Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 274, Juni 2023
Frischer Wind weht durch die Uniflure in der Bundesrepublik. Seit Semesterstart ist die Initiative TVStud für einen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte unterwegs und versucht studentische Hilfskräfte zu organisieren. Das Ziel: Im Herbst diesen Jahres soll zusammen mit den Beschäftigten von TV-L gestreikt werden. Denn die Arbeitsbedingungen sind mehr als schlecht, wie das Forschungsprojekt „Jung, akademisch, prekär?“ vom Institut für Arbeit und Wirtschaft Bremen in Kooperation mit ver.di und GEW belegt. Insgesamt wurden im Zeitraum vom 30. Januar 2022 bis zum 22. Juli 2022 über 11.000 studentische/wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor:innen zu ihren Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen befragt.
Damit ist die Studie die erste ihrer Art und aktuell die umfassendste. Kernerkenntnisse sind dabei, dass: 77,8% der studentisch Beschäftigten als armutsgefährdet gelten, da sie über weniger als 1.250€ monatliches Gesamteinkommen verfügten. Dies liege daran, dass sich die Löhne an den TdL-Richtlinien orientieren und nur knapp über dem Mindestlohnniveau lägen. Der Stundenlohn von studentischen Hilfskräften (SHK), also denjenigen ohne Bachelorabschluss, läge im Erhebungszeitraum zwischen 10 € (Thüringen und Bayern) und 12,96 € (Berlin). Hinzu kämen kurze Vertragslaufzeiten, im Durchschnitt bei 6,1 Monaten, häufig als Kettenbefristung. Seien studentische Hilfskräfte und Tutor:innen mehr als einmal an einer Hochschule beschäftigt, arbeiteten sie im Durchschnitt zum dritten Mal in Folge auf derselben Stelle. Für knapp 90% der studentischen Beschäftigten sei die Lebensfinanzierung ein (wesentliches) Erwerbsmotiv.
Kurzum: Befristung und schlechte Bezahlung sind hier als Spiegel der Arbeit im deutschen Wissenschaftsbetrieb der Universitäten zu verstehen. Die schlechten Anstellungsbedingungen der studentisch Beschäftigten dienen quasi als Vorbereitung zu den Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine massive Ausweitung dieser Anstellungsart zu beobachten, die auch genutzt wird um Stellen im universitären Bereich zu ersetzen und so Tarifflucht zu begehen.
Hier mit einem Tarifvertrag TVStud entgegen zu wirken in richtig und notwendig! Einfach wird das Vorhaben aber nicht. Die Aktivist:innen stehen vor mehreren Problemen:
Während andere Arbeitskämpfe den Vorteil haben, dass die Belegschaft Erfahrungen im Rahmen unterschiedlicher Auseinandersetzungen sammeln kann, ist das bei den SHKs weniger der Fall. Das liegt in der Natur des Studiums an sich, das im Idealfall drei Jahre dauert. Dementsprechend begrenzt sind auch die Anstellungsdauer der SHKs, verstärkt wird das ganze durch die Kettenbefristung. Das heißt in der Praxis: Studierende, die man im Sommersemester für den Streik motiviert, arbeiten vielleicht im Wintersemester nicht mehr in ihrer Anstellung.
Nur 36,7% der befragten SHKs haben sich auf eine Stellenausschreibung beworben; 41,4% wurden persönlich angesprochen, insgesamt 60,3% so oder auf einem anderen informellen Weg rekrutiert. Das bedeutet eine verstärkte Abhängigkeit gegenüber den Vorgesetzten, die häufig auch an die Studierenden Noten im „normalen“ Unialltag vergeben. Das in Kombination mit der Kettenbefristung kann die Bereitschaft senken für die eigenen Interessen und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen.
Bisher ist unklar, für welche Form des Tarifvertrags man die SHKs eigentlich organisieren möchte. Berlin ist das einzige Bundesland in dem ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte existiert. Der Tarifvertrag ist ein Relikt aus den 80er Jahren, dient aber als Vorbild für die Initiative. Die Verbesserungen sind merklich: die durchschnittliche Anstellungszeit in Berlin liegt bei 14,1 Monaten und auch das Lohnniveau ist im Vergleich höher (auch wenn seit Juni 2022 der Berliner Landesmindestlohn den Abschluss überholt hat).
Um Erfolg zu haben, braucht es eine Strategiedebatte.
Die Frage, die auf dem Tisch liegt, ist, wofür eigentlich gestreikt werden soll. Ein bundesweiter TV-Stud? Oder eine Anbindung an den TV-L? Letzteres hat definitiv Vorteile wenn es darum geht, die Kampfkraft zu erhöhen. Statt alleine zu streiken, wären die studentischen Beschäftigten mit weiteren Kolleg:innen auf der Straße, beispielsweise auch mit wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an den Universitäten.
Auf der anderen Seite gerät man dabei Gefahr, dass man seitens der Gewerkschaften ausverkauft und bei den Abschlüssen nicht genügend beachtet wird. Dieses Szenario ließe sich durch Streikversammlungen mit allen TV-L Beschäftigten bekämpfen, indem diese über die Fortführung des Streiks bestimmen, sowie direkte Wähl- und Abwählbarkeit für die Mitglieder der Tarifkommission. Das würde in der Praxis bedeuten, dass die Mitglieder der Tarifkommissionen die Entscheidungen der Streikenden von den Versammlungen umsetzten müssten. Damit das nachvollziehbar ist, sollten die Verhandlungen selbst auch öffentlich geführt werden.
Was sich nach Utopie anhört, hat in der Praxis mehrere Vorteile: Die Streikenden würden die Kontrolle über ihren Streik erhalten und selber in die Lage versetzt werden, politische Diskussionen zu führen, was notwendig wäre um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten. Darüber hinaus fällt der Frust weg, seitens der Gewerkschaft ausverkauft zu werden, wie es beispielsweise Teile der Kolleg:innen mit dem Abschluss im TVöD erleben.
Doch das ist nicht alles: Darüber hinaus braucht es eine Bewegung an den Universitäten, die nicht nur die studentischen Beschäftigten erfasst. Für die Studierenden muss klar sein: Gute Lernbedingungen entstehen nur durch gute Arbeitsbedingungen. Es ist also im Interesse aller Studierenden die Streiks zu unterstützen. Ebenso bieten sie den Rahmen längst überfällige Forderungen zur Verbesserungen der eigenen Situation aufzustellen.