Robert Teller, Infomail 1078, 25. November 2019
Die US-Regierung hat erklärt, die israelischen Siedlungen in der Westbank nicht mehr als Verletzung internationalen Rechts anzusehen. Keine andere Regierung weltweit außer der israelischen hat jemals die Siedlungen als rechtmäßig anerkannt.
Mit einer Begründung hielt sich die US-Administration nicht lange auf: „Wir erkennen die Realität in dem Gebiet an“, so Außenminister Pompeo – und schon wird Unrecht zu Recht.
Dabei erklärt selbst die 4. Genfer Konvention den Transfer der eigenen Bevölkerung einer Besatzungsmacht in besetztes Gebiet als illegal. Eine Vielzahl an Rechtsgutachten ebenso wie UNO-Resolutionen bestätigen das Offensichtliche, dass dieser Tatbestand in der Westbank erfüllt ist – zuletzt die Resolution 2336 von 2016. Der Schritt kann also nicht als eine „neue Rechtsauffassung“ verstanden werden, sondern als die offene Anerkennung und Akzeptanz der Tatsache, dass internationales Recht, wenn es im Widerspruch zu den strategischen Zielen des Staates Israel steht, für diesen keine Bedeutung hat. Die Anerkennung der Siedlungen durch die US-Regierung folgt auf die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt und der Annexion der Golanhöhen, die allesamt Verletzungen internationalen Rechts darstellen.
Die Entscheidung ist ein weiteres Wahlkampfgeschenk an den schwer angeschlagenen Premierminister Netanjahu, der sich voraussichtlich zum dritten Mal in Folge Neuwahlen stellen muss.
Die Siedlungen sind seit der Eroberung der Westbank im Sechstagekrieg 1967 zentraler Bestandteil des Besatzungssystems und der andauernden ethnischen Säuberung Palästinas, d. h. der Vertreibung und Marginalisierung der PalästinenserInnen. Die militärisch bewachten Siedlungen sollen den Souveränitätsanspruch des israelischen Staates in den besetzten Gebieten untermauern.
Die israelische Rechte beabsichtigt, mittelfristig das Jordantal und die Siedlungen zu annektieren, was nichts anderes als die Legalisierung des Status quo wäre. Sie denkt nicht daran, auch nur einen Teil der Westbank einem zukünftigen palästinensischen Staat zu überlassen, denn jede noch so beschränkte Form palästinensischer Selbstbestimmung wäre eine permanente Gefahr angesichts der Millionen Vertriebenen, die sich mit ihrem Schicksal nie abgefunden haben und ihr Recht auf Rückkehr fordern. Die von der offiziellen palästinensischen Vertretung ebenso wie von der restlichen „Staatengemeinschaft“ gepriesene „Zweistaatenlösung“ ist also tot.
Die zahme „Kritik“, die u. a. die deutsche Bundesregierung formuliert, richtet sich nicht gegen die Ungerechtigkeit der aggressiven Politik Israels und der USA gegenüber den PalästinenserInnen, sondern dagegen, dass diese den eigenen Standpunkt als verlogene Utopie entlarvt. Die Abwendung vom „Friedensprozess“ ist zwar eine Absage an den bisherigen „internationalen Konsens“, dass eine Lösung in Verhandlungen mit der Autonomiebehörde gefunden werden müsse. Dass bislang keine andere Regierung den USA bei der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt gefolgt ist, zeigt auch, dass diese Politik riskant ist. Sie ist aber folgerichtig und keineswegs eine Kehrtwende, sondern die logische Fortsetzung der Politik der vergangenen 25 Jahre. Israel will in der Westbank kein zweites Gaza, sondern einen Raum für die Expansion des SiedlerInnenstaates schaffen. Mittlerweile ist, „Friedensprozess“ hin oder her, die Gesamtzahl der SiedlerInnen in der West Bank auf über 600.000 angewachsen. Dann braucht es langfristig auch keine palästinensische Mitverwaltung der Besatzung.
Die eigentliche Gefahr für den israelischen Staat liegt aber gerade darin, dass er die PLO-Fraktionen, die durch ihr Festhalten an der Illusion der Zweistaatenlösung seit 25 Jahren den Widerstand gegen die Besatzung lähmen, politisch diskreditiert und blamiert. Sie liegt darin, dass die Kollaboration der reaktionären arabischen Regime mit Israel und die „Friedenspolitik“ des deutschen und europäischen Imperialismus ihre Scheinlegitimation verlieren.
Die sog. Zweistaatenlösung entpuppt sich mit jedem Schritt als diplomatische Fiktion. RevolutionärInnen sollten dies zum Anlass nehmen, in Palästina und in der weltweiten Solidaritätsbewegung für die einzig mögliche fortschrittliche Lösung einzutreten: einen einzigen, sozialistischen Staat Palästina, der allen BewohnerInnen, allen Nationalitäten unabhängig von Religion und Herkunft die gleichen Rechte garantiert, einschließlich des Rückkehrrechts für die Flüchtlinge.