Arbeiter:innenmacht

USA: Wie können US-Gewerkschaften das Streikverbot niederschlagen?

Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

Dave Stockton, Infomail 1208, 22. Dezember 2022

Während die Eisenbahner:innen in Großbritannien mit den Drohungen der Tory-Regierung konfrontiert sind, ihre Streiks durch „Mindestdienst“-Gesetze unwirksam zu machen, wurde die Streikabstimmung von 115.000 US-Güterbahner:innen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen gerade vom Kongress „beiseitegeschoben“. Und zwar nicht von den rechten Republikaner:innen, sondern von „Arbeiter Joe“ Biden und den Demokrat:innen, die sich als „Freund:innen der Arbeit,nehmer’:innen“ ausgeben und das Geld der Gewerkschaften und die Unterstützung der Mitglieder bei Wahlen annehmen.

Gesetz

Am 2. Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das die Eisenbahner:innen daran hinderte, einen landesweiten Streik für bessere Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu beginnen. Biden, der sich selbst als „arbeiter:innenfreundlichster Präsident in der amerikanischen Geschichte“ bezeichnet hat, hat den Beschäftigten, die seit drei Jahren keine Gehaltserhöhung erhalten haben, ganz einfach das Streikrecht genommen.

Sie kämpften für einen 15-tägigen bezahlten Krankenurlaub pro Jahr und für Änderungen bei der Zeit- und Personalplanung, damit die Arbeiter:innen nicht mehr gezwungen sind, zermürbende Arbeitszeiten zu leisten. Gegenwärtig erhalten die Beschäftigten keine Krankheitstage, und viele haben keine Zeit, sich mit ihrer Familie zu treffen oder sich ausreichend zu erholen.

Als im Sommer dieses Jahres eine landesweite Stilllegung der Eisenbahn möglich wurde, eilte die Regierung auf der Grundlage des arbeiter:innenfeindlichen Eisenbahnarbeitsgesetzes von 1926 … den Bossen zu Hilfe.

Biden setzte die Präsidiale Notstandsbehörde (PEB) ein, um die Verhandlungen zu verfolgen und eine Einigung zu erzielen. Die vorläufige Vereinbarung, die der Kongress nun wahrscheinlich durchsetzen wird, wurde von der Regierung Biden im September ausgehandelt.

Acht der 12 an den Verhandlungen beteiligten Gewerkschaften stimmten dem Vertrag zu, die anderen vier, die 55 Prozent der Beschäftigten vertreten, lehnten ihn jedoch ab. Da die vorgeschriebene Bedenkzeit abläuft, hätte ein Streik am 9. Dezember beginnen können. Die Gewerkschaftsführer:innen haben versucht, ihre Mitglieder von einem zwischen den Arbeit„geber“:innen und der Gewerkschaft unter direkter Vermittlung der Regierung ausgehandelten Vertrag zu überzeugen, aber eine Gruppe gewerkschaftsübergreifender Aktivist:innen, Railroad Workers United (Vereinigte Eisenbahnarbeiter:innen), hat sich für ein Nein eingesetzt.

Der Kongress hat den Arbeiter:innen nun einen Vertrag ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auferlegt, der weiterhin Wochenarbeitszeiten von bis zu 80 Stunden vorsieht. Mit der Behauptung, der aufgezwungene Vertrag enthalte „eine historische Lohnerhöhung von 24 % für die Bahnbeschäftigten“, verschwieg Bidens Büro die Tatsache, dass sich die Erhöhung über fünf Jahre erstrecken würde: weniger als 5 % pro Jahr in einer Zeit eskalierender Inflation.

Die Demokratische Partei beruft sich auf die Tatsache, dass ihre Abgeordneten und Senator:innen auch dafür gestimmt haben, dass Bahnmitarbeiter:innen sieben Tage bezahlten Krankenurlaub erhalten. Die Wahrheit wird durch Bidens eigene Aussage enthüllt, dass sie sie bekommen werden, „sobald ich die Republikaner:innen überzeugen kann, das Licht zu sehen“ – d. h. sie werden sie nicht bekommen. Das liegt daran, dass Biden und die Demokrat:innen im Kongress die sieben Tage in einen separaten Gesetzentwurf aufgenommen haben, der vom Verbot von Streiks und dem erzwungenen Vertrag getrennt ist.

Ursprünglich hatte sich das Weiße Haus gegen die Aufnahme von bezahlten Krankheitstagen in den von der Regierung auferlegten Vertrag ausgesprochen, doch der linke Flügel der Partei im Repräsentantenhaus (die so genannte Riege) und Senator Bernie Sanders hatten dagegen protestiert. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, tarnte den Verrat, indem sie getrennte Abstimmungen anberaumte: eine über den Vertragsentwurf und eine weitere über einen Vorschlag für sieben Tage bezahlten Krankenurlaub, was weniger als die Hälfte der Gewerkschaftsforderungen ausmachte.

Sie wusste genau, dass letzterer Vertrag im Senat niemals durchkommen würde. Er wurde mit acht Stimmen Mehrheit abgelehnt, während das Gesetz zur Durchsetzung des Vertrags den Senat mit 80 zu 15 Stimmen passierte. Auf diese Weise wurden die Eisenbahner:innen ihres Streikrechts beraubt, und es wurde ein für die Bosse vorteilhafter Vertrag durchgesetzt, „um einen möglicherweise lähmenden nationalen Stillstand des Schienenverkehrs abzuwenden“.

Da die wirtschaftliche Bedrohung durch einen landesweiten Bahnstreik die einzige Kraft war, die die Arbeiter:innen gegen ihre Milliardärsbosse wie Warren Buffett einsetzen konnten, hatten Biden und Pelosi sie entwaffnet. Die Partei und der Präsident, die für sich in Anspruch nehmen, „Freund:innen der Arbeit,nehmer’:innen“ zu sein, hatten die Frage des berühmten Pete-Seeger-Songs „Which Side Are You On“ (Auf welcher Seite stehst Du?) fair und ehrlich beantwortet – nicht auf ihrer!

„Sozialistische“ Streikbrecher:innen

Noch aufschlussreicher ist, dass die fünf Mitglieder der linken „Riege“ – die Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), Cori Bush, Ilhan Omar und Jamaal Bowman – mit einer Ausnahme die Hand für die Annahme der Resolution gehoben  haben, mit der die Vereinbarung durchgesetzt wurde, ebenso wie der „sozialistische“ Senator Bernie Sanders, obwohl sie erkannt haben, dass sie schlecht für die Arbeiter:innen ist. Natürlich haben sie auch für die Entschließung gestimmt, die sieben Krankheitstage vorsah. Aber sie wussten bereits, dass dies ein Blindgänger war.

Die einzige Gegenstimme eines Mitglieds der „Riege“  kam von der Abgeordneten Rashida Tlaib. Bush, Omar und AOC sind ebenfalls Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA). Die Hauszeitschrift der Partei, Jacobin, versuchte, diesen Verrat zu vertuschen. Der Redakteur Branko Marcetic behauptete, dass die Abstimmung von Bernie Sanders und der „Truppe“ für sieben Tage Krankenstand „ein weiteres Zeichen für den bescheidenen, aber bedeutenden politischen Wandel im politischen Leben der USA ist, der dank der größeren Bekanntheit von Sanders und seinen progressiven Verbündeten im Kongress stattgefunden hat“.

Die Arbeiter:innen müssen die bittere Lektion lernen, dass die Demokratische Partei für die Kapitalist:innen und nicht für die Arbeiter:innenklasse kämpft. Und zu dem von der DSA-Mehrheitsführung befürworteten „schmutzigen Bruch“ gehört auch die Abstimmung über die Verweigerung des Streikrechts für Arbeiter:innen. DSA-Mitglieder sollten fordern, dass die Organisation die Mehrheit der Stimmen dieser „Riege“ verurteilt und den Prozess der Abspaltung von der zweiten Partei des US-Imperialismus einleitet, um eine unabhängige Partei für alle US-Arbeiter:innen und die sozial und rassisch Unterdrückten zu bilden – eine, die antirassistisch, antisexistisch und antikapitalistisch ist.

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