Arbeiter:innenmacht

Bundesparteitag von DIE LINKE – Richtungswechsel oder alles wie immer?

Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Basti Linowic, Neue Internationale 253, Februar 2021

Am 26. und 27. Februar 2021 findet der siebte Bundesparteitag der Partei DIE LINKE statt. Nachdem die ursprünglich für Juni letzten Jahres geplante Tagung aufgrund der Coronapandemie mehrmals verschoben werden musste, hat der Parteivorstand entschieden, dass der nun für Ende Februar angesetzte Parteitag vollständig online stattfinden wird.

Eine wichtige Entscheidung wird die Neuwahl des Bundesparteivorsitzes darstellen. Nachdem Bernd Riexinger und Katja Kipping, nach acht Jahren Amtszeit, angekündigt hatten, sich nicht erneut für dessen Wahl aufstellen lassen zu wollen, haben Susanne Hennig-Wellsow als Vertreterin des realpolitischen Flügels (Forum Demokratischer Sozialismus, Landes- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen) und Janine Wissler als Vertreterin der Bewegungslinken (ehem. marx21 und Fraktionsvorsitzende in Hessen) ihrerseits erklärt, für die Nachfolge zu kandidieren. Susanne Hennig-Wellsow steht politisch innerhalb der Partei auf der Seite des rechten Flügels, sitzt seit 2004 im Thüringer Landtag, gilt als enge Vertraute von Ramelow und ist seit 2014 an den rot-rot-grünen Regierungskoalitionen in Thüringen beteiligt. Janine Wissler hingegen wird zum linken Parteiflügel gezählt, sitzt seit 2008 als Abgeordnete im Hessischen Landtag und war bis zur Ankündigung ihrer Kandidatur für den Bundesparteivorsitz noch Mitglied des zentristisch-trotzkoiden Netzwerkes marx21 (ehemals Linksruck).

Es gilt als ziemlich unumstritten, dass Hennig-Wellsow und Wissler auch tatsächlich für den Parteivorsitz gewählt werden. An der Ausrichtung und dem aktuellen Kurs der Partei ändert diese Personalumstellung wenig bis nichts. Der bisherige Kurs der Anbiederung an die SPD und Grünen, das Liebäugeln mit einer rot-rot-grünen Koalition auch auf Bundesebene, die hierzu stetig vorangetriebene Loslösung von den „roten Haltelinien“ und die ständige Betonung der eigenen Regierungsfähigkeit wird vermutlich auch unter der Führung einer Hennig-Wellsow mit einer Janine Wissler als linkem Feigenblatt unvermindert weitergehen. Auch ist nicht damit zu rechnen, dass mit der neuen Führung DIE LINKE plötzlich eine scharfe Kritik an der Politik der Bundesregierung während der Coronapandemie äußert, geschweige denn den so notwendigen Aufbau einer sozialen Bewegung gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die lohnabhängige Bevölkerung vorantreibt. Auch wenn sich Wissler in der Vergangenheit klar gegen den Kapitalismus, die NATO, Auslandseinsätze und Abschiebungen positionierte, ist ihr Austritt aus marx21 infolge ihrer Bundesparteivorsitzkandidatur doch ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch sie nicht für einen grundlegenden Richtungswechsel in der Parteipolitik steht, sondern vielmehr für die „Versöhnung und Einheit“ der verschiedenen Flügel.

Streitfragen

Dennoch dürften die Wahl und der künftige Bundesparteivorsitz nicht gänzlich ohne Spannungen auskommen und einige entscheidende Streitfragen zuspitzen, über die innerhalb der Partei schon länger diskutiert wird. Bereits aus dem Leitantrag für den Bundesparteitag lässt sich deutlich herauslesen, dass besonders die Regierungsfrage bzw. genauer die von Regierungsbeteiligungen Gegenstand der Debatte sein wird. Am Ende des Leitantrags steht dazu Folgendes: „Wenn wir uns heute und in den nächsten Tagen wieder in Erfurt zusammenfinden, um gerade auch über die Regierungsfrage zu diskutieren, sollten wir uns an zwei Aussagen im Erfurter Programm von 2011 besonders erinnern: ,Bündnisse mit anderen politischen Parteien gehen wir dann ein, wenn dies den von uns angestrebten Richtungswechsel in der Gesellschaft fördert’.“ Und: „An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt … werden wir uns nicht beteiligen.“

Rot-Rot-Grün

Vorausgesetzt, dass diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden wird, wird diese auch gerade hinsichtlich der anstehenden Bundestagswahlen auch im neuen Parteivorsitz weiter für Zündstoff sorgen. Denn während Hennig-Wellsow als Landes- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen selbst seit 2014 aktiv an der dortigen rot-rot-grünen Landesregierung beteiligt ist, gilt Wissler eher als Kritikerin von Regierungsbeteiligungen. So sagte sie selbst in einem Interview mit der Zeit vom 12. Juni 2020: „Die Differenzen zwischen SPD, Grünen und uns sind schon sehr groß, etwa bei der Frage der Bundeswehreinsätze, der NATO, aber auch bei vielen anderen Themen. Von Hartz IV bis zur Rente mit 67 hat die SPD vieles vorangetrieben, was wir falsch finden.“

Und weiter zu der Frage, was von einer möglichen Orientierung auf Grüne und SPD zu halten sei: „Im Wahlkampf müssen wir die Menschen davon überzeugen, warum es eine starke Linke im Bundestag braucht und was uns von anderen Parteien unterscheidet: dass man, wenn man Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit durchsetzen will, die Macht- und Einkommensstrukturen verändern muss. Dass wir eine antikapitalistische Kraft sind und konsequent gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr stimmen. Ich halte es für unklug, in Konstellationswahlkämpfe zu gehen.“

Gleichzeitig ist es dem realpolitischen, rechten Flügel in der Partei DIE LINKE, der im Bundesvorsitz voraussichtlich von Susanne Hennig-Wellsow repräsentiert werden wird, besonders wichtig, eine eindeutige Positionierung in Richtung Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen nach außen zu vertreten.

Die Streitfrage könnte jedoch dadurch entschärft werden, dass eine rot-rot-grüne Mehrheit nach der Bundestagswahl sehr unrealistisch und rein hypothetisch bleibt, unabhängig von der Frage, ob DIE LINKE sich darauf orientiert oder nicht. Allerdings finden in diesem Jahr nicht nur Bundestags-, sondern auch viele Landtagswahlen statt, wo DIE LINKE sich weiter anschickt, sich an Regierungen zu beteiligen. Daher hätte eine eindeutige Orientierung auf Rot-Rot-Grün zur Bundestagswahl auch Signalwirkung auf mögliche Regierungsbeteiligungen auf Landesebene. Ob Janine Wissler mit ihrer Position im Bundesparteivorsitz an dieser Orientierung etwas ändern bzw. dem etwas entgegensetzen kann, ist fraglich – schließlich stellt der Kurs auf Beteiligung an Landesregierungen längst etablierte Politik der Partei dar.

Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Orientierung auf einen „Konstellationswahlkampf“ und die damit einhergehende Offensive des rechten Parteiflügels für Kompromisse in den sogenannten roten Haltelinien (bspw. Abkehr von der Position „Raus aus der NATO“ oder dem grundsätzlichen Nein zu Auslandseinsätzen) tatsächlich eine Mehrheit in der Partei finden würde. Zwar befinden sich der linke Parteiflügel, die Strömung der Bewegungslinken (u. a. AKL) und die zentristischen Kräfte in der Partei (SAV, Sol, marx21) in der Defensive, aber dennoch ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Mehrheit für den „regierungssozialistischen Kurs“ der Parteirechten.

Konsistenz

Andererseits hätte die Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen auch eine gewisse Konsistenz in der Logik des Reformismus und unter regierungssozialistischen wie transformationsstrategischen AnhängerInnen. Denn wer den Kapitalismus reformieren will, statt den Herrschaftsapparat der kapitalistischen Klasse zu zerschlagen, kommt um die Frage der Regierungsverantwortung innerhalb des Systems und somit um die Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung nicht herum – also an einer, die letztlich die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, den bürgerlichen Staat und seine parlamentarisch-demokratische Herrschaftsform verteidigt.

Anhand dieser Frage, was das (notwendige) Programm einer reformistischen Partei sein muss und was letztlich seine Konsequenzen sind, zeigt sich auch die ganze Crux mit den Linken innerhalb der Linkspartei. Denn auch wenn es oberflächlich vielleicht so aussehen mag, als ob die Entscheidung in der Auseinandersetzung zwischen einer realpolitischen (reformistischen) und einer bewegungsorientierten, antikapitalistischen Politik darin liegt, ob DIE LINKE sich auf Regierungsbeteiligungen orientiert und hierzu auch bereit ist, Konzessionen hinzunehmen, sieht die Realität längst anders aus und lässt sich auch nicht nur anhand der Positionierung zu Rot-Rot-Grün beantworten. Denn allein die Tatsache, dass DIE LINKE eben keine „sozialistische Oppositionspartei“ ist, sondern eine verbürgerlichte ArbeiterInnenpartei, die durch und durch reformistisch, in mehreren Bundesländern längst schon an bürgerlichen Regierungen beteiligt ist und allerlei Schweinereien mitverzapft, deren Führungsapparat selbst aufgrund seiner materiellen Stellung ein Interesse daran hat, Posten zu ergattern und die Partei weiter auf die „Regierungsverantwortung“ einzupeitschen, führt zwangsweise zur Anpassung an die anderen bürgerlichen Parteien und zur Orientierung auf Koalitionen mit diesen. Eine wirkliche Kritik an Rot-Rot-Grün würde also eine notwendige Kritik an Staat und Kapital und für den Aufbau einer revolutionär-sozialistischen ArbeiterInnenpartei bedeuten, welche zwangsläufig zur offenen Konfrontation mit dem Parteiapparat, den reformistischen Strömungen führen und sich um eine grundlegende Änderung der Partei und des Programms drehen würde.

Kräfteverhältnis

Dass diese grundlegende Änderung aufgrund des Kräfteverhältnisses in der Linskpartei jedoch unrealistisch und utopisch ist, lässt sich auch am Leitantrag für den kommenden Bundesparteitag deutlich erkennen. Dort steht z. B. wortwörtlich: „Wir setzen uns für ein breites gesellschaftliches Bündnis und einen grundlegenden sozial-ökologischen Richtungswechsel ein. Das sind für uns die Maßstäbe, in eine Regierung einzutreten oder sie zu unterstützen. Wir stellen an Grüne und SPD die Frage, ob sie bereit sind, einen sozial-ökologischen und friedenspolitischen Politikwechsel einzuleiten, statt die CDU weiter an den Schaltstellen der Regierungsmacht zu belassen. DIE LINKE ist zu einem solchen Politikwechsel bereit.“

Von der Coronapandemie und dem längst überfälligen Aufbau einer Antikrisenbewegung geschweige denn von der Notwendigkeit des Aufbaus einer linken, sozialen Opposition auf der Straße ist dabei überhaupt keine Rede. Ansätze für eine linke Bewegung gegen das Pandemiemanagement der Bundesregierung wie die #ZeroCovid-Kampagne, finden keinerlei Erwähnung. Eine reformistische Ausrichtung und Strategie (und damit einhergehende Orientierung auf Beteiligungen an bürgerliche Regierungen) wird durch den Leitantrag also selbst gefordert, was aber eben komplett der inhärenten Logik einer reformistischen Partei entspricht. Die Möglichkeit, dies grundlegend zu ändern, geschweige denn, eine Mehrheit der Partei für einen revolutionär-sozialistischen Wechsel zu gewinnen, ist im Grunde ausgeschlossen.

Wir wollen damit keineswegs bestreiten, dass DIE LINKE immer noch über eine konkrete Verankerung in der ArbeiterInnenklasse, in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verfügt, wenn auch oft mehr unter den FunktionärInnen denn an der Basis. Dieser Umstand macht es für RevolutionärInnen unerlässlich, die Entwicklung in reformistischen Parteien zu verfolgen, an diese Forderungen zu richten und sie unter Druck zu setzen, sich am Klassenkampf zu beteiligen, bspw. in der aktuellen Situation durch die Aufforderung zur Beteiligung an und zum Aufbau einer Antikrisenbewegung, konkret durch das Aufgreifen der #ZeroCovid-Kampagne. Dies ist notwendig, da Parteien wie DIE LINKE (und auch die SPD) nach wie vor lohnabhängige, proletarische Mitglieder, AnhängerInnen und WählerInnen organisieren bzw. mobilisieren, die es in den gemeinsamen Kampf gegen Kapital und Regierung zu ziehen und vom Reformismus zu brechen gilt.

Hieraus kann nur eines folgen für die praktische Tätigkeit von RevolutionärInnen und SozialistInnen, eine Erkenntnis, welche Luxemburg und Liebknecht bereits vor über 100 Jahren in der realen schmerzlichen Auseinandersetzung mit dem Reformismus machen mussten: Um eine Organisation zu schaffen, die tatsächlich dem objektiven Interesse der ArbeiterInnenklasse an einer Zerschlagung der kapitalistischen Ordnung und der Machtergreifung des Proletariats gerecht wird, müssen wir diese selbst, unabhängig vom Reformismus, aufbauen. Das bedeutet konkret die Notwendigkeit, den Aufbau einer revolutionären Partei in Angriff zu nehmen, statt in der strategischen Ausrichtung auf eine Beteiligung an verbürgerlichten ArbeiterInnenparteien auf einen plötzlichen Wandel zu hoffen.

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