Arbeiter:innenmacht

Gorleben – und (k)ein Ende

BUNDjugend, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Bruno Tesch, Infomail 1163, 21. September 2021

Am 17. 9. 2021 gab das Bundesumweltministerium (BMU) bekannt, dass das Salzbergwerk Gorleben, dichtgemacht werden soll und „damit“ (…) „das Kapitel Gorleben geschlossen“ sei.

Zäher Entscheidungsfindungsprozess

Mit dem seit den 1960er Jahren vorangetriebenen Bau von Nuklearanlagen, um den steigenden Energiebedarf zu decken, ergab sich die Notwendigkeit zur 1972 eingeleiteten Suche nach Lagerstätten auf BRD-Boden für den unvermeidlich anfallenden radioaktiven Abfall. Praktisch über Nacht entschied sich dann 1977 die niedersächsische CDU-Regierung für Gorleben als Standort für ein atomares Entsorgungszentrum. Die Wahl fiel auf diesen Ort, weil er im Nordostzipfel Niedersachsens im damaligen so genannten Zonenrandgebiet und fernab von Erholungs- und Feriengetriebe lag und so als „sicheres Versteck“ gelten konnte. Eine Eignung des Geländes für ein Endlagerprojekt war aus geologischer Sicht jedoch in keinem wissenschaftlichen Gutachten ausgewiesen.

Nach oppositionellen Sicherheitsbedenken wurden 1979 die Erkundungen im Salzstock bis 2000 fortgeführt, nach zehnjähriger Pause dann wieder aufgenommen, bevor im September 2020 sich das 1986 nach der Tschernobylkatastrophe gebildete Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (heute: nukleare Sicherheit) zu dem Urteil „nicht geeignet“ durchringen konnte. Ausschlaggebend für dieses Verdikt waren anscheinend Erkenntnisse, wonach Steinsalz ein zu instabiles Medium sei, um als langfristig sicheres Endlager zur Bindung von hochradioaktivem Material dienen zu können. Außerdem sind Gaseinschlüsse entdeckt worden, die die Gefahr von Explosionen bergen könnten.

Es verstrich hernach noch ein weiteres Jahr, ehe die mit Detailplanung betraute Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nun ihre Pläne für Gorleben vorlegte. Demnach soll der Rückbau mehrschrittig erfolgen. Die Hohlräume unter Tage und Schächte sollen mit Haldensalz verfüllt werden. Falls Lücken verbleiben, würde der Rest mit Spezialbeton ausgegossen werden. Die oberirdischen Bauten sollen einer Grünanlage weichen.

Die Kosten für das Rückbauvorhaben wollte die BGE nicht genau beziffern, sie sollen aber jene für die Offenhaltung des Bergwerks übersteigen. Bislang hat das Endlagerprojekt jährlich 20 Millionen und insgesamt 1,9 Milliarden Euro verschlungen. Dennoch: Ist nach dieser quälenden Genese nun also doch alles in Butter bzw. Beton?

Widerstandsbewegung

In den 1970 Jahren agierten einige Figuren auf den Abgeordnetenbänken allenfalls als „BedenkenträgerInnen“ gegen das nassforsche Vorgehen der niedersächsischen Landesregierung. Wirklicher Widerstand gegen eine ungezügelt nuklearfreundliche Politik entfaltete sich zunächst nur außerhalb von Parlamenten. Eine Bewegung entstand und verwandelte das verschlafene ländliche Wendland zu einem Ort von Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht. Im Laufe der Zeit erwarb sie sich nicht nur den mehrheitlichen Rückhalt unter der örtlichen Bevölkerung, sondern genoss bundesweit, ja international Sympathien und auch eine gewisse Vorbildfunktion.

Es begann bereits 1977 mit Kundgebungen auf dem künftigen Bauplatz bei Gorleben. 1979 kam es zu einer Großdemonstration, dem „Gorlebentreck“, in der Landeshauptstadt Hannover, gefolgt von kleineren Protestaktionen gegen Probebohrungen für das atomare Endlager. In dessen Nähe wurde 1980 als ständige Widerstandsmanifestation ein Hüttendorf unter dem Banner „Republik Freies Wendland“ errichtetet. Dieses wurde zwar nach einem Monat durch Polizei- und Bundesgrenzschutzeinheiten plattgemacht, erregte aber starkes politisches Aufsehen in der gesamten Bundesrepublik und befeuerte die Antiatomkraftbewegung.

Danach kehrte verhaltene Ruhe ein, bis ein Abkommen mit Frankreich ermöglichte, Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague, in der Bestandteile aus abgebranntem Kernbrennstoff getrennt werden, in Deutschland einzulagern. Gorleben erhielt nun die Einstufung eines Zwischenlagers und war 1995 erstmals Zielort eines solchen Castor-Transports, benannt nach seinen Behältern, die eigens zur Aufbewahrung von gefährlichen Materialien konstruiert worden waren.

Die anfänglich moderaten Proteste eskalierten über die Jahre und flammten Anfang November 2010 voll auf, nachdem eine Woche zuvor der Bundestag die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke beschlossen hatte. Seinen Höhepunkt erreichte der Widerstand ein Jahr später. Der Castor-Transport war insgesamt eine ganze Woche unterwegs, der Zugverkehr wurde immer wieder von DemonstrantInnen blockiert. Auf den letzten 50 km Streckenabschnittes bis ins Wendland herrschte Ausnahmezustand. Der Staat musste einen gewaltigen Apparat von bis an die 100000 Polizeikräften – etwa ebenso viele, wie sich an den Protesten beteiligten – auffahren, um diesem Gefahrgut den Weg zu bahnen. Dieser 13. Transport blieb auch der vorläufig letzte dieser Art nach Gorleben.

Das kann sich diese Bewegung als Erfolg gutschreiben lassen. Doch so mutig und einfallsreich sie auch gewesen sein mag, ihr Charakter blieb stets kleinbürgerlich. In bemerkenswerter Weise gelang ihr der Schulterschluss mit den Bauern und Bäuerinnen des Wendlands, die den Kern der Protestbewegung an entschlossener Tatkraft und strategischer Findigkeit dank ihrer Ortskenntnisse sogar noch übertrafen. Aber es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Forderungen der Protestbewegung kaum über ökologische Zielsetzungen wie Abschaltung von AKWs oder Einsatz von erneuerbaren Energien hinausreichten.

Interessanterweise gerieten viele allerdings auch auf Kollisionskurs mit der grünen Partei. Diese galt anfangs als Vorreiterin einer Antiatompolitik und stellte zu Beginn das Gros der Widerstandsbewegung, die spätere EU-Parlamentarierin Rebecca Harms fungierte bspw. als Sprecherin der „Republik Freies Wendland“. Nach Eintritt in die Regierungskoalition mit der SPD hatten die Grünen dann jedoch den sogenannten Atomkonsens 2000 mit zu verantworten, der vorsah, den Energiekonzernen aus Steuermitteln eine satte Entschädigung für deren allmählichen Ausstieg aus der Stromerzeugung durch Nuklearenergie zu zahlen. Es gab gerade in der Wendlandregion aus Enttäuschung über diesen Gesinnungsverrat etliche Austritte aus der Partei Bündnis 90/Grüne.

Ein Endlager gedeckelt – Probleme bleiben

Zum Durchschnaufen nach der Entscheidung des BMU besteht kein Grund, denn auf der Suche nach geeigneten Lagerstätten für hochradioaktiven Müll wird weiter „ergebnisoffen“ prospektiert und zwar im ganzen Land. Jetzt bangt der von Gorleben etwa 70 km entfernte Ort Bahlburg (Ortsteil von Winsen a. d. Luhe), in die engere Wahl zu kommen. In der Nähe befindet sich ein Salzstock. Andere bereits in Betrieb befindliche Lager für schwach- und mittelradioaktiven Abfall wie Asse II (Niedersachsen) oder Morsleben (Sachsen-Anhalt) müssen in Form von Deckeneinstürzen, Auslaugungen und Grundwassereinbrüchen bereits ausbaden, was eine vorschnelle Erkundung und die Opportunität des geringsten Widerstand in der Region eingebrockt hat.

Gorleben selbst sitzt zwar nicht mehr im Spielkreis „der Endlager-Plumpsack geht um“, ist aber keineswegs eine kernkraftlose Oase, denn zusammen mit Ahaus (Nordrhein-Westfalen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) gehört der Ort zu den ausgewiesenen Zwischenlagern. In Hallen stapeln sich oberirdisch die Castor-Behälter. Diese halten offiziell 100 Jahre. Zur Endlagerung sollen sie dann in Pollux-Behälter umgefüllt werden.

Daneben existiert in Gorleben seit 1984 noch ein Abfalllager, in dem schwach wärmeentwickelnder radioaktiver Müll, der aus dem Betrieb deutscher Kernkraftwerke sowie aus Forschung und Industrie stammt, in einer Halle zwischengelagert ist.

Weitere artverwandte Planungen in der näheren Umgebung wurden verworfen, unter anderem weil sie politisch nicht durchsetzbar waren.

Wie zum Hohn klingt es nachgerade, wenn das BMU meint, vorhandene Strukturmittel könnten ja jetzt in die wirtschaftliche Entwicklung der Region investiert werden.

Darüber hinaus gehen jedoch die schmutzigen Geschäfte weiter. Seit Jahren hatte Deutschland abgereichertes Uran ins Ausland, z. B. nach der sibirischen Stadt Sewersk (Oblast Tomsk) exportiert. Dort befindet sich kein gesichertes Endlager, sondern die angelieferten Container standen meist unter freiem Himmel auf einem Parkplatz herum. Als jüngstes Beispiel kommentiert der atompolitische Sprecher der Linkspartei, Hubertus Zdebel, einen anderen Skandal ganz auf Linie des Atomkonsenses am 20.8.2021, bei dem es sich vordergründig um eine Reduzierung der Lieferungen von radioaktiven Reststoffen von Frankreich nach Deutschland handelt, wie folgt:

„Was der Öffentlichkeit bei diesem neuerlichen Atomdeal verschwiegen wird, sind die mal wieder zusätzlich anfallenden Kosten für die öffentliche Hand. Es ist nämlich vorgesehen, dass RWE, EnBW, Vattenfall und PreussenElektra (heute: E.ON), die etwas mehr als eine Milliarde Euro für die Wiederaufbereitung und Rückführung des Atommülls an Orano (die französische Betreibergesellschaft von La Hague – Anmerkung d. V.) zu zahlen haben, 525 Millionen Euro vom öffentlich-rechtlichen Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) erstattet bekommen sollen.“

„Um den Konzernen diese zusätzlichen Vergünstigungen zu verschaffen, hat die Große Koalition mit ihrer Stimmenmehrheit vor wenigen Wochen extra noch eine Änderung des Entsorgungsübergangsgesetzes vorgenommen.“

Programmatische Punkte

Auch wenn eine Wiederbelebung einer Widerstandsbewegung hierzulande nicht mehr zu erwarten ist, nachdem das Ende der heimischen atomaren Energieerzeugung absehbar zu sein scheint, müssen dennoch Antworten auf die weiter brodelnde Bedrohung durch die ungelöste Entsorgungsfrage gesucht werden. Denn in vielen anderen Ländern auch innerhalb der EU werden weiterhin AKWs betrieben, teilweise sogar neu gebaut (Finnland).

Die neue Umweltbewegung in Form von Fridays For Future hat den Fokus eher auf die CO2-Reduktion als auf den Einsatz gegen Kernspaltungsenergie und deren Folgen gelegt. Die Katastrophe von Fukushima Dalichi in Japan vor zehn Jahren hat jedoch gezeigt, dass diese Techniken weiterhin störanfällig sind und verheerende langfristige Nachwirkungen haben.

Um nachhaltige Antworten auf solche Fragen zu finden, muss ein Programm erstellt werden, das international organisierend wirken kann. Kernpunkte davon sind:

  • Für einen globalen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in regenerative Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien!
  • Entschädigungslose Enteignung der privatkapitalistischen Energiekonzerne.
  • Offenlegung aller Verträge und Geschäftsunterlagen der Energiewirtschaft, einschließlich derer staatlicher „Aufsichtsbehörden“ und deren Kontrolle mit Vetorecht durch ArbeiterInnenorgane, gebildet aus demokratisch gewählten und rechenschaftspflichtigen VertreterInnen aus Gewerkschaften und Beschäftigten.
  • Freier Zugang von ArbeiterInneninspektionsorganen zu allen Einrichtungen der Energiewirtschaft.
  • Endlagersuche für die sichere Verbringung von radioaktivem Restmüll unter Kontrolle der ArbeiterInnenbewegung und der örtlichen Bevölkerung.
  • Finanzierung aller notwendigen Maßnahmen zur Forschung, Sicherheit und Umstrukturierung aus UnternehmerInnenprofiten und SpekulantenInnengewinnen.
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