Helga Müller, Infomail 1233, 10. Oktober 2023
Diverse Wahlprognosen hatten ja schon vorausgesagt, dass die AfD und die Freien Wähler in Bayern von dem Verlust der SPD, FDP und Die Grünen/Bündnis 90, aber auch von der CSU profitieren werden. Auch wenn das Ergebnis nicht ganz so extrem ausfiel wie prognostiziert, bedeutet der Wahlausgang eine Niederlage für die gesamte Arbeiter:innenbewegung inkl. der Gewerkschaften, SPD und Die LINKE. Aber er offenbart auch die Schwäche der linken Kräfte insgesamt mehr als deutlich. Dieses Ergebnis kann nicht damit beschönigt werden, dass Bayern schon immer ein besonderes Bundesland war und ist. Auch bei der Landtagswahl in Hessen hat sich eine ähnliche Tendenz ergeben – mit Ausnahme der CDU, die noch gegenüber der letzten Wahl zugenommen hat.
Mit diesen beiden Wahlen hat nun die AfD endgültig den Sprung von Ostdeutschland in die Landesparlamente zweier großer westdeutscher Flächenstaaten geschafft, entsprechend frohlocken ihre Bundesgrößen in den Medien. Auch das Ammenmärchen von der besonderen Bindung der ostdeutschen Bevölkerung an sie ist damit Lügen gestraft worden.
Doch bevor wir weiter in die Analyse einsteigen, zunächst einmal ein paar Worte zum vorläufigen Wahlergebnis der Landtagswahlen in Bayern vom 8.10.2023:
Die CSU bleibt zwar mit 37 % stärkste Partei, rutscht aber noch unter ihr desaströses Wahlergebnis bei der letzten Landtagswahl von 2018 mit 37,2 % – das schlechteste seit 1950. Eine stabile Regierung unter einer starken CSU ist damit in Frage gestellt. In Umfragen hatte das Ergebnis für sie noch schlechter ausgesehen. Sie konnte noch etwas zulegen, weil sie sich in der Frage der Zuwanderung zusehends an die Positionen der AfD angenähert hatte. CDU-Oppositionsführer Merz war sich auch nicht zu blöd in seiner Bilanz der beiden Landtagswahlen, seine rechtspopulistischen Aussagen zu Asylsuchenden, die zum Teil auch in seiner eigenen Partei umstritten waren, als Beitrag zum Wahlerfolg seiner Partei zu deklarieren. So weit zur Brandmauer der Union zur AfD! Zwar sah es lange in den Hochrechnungen so aus, dass die Grünen/Bündnis 90 die zweitstärkste Kraft in Bayern werden würden, aber dies schafften die Freien Wähler mit 15,8 % der abgegebenen Stimmen und gewannen damit gegenüber 2018 4,2 % hinzu. Noch nicht einmal drittstärkste Kraft und damit Anführerin der Opposition im Bayerischen Landtag wurden sie, sondern die AfD mit 14,6 %! Sie erhöhe ihr Wahlergebnis um 4,4 % – der stärkste Zuwachs für eine Partei bei dieser Wahl. Sie hätte sicherlich wie in Hessen das Potential, zur zweitstärksten Partei in Bayern zu werden, wären da nicht die Freien Wähler mit der unsäglichen Aiwangeraffäre um das antisemitische Flugblatt und dem rechtspopulistischen Auftritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten auf einer Kundgebung gegen das Heizungsgesetz im Juni in Erding bei München. Dies hat paradoxerweise zu einer Stärkung der Freien Wähler geführt, was aber auch zeigt, welche rechtskonservative bis -radikale Stimmung dort vorherrscht.
Die viertstärkste Kraft wurden die Grünen/Bündnis 90 knapp hinter der AfD mit 14,2 %. Sie verloren 3,2 % gegenüber ihrem Rekordergebnis von 2018.
Die SPD schaffte es zwar im Gegensatz zur FDP noch einmal in den Landtag mit lächerlichen 8,4 % und verliert somit „nur“ 1,3 %. Damit fuhr sie das schlechteste Wahlergebnis in Bayern aller Zeient ein. Dieser geringe Zuspruch ist eine Wahlschlappe und eine Ohrfeige für die SPD.
Die FDP kommt mit 3 % – einem Minus von 2,1 Prozentpunkten – nicht mehr in den Landtag. (Alle Zahlen nach „merkur.de“ vom 9.10.23).
Die LINKE wird in den meisten Veröffentlichungen gar nicht mehr aufgelistet und verschwindet somit vollends in der Bedeutungslosigkeit, auch wenn auf den Wahlplakaten trotzig „Bayerns Opposition“ stand. Sie lag bei 1,5 % und verlor 1,8 Prozentpunkte. (Zahlen nach sueddeutsche.de vom 9.10.23). Auch außerhalb des Landesparlaments kriegt man von der Partei nicht viel von Oppositionsarbeit mit.
Die Wahlbeteiligung fiel mit 73,3 % etwas höher als 2018 (72,4 %) aus. Trotzdem kann man sagen, dass diese Wahl anscheinend von vielen auch nicht als eine Entscheidungswahl gesehen wurde oder sie fühlen sich von keiner Partei angesprochen!
Alle Kommentator:innen betonen, dass diese beiden Wahlen vor allem auch eine Abrechnung mit der Politik der Ampelkoalition in Berlin symbolisierten und diese ganz offensichtlich abgemahnt wurde. Zu denken geben natürlich sowohl in Bayern als auch bei den Landtagswahlen in Hessen, wo die AfD mit 18,4 % (einem Plus von 5,3 Prozentpunkten) zweitstärkste Kraft wurde, der hohe Zuspruch für die AfD auf der einen und der geringe für die SPD (in Hessen 15,1 %, ein Minus von 4,7 Prozentpunkten) und für DIE LINKE (in Hessen 3,1 % ein Minus von 3,2 Prozentpunkten) auf der anderen Seite. D. h. beide Parteien sind nicht mehr in der Lage, ihre eigentliche Klientel – die Lohnarbeiter:innenschaft, aber auch Frauen, Erstwähler:innen etc. – an sich zu binden. Das ist aber auch ein Trend, der schon länger zu beobachten ist.
Die SPD wird aufgrund ihrer seit Jahrzehnten andauernden unternehmerfreundlichen, Sozialabbau- und mittlerweile auch ihrer Aufrüstungspolitik schon lange nicht mehr als politische Interessenvertretung der arbeitenden Bevölkerung wahrgenommen. Das Ergebnis der Bundestagswahl vor zwei Jahren erscheint im Lichte der beiden Landtagswahlen als ein überraschendes Zwischenhoch. Aber DIE LINKE, die ihre Entstehung der Krise der SPD zu verdanken hatte, kann von dieser Schwäche nicht profitieren. Sie ist aufgrund ihrer inneren Zerstrittenheit nicht in der Lage, eine Massenattraktivität für die Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Jugendlichen, Frauen, LGBTQIA+, Rentner:innen oder Migrant:innen aufzubauen (auch nicht mehr in Ostdeutschland). Aber nicht nur ihre Zerstrittenheit – z. B. die Diskussion um den linkspopulistischen Flügel von Sahra Wagenknecht –, sondern vor allem ihre harmlose reformistische Programmatik, um sie regierungsfähig zu machen, tragen massiv dazu bei.
Diese Krise des Reformismus zeigt sich auch an der Wählerwanderung: Für die AfD in Hessen macht Infratest dimap die Hauptunterstützer:innen in den (normalen) Arbeiter:innenschichten und Menschen mit einfacher Bildung aus. Man muss natürlich dazu sagen, dass vor allem Mittelschichten, die Angst vor einer sozialen Degradierung empfinden, die eigentliche Basis für die AfD darstellen.
Diese Schwäche kann die AfD mit ihren rechtsradikalen Themen wie der „massenhaften“ Zuwanderung besetzen und lenkt damit von der eigentlichen Ursache der Krise, die die Menschen weltweit – auch in den reichen Industrienationen – zu spüren bekommen, ab.
Auch die Gewerkschaften befinden sich in einer tiefgehenden Krise, stehen sie doch in allen wichtigen Fragen fest an der Seite der regierenden SPD.
Auf die wirklichen Fragen, vor denen die Arbeiter:innenklasse steht wie die effektive Bekämpfung der Inflation, des Arbeitsplatzabbaus, der Klimaveränderung, der Aufrüstung, des Sozialabbaus durch das 30-Milliarden-Sparprogramm der Ampelkoalition, des Pflegenotstands, der Bildungsmisere und nicht zuletzt der Umgang mit Asylsuchenden, finden weder DIE LINKE noch die Gewerkschaftsführung eine Antwort. Damit treiben sie letzten Endes die Kolleg:innen in die Hände rechtspopulistischer Kräfte wie die Freien Wähler und rechtsradikaler Kräfte wie eben die AfD mit ihren rassistischen, antisemitischen und Antiestablishment-Antworten.
Anstatt die wahren Verursacher:innen und Profiteur:innen der Krise und letzten Endes auch der Zunahme von Migration zu nennen – nämlich die großen weltweit agierenden Konzerne und Banken – und gegen diese zu mobilisieren in großen Demonstrationen, aber auch konsequenten Streiks, setzen sie nach wie vor auf Sozialpartnerschaft und eine Bändigung des Kapitalismus – durch die Wiederbelebung einer grünen sozialen Marktwirtschaft.
Die Landtagswahlergebnisse haben gezeigt – wie wir es ja in Deutschland auch in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt haben –, dass es in Krisenzeiten immer eine Polarisierung nach rechts und links gibt. Wir erleben leider heute eine eindeutige Polarisierung nach rechts bis hin zu rechtsradikalen bis neonazistischen Kräften. Die linke Bewegung insgesamt dagegen steckt in einer tiefgehenden Krise.
Nach der Landtagswahl in Bayern wird sich die alteingesessene CSU aufgrund ihrer Wahlschlappe und des Anstiegs der Freien Wähler als auch der AfD noch stärker nach rechts bewegen und sich noch stärker populistischen Themen wie der Zuwanderung widmen.
Von daher stellt sich jetzt die Frage: Wie werden die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung – allen voran die Gewerkschaften und DIE LINKE, aber auch Teile der SPD – mit diesem gefährlichen Rechtsrutsch umgehen? Schon einmal in unserer Geschichte haben diese Organisationen die Gefahr von ganz rechts unterschätzt und auf die Einheit der Demokrat:innen geschworen, um dann als Erste verfolgt, verboten und eingesperrt zu werden.
Einhalt gebieten kann man der AfD nicht mit Hochglanzbroschüren, um über ihren wahren Charakters aufzuklären, wie es der DGB Bayern in der Wahlkampagne angestellt hat oder mit schönen Wahlkampfreden und -veranstaltungen von SPD und Linken zur sozialen Frage (Mieten, Gesundheit, Bildung etc.) im Wahlkampf.
Auch nicht mit „Wohlfühl“kundgebungen gegen die AfD – wie in München auf dem Odeonsplatz kurz vor der Wahl mit immerhin 35.000 Teilnehmer:innen unter dem Motto „Zammreißen in Bayern gegen rechts“ –, zu der alle Demokrat:innen, auch die FDP, aufgerufen waren. Letztere will im Bund gerade einen Sparhaushalt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.
Sondern jetzt wäre es dringlicher notwendiger denn je, dass diese jetzt die Initiative ergreifen – nicht nur in Bayern oder Hessen, aber durchaus hier beginnend. Sie müssen aufgefordert werden, große und machtvolle Demonstrationen gegen Sozialabbau, Aufrüstung und Vorbereitung auf Kriege, für Klimaschutz, der seinen Namen auch verdient, und auch die Aufnahme aller Asylsuchenden mit entsprechender Ausstattung der Kommunen vorzubereiten. Zahlen sollen die vielen Krisengewinnler:innen – die großen weltweit agierenden Konzerne und Banken mit der Einführung einer progressiven Kapitalsteuer, der Wiedereinführung der Vermögensteuer usw. Die jetzt kommenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder muss dazu genutzt werden, Einkommenserhöhungen durchzusetzen, die die Inflation auch wirklich bekämpfen. Dafür ist es auch notwendig, sie dazu nutzen, um den Widerstand gegen Hochrüstung und Sozialabbau aufzubauen. Die zu erwartende Ablehnung der Forderungen der Kolleg:innen im öffentlichen Dienst durch die Länder kann nur ernsthaft bekämpft werden, wenn ver.di auch gegen die gesamte Politik der Regierung vorgeht!
Wir dürfen aber nicht abwarten, bis unsere Gewerkschaften aktiv werden, sondern müssen uns selbst für unsere Interessen organisieren und Kampfstrukturen aufbauen, um unseren Kampf zu diskutieren und zu lenken: gegen jeden faulen Kompromiss und Ausverkauf durch die Gewerkschaftsführungen! Wir müssen dies aber auch gegenüber den Gewerkschaftsverantwortlichen einfordern und diese nicht aus der Pflicht lassen!