Arbeiter:innenmacht

Geschlechterpolitischer Aufruf: Frauen für ZeroCovid

#ZeroCovid, Infomail 1142, 12. März 2021

Die Corona-Pandemie ist nicht nur eine Krise der Gesundheit. Das Virus bedroht nicht nur die Leben von Millionen von Menschen. Mit der Pandemie findet auch ein massiver Rollback in den Beziehungen der Geschlechter statt.

Darunter haben insbesondere Frauen zu leiden: sie sind überproportional stark in den Berufen vertreten, die in der Pandemie Krankenpflege und Sorgearbeit leisten. Das Maß, in dem Pflegekräfte seit einem Jahr in Verantwortung genommen worden sind, kommt einer Enteignung ihrer Körper gleich. Dass wir aufgrund des Virus vermehrt zuhause bleiben müssen, schlägt sich massiv im Bereich der häuslichen und sexuellen/sexualisierten Gewalt nieder: einer repräsentativen Studie aus Juni zufolge wurden 3,6 Prozent aller Frauen in Deutschland während der Kontaktbeschränkungen der ersten Pandemiemonate von ihrem Ehemann oder Lebensgefährten vergewaltigt – mehr als 1,5 Millionen. Eine ungeheuerliche Zahl.

Schon zu Beginn der Pandemie zeigten gesammelte Zahlen, dass Frauen berufliche Abstriche machen und unter erschwerten Bedingungen arbeiten mussten. In der Wissenschaft, zum Beispiel, lieferten sie weniger Arbeiten ab, während Männer die Krise sogar für einen Karriereschub nutzen konnten. Weil Schulschließungen zu einem wichtigen Mittel der Pandemiebekämpfung gehören, der überwiegende Teil der Verantwortung für Kinder jedoch nach wie vor an Frauen hängt, tragen sie auch hier die Last der Pandemie. Und weil Frauen sich überwiegend um die Reinigungsarbeiten im Haushalt oder um die Lebensmittelbereitung kümmern, lastet das Zuhausebleiben auch hier auf ihren Schultern.

Die Bereiche, in denen die negativen Auswirkungen der Pandemie und der bisherigen Maßnahmen vor allem von Frauen getragen werden, sind schier endlos. Sie lassen sich anekdotisch erfassen, durch empirische Studien oder statistische Wahrscheinlichkeiten, etwa derjenigen, dass Arme von Corona stärker betroffen sind, während sich der gesellschaftliche Reichtum mehrheitlich in den Händen von Männern konzentriert. Insofern sind Frauen hier Verliererinnen im doppelten Sinne. Gleichzeitig ist die individuelle Coronamoral bei Frauen oft höher als bei Männern: sie halten sich gewissenhafter an Vorgaben und Regeln, nähen und verteilen Masken und schützen durch ihre soziale Umsicht die Menschen um sich herum. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass sie als diejenigen, die hauptsächlich Kranke pflegen, einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Es ist deprimierend.

Frauen haben darum als politische Klasse ein besonderes Interesse, dass die Corona-Pandemie ein baldiges Ende findet. Sie sind nicht nur gesundheitlich bedroht: ihre Bedrohung ist psychisch, physisch, ökonomisch, sozial und sexuell. Frauen sind von einem rapiden Verlust ihres sowieso schon prekären gesellschaftlichen Status bedroht.

Alle bisherigen Maßnahmen, die Corona-Pandemie einzudämmen, folgten dem Leitgedanken, bloß die Wirtschaft nicht anzutasten. Doch konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass Viren an den Toren der Betriebe, Werke, Schulen und Büros halt machen. Ganz im Gegenteil: die in den letzten Monaten eingeführten, zögerlichen Maßnahmen haben keinen ausreichenden Rückgang des Infektionsgeschehens erzielt. Die Zahl der Sterbenden steigt immer weiter. Die Strategien der europäischen Regierungen verlängern die Pandemie, statt sie zu beenden. Das liegt daran, dass das Ende der Pandemie bislang niemals ernsthaft erwägt worden ist. „Flatten the curve“, also ein durch Maßnahmen kontrolliertes Infektionsgeschehens unterhalb der Schwelle des Zusammenbruchs der Gesundheitssysteme, ist gescheitert. Das gesellschaftliche, kulturelle und private Leben ist seit Monaten eingeschränkt, zulasten aller Marginalisierten und zulasten der Frauen. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Alle, die darüber hinaus aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität marginalisiert sind, leiden im Besonderen unter der Krise. Die Schließung öffentlicher Orte betrifft etwa auch queere Communities stark. Die Favorisierung der Kernfamilie denkt andere Formen des Zusammenlebens und Zusammenkommens nicht mit. Von der Schließung betroffen waren auch Unterstützungsangebote bei Gewalt und Diskriminierung.

Darum braucht es einen radikalen Strategiewechsel. Das Ziel der Maßnahmen darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen bestehen. Es muss Null lauten – andernfalls werden die Werte nach einer Lockerung der Maßnahmen wieder in die Höhe steigen. Zero Covid!

Frauen haben ein besonderes Interesse an einer solchen neuen Strategie eines solidarischen Lockdowns mit dem Ziel von 0 Infektionen. Sie gehören zu den größten Leidtragenden der endlosen, halbgaren Einschränkungen. Sie wollen, dass die Pandemie beendet wird – damit auch der Zustand ein Ende findet, in dem sie unverhältnismäßig in Verantwortung genommen werden, einen unverhältnismäßigen Preis zu zahlen haben.

Wir schließen uns aus diesen Gründen dem am 12. Januar veröffentlichten Aufruf der Initiative Zero Covid an – als Frauen, als große Leidtragende der Pandemie. Dabei ist uns bewusst, dass die Gruppe der Frauen in sich vielfältig ist. Frauen sind sehr unterschiedlich den Lasten der Pandemie ausgesetzt: solche mit geringem Einkommen, prekär beschäftigte oder von Rassismus und Ausgrenzung betroffene Frauen. Transgeschlechtliche Frauen, die auf Leistungen eines Gesundheitssystems in der Krise angewiesen wären. Frauen, insbesondere queere Frauen, deren Familienleben sich nicht in der “Kernfamilie” abspielt, die in den Maßnahmenkatalogen erwähnt sind, hatten noch stärker unter Isolation zu leiden Frauen, die in Heimen und Pflegeeinrichtungen zu leben haben, weil sie von der Gesellschaft darin behindert werden, ein eigenständiges Leben zu führen. Für Frauen in Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert sind, sind die Schließung von Grenzen und die Einschränkung der Reisemöglichkeiten ein großes Problem. Alleinerziehende Frauen, die sich nun auch noch um die private Beschulung ihrer Kinder kümmern sollen. Sie alle und viele mehr leiden aufgrund vielfältigen Marginalisierungen.

Wir sind überzeugt, dass die Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie nur mit solidarisch ausgestalteten politischen Maßnahmen gelingen kann. Darum schließen wir uns folgenden Forderungen im Rahmen einer Kampagne für eine Zero-Covid-Strategie an:

1. Gemeinsam runter auf Null: Das erste Ziel ist, die Ansteckungen auf Null zu reduzieren. Um einen Ping-Pong-Effekt zwischen den Ländern und Regionen zu vermeiden, muss in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden. Wenn dieses Ziel erreicht ist, können in einem zweiten Schritt die Einschränkungen vorsichtig gelockert werden. Die niedrigen Fallzahlen müssen mit einer Kontrollstrategie stabil gehalten und lokale Ausbrüche sofort energisch eingedämmt werden. Wir brauchen drittens auch eine gemeinsame langfristige Vision – und auf deren Basis regionale und nationale Aktionspläne. Diese beinhalten Screening- und Impfstrategien, Schutz von Risikogruppen und Unterstützung der Menschen, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind.

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine solidarische Pause von einigen Wochen. Shutdown heißt: Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum ein – und zwar auch am Arbeitsplatz! Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen. Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden. Diese Pause muss so lange dauern, bis die oben genannten Ziele erreicht sind. Wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen. Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren.

2. Niemand darf zurückgelassen werden: Menschen können nur zu Hause bleiben, wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig. Die Menschen, die von den Auswirkungen des Shutdowns besonders hart betroffen sind, werden besonders unterstützt – wie Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, in einem gewalttätigen Umfeld, Obdachlose. Sammelunterkünfte müssen aufgelöst, geflüchtete Menschen dezentral untergebracht werden. Menschen, die im Shutdown besonders viel Betreuungs- und Sorgearbeit leisten, sollen durch gemeinschaftliche Einrichtungen entlastet werden. Kinder erhalten Unterricht online, notfalls in Kleingruppen.

3. Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur: Der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich muss sofort und nachhaltig ausgebaut werden. Dies gilt auch für Gesundheitsämter und Behörden, die für das Verfolgen der Infektionsketten zuständig sind. Das Personal muss in diesem Bereich aufgestockt werden. Die Löhne sind deutlich anzuheben. Das Profitstreben im Gesundheits- und Pflegebereich gefährdet die kollektive Gesundheit. Wir verlangen die Rücknahme bisheriger Privatisierungen und Schließungen. Die Finanzierung von Krankenhäusern über Fallpauschalen sollte durch eine solidarische Finanzierung des Bedarfs ersetzt werden.

4. Impfstoffe sind globales Gemeingut: Eine globale Pandemie lässt sich nur global besiegen. Öffentliche und private Unternehmen müssen umgehend die erforderliche Produktion von Impfstoffen vorbereiten und durchführen. Impfstoffe sollten der privaten Profiterzielung entzogen werden. Sie sind ein Ergebnis der kreativen Zusammenarbeit vieler Menschen, sie müssen der gesamten Menschheit gehören.

5. Solidarische Finanzierung: Die notwendigen Maßnahmen kosten viel Geld. Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben. Mit diesem Reichtum sind die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos finanzierbar. Darum verlangen wir die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.

Unterschriften: https://zero-covid.org/geschlechterpolitischer-aufruf-frauen-fuer-zerocovid/

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