Interview mit Heidi Rieder, Arbeiter*innenstandpunkt, Neue Internationale 250, Oktober 2020
Der Arbeiter*innenstandpunkt ruft bei den Wiener Gemeinderatswahlen zur Wahl von LINKS auf. Einzelne GenossInnen kandidieren auf deren Liste. Heidi Rieder ist Kandidatin für die Bezirksvertretung in Wien Ottakring (16. Bezirk) und aktiv im Arbeiter*innenstandpunkt.
Antwort: Wien ist das größte und wirtschaftlich wichtigste Bundesland in Österreich. Es ist als letzte relevante Hochburg der Sozialdemokratie der konservativen ÖVP seit jeher ein Dorn im Auge. Unter Sebastian Kurz hat sich dieser Konflikt nur noch mehr verschärft. Doch hier geht es nicht in erster Linie darum, dass die SPÖ hier viel zu radikale Politik für die ArbeiterInnen machen würde. Vielmehr geht es darum, dass eines der wichtigsten Machtzentren der Republik sich außerhalb des Zugriffs der ÖVP befindet.
Deshalb gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen der Wiener Landesregierung und der Bundesregierung, sei es um die Frage der Mindestsicherung, der Aufnahme von Kindern aus Moria oder der Corona-Pandemie. Bei den letzten Gemeinderatswahlen 2015 war die Angst bei vielen groß, dass die FPÖ eine ernsthafte Gefährdung für die SPÖ darstellen könnte. Damals lag sie tatsächlich auch mit über 30 % nicht einmal zehn Prozentpunkte hinter der SPÖ. Dieses Mal hingegen ist die ÖVP in den Umfragen deutlich hinter der SPÖ angesiedelt und es gibt kaum eine Gefährdung für diese.
Wesentlich für unser Engagement bei LINKS ist, dass sich LINKS deutlich positiv von der Politik der SPÖ abhebt. Hier geht es nämlich nicht darum, wie der Kapitalismus besser oder humaner verwaltet werden kann, sondern der Anspruch besteht, den Kapitalismus als solches abzuschaffen. Dabei machen auch radikale Forderungen wie ein Wahlrecht für alle, die Enteignung von Leerstand und der umweltschädlichsten Konzerne (wie der OMV) unter Kontrolle der Beschäftigten deutlich, in welchen Bereichen die SPÖ keine adäquaten Antworten bietet.
Antwort: Die Corona-Situation ist wie derzeit eigentlich überall auch beim Wiener Wahlkampf ein zentrales Thema. Gerade die in den letzten Wochen massiv ansteigenden Fallzahlen in Wien versucht die ÖVP zu nutzen, um die SPÖ zu diskreditieren. Die Themen Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Massenentlassungen spielen hingegen tendenziell eine untergeordnete Rolle. Das hat sich in den letzten Wochen etwas geändert, da eine Reihe von Großbetrieben Massentlassungen vorgenommen hat (z. B. bei MAN 2.300). Für die Grünen ist die aktuelle Lage in Moria ein kritischer Punkt. Während sie auf Gemeindeebene versuchen, sich gut darzustellen, ziehen sie auf Bundesebene den Schwanz vor der ÖVP ein und wollen nicht riskieren, die Koalition zu zerstören. Das wird die Grünen in Wien sicher einige Stimmen kosten. Das Thema Rassismus stellt vor allem die FPÖ, aber auch Heinz-Christian (HC) Strache (der diesmal mit einer eigenen Partei kandidiert, dem Team HC Strache, vormals DAÖ) in den Vordergrund. Eine antirassistische Politik ist hingegen im Wahlkampf kaum präsent. Insbesondere die SPÖ versucht, zu diesem Thema doch immer wieder eher zu schweigen. In ihrem Wahlprogramm nimmt es quasi keinen Platz ein.
Die FPÖ ist, da sie wieder aus der Regierung geflogen ist – genauso wie das Team HC Strache – wieder bei ihrer alten Leier von der „Sozialen Heimatpartei“ angekommen. Deutlich stärker als der „soziale“ Teil ist aber der Rassismus ausgeprägt. Das zeigt sich auch auf zutiefst rassistischen Wahlplakaten, die in Deutschland wohl auch von der NPD stammen könnten. Die ÖVP setzt in erster Linie auf einen Imagewahlkampf und moderne Floskeln, Inhalte stehen stark im Hintergrund. Z. B. ist ihr Wahlprogramm mehrere Wochen nach allen anderen Parteien veröffentlicht worden. Dort wo es Inhalte gibt, sind sie entweder rassistisch (die Weigerung, auch nur eine einzige Person aus Moria aufzunehmen) oder unternehmensfreundlich. Die Grünen sind in einer Zwickmühle gefangen und versuchen, sich in Wien zumindest rhetorisch von der ÖVP abzugrenzen. Wirkliche Lösungen für die Probleme unserer Zeit haben sie aber keine. Ähnlich ist es auch bei der SPÖ. Hier wird zwar mehr oder weniger offensiv auch für eine Arbeitszeitverkürzung geworben, aber für die Beschäftigten der Stadt Wien, für die das sehr einfach umsetzbar wäre, gab es das bisher nicht.
Antwort: Was wir brauchen, ist eine ArbeiterInnenpartei. Also eine Partei, die die Notwendigkeit erkennt, dieses System zu stürzen, und die davon ausgeht, dass die zentrale Kraft hierfür die ArbeiterInnenklasse ist. Eine solche Kraft gibt es in Österreich derzeit nicht. Die SPÖ hat zwar über die Gewerkschaften noch eine relativ enge Verbindung zur ArbeiterInnenklasse – deren objektives Interesse, dieses System zu überwinden, vertritt sie als bürgerliche ArbeiterInnenpartei aber schon lange nicht mehr. Regelmäßig werden die ArbeiterInnen von ihr verraten. LINKS ist keine ArbeiterInnenpartei. Aber es ist ein Projekt, das eine relevante Anzahl an Menschen in der Wiener Linken in einem Organisierungsprozess zusammenbringt. Es ist ein Projekt, das im Gegensatz zu den etablierten Parteien noch entwicklungsfähig ist und auch seiner Mitgliedschaft Raum für Diskussion und Mitbestimmung bietet.
Wir als Arbeiter*innenstandpunkt können hier offen für unsere Politik eintreten und uns dafür einsetzen, dass die Politik von LINKS in eine richtige Richtung geht. Daher birgt LINKS das Potential, sich auch tatsächlich noch zu einer ArbeiterInnenpartei zu entwickeln, wenn in den kommenden Monaten die richtige Politik betrieben wird. Ein weiterer wichtiger Faktor ist auch, dass LINKS als Organisation den Anspruch hat, auch nach der Wahl weiter aktiv und aktivistisch zu bleiben, und sich nicht auf die Arbeit in diversen Gremien beschränken möchte. Mit LINKS tritt ein Projekt mit antikapitalistischem Anspruch zur Wahl an, das es auch tatsächlich schafft, Menschen zu erreichen und Einfluss zu gewinnen. Daher halten wir es für notwendig, dabei mitzuarbeiten und diese Partei auch bei den Wahlen zu unterstützen. Innerhalb von LINKS versuchen wir, Diskussionen anzustoßen und eine klare klassenbewusste Linie zu fördern.
Antwort: Ich denke, dass LINKS, wenn es nach der Wahl nicht an Dynamik verliert, zentral für eine solche Bewegung sein kann. Neben einer relativ großen Reichweite verfügt LINKS auch über die Stärke Menschen, aus unterschiedlichsten Organisationen und Bewegungen unter einem Dach zu vereinen. Für den Aufbau einer Antikrisenbewegung ist das extrem hilfreich, weil es den Aufbau eines großen Antikrisenbündnisses massiv erleichtert. Zentral für diese Bewegung wäre es, die Gewerkschaften ins Boot zu holen – und obwohl LINKS durchaus gute Kontakte zu verschiedenen Menschen in Gewerkschaften pflegt, ist die Dominanz der SPÖ in diesem Bereich ungebrochen. Doch wie bereits anfangs festgestellt, ist die SPÖ auf Bundesebene derzeit in der Opposition und daher auch ihr Interesse, die Gewerkschaften an der kurzen Leine zu halten, deutlich geringer ausgeprägt, als wenn sie selbst in der Regierung wäre.
Für den Aufbau einer Antikrisenbewegung brauchen wir also ein Bündnis aus Arbeiter*innenorganisationen und Organisationen von Menschen, die zum Beispiel aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Alters unterdrückt werden. Der Kampf muss auf der Straße, aber auch in den Betrieben, Schulen und Unis geführt werden. Streik ist ein zentrales Mittel dabei. Schließlich müssen wir auch erkennen, dass diese Krise eine globale ist und die Antwort darauf daher eine internationale sein muss. Die Vernetzung mit Antikrisenbündnissen in anderen Ländern besitzt für uns daher einen hohen Stellenwert.