatz gegen ihre Interessen richtet.

Zugleich musste der Senat und damit auch DIE LINKE versuchen, dem wachsenden Druck unzufriedener Mieter:innen und von Protestansätzen Rechnung zu tragen. Hierbei sollte der Mietendeckel helfen, den Lompscher 2019 auf den Weg brachte und der im Januar 2020 vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde. Der durchaus löchrige Deckel sollte die Mietpreissteigerungen für Hunderttausende Mieter:innen begrenzen. Die Bundestagsfraktionen von CDU und FPD klagten gegen diesen Anschlag auf den „freien Markt“. Das Bundesverfassungsgericht gab der Immobilienlobby Recht und kassierte das Berliner Gesetz – mit verheerenden Folgen für rund 1,5 Millionen Mieter:innen, denen  teilweise massive Nachzahlungen, vor allem aber weitere Mieterhöhungen ins Haus standen.

Die beiden Beispiele verdeutlichen das ganze Dilemma der Reformpolitik der Linkspartei, selbst wenn sie, anders als im rot-roten Senat, keine Verschlechterungen, sondern Verbesserungen in Angriff nahm. Unter dem Druck der bürgerlichen Öffentlichkeit knickte sie wie im Falle Holm ein. Kassierte ein Gericht die Reformen, war sie mit ihrem Latein am Ende. Einen Plan B, der über letztlich symbolische Demonstrationen und Proteste gegen die Urteile hinausging, hatte sie nie.

Deutsche Wohnen und Co. enteignen

Das Kassieren des Mietendeckels beflügelte auf seine Art die größte und auf ihrem Höhepunkt auch erfolgreichste von Linken und der Mieter:innenbewegung getragene Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. DIE LINKE unterstützte die Kampagne von Beginn an, auch wenn sie deren massiven Erfolg bei der Volksabstimmung 2021 wie viele andere nicht voraussehen konnte. Am 26. September stimmten 59 % für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne in Berlin.

Nicht nur die Wohnungswirtschaft, AfD, CDU und FDP waren wild entschlossen, die Entscheidung der Bevölkerung nicht umzusetzen. Auch die rechte SPD-Führung um Giffey und Geisel wollte den Volksentscheid politisch kippen. Natürlich konnte sie das nicht direkt tun. Daher zauberten Geisel und Giffey eine sog. Expert:innenkommission aus dem Hut, die überprüfen sollte, ob der Volksentscheid umsetzbar und in welches Gesetz er gegebenenfalls zu gießen wäre.

So sollte in einer im Geheimen tagenden Kommission zuerst einmal Zeit gewonnen werden, ohne offen den Mehrheitswillen zu ignorieren. Zweitens erklärten denn Giffey und Geisel auch deutlich, dass selbst ein positives Ergebnis der Kommission längst nicht bindend wäre, sondern der Senat darüber entscheiden müsse. Kurzum, die SPD-Führung machte klar, dass es sich nur um eine Verschleppung handelte und sie ohnedies immer den Volksentscheid blockieren würde.

Dieses Manöver war nicht nur ein Hohn auf jede Demokratie, sondern natürlich ganz im Interesse des Kapitals. Die Grünen spielten gern mit und die SPD machte die Expert:innenkommission zur Bedingung für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition.

Und DIE LINKE? Die spielte das schäbige Spiel mit. Sie lief sehenden Auges in die offene Falle, die Giffey und Geisel gestellt hatten. Dass auch die Mehrheit der Kampagne von Deutsche Wohnen und Co. um die Interventionistische Linke das üble Spiel mitgstaltete, diente der Mehrheit der Linkspartei zwar als Entschuldigung für ihre Kapitulation vor der SPD, macht die Sache aber nicht besser.

Ein Mitgliederentscheid sprach sich für die Fortsetzung der Koalition aus. Insgesamt beteiligten sich 4.220 (53,64 %) der 8.016 Parteimitglieder am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3.926 Stimmen gültig. 2.941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert und mit ihr die gesamte Senatsriege konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärte sie und ließ weiter verlauten: „Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben.“

In Wirklichkeit halfen sie der Immobilienlobby mit, ihre volle Verfügungsgewalt über ihr Privateigentum zu behalten. Die Expert:innenkommission werkelte über Monate vor sich hin, die Bewegung und die Strukturen von Deutsche Wohnen und Co. schrumpften und brachen mehr und mehr in sich zusammen. Mit der Neuwahl 2023 und der Bildung des CDU/SPD-Senats war der Volksentscheid endgültig erledigt.

Opportunismus und Blindheit

Das Beispiel verdeutlicht das Problem des „rebellischen Regierens“, selbst wenn DIE LINKE eine Bewegung aktiv unterstützt. Letztlich stößt eine solche Bewegung, gerade wenn sie das kapitalistische Privateigentum und seine rechtliche Absicherung, also ein gesellschaftlich wesentliches Verhältnis, berührt, an die Grenzen des bürgerlichen Systems. Das ist unvermeidbar.

Sowohl die Mehrheit der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen als auch DIE LINKE weigerten sich jedoch bewusst, diese Problematik von Beginn an zu thematisieren. Der Opportunismus setzte auf politische Blindheit – und wunderte sich dann, dass er das Offensichtliche nicht vorausgesehen hatte.

Was die Führung der Linkspartei betrifft, so erfüllt diese jedoch auch einen Zweck. Sie sollte jede vorausschauende Diskussion, jede strategische Debatte darüber verhindern, wie die Kampagne erfolgreich weitergeführt werden könnte, auch wenn der Senat sabotiert und DIE LINKE nicht mehr in der Landregierung vertreten ist. Dazu hätten nämlich sowohl die Kampagne wie auch DIE LINKE auf eine Strategie der klassenkämpferischen Mobilisierung, auf den Aufbau von Mieter:innenkomitees, auf Verbindung mit betrieblichen und gewerkschaftlichen Organisationen, auf die Verbreiterung von Miet- und politischen Solidaritätsstreiks orientieren müssen. Genau das wollten aber die Vertreter:innen des „rebellischen Regierens“ nicht, weil sie selbst viel stärker unter den direkten und demokratischen Druck einer solchen Kampagne geraten wären, weil es viel schwerer geworden wäre, 2021 weiter im Senat zu hocken und dafür den Volksentscheid faktisch zu opfern.

Die Lehre aus diesen Kämpfen muss aber gezogen werden. Es ist natürlich grundsätzlich richtig, DIE LINKE wie auch andere reformistische Parteien oder Gewerkschaften zur Unterstützung solcher Kampagnen aufzufordern, ja, wenn möglich, dazu zu zwingen. Aber zugleich braucht sie demokratische Kampfstrukturen und eine offen geführte Diskussion und Entscheidung über die zentralen Fragen zur Umsetzung ihrer Ziele – in diesem Fall der Enteignung – und der dafür notwendigen Kampfmethoden und Strukturen. Natürlich können auch dann Reformist:innen und Opportunist:innen eine Kampagne in die Irre führen, aber bieten sich unter diesen Bedingungen viel günstigere Möglichkeiten für klassenkämpferische Kräfte, ihre Vorschläge, ihre Positionen zu vertreten und im günstigsten Fall die Mehrheit dafür zu gewinnen. Hinzu kommt, dass eine solche Methode erlaubt, dass wir nach einem politischen Ausverkauf durch Reformist:innen und deren Senatsambitionen nicht mit leeren Händen, sondern einer politisch aktiven Kampagne dastehen, die weiter kampffähig ist.

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