Dave Stockton, Infomail 1140, 25. Februar 2021
Riesige Menschenmengen füllten am 22. Februar die Straßen der Städte Myanmars (Burma). Diese Tag war jener der bisher größten Proteste gegen die Machtübernahme am 1. Februar durch die korrupten und brutalen Tatmadaw, die Streitkräfte des Landes, unter der Führung von General und Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing. Die schiere Größe der Demonstrationen spiegelt die Tatsache wider, dass die ArbeiterInnen bei den Eisenbahnen, in Geschäften und Fabriken, Büros und Schulen das Land in einem massiven Generalstreik lahmgelegt hatten.
Obwohl die Polizei in der offiziellen Hauptstadt Naypyidaw Menschenmengen mit Wasserwerfern angriff, gab es bisher keine massive Welle der Repression wie 1988. Dies zeigt sowohl die Vorsicht der Generäle als auch ihre Einsicht, dass im Gegensatz zum großen Massaker von 1988 die ganze Welt zusieht.
Wie schon Tag für Tag seit Beginn des Monats, bildeten sich die größten Menschenmengen in Yangon (Rangun) und Mandalay, den beiden größten Städten des Landes. In Yangon trugen sie ein breites Transparent mit der Aufschrift „Power to the People“ (Macht dem Volk) in englischer Sprache, was eindeutig eine Botschaft an die internationale Gemeinschaft bildet. Demonstrationen fanden auch in Myitkyina statt, der Hauptstadt der nördlichen Provinz Kachin, deren ethnische Minderheit eine lange Geschichte des Kampfes gegen aufeinanderfolgende Zentralregierungen aufweist.
Die Bewegung für zivilen Ungehorsam (CDM), eine lose Koordinationsgruppe des Widerstands, rief die Menschen auf, sich am Montag für eine „Fünf-Zweier-Revolution“ oder eine „Frühlingsrevolution“ zu vereinen. Diese Anspielung auf das Datum 22.2.2021 erinnert an die riesige Anti-Diktatur-Mobilisierung vom 8. August 1988, bekannt als die „Vier 8er“, die vom Militär beschossen wurde. Dieses Mal haben sich die Tatmadaw, zumindest bisher, mehr zurückgehalten.
Es gab jedoch eine drohende Stellungnahme des Militärs, die vom staatlichen Sender MRTV übertragen wurde und die friedlichen DemonstrantInnen des „Aufruhrs und der Anarchie“ beschuldigte. In ihr wurde behauptet, dass die OrganisatorInnen „jetzt die Menschen, besonders die emotionalen Teenager und Jugendlichen, zu einem Konfrontationskurs aufstacheln, bei dem sie den Verlust ihres Lebens erleiden werden“.
In der Tat haben bereits drei Menschen ihr Leben verloren, zwei davon am Sonntag in Mandalay. In der Zwischenzeit hat das Militär im Schutze der Dunkelheit Menschen zusammengetrieben, die sie verdächtigen, die OrganisatorInnen zu sein. Nach Angaben der unabhängigen Hilfsvereinigung für politische Gefangene (AAPP) sind es bisher 640.
Am 19. Februar fand eine riesige Begräbnisfeier für Mya Thwate Thwate Khaing statt, eine 20-jährige Supermarktangestellte, die in den Kopf geschossen wurde, als die Polizei das Feuer eröffnete, um DemonstrantInnen zu zerstreuen. Sie konnte 10 Tage lang noch mit lebenserhaltenden Maßnahmen gerettet werden, bevor sie kurz nach ihrem Geburtstag starb. Zwei weitere DemonstrantInnen, ein Teenager und ein Mann Anfang zwanzig, wurden in Mandalay getötet, als Truppen und Polizei mit scharfer Munition versuchten, die Menschenmenge zu zerstreuen.
Der Sonderberichterstatter der UNO für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, erklärte: „Mit Wasserwerfern über Gummigeschosse bis hin zu Tränengas feuern nun verstärkte Truppen aus nächster Nähe auf friedliche DemonstrantInnen. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben, jetzt.“
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, Präsident Joe Biden und der US-Außenminister, Anthony Blinken, sowie führende Politiker der EU und Großbritanniens haben alle den Putsch verurteilt und Sanktionen gegen seine AnführerInnen angedroht. China hat jedoch geschwiegen, und der Grund dafür ist nicht schwer zu erkennen: der China-Myanmar-Wirtschaftskorridor, eine Reihe von Infrastrukturprojekten, die als Teil von Pekings „One Belt, One Road“ im Bau sind. Dieser wird China mit dem myanmarischen Hafen von Kyaukpyu am Indischen Ozean verbinden und es dem Handel ermöglichen, die Straße von Malakka zu umgehen, eine der verkehrsreichsten Schifffahrtsrouten der Welt und ein möglicher Punkt zur Abriegelung für die US-Marine in jedem internationalen Konflikt.
Die Beziehungen des Militärs zu China sind jedoch alles andere als gut, da die chinesische Regierung seit langem Waffen an die Kachin-RebellInnen geliefert und gute Beziehungen zu Aung San Suu Kyi gepflegt hat. Während China es gegen UN-Resolutionen schützen wird, wird der Putsch es sicherlich international isolieren zu einer Zeit, in der Myanmars Wirtschaft schwächelt.
Obwohl die tapfere Jugend und die ArbeiterInnen auf den Straßen der burmesischen Städte zweifellos auf die „westlichen Demokratien“ blicken, um ihnen zu Hilfe zu kommen, wird sich dies mehr auf wortreiche Verurteilungen als auf eine sinnvolle Aktion beschränken. Die Protestierenden werden auf ihre eigene Kraft setzen müssen, besonders auf den Generalstreik, um dem Militär zu zeigen, dass das Land stillstehen wird, bis es in seine Kasernen zurückkehrt.
Sollten die Generäle nachgeben, was ungeheuer demütigend wäre, zeigt die bisherige Bilanz, der legalen Regierungschefin Suu Kyi, dass sie immer noch ihre letzte Hoffnung sein könnte, um einen völligen Zusammenbruch des Regimes zu verhindern. Dies zeigt ihr Verhalten während der fünf Jahre, in denen ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) an der Regierung war. Besonders ihre Haltung zur ethnischen Säuberung der Rohingyas zeigt, dass sie bestenfalls eine sehr konservative Figur ist, deren Bekenntnis zur bürgerlichen Demokratie mit der Tatsache verbunden und ihr untergeordnet ist, dass sie mehrheitlich eine Bamar-Chauvinistin (Bamar: größte Ethnie Myanmars) ist. Sie hegt eindeutig nicht den Wunsch, die von ihrem Vater gegründete militärische Institution zu zerstören.
Trotzdem hat sie damit gedroht, ihre große parlamentarische Mehrheit zu nutzen, um Verfassungsänderungen vorzulegen, die den Anteil des Militärs an den Parlamentssitzen schrittweise von 25 Prozent, wie es die Verfassung von 2008 vorschreibt, auf nur fünf Prozent schrumpfen lassen. Dies hat sicherlich der dominierenden konservativen Fraktion der Tatmadaw den Wind aus den Segeln genommen, aber sollte der Coup ins Wanken geraten und nachgeben, wird zweifellos ein angeblich liberaler Flügel bereit sein, einen Deal mit Aung San Suu Kyi abzuschließen, und sie mit ihm.
Es ist daher dringend notwendig, dass im Zuge der Massenbewegung und der Generalstreiks alternative Machtorgane, Räte und Verteidigungsmilizen, aufgebaut werden und Kontakte in den Kasernen unter den einfache SoldatInnen ohne Befehlsgewalt hergestellt werden. Die gegenwärtige Bewegung muss von ihren begrenzten Forderungen, die NLD-Regierung wiederherzustellen und Suu Kyi aus dem Arrest zu befreien, zu revolutionären Zielen wie einer souveränen verfassunggebenden Versammlung übergehen, deren Delegierte gewählt werden und unter der Kontrolle der Massen stehen, ein Gremium, das alle Institutionen des burmesischen Staates und der Wirtschaft auf den Prüfstand stellen kann. Nur so kann eine konservative Restauration von Suu Kyi und der Erhalt der realen Macht der Generäle verhindert werden. Das Schicksal des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten sollte eine eindringliche Warnung sein.
Im Prozess der Kampagne für eine verfassunggebende Versammlung können SozialistInnen dafür kämpfen, eine demokratische in eine soziale Revolution zu verwandeln und eine ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenrätedemokratie aufzubauen. Nur dann wird das Gespenst künftiger Militärputsche für immer gebannt sein.