KD Tait, Infomail 1085, 17. Januar 2020
Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales, und sein Vizepräsident, Álvaro García Linera, wurden durch einen Putsch gestürzt, der am 10. November 2019 seinen Höhepunkt erreichte. Beide traten zurück und flohen ins Exil nach Mexiko. Ihr Rücktritt erfolgte auf Meutereien in der Polizei und auf die „Anregung“ des damaligen Oberbefehlshabers der Armee, General Williams Kaliman Romero.
Die stellvertretende Vorsitzende des Senats, Jeanine Áñez, installierte sich in der Präsidentschaftsresidenz, schleppte eine große Bibel an und rief aus: „Gott sei Dank! Er hat der Bibel erlaubt, in den Palast zurückzukehren“. Áñez, eine bigotte Katholikin, hat zuvor getwittert, wie sie „von einem Bolivien träumt, das frei von indigenen satanischen Riten ist“ und dass La Paz „nicht für die IndianerInnen da ist – sie gehören ins Altiplano oder in den Chaco“.
Der Anführer des rechtsextremen Flügels des Putsches, der Multimillionär Luis Fernando Camacho, hat Verbindungen zur faschistischen Unión Juvenil Cruceñista (Jugendvereinigung von Santa Cruz), die ihn in den Palacio Quemado, die Präsidentenresidenz in La Paz, eskortierte, wo er verkündete: „Pachamama wird niemals in den Palast zurückkehren, Bolivien gehört Christus“. (Pachamama ist die Mutter-Erde-Figur für die einheimischen Andenvölker.)
AnführerInnen von Morales‘ Partei, der Bewegung zum Sozialismus, Movimiento al Socialismo oder MAS, suchten Zuflucht in der mexikanischen Botschaft. Abgeordnete und BürgermeisterInnen der MAS wurden auf der Straße geschlagen und von PutschistInnen zu Selbstdemütigungen gezwungen. Mobs rissen die Wiphala, die karierte Regenbogenfahne der indigenen Mehrheit des Landes, die Morales neben der bolivianischen Trikolore anerkannt hatte, ab und verbrannten sie, und Polizei und SoldatInnen rissen sie von ihren Uniformen.
Nachdem Áñez ein Dekret erlassen hatte, das die Armee und die Polizei von der strafrechtlichen Verantwortung für alle Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung befreit, eröffnete das Militär das Feuer auf unbewaffnete DemonstrantInnen in Senkata und Sacaba, wobei über 30 von ihnen getötet wurden. Diese Massaker zeigen, dass der Putsch eine Konterrevolution darstellt, nicht nur gegen Morales‘ Reformen, sondern auch gegen die massenhaften revolutionären Kämpfe der frühen 2000er Jahre, die sogenannten Wasser- und Gaskriege, die ihn an die Macht brachten und das neoliberale Regime der Landbesitzer- und Geschäftselite verdrängten.
Es überrascht daher nicht, dass Áñez‘ weißer Rassistenkollege, US-Präsident Donald Trump, behauptete, dass der Sturz von Morales „ein bedeutender Moment für die Demokratie in der westlichen Hemisphäre“ sei. Er fügte hinzu: „Die Vereinigten Staaten applaudieren dem bolivianischen Volk für seine Freiheitsforderungen und der bolivianischen Armee für den Schutz der Verfassung“, und verkündete, dass „diese Ereignisse ein starkes Signal an die illegitimen Regime von Venezuela und Nicaragua senden“. Trump hat natürlich alles getan, was er konnte, außer Truppen zu schicken, um ähnliche Gegenrevolutionen in diesen Ländern zu fördern.
Die PutschistInnen fühlten sich aber offensichtlich nicht ganz sicher im Sattel, denn sie nahmen das Angebot der katholischen Kirche an, in den Gesprächen mit der MAS, die in der bolivianischen Nationalversammlung über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, zu vermitteln. Im Gegenzug hat die MAS den Putsch und den Ausschluss von Morales von den Wahlen effektiv anerkannt. Áñez hat auch das Dekret über die Straffreiheit für alle polizeilichen/militärischen Morde in Zukunft aufgehoben, aber dies nicht auf die während des Putsches begangenen Massaker ausgedehnt.
Die Wahlen, die am 3. Mai anstehen, werden nicht nur für das Präsidentenamt und die Vizepräsidentschaft, sondern auch für den Kongress sowie die regionalen und lokalen Regierungsorgane stattfinden. Allerdings sind derzeit praktisch alle Medien der MAS und der oppositionellen ArbeiterInnen und die der indigenen Bevölkerung geschlossen.
Das Hauptanliegen der PutschistInnen ist es, die natürlichen Reichtümer Boliviens weiter zu plündern, zu denen 50 bis 70 Prozent der gesamten weltweit bekannten Lithiumreserven gehören, die für viele High-Tech-Hersteller wie Apple, Samsung und Tesla lebenswichtig sind. Die Tatsache, dass Morales sich kürzlich an chinesische Firmen gewandt hatte, um mit bolivianischen StaatspartnerInnen zusammenzuarbeiten, hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass die USA und die EU die VerschwörerInnen ermutigt haben.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde Bolivien wegen seines Silbers, Zinns und Kupfers sowie wegen Erdgas und Öl – den in Eduardo Galeanos berühmtem Buch beschriebenen „offenen Adern“ – geplündert, durch die der Kontinent seit Jahrhunderten ausgeblutet ist. Von einheimischen Arbeitskräften in der Hochebene der Anden, dem Altiplano, abgebaut, bereicherten die Mineralien eine winzige Elite im Bogen der Tieflandprovinzen Santa Cruz, Beni, Pando und des Landkreises Tarija, bekannt als die Media Luna oder der Halbmond, sowie natürlich die multinationalen Konzerne in den USA, Europa und Brasilien.
Die Elite der „weißen Vorherrschaft“, die sich in Santa Cruz de la Sierra konzentriert und mit einer Bevölkerung von 1,4 Millionen im Jahr 2012 die größte und am schnellsten wachsende Stadt des Landes geworden ist, ärgert sich zutiefst über das, was sie als ihrem Zugriff entzogene Umverteilung von Einkünften aus den Mineralien und Kohlenwasserstoffen des Landes in die Wohlfahrts-, Gesundheits- und Bildungsprogramme betrachtet, die der Mehrheit der Bevölkerung des Landes zugutekommen.
Die alten LandbesitzerInnen und die neueren Geschäftseliten der östlichen Provinzen haben wiederholt versucht, Autonomie oder sogar Unabhängigkeit zu erlangen, um den Löwenanteil dieser Ressourcen zu behalten und sogar zu erhöhen.
Nicht, dass die AnhängerInnen des Putsches behaupten könnten, dass Morales‘ 14-jährige Präsidentschaft das Land ruiniert hat. Er wurde vom Internationalen Währungsfonds, der „Financial Times“ und dem „Economist“ dafür gelobt, dass er solide Finanzreserven aufgebaut, den Haushalt mehr als ausgeglichen, die Inflation verbannt und große Infrastrukturprojekte in Angriff genommen hat.
Laut einem Bericht des Centre for Economic and Policy Research (Zentrum für Wirtschafts- und Politikforschung) in Washington aus dem Jahr 2014 ist „Bolivien in den letzten acht Jahren viel schneller gewachsen als in irgendeiner Periode der letzten dreieinhalb Jahrzehnte“. Dieses Wirtschaftswachstum hat positive soziale Auswirkungen getragen: Die Armut ist um 25 Prozent und die extreme Armut um 43 Prozent zurückgegangen; die Sozialausgaben sind um mehr als 45 Prozent und der reale Mindestlohn um 87,7 Prozent gestiegen.
Aber Morales und die MAS verwandelten die vorrevolutionäre und revolutionäre Zeit von 2000–2006, als die Macht von den ArbeiterInnen, Bauern/BäuerInnen und armen indigenen Gemeinden hätte übernommen werden können, von einer potentiellen sozialen Revolution in eine Reihe von Reformen. So bedeutete die Verstaatlichung des Gases in Wirklichkeit, dass die ausländischen Multis, die Kohlenwasserstoffe förderten, wesentlich höhere Lizenzgebühren bezahlten, die für Infrastrukturprojekte wie den Teleférico, das Seilbahnsystem, das El Alto, eine Millionenstadt mit überwiegend indigenen EinwohnerInnen, mit der Hauptstadt La Paz verband, verwendet wurden. Es besteht aus zehn Linien, deckt 17 Meilen ab und kostet 700 Millionen US-Dollar (627 Millionen Euro).
Die auffälligsten Gewinne aus der Wiederverstaatlichung der Kohlenwasserstoffe und den erhöhten Lizenzgebühren waren die Sozialmaßnahmen, Zuschüsse (bonos) für Mütter, Alte, für Schülerinnen und Schüler sowie die Mittel für Alphabetisierungsprojekte und Gesundheit, die die Armut deutlich gesenkt haben. Seit 2006 ist die Arbeitslosigkeit um die Hälfte auf 4,5 Prozent zurückgegangen und der Abstand zwischen den Löhnen von Männern und Frauen hat sich stark verringert.
Seit seiner Wahl wurden Morales und die MAS jedoch zu verschiedenen Zeiten von „BürgerInnenstreiks“ angegriffen, die von WirtschaftsführerInnen, evangelikalen Kirchen, Straßensperren durch faschistische Banden wie die Jugendlichen von Santa Cruz und angedrohten Polizeimeutereien organisiert wurden, gegen die sie ihre Basis unter den ArbeiterInnen und indigenen Gemeinden mobilisieren mussten. Als auf solche Mobilisierungen faule Kompromisse folgten, schwächten und spalteten diese ihre Basis.
Es besteht kein Zweifel, dass Morales gegen die Verfassung verstoßen hat, indem er den Obersten Gerichtshof dazu überredete, ihm zu erlauben, die Anzahl der Amtszeiten zu verlängern und das knapp verlorene Referendum zu ignorieren, damit er dies tun könnte. Er war jedoch nicht der Erste, der dies tat; unter den meisten seiner Vorgänger zeigte die Justiz keine Unabhängigkeit von der Exekutive. Als Morales dies gegen die Rechte nutzte, wurde das natürlich zum Beweis für eine unerträgliche Diktatur. Tatsächlich war er durch seinen eigenen Personenkult gefangen. Er allein konnte der Kandidat sein – eine jedem Populismus, ob rechts oder links – gemeinsame Tendenz zum Bonapartismus.
Eine noch schwerwiegendere Kritik an Morales ist dagegen, dass er während seiner 14-jährigen Regierungszeit neben der Durchführung von sozialen Reformen und der kulturellen Anerkennung der indigenen Völker die Massenbewegungen in Cochabamba und El Alto, die ihn an die Macht brachten, in vorwiegend elektorale Kanäle umgeleitet hat. Er demobilisierte sie und geriet mit Teilen von ihnen kürzlich sogar in Kollision, um Zugeständnisse an das internationale und einheimische Kapital zu erreichen. In der Tat spalteten er und Linera viele der Organisationen und förderten bürokratische Führungen, die dann zu repressiven Maßnahmen gegen ihre Opposition griffen und einige von ihnen in das Lager der rechten Opposition trieben.
Von Anfang an widersetzte sich Morales der von der Massenbewegung geforderten vollständigen Verstaatlichung der fossilen Energiewirtschaft und verlangte letztlich nur eine Erhöhung der Lizenzgebühren und die staatliche Kontrolle über den Verkauf. Dies war der eigentliche Inhalt von Garcia Lineras Theorie der „Revolution“, die „kommunitäre Demokratie“ und eine „plurinationale Republik“ mit der Förderung eines „Andenkapitalismus“ auf der Grundlage der Einnahmen aus dem Export von Bodenschätzen verband. Im Wesentlichen funktionierte dies genauso lange, wie die explodierende Nachfrage Chinas, Brasiliens und der anderen BRICS-Staaten den Preis dieser Rohstoffe in die Höhe trieb.
Politisch wehrte Morales in der verfassunggebenden Versammlung, die von August 2006 bis Dezember 2007 in Sucre tagte, Forderungen nach einer radikalen Demokratie auf der Grundlage von Versammlungen in den Betrieben und indigenen Gemeinden ab. Stattdessen ging er Kompromisse mit den GroßgrundbesitzerInnen und den industriellen und kommerziellen KapitalistInnen der Media Luna (Halbmond-Provinzen) ein und gewährte ihnen eine beträchtliche Autonomie.
Auch die Forderungen der Massenbewegung nach einer durchgreifenden Agrarrevolution, insbesondere die Verstaatlichung des Großgrundbesitzes, lehnte er ab. Morales’ Reformen ließen den Landbesitz der OligarchInnen weitgehend intakt, förderten aber die Begünstigung mittelgroßer Betriebe auf ungenutztem Land für einen Teil seiner indigenen Basis. Viele von ihnen haben ihn dank ihres Status als KleingrundbesitzerInnen im kritischen Moment im Stich gelassen.
So vereitelte Morales die demokratischen Bestrebungen der Masse der ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnenorganisationen und schwächte und spaltete sie mit einer staatlich unterstützten und korrupten Gewerkschafts- und indigenen Bürokratie. Grandiose Feiern von Aymara, Quechua und anderen indigenen Kulturen waren ein schlechter Ersatz für die grundlegenden Forderungen der Bewegung, deren Befriedigung einen revolutionären Kampf erfordert hätte, um die soziale Basis der OligarchInnen zu brechen und die Staatsmaschinerie, die ihre Klassenherrschaft verteidigte, zu zerschlagen.
Am Ende lag Morales Hauptschuld in dieser Weigerung, ein für alle Mal mit der bürokratischen und repressiven Maschinerie des bolivianischen kapitalistischen Staates zu brechen und die OligarchInnen der Media Luna zu enteignen, d. h. ihre Macht zu zerstören, anstatt sie nur durch die Organisation begrenzter Mobilisierungen seiner AnhängerInnen zu dämpfen. Die Streitkräfte, nicht das bewaffnete arbeitende Volk, blieben der Garant für die Regierung in Bolivien.
General Williams Kaliman Romero und das Oberkommando sind AbsolventInnen der berüchtigten School of the Americas, Fort Benning, Georgia, und die PolizeikommandantInnen sind TeilnehmerInnen eines Austauschprogramms, das von Washington aus durchgeführt wird. Die Investitionen der Vereinigten Staaten in die lateinamerikanischen Streitkräfte sind ein zentraler Mechanismus zur Aufrechterhaltung des formal unabhängigen, aber wirtschaftlich und militärisch untergeordneten, d. h. halbkolonialen Status eines Großteils des Kontinents. Wehe einem Land wie Venezuela oder Bolivien, das versucht, echte Unabhängigkeit zu erlangen!
Kaliman wurde im Dezember 2018 von Morales selbst zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte Boliviens ernannt und galt als loyal zu ihm und seinem Projekt. Doch trotz seiner aktiven Rolle in dem Putsch enthob Añez ihn einige Tage später seines Postens und ersetzte ihn durch General Carlos Orellana.
Selbst als er schließlich mit einem zunehmend militanten Staatsstreich von rechts konfrontiert wurde, verfolgte Morales eine Beschwichtigungspolitik. Er bot an, ein Anhörungsverfahren der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) zu akzeptieren, dann die Mitglieder der Wahlkommission zu ersetzen und Neuwahlen durchzuführen. Zuletzt reagierte er mit dem Versuch, selbst Neuwahlen abhalten zu wollen. Aus Furcht vor den Folgen zog er nur in Erwägung, das Volk in der halbherzigsten Weise und in letzter Minute zu mobilisieren. Sein Problem war, dass seine jüngere Politik und seine autoritären Aktionen Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, die Teil seiner sozialen Basis waren, entfremdet hatten.
Aus diesem Grund scheint es, dass sich die ArbeiterInnenversammlungen in La Paz und Cochabamba zunächst weder für Morales noch für die „zivile Opposition“ erklärten. Dies führte zu einem verheerenden Unterstützungsverlust, als die Bürokratie des wichtigsten Gewerkschaftsverbandes, der bolivianischen ArbeiterInnenzentrale, COB, den Rücktritt von Morales forderte, ohne etwas zu tun, um die ArbeiterInnen auf die Niederschlagung des rechten Putsches vorzubereiten. Seitdem hat die COB die Rechtmäßigkeit der Übernahme von Áñez anerkannt.
Dieses Wanken und Beschwichtigen ermutigte einfach die rechte Opposition, die ihre Forderungen gerade erst erhärtet hatte, indem sie den Rücktritt von Morales und seinem ehemaligen Vizepräsidenten und Vizekandidaten Álvaro García Linera forderte.
In einem gewissen Sinn sind Morales und Linera Opfer des Erfolgs ihrer Politik der Umverteilung des Reichtums, die einer neuen, indigenen Mittelschicht zugute kam, die nun in Konflikt mit der MAS-Strategie des Kompromisses zwischen den kapitalistischen Eliten und den Armen gerät. Die Folge von zehn Jahren ressourcenbasierten kapitalistischen Wohlstands ist die Schaffung einer neuen wohlhabenderen Mittelschicht – einer neuen sozialen Kraft, an die sich Morales‘ GegnerInnen wenden könnten. Der Bruch mit Teilen von Morales‘ kleinbürgerlicher Basis begann mit der Besteuerung der informellen Wirtschaft, 60 Prozent des BIP, 70 Prozent der Wirtschaft, insbesondere der „Cholos“, der einheimischen Kleinbourgeoisie, die den Übergang vom Land zur Stadt vollzieht. Auf der anderen Seite wurden die COB, die Fabrik- und die BergarbeiterInnen, entfremdet.
Der Druck, den die Media-Luna-Eliten auf der einen Seite und die ArbeiterInnen und indigenen bäuerlichen Gemeinschaften auf der anderen Seite auf ihn ausübten, führte schließlich zum Zusammenbruch von Morales‘ Projekt und seinem Rückgriff auf immer mehr bonapartistische Maßnahmen, einschließlich eines Personenkults.
Die von der Rechten in Bolivien verfolgte Strategie war eine Wiederholung dessen, was gegen Maduro in Venezuela erfolglos versucht wurde. Zuerst eine/n „gemäßigte/n“ PräsidentschaftskandidatIn finden, der/die das erz-reaktionäre Programm der realen Opposition maskiert, dann Betrug schreien, wenn er/sie nicht gewinnt, und die Mittelschicht auf der Straße mobilisieren. Die internationale liberale Meinung wird dann das Regime für autoritär oder eine Diktatur erklären. Wenn alles andere scheitert, können die USA Sanktionen oder eine Blockade verhängen.
Die Strategie scheiterte in Venezuela an der Loyalität der Armee gegenüber Hugo Chávez und seinem Nachfolger Maduro sowie an der Tatsache, dass es bedeutende bewaffnete Volksmilizen gibt, die einen Armeeputsch zu einem blutigen Unterfangen machen könnten und nicht zu einem Gerichts-, Parlaments- oder Wahlstreich wie in Brasilien und Bolivien.
Im Falle Boliviens sollte man jedoch die Kraft der wiederholten großen Bewegungen in El Alto und Cochabamba nicht vergessen; sie ist nicht völlig zerstört worden. In El Alto vereinigt die Föderation der Nachbarschaftsräte, FEJUVE, mehr als 600 dieser Gremien und hat stets eine wichtige Rolle bei der Massenmobilisierung gespielt. Sicherlich muss sie von den KapitulantInnen gesäubert und eine neue Führung gewählt werden, die sich aus den KämpferInnen zusammensetzt, die mutig Streiks und Blockaden organisiert und sich den Gewehren von Polizei und Armee entgegengestellt haben.
Es besteht eindeutig ein Bedarf an Selbstverteidigungsorganisationen, die in der Lage sind, im kritischen Moment einen Generalstreik zu starten, der die Wirtschaft und den bürgerlichen Staat lähmt. Die MilitantInnen müssen alles tun, um die Mannschaftsränge und Unteroffiziersdienstgrade der SoldatInnen zu gewinnen, die ihrerseits die Polizei entwaffnen und die Massen bewaffnen und ausbilden können. Die COB und alle ihre Einzeilgewerkschaften müssen von ihren korrupten und feigen FührerInnen gesäubert werden.
ArbeiterInnen und andere Volkskräfte können aus den cabildos abiertos, Massenversammlungen unter freiem Himmel, Delegierte in die lokalen Aktionsräte wählen. Solche Gremien können auch, sobald das Putschregime gebrochen ist, Wahlen zu einer revolutionären verfassunggebenden Versammlung organisieren. Eine solche Versammlung müsste sich, um die Macht der Bourgeoisie brechen zu können auf Räte und auf bewaffnete Milizen der ArbeiterInnen, BäuerInnen und indigenen Völker stützen. Sie müsste ihre Macht an eine auf Räte gestützte ArbeiterInnen –und BäuerInnenregierung übertragen, die die notwendigen Maßnahmen ergreifen kann, um die Bourgeoisie endlich ihrer Repressionsmittel zu berauben, indem sie die ArbeiterInnenklasse an die Macht über die Wirtschaft bringt. Eine Revolution in Bolivien kann unter den heutigen Bedingungen leicht auf Chile, Brasilien, Ecuador und Venezuela übergreifen.
Was fehlt, ist eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnenklasse und der ländlichen und städtischen Armen, um eine solche Revolution zu führen. Die Gründung der ArbeiterInnenpartei „Partido de los Trabajadores“, PT, auf einem Kongress in Huanuni im März 2013 schien ein großer Schritt in diese Richtung zu sein. Sie wurde auf Initiative der BergarbeiterInnengewerkschaft FSTMB und einer Resolution der Konferenz der COB gegründet, in der ein „politisches Instrument“ der Gewerkschaften gefordert wurde.
Das in Huanuni verabschiedete Programm forderte die „Verstaatlichung der Banken ohne Entschädigung“, die „Verstaatlichung der Bergbauindustrie und aller natürlichen Ressourcen“ und die „Enteignung von Großgrundbesitz“. Diese Forderungen waren mit der Forderung nach „kollektiver ArbeiterInnenkontrolle“ verbunden.
Die Führung der PT blieb indessen fest in den Händen der Gewerkschaftsbürokratie, die innerhalb eines Jahres wieder zur Zusammenarbeit (und zum Streit) mit Morales zurückkehrte. Offensichtlich sah sie in der PT eine Verhandlungspartnerin der Regierung und der UnternehmerInnen, nicht eine Kämpferin um die Macht – und letztere nicht nur an der Wahlurne, sondern auch auf dem Schauplatz des revolutionären Klassenkampfes.
Wie können SozialistInnen weltweit ihren bolivianischen GenossInnen helfen? Wir sollten gegen die Unterstützung unserer Regierungen für den Staatsstreich protestieren und die Freilassung der Gefangenen und die Wiederherstellung der Pressefreiheit fordern. Wir sollten die Unterstützung des Weißen Hauses für rechte Oligarchien, die versuchen, die so genannte Pink Tide (rosa Welle linker Regierungen in Lateinamerika) umzukehren, aufdecken. Die Siege der rechten Kandidaten, die vor vier Jahren in Argentinien begannen und sich bis zum Sieg von Bolsonaro in Brasilien und dem Putschversuch von Juan Guaidó in Venezuela ausbreiteten, sind ein Stück weit Teil davon. Die Ereignisse in Bolivien sind ein Symptom für eine akute Verschärfung des Klassenkampfes weltweit.