Arbeiter:innenmacht

Tragödie und Farce – der „Wagner“-Putsch

Rot = Länder, in denen die Gruppe Wagner aktiv ist. Quelle: Mupper-san, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Martin Suchanek, Infomail 1226, 26. Juni 2023

Fast so schnell wie der Spuk begonnen hatte, war er auch vorbei. Am 23. Juni verkündete der Chef und Eigentümer der paramilitärischen russischen Gruppe Wagner, Prigoschin, einen „Marsch für Gerechtigkeit“ auf Moskau an. Auch wenn es hieß, dass sich nicht direkt gegen Putin, sondern „nur“ gegen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow richte, stand ein Putsch im Raum.

Bis zu 25.000 Soldaten mobilisierte die Wagner-Gruppe. Innerhalb weniger Stunden besetzte sie die militärischen Kommandostellen in Rostow/Don, dem Kommandozentrum der Armee im Ukrainekrieg, und rückte auf Moskau vor.

Putin erklärte die Wagner-Truppe zu „Verrätern“ und drohte mit allen erdenklichen Mitteln, um sie zu stoppen und bestrafen. Prigoschin seinerseits kündigte an, alle zu vernichten, die sich einen Söldern in den Weg stellten.

Rund 200 Kilometer vor der Hauptstadt endete der Vormarsch so überraschend, wie er begonnen hatte – mit dem Rückzug der Wagner-Truppen. Vermittelt hatte dieses Ende der Präsident von Belarus, Aljaksandr Lukaschenka. Eine große bewaffnete Konfrontation blieb aus. Die Anklage gegen Prigoschin wurde fallengelassen, die „Aufständischen“ pardoniert. Schließlich hätten sie ja in der Ukraine, in Syrien, Mali und bei sonstigen Schlächtereien „Großes“ für Russland geleistet.

Konflikt im Regime

Der ebenso überraschende wie überraschend abgeblasene Putsch erwischte nicht nur Putin auf dem falschen Fuß. Die gesamte Weltöffentlichkeit spekulierte, immer neue „Nachrichten“, Verlautbarungen, Insider(des)informationen und widerstreitende „Expert:innen“ warten mit ihren Einschätzungen auf. Der amerikanische Geheimdienst sollte schon vorab informiert gewesen sein, heißt es. Andere meinen, auch der russische hätte etwas gewusst. Die einen sprachen von einem Putschversuch, andere meinten, es wäre eher eine inszenierte Auseinandersetzung gewesen. Und wie der Beginn, so gab und gibt auch das Ende des „Marsches für Gerechtigkeit“ Raum zur Spekulation.

Fakt ist, dass die Episode den bisherigen Zenit eines Konfliktes zwischen zwei Flügeln des russischen imperialistischen Militärapparates und Regimes darstellt. Schon seit Monaten hatte Prigoschin den Spitzen der Armee vorgeworfen, in der Ukraine zu versagen, die Lage zu beschönigen, nicht brutal genug vorzugehen und seinen Kämpfern Nachschub vorzuenthalten. Außerdem hätte die Armee die Abzugsrouten von Wagner-Soldaten aus Bachmut vermint. Am 23. Juni beschuldigte Prigoschin das Verteidigungsministerium, einen Angriff auf seine Truppen gestartet zu haben.

Zweifellos zeigt der gesamte Konflikt eine innere Schwäche des russischen Regimes. Der Aufmarsch, die Passivität von Teilen der Armee, der, wenn auch nur zeitweilige, Kontrollverlust über Teile des Landes sind natürlich ein Zeichen der Schwäche für jedes Regime, zumal für ein bonapartistisches, das so sehr auf die „Allmacht“ eines Mannes zugeschnitten ist.

Dazu bedarf es keiner sonderlichen Kenntnisse. Verschärft wird das Problem dadurch, dass der Konflikt nicht gelöst, sondern nur befriedet wurde. Er dürfte zwischen der Armeeführung und der Wagner-Gruppe also weitergehen.

Und auch wenn Putin angeblich schon vor Monaten versucht hatte, ihn durch Vermittlung beizulegen, so darf man nicht vergessen, dass er in mehrfacher Hinsicht selbst eine Ausgeburt des Systems Putin darstellt.

Ursprung und Veränderung der Gruppe Wagner

Der russische Imperialismus hat über Jahre private, paramilitärische, eng mit dem Regime verbundene „Sicherheitskräfte“ aufgebaut. Die Wagner-Gruppe ist sicherlich die bekannteste, aber keineswegs die einzige. Für die Außerpolitik Russlands erfüllten sie über Jahre wichtige Funktionen, erledigten die besonders barbarische Drecksarbeit „privat“, so dass Putin und die Armee für diese „Exzesse“ keine Verantwortung übernehmen, ja sich zur Not sogar davon distanzieren konnten.

Über Jahre agierte u. a. die Wagner-Gruppe am Rande der russischen Legalität. Ironischer Weise war ihr heutiger Intimfeind Gerassimow einer der Inspiratoren ihrer Gründung. Prigoschin selbst bestritt noch bis 2019 irgendwelche Verbindungen zu dieser Organisation.

Die Gruppe Wagner selbst rekrutierte und rekrutiert sich bis heute vornehmlich aus ehemaligen Soldaten und Offizieren der russischen Armee. Auch wenn sie keine offizielle Ideologie hat, so war sie von Beginn an von völkisch-nationalistischen Kräften bis hin zu offenen Faschisten geprägt. Der Name Gruppe Wagner geht auf den ehemaligen Oberstleutnant Dmitri Uktin zurück, der selbst eine Teileinheit der privaten Söldnergruppe Slawisches Korps befehligte und dort den Kampfnamen Wagner führte. Uktin selbst war nicht nur ein Bewunderer des deutschen Komponisten, sondern auch von Adolf Hitler und des Dritten Reiches. Auch wenn die Wagner-Gruppe in ihre Gesamtheit keine faschistische Organisation darstellt, so tummeln sich seit ihrer Gründung russische Rechte darin.

Im Zuge des Ukrainekrieges veränderte sich aber die Größe und Rolle der Söldnertruppe. Es wurden zunehmend auch schlechter ausgebildete Soldaten wie auch Kriminelle in großer Zahl aufgenommen, die oft selbst als Kanonenfutter in der „Truppe“ fungieren. Insgesamt wir die Zahl der Kämpfer im Ukrainekrieg nach unterschiedlichen Quellen auf 30.000 bis 50.000 Mann geschätzt.

Putin als Geburtshelfer

Mit dem rasanten Wachstum veränderte sich zugleich auch die Stellung im System Putin und es steigerte sich auch die Konkurrenz mit dem Militärapparat, der ursprünglich deren Gründung angeregt hatte. Die Verluste im Ukrainekrieg verschärften diese Gegensätze.

Es wäre jedoch verkürzt, diese inneren Widersprüche unter den bewaffneten Kräften des russischen Imperialismus nur als Konflikte zwischen einzelnen Personen oder Institutionen zu betrachten. Das bonapartische Herrschaftssystem Putin hat lange selbst Konflikte und  Konkurrenz unter seinen Gefolgsleuten befeuert. Das funktioniert auch solange, als diese über ein gewisses Maß nicht hinausgehen. Putin kann dann als der „neutrale“, „vernünftige“ Schlichter auftreten und sich so als unersetzlicher Garant für Stabilität nicht nur für seine Gefolgsleute, sondern auch für die Bevölkerung beweisen.

Doch diese Konflikte haben im Ukrainekrieg eine gefährliche Eigendynamik entwickelt, die am 23. Juni für einige aus dem Ruder gelaufen ist und – letztlich entgegen der Intention aller Beteiligten – auch das Herrschaftssystem des russischen Imperialismus als schwach erscheinen ließ.

Dass der Putschversuch unblutig endete, gibt ihm nicht nur einen unfreiwillig komödiantischen Touch. Der Ausgang verdeutlicht auch, dass letztlich alle Beteiligten das System Putin nicht ersetzen, sondern nur ihre Position darin behaupten wollen. Beschädigt wurde es jedoch.

Die Unternehmung der Gruppe Wagner verdeutlicht, dass Teile des bewaffneten Apparates wie auch der wirtschaftlichen Elite auch über Alternativen zu Putin nachzudenken beginnen – inklusive solcher, die einen womöglich noch barbarischeren Kurs verfolgen. Zweitens verweist sie auf eine tief sitzende Unzufriedenheit unter Soldaten an der Front, was für jedes Regime eine Gefahr darstellt. Für den Krieg in der Ukraine bedeutet das keineswegs eine Entspannung von russischer Seite. Kurzfristig ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Kriegsanstrengungen des russischen Imperialismus eher noch verstärkt werden, um die eigenen Eroberungen gegen die ukrainischen Gegenangriffe zu halten. Davon hängt heute das Regime Putin noch mehr ab als vor dem „Wagner“-Putsch.

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