Arbeiter:innenmacht

End Fossil: Fossilen Kapitalismus überwinden!

Interview mit Josh, Besetzer der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule, Göttingen, geführt von Georg Ismael, Infomail 1203, 8. November 2022

Vom 06. – 18. November versammeln sich Regierungsvertreter:innen und Klimaorganisationen zur 27. UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm El-Sheikh. Doch viele Jugendliche haben ihr Vertrauen in diese Institutionen verloren. Das genug beschlossen, geschweige denn umgesetzt wird, daran glauben sie nicht. Deshalb versammeln sie sich selbst. Sie organisieren Besetzungen ihrer Schulen und Universitäten. Diese Bewegung ist international und nennt sich End Fossil. Es soll Druck ausgeübt werden, mehr als bei den bisherigen Demonstrationen. Die ehemals Streikenden, nun Besetzenden wollen so zu noch aktiveren Subjekten im Kampf um Klimagerechtigkeit werden. Wir haben mit Josh gesprochen. Er ist einer der Besetzer:innen an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule (IGS). Hier und am Hainberg-Gymnasium finden aktuell Besetzungen in Göttingen statt.

Seit wann besetzt ihr eure Schule?

Seit gestern Vormittag.

Und wie begann die Besetzung?

Über längere Zeit hatten wir versucht, Mitstreiter:innen über Mund-zu-Mund Propaganda zu gewinnen. Dann versammelten wir uns hier. Wir haben dann einfach Sofas, Transparente und Alles reingetragen und angefangen zu besetzen. Am Anfang waren wir so knapp 30 Schüler:innen. Gleichzeitig ist jemand von uns ins Sekretariat ans Mikro gegangen und hat durchgesagt, dass jetzt besetzt wird. Schon kurz danach kam fast eine ganze Klasse und hat sich mit uns solidarisiert. Seitdem kommen immer mehr. Heute früh war eine Lehrer:in hier. Sie hat uns belegte Brötchen mitgebracht. (In diesem Moment tauchen Schüler:innen einer Englisch-Klasse auf. Sie sagen, dass sie für ihren Unterricht Interviews machen möchten.)

Hattet ihr für all das eine Erlaubnis?

Nein, wir haben das einfach so gemacht. Es gab aber auch keinen Widerstand dagegen. Wir haben uns die Schule ausgesucht, weil es hier eine aktive Schüler:innenschaft gibt. Aber ja, die hiesige Schulleitung ist aufgeschlossen und von der inhaltlichen Wichtigkeit unseres Themas überzeugt. Das hilft. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Grund, warum wir einen Ort besetzen. Wir besetzen, weil das Thema drängt. Nicht weil wir eine Erlaubnis für unseren Protest haben.

In Köln, wo die SPD die Bezirksregierung anführt, wurden die Schulleitungen angewiesen, die Besetzungen der Schüler:innen durch schulfremdes Personal, nämlich die Polizei, brechen zu lassen. Die Aktiven beschlossen daraufhin vorerst freiwillig die Besetzungen zu beenden. Ihr konntet wiederum heute Nacht bleiben. Die Stadt Göttingen hatte einen Sicherheitsdienst abgestellt. Fühlt ihr euch jetzt sicherer?

Naja, nicht wirklich. Wir waren dagegen, dass ein Sicherheitsdienst kommt. Das haben wir auch der Sozialdezernentin gesagt, die hier war, um das zu besprechen. Wir können ja selbst auf uns und auf unsere Schule aufpassen. Wir hatten auch den Eindruck, dass es weniger um unseren Schutz als den Schutz der Sachmittel an der Schule geht. Es wurde dann gesagt, dass die Securities abschliessen. Wir sollten nur noch raus, aber nicht mehr reinkommen. Wir haben dann mit unserer Schulleiterin gesprochen. Am Hainberg-Gymnasium durften die Schüler:innen nämlich rein und raus. Es sei nur fair, dass wir das dann auch dürften. Dann haben wir den gleichen Deal wie am Hainberg bekommen.

Und wer ist wir?

Wir, das sind Schüler:innen von der Kampagne End Fossil. Wir haben die Aktionen schon seit Längerem geplant und vorbereitet. Wir hatten bei unseren Vorbereitungen die Weltklima-Konferenz in Sharm El-Sheikh im Blick. Es müssten deutlich bessere Maßnahmen beschlossen werden. Vor allem müssen aber als erstes die bisher getroffenen Beschlüsse eingehalten und durchgesetzt werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt protestieren, auch wenn der Protest nur symbolisch ist.

Was fordert ihr denn?

Einerseits stellen wir auch hier die bundesweiten Forderungen von End Fossil auf. Wir treten für eine Übergewinnsteuer auf Profite im Energiesektor ein. Letztlich muss aber die gesamte Energieindustrie vergesellschaftet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr muss massiv ausgebaut werden. Gleichzeitig braucht es die sofortige Fortführung des 9 Euro Tickets. Wir finden auch, dass Lützerath bleiben muss. Keine weitere Kohleförderung. Wir stehen an der Seite von debt4climate. Zusammen mit ihnen kämpfen wir für die Streichung der Schulden der armen Länder. Nur so werden diese genug Möglichkeiten haben, um Investitionen zugunsten einer ökologischen Transformation zu tätigen. Wir wissen aber auch, dass Klimagerechtigkeit eng mit der sozialen Frage verknüpft ist. Deswegen unterstützen wir die Forderungen von Genug ist Genug. In Niedersachsen treten wir für eine klimagerechte Lehre ein. Das Thema muss stärker in den Unterricht eingebettet werden. Aber wir brauchen auch Räume, um uns selbst beizubringen, wie wir unsere Forderungen umsetzen und gegen den Klimawandel aktiv werden können. Deswegen sind wir hier. Gleichzeitig diskutieren wir auch, was für Maßnahmen wir hier an der Schule durchsetzen möchten.

Und ihr seid eine Gruppe hier an der Schule?

Wir sind Schüler:innen dieser Schule. Aber nein, wir sind aktuell keine lokale Gruppe, sondern sind stadtweit vernetzt. Es gibt Aktive an allen möglichen Schulen. Wir haben aber gesehen, dass es für uns aktuell nur an zwei Schulen realistisch möglich gewesen wäre, eine Besetzung vorzubereiten. Dann haben wir uns alle zusammen in zwei Gruppen aufgeteilt und die jeweilige Besetzung begonnen zu planen. Aber natürlich würden wir uns freuen, wenn ein Ergebnis unserer Besetzung die Gründung einer lokalen End-Fossil Gruppe hier am IGS wäre. Aber es wäre auch ein Träumchen, wenn sich die Besetzungen auf andere Schulen ausweiten.

Ich bin heute früh von Ansagen durch ein Megafon wach geworden. Ich hatte die Vermutung, es kam aus der Nähe einer Schule in meinem Quartiert. Wart ihr das, um dieses Träumchen wahr zu machen?

Ja, das waren wir. Wir waren heute früh am Felix-Klein Gymnasium und haben dort eine Soli-Aktion durchgeführt. Jetzt schauen wir einmal, wie die Resonanz ist, wie sich die Stimmung entwickelt. Sowohl hier an der Schule und an anderen Schulen, die wir Besetzer:innen besuchen, um aufzuklären und zu mobilisieren.

Diskutiert ihr auch mit den Lehrer:innen?

Ja, wir laden alle an der Schule ein, Teil zu haben. Gestern haben wir auch mit einer solidarischen Reinigungskraft geredet. Es ist unser Ziel alle so nachhaltig wie möglich zu politisieren und zu organisieren.

Habt ihr mal darüber nachgedacht, jemanden von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft einzuladen?

Bisher eher nicht. Für uns als Schüler:innen ist der aktuelle Fokus mit den anderen Schüler:innen in Kontakt zu treten. An der IGS allein sind das immerhin 1500. Und es ist auch unsere Generation, die am meisten betroffen sein wird.

Du sagtest am Anfang, der jetzige Protest sei symbolisch. Was wäre denn ein Protest für dich, der über das Symbolische hinaus geht?

Ich spreche hier erstmal nur für mich, nicht für die ganze Gruppe. Meiner Meinung nach bräuchte es mehr direkte Aktionen. Ende Gelände hat hier wichtige Initiativen vorangebracht, zum Beispiel mit der Besetzung von Kohlegruben. Es gab aber auch Sabotage-Aktionen. Vor dem größten Kalkwerk Europas wurden die Schienen verbogen. Für einen Tag konnten die Züge nichts abtransportieren. Aber letztlich braucht es Streiks. Denn auf Dauer haben Aktionen von außen nicht die Macht den Produktionsprozess nachhaltig zu verändern. Das müssen letztlich die Arbeiter:innen tun. Aber wir sind ja noch keine Arbeiter:innen. Wir sind Schüler:innen. Deswegen besetzen wir erstmal hier an der Schule, und wir führen eben die Aktionen durch, die uns als Schüler:innen möglich sind. Oft ist das eben auch die direkte Aktion.

Ist dir noch etwas wichtig zu sagen?

Ja. Einerseits ist es sehr gut, dass wir momentan viel Aufmerksamkeit bekommen. Das Göttinger Tageblatt war hier. Auch der NDR. Aber meistens werden wir nur nach so organisatorischen Sachen gefragt. Aber uns geht es ja nicht um die Form sondern den Inhalt. Bei vielen ist dann bisher auch nur hängengeblieben, dass man anders konsumieren sollte. Das ist gut und richtig. Aber es ist ja eben auch eine systematische Frage. Das wirtschaftliche System, das hinter der Klima- und Umweltkatastrophe steht, und das nun mal zentral auf fossilen Brennstoffen beruht, muss verändert werden. Darüber sollten wir mehr gefragt werden. Darüber müssen wir alle viel mehr reden.

Und hat dieses System auch einen Namen für dich?

Kapitalismus. Aber wir haben auch gemerkt, dass manche gesamtgesellschaftliche Fragen von der linken Szene schlecht besetzt wurden. Es gibt gewisse Vorurteile. Deswegen erklären wir erstmal was ist und worum es geht. Dann geben wir dem Ganzen einen Namen. Aber auf dem Transparent hier steht ja auch „Fossilen Kapitalismus überwinden“.

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