Susanne Kühn, Infomail 1412, 27. Februar 2023
Den Beginn einer neuen „Friedensbewegung“ verkündeten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei der Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ am 25. Februar. 50.000 Menschen wollen Ordner:innen gezählt haben. Die Polizei wiederum konnte nur 13.000 ausmachen. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte bei 25.000 liegen.
Zweifellos ein Achtungserfolg, zumal die regierungsoffiziellen Ukrainesolidaritätsdemos nach offiziellen Berichte weniger Menschen – rund 10.000 – auf die Straße gebracht haben dürften.
Vorweg: Die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, mit den lohnabhängigen Massen, den Hauptopfern des imperialistischen Angriffskriegs Russlands, blieb letztlich bei beiden vor allem eine Beschwörungsformel, ein Lippenbekenntnis. Für die NATO, für die USA und auch für den deutschen Imperialismus bedeutet die „Solidarität“ mit den Ukrainer:innen nur einen Vorwand für die Verfolgung ihrer eigenen ökonomischen und geostrategischen Interessen in der Konkurrenz mit Russland.
Wagenknecht, Schwarzer und Co. vermögen den Ukrainer:innen auch nicht mehr zu bieten als einen von den Großmächten ausgehandelten Frieden. Kein Wunder also, dass sie der ukrainischen Bevölkerung letztlich nicht viel mehr zu sagen haben, als dass ein halbkoloniales Land eben die „Sicherheitsinteressen“ der Großmächte zu akzeptieren habe.
Nichtsdestotrotz verdeutlichen über 600.000 Unterzeichner:innen des „Manifest für den Frieden“ und der Mobilisierungserfolg der Kundgebung, dass sich die öffentliche Stimmung in Deutschland dreht. Der Kurs der Bundesregierung wird zu Recht für seine „unklare“ Zielrichtung, für sein widersprüchliches Schwanken zwischen offener Kriegstreiberei durch FPD und Grüne im Gleichklang mit den Unionsparteien und einer hinhaltenden SPD, die letztlich immer einknickt, kritisiert. Zu Recht wird bemängelt, dass der Westen selbst den Konflikt befeuert hat und natürlich versucht, Russland in die Schranken zu weisen.
Die 600.000 Unterzeichner:innen und rund 25.000 Teilnehmer:innen an der Kundgebung bringen berechtigte Sorgen zum Ausdruck. Zweifellos finden sich unter diesen auch Anhänger:innen der rechtspopulistischen AfD und neurechter Gruppierungen wie der Querdenker:innen. Doch diese machten sicher nicht das Gros der Kundgebung aus, von der offen faschistische Kräfte wie die Leute vom Compactmagazin auch lautstark verwiesen wurden.
Die deutliche Mehrzahl der Teilnehmer:innen kam allerdings aus den Reihen frustrierter oder ehemaliger Anhänger:innen von SPD, Grünen und Linkspartei, also jenen Kräften, die einst den Kern der Friedensbewegung ausmachten oder die Wagenknecht und Schwarzer zu einer neuen Friedensbewegung formieren wollen.
Ihr Ziel besteht darin, eine solche Friedensbewegung wieder aufzubauen. Als Bündnispartner:innen schweben ihnen dabei nicht die Rechte, auch nicht die AfD vor. Vielmehr zielen Wagenknecht und Schwarzer auf „respektable“ Bürgerliche wie den ehemaligen Brigadegeneral und Merkelberater Vad, der auch als einer der Hauptredner:innen der Kundgebung fungierte. Auch einer der Architekten der Schocktherapie der Restauration des Kapitalismus in Russland und Osteuropa, Jeffrey Sachs, kam als Redner zu Wort. Schließlich will der etwas moderater gewordene Neoliberale auch „Frieden“ für eine Ukraine, deren ökonomische Krise in den 1990er Jahren seine Politik massiv verschärft hatte.
Eine solche klassenübergreifende Friedensbewegung erinnert an die der 1980er Jahre. Sie hat auch dieselben Schwächen. Den russischen und US-amerikanischen Imperialismus benennen Wagenknecht und Schwarzer durchaus. Vom deutschen wollen sie aber nichts wissen. Schließlich werfen sie der Bundesregierung ja nicht die Verfolgung der nationalen, kapitalistischen Interessen vor, sondern dass sie dies viel zu wenig täte.
Daraus erklärt sich auch das Paradox ihrer Ausrichtung. Einerseits werden die Kriegstreiberin Baerbock und der „Panzer“-Toni Hofreiter ebenso wie der „Zauderer“ Scholz heftig kritisiert. Niemand dürfe ihnen vertrauen, wurden wir auf der Kundgebung ermahnt. Andererseits wird von derselben Regierung die Bildung „einer Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ gefordert – am besten in Zusammenarbeit mit Frankreich und der EU-Kommission, mit China und Brasilien. Am deutschen Verhandlungswesen soll die Welt genesen. Scholz, dem eine vollständige Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit attestiert wird, soll federführend einen „Frieden“ herbeiführen, der alle Großmächte zufriedenstellt.
Dieses Konzept läuft letztlich bloß auf eine alternative, sozialpazifistische Ausrichtung des deutschen Imperialismus hinaus. Die ukrainische Bevölkerung und die russische Antikriegsbewegung dürfen nur als Verhandlungsmasse zu ihrem vermeintlich Besseren zusehen. Aber auch für die Arbeiter:innenklasse der imperialistischen Ländern sind nur Plätze auf den Zuschauerrängen vorgesehen. Als Akteur:innen, geschweige denn als prägende Subjekte einer Antikriegsbewegung sind die Lohnabhängigen bei Schwarzer und Wagenknecht nicht vorgesehen. Bei aller Kritik an der gegenwärtigen Politik der Regierungen soll die internationale Politik auch weiter von Großmächten unter Wahrung von deren Interessen bestimmt werden,
Eine solche Politik ist nicht nur rein bürgerlich. Sie ist auch vollkommen utopisch. Der Konflikt zwischen den alten, westlichen Mächten wie der USA oder auch Deutschland mit den „neuen“ wie Russland und China liegt in der Krise des Kapitalismus begründet, im Niedergang der US-Hegemonie und im Aufstieg Chinas. Zur Zeit wird er um die Ukraine ausgefochten, doch selbst ein imperialistischer Frieden wäre nicht nur reaktionär, weil er auf dem Rücken der ukrainischen Massen vereinbart werden würde, sondern auch nur von begrenzter Dauer, nur eine Zwischenstation zu einer weiteren Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz.
Auf der Kundgebung haben die Gruppe Arbeiter:innenmacht und Genoss:innen der Jugendorganisation Revolution gemeinsam eine internationalistische, klassenkämpferische Perspektive vertreten und ein gemeinsames Flugblatt verteilt. Dessen letzten Abschnitt wollen wir hier noch einmal darlegen:
Ein dauerhafter Frieden, der diesen Namen verdient, kann nicht durch diplomatische Manöver von Großmächten erzielt werden. Dazu müssten diese selbst ihre eigenen ökonomischen, politischen und militärischen Interessen zurückstellen, was angesichts des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und der schärfer werdenden globalen Konkurrenz einfach unmöglich ist. Der Imperialismus kann nicht friedlich gestaltet werden – weder in Russland, noch in den USA, aber auch nicht in Deutschland oder der EU.
Wir können uns daher nur auf uns selbst verlassen. Ein echter Frieden, eine gerechte Lösung für die Ukraine müsste die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Landes bei gleichzeitiger Wahrung der Selbstbestimmung der Volksrepubliken im Donbass und auf der Krim beinhalten.
Um aber überhaupt dorthin zu kommen, müssen wir eine internationale Bewegung gegen den Krieg und dessen Auswirkungen aufbauen; eine Bewegung der gemeinsamen Aktion der deutschen, der europäischen, der US-amerikanischen, der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse, der Gewerkschaften, der Linken und Arbeiter:innenparteien. Eine solche Bewegung muss sich um bestimmte, gemeinsame Forderungen formieren. Dazu schlagen wir vor:
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