Arbeiter:innenmacht

SED-Gründung vor 50 Jahren: Fusion und Verwirrung

Hannes Hohn, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019 (Erstveröffentlichung 1996)

Vor 50 Jahren, am 21. April 1946, schlossen sich in der sowjetischen Besatzungszone KPD und SPD zur SED zusammen. Die Bewertungen dieses Ereignisses sind konträr genug: eine Seite bejubelt diese Vereinigung als Überwindung der Spaltung der ArbeiterInnenklasse und richtige Konsequenz aus den blutigen Erfahrungen des deutschen Proletariats unter dem Faschismus; die Gegenseite lehnt die SED-Gründung als Zwangsvereinigung unter dem Diktat des Kremls ab. Heute schlagen die Wogen dieser Debatte vor allem in der PDS und der SPD erneut hoch.

Hinterrund der Vereinigungsdebatte

Es ist kein Zufall, dass die Diskussion um ein Ereignis, das schon 50 Jahre zurückliegt, gerade jetzt wieder sehr intensiv geführt wird. Den Hintergrund der Debatte bildet die derzeitige Krise der SPD und damit in Zusammenhang die Stabilisierung ihrer sozialdemokratischen Konkurrentin PDS. Für beide Seiten geht es darum, die eigene politische Daseinsberechtigung aus der Geschichte abzuleiten.

Die SPD und ihr nahestehende HistorikerInnen gehen zumeist von der These aus, dass die SED-Gründung eine erzwungene Vereinigung gewesen sei, die ein wesentlicher Meilenstein zur Etablierung der undemokratischen, totalitären Verhältnisse der DDR war. Die Ablehnung der Vereinigung ist somit v. a. ein Mittel der Abgrenzung von der PDS, der als SED-Nachfolgepartei das Attest „undemokratisch“ ausgestellt wird. Die einzige demokratische Alternative der ArbeiterInnenbewegung sei die SPD, der allein schon aus diesem Grund heute auch die Stimmen der PDS-WählerInnen zustünden. Die Vereinigungskritik suggeriert gleichzeitig auch, dass durch die Vereinigung von 1946 mindestens in der Ostzone eine andere, demokratische Entwicklung verhindert worden wäre.

Der PDS und ihren GeschichtsbewerterInnen geht es um das gerade Gegenteil. Ihr überwiegend positiver Bezug auf den politischen Kern der Vereinigung von KPD und SPD soll das Projekt einer „pluralistischen“ linken Bewegungspartei vom Typ der PDS historisch legitimieren. Damit werden jene politischen Brücken zur SPD offengehalten, über die man aufeinander zugehen kann, wenn gegen Kohl ein linkes Regierungsbündnis aus SPD, PDS und GRÜNEN hergestellt werden soll. Diese Option ist für die PDS zwingend, weil sie ohne bundesweit präsente PartnerInnen nur in Ostdeutschland Bedeutung hätte, während die SPD zwar die Stimmen der PDS braucht, aber nicht die PDS selbst.

Es ist bezeichnend, dass während der Entstehung der PDS aus der SED 1989/90 die Frage der Entstehung der SED fast keine Rolle in der Debatte spielte und flugs zur Tagesordnung, sprich zur Schaffung der PDS, übergegangen wurde. Grund dieser Vorgehensweise war der Versuch, eine Spaltung (womöglich sogar ein Verschwinden) der Partei zu verhindern, wenn evtl. festgestellt worden wäre, dass das Projekt SED von Anfang an eine Fehlkonstruktion und den Interessen des Proletariats entgegengesetzt war. 1989/90 gab es immerhin eine starke Strömung in der SED, die für eine Aufspaltung der SED in KPD und SPD eintrat. Das hätte aber nicht nur einen Streit über die programmatischen Grundlagen, sondern auch über die Aufteilung der Parteifinanzen bedeutet und die Gefahr heraufbeschworen, dass die neue Nomenklatura der PDS, die aus der zweiten und dritten Reihe des SED-Apparats kam, keine neuen Posten im Gefüge des Parlamentarismus gefunden hätte. Ohne Frage: eine gewisse Masse ist notwendig, um im parlamentarischen Geschäft mitmischen zu können – dem wesentlichen Anliegen der PDS-Führung.

Bezeichnend für die allgemeine Debatte ist auch, dass der eigentliche politische Inhalt der SED, ihre programmatischen Grundlagen, kaum betrachtet werden und die sekundäre Frage, ob die Vereinigung erzwungen war oder nicht, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird. Dieses Herangehen ist Ausdruck des Unwillens der Führungen von PDS und SPD, die theoretischen Grundlagen und die Methode der eigenen Politik zu hinterfragen.

Zwangsvorstellungen

Verfolgt man die Medien, so vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Fakten und AugenzeugInnen für die These sprechen, die Gründung der SED sei ein Akt des Zwangs gewesen, der von KPD und Sowjetischer Militäradministration in Deutschland (SMAD) als böses Bubenstück auf Kosten der SPD inszeniert worden sei. Doch die historischen Tatsachen ergeben kein so einseitiges Bild.

In der DDR gelang es der SED, durch gezielte Unterdrückung der Meinungs- und Forschungsfreiheit die Vereinigung von KPD und SPD als bewusste und freiwillige Vereinigung der großen Mehrheit ihrer Mitglieder hinzustellen. VereinigungsgegnerInnen wurden als SpalterInnen, SektiererInnen und ReaktionärInnen verteufelt. Doch nachdem die ideelle Käseglocke der SED zersplittert ist, riecht manches nicht mehr so gut.

Zahlreiche Quellen belegen eindeutig, dass vor allem von Seiten der SMAD in vielfältiger Form Druck auf die SPD ausgeübt worden ist. SPD-Versammlungen wurden beeinflusst, FunktionärInnen, die gegen eine Fusion waren, abgesetzt, unliebsame Mitglieder mitunter verhaftet und SPD-FührerInnen unter Druck gesetzt. Ein Beispiel dafür, wie die SMAD Einfluss ausübte, ist ihre Rolle bei der Mitgliederbefragung zur Vereinigung, die von vielen SozialdemokratInnen gefordert wurde: Sie wurde einfach verboten. In den westlichen Zonen von Berlin kam sie aber am 31.3.1946 mit dem Ergebnis zustande, dass nur 12,2 % für eine Vereinigung stimmten. In anderen Regionen dürfte die Stimmung allerdings weniger eindeutig gegen die Vereinigung gerichtet gewesen sein. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass es bereits vor der offiziellen Kampagne spontane Zusammenschlüsse von Basisorganisationen der SPD und der KPD gab. Gerade im Lager der SPD wird dieses Votum der (West-)Berliner Mitglieder als Beweis für die allgemeine Ablehnung einer Vereinigung mit der KPD in der SPD-Mitgliedschaft gewertet. Gerade der Druck auf die SPD von Seiten der SMAD hat die ablehnende Haltung mancher/s SozialdemokratIn zur Vereinigung verstärkt. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass ohne diesen Druck die Vorbehalte kleiner und damit der Aspekt der Freiwilligkeit bedeutender gewesen wäre. Insofern war das Vorgehen der SMAD wirkungsvoll, doch nicht sehr geschickt. Auch in der KPD waren deshalb viele Mitglieder und FunktionärInnen mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, ohne freilich dagegen anzukämpfen.

Vom Zwang zur Vereinigung zu sprechen, bedeutet aber v. a., auch zu berücksichtigen, dass es schon 1945 und bis zum Untergang der DDR unter dem politischen Diktat der SMAD und später der SED-Bürokratie nicht möglich war, substanzielle politische Kritik zu äußern, Tendenzen oder gar Fraktionen in der SED zu bilden, geschweige denn alternative Organisationen zu gründen. Ohne diese demokratischen Rechte ist es jedoch faktisch unmöglich, legale politisch-organisatorische Alternativen zur SED zu schaffen. Diese Einsicht hat, wie Quellen belegen, viele SozialdemokratInnen, aber auch KPD-Mitglieder, die der Fusion kritisch gegenüberstanden, bewogen, der SED beizutreten, weil es keine Alternative gab.

Trotz der geschilderten Umstände ist jedoch der Begriff „Zwangsvereinigung“ ungeeignet, um die Art und Weise der Vereinigung zu kennzeichnen. Zu viele historische Fakten sprechen dagegen:

  • Es gab an der Basis zwischen KommunistInnen und SozialdemokratInnen bereits im Mai 1945 spontane Zusammenarbeit in den Antifaausschüssen und in betrieblichen Komitees;
  • bereits im Sommer 1945 existierte ein gemeinsamer Arbeitsausschuss von KPD und SPD auf der Ebene der Parteiführungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ);
  • es existierten bereits vor dem Beginn der offiziellen, von oben eingeleiteten Einheitskampagne Zusammenschlüsse von KPD und SPD auf Ortsebene sowie gemeinsame Versammlungen, Aktivitäten verschiedener Art und öffentliche Kommuniqués zur Notwendigkeit der Vereinigung.

Diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit kam auch in der erwähnten Berliner Urabstimmung zum Ausdruck, bei der über 62 % für eine Aktionseinheit mit der KPD votierten. Diese Einheitstendenzen erklären sich wesentlich aus zwei Umständen: zum einen aus der blutigen Erfahrung des Faschismus, der nur darum sein Terrorregime errichten konnte, weil SozialdemokratInnen und KommunistInnen keine antifaschistische Einheitsfront gebildet hatten, was wesentlich Schuld der falschen Politik ihrer Führungen war. Zum anderen waren es die anstehenden Aufgaben nach Kriegsende, die die proletarische Mitgliedschaft beider Parteien in der Praxis einander näherbrachten: Beseitigung der Reste des Faschismus, Ingangsetzung des öffentlichen Lebens und der Produktion. Wie im Folgenden gezeigt werden wird, ging es im Kern darum, dass die ArbeiterInnenklasse vor der Möglichkeit und der Notwendigkeit stand, den Kapitalismus zu beseitigen und die Macht zu übernehmen.

Die Tatsachen weisen klar darauf hin, dass es trotz Nötigung und Zwang seitens der SMAD und der KPD und trotz fehlender Alternativen eine breite Bewegung in KPD und SPD Richtung Einheit in Aktion und Organisation gab.

Bei der Einschätzung der Vereinigung müssen noch weitere Umstände berücksichtigt werden, die gegen die These von der Zwangsvereinigung sprechen. Es ist belegt, dass die Mehrzahl der Gründungsdelegierten und auch der SED-Mitgliedschaft aus der SPD kamen. Obwohl es Formen direkten wie indirekten Drucks auf die SozialdemokratInnen gab, so bestand doch die individuelle Möglichkeit für jedes Mitglied, aus der SPD vor dem Zusammenschluss auszutreten, der SED nicht beizutreten oder sie zu verlassen. Massenhafte Schritte in diese Richtung gab es jedoch nicht. Dass es aber bei vielen SED-Mitgliedern schon bald nach der Vereinigung Differenzen zur weiteren Entwicklung der SED und ihrer Umformung zu einer offen stalinistischen Partei gab, belegen zahlreiche Repressionen gegen Mitglieder und FunktionärInnen.

SPD und KPD erreichten nach Kriegsende sehr schnell wieder alte Mitgliederstärke. Allein die KPD hatte schon im Frühjahr 1946 mit rund 500.000 trotz Naziterror, Emigration, Kriegsopfern und noch in Gefangenschaft Befindlichen mehr Mitglieder als vor 1933. Ähnlich war die Situation in der SPD. Ohne Frage waren diese vielen neuen, parteipolitisch weniger beeinflussten Mitglieder mit weniger Ressentiments gegenüber der anderen Partei beladen als alte Mitglieder und konnten somit leichter für die Einheit motiviert werden. Eine gründliche Debatte der politischen Grundlagen beider Parteien und ihrer Rolle in den Klassenkämpfen der Jahre zuvor fand jedoch nicht statt und war vor allem von den Führungen beider Parteien auch nicht ernsthaft beabsichtigt.

Die Schaffung der SED

Warum wurde im April 1946 die SED gegründet, obwohl noch ein knappes Jahr zuvor weder SPD noch KPD die Vereinigung beider Parteien unmittelbar als Ziel aufgestellt hatten? Dafür gibt es mehrere Ursachen: Die SMAD fürchtete, dass ihre politische Juniorpartnerin in Deutschland, die KPD, bei den bevorstehenden Wahlen gegenüber der SPD unterliegen würde und damit der direkte Einfluss der UdSSR auf die Entwicklung (Ost-)Deutschlands vermindert würde. Diese Befürchtung war nur berechtigt, da der Einfluss der SPD im Vergleich zur KPD – obwohl letztere von der SMAD stärker gefördert wurde – sich zunehmend stärker bemerkbar machte. Auch die Wahlen in Ungarn und Österreich, bei denen die KPen deutliche Schlappen erlitten hatten, nötigten zu einem organisationspolitischen Schwenk, der nicht auf die Zurückdrängung, sondern auf das Aufsaugen der SPD per Fusion orientiert war. Die Wahlen vom Oktober 1946 in Berlin bestätigten alle Befürchtungen hinsichtlich des Einflusses der SPD: sie erhielt über 48 %, die SED dagegen nur 19,8 % der Stimmen.

Die politische Grundlage der Vereinigung bestand aus zwei wesentlichen Elementen: 1. den demokratischen Illusionen des Proletariats und 2. dem Wandel der KPD seit 1935 von einer zentristischen zu einer reformistischen Partei.

Nach der faschistischen Diktatur waren die demokratischen Illusionen wieder erstarkt. Dabei spielte eine wesentliche Rolle, dass alle Ansätze proletarischer Machtentfaltung von der SMAD in Einklang mit den Führungen von KPD und SPD ignoriert und bewusst sabotiert worden waren. Unter diesen Umständen konnte die Restauration bürgerlich-demokratischer Zustände den Arbeiterinnen und Arbeitern als Tugend erscheinen. Das Fehlen einer marxistischen Partei mit einem revolutionären Programm war dabei natürlich ein entscheidender Faktor dafür, dass die Bewegung des Proletariats über Ansätze eigener Machtkonstituierung nicht hinaus gelangte und die reformistischen Führungen von KPD und SPD ohne politische Konkurrenz blieben.

Die richtige Einsicht der Mitgliedsbasis, dass die fehlende Einheitsfront vor 1933 Hitlers Sieg ermöglichte, ging nicht mit einer schonungslosen Kritik der Politik von SPD und KPD konform. In gewissem Sinn können wir sagen, dass 1933 vor lauter Prinzipien die Einheit übersehen wurde, während 1946 vor lauter Einheit die Prinzipien vergessen worden waren. Im Grunde bestand die Vergangenheitsbewältigung nicht nur der KPD, sondern auch die der SPD darin, eine Verbeugung vor der Volksfrontpolitik zu machen. Da die Politik beider Parteien nicht revolutionär, sondern reformistisch – auf die Schaffung bürgerlich-demokratischer Verhältnisse gerichtet war –, gab es kaum prinzipielle programmatische Gegensätze, die einer Parteivereinigung grundsätzlich widersprochen hätten. Die SPD-Politik folgte trotz einiger wichtiger Differenzen z. B. bezüglich ihres Verhältnisses zur SU oder der Stellung zur Demokratie der gleichen Logik wie die KPD und nahm auch in vielen konkreten Fragen die gleiche Position ein. Hier soll nur die Zustimmung zu den Reparationen oder die passive, ja unterstützende Haltung zur Auflösung der Antifa-Komitees und der spontan entstandenen betrieblichen Strukturen der ArbeiterInnenklasse genannt werden. Die KPD, die nur wenige Jahre zuvor die SPD „Zwilling des Faschismus“ genannt hatte, war inzwischen selbst zum Zwilling der reformistischen Sozialdemokratie mutiert. Doch die Entstehung der SED kann nicht nur aus innerparteilichen Umständen erklärt werden; sie muss im Kontext der Politik Stalins gesehen werden. Es ist kein Zufall, dass die SED nur in der Ostzone entstand und nicht in den Westzonen. Dem „Büro Dr. Schumacher“, der Machtzentrale der SPD im Westen, gelang es unter Mithilfe der Westalliierten, die Vereinigung zu verhindern. Denn von Beginn an war die SED Machtinstrument der Politik Moskaus und somit objektiv verlängerter Arm der in der SU herrschenden bürokratischen Kaste. Doch so sehr deren konterrevolutionäre Strategie dem Imperialismus auch entgegenkam – dort, wo er selbst herrschte, in den deutschen Westzonen, wollte er selbst bestimmen; eine vereinigte Arbeiterpartei von Stalins Gnaden konnte er nicht gebrauchen.

Volksfront contra Revolution

Nachdem die stalinisierte KPD vor 1933 durch ihren ultralinken Zentrismus gemeinsam mit der Kapitulantenpolitik der SPD das Zustandekommen einer breiten antifaschistischen Einheitsfront gegen Hitler unmöglich gemacht und kampflos kapituliert hatte, erfolgte nach Hitlers Machtübernahme mit dem VII. Kominternkongress 1935 ein scharfer Schwenk nach rechts. Die dort beschlossene Volksfrontpolitik, die auch nach Kriegsende allgemeine Linie blieb, verpflichtete die stalinistischen Parteien programmatisch und praktisch, strategische Bündnisse und Regierungsallianzen mit Teilen der Bourgeoisie einzugehen und dafür auf die Diktatur des Proletariats zu verzichten. Schätzte man die Sozialdemokratie noch 1933 als „sozialfaschistisch“ ein und weigerte sich beharrlich, den sozialdemokratischen ArbeiterInnen und ihrer Führung eine Einheitsfront vorzuschlagen, so waren 1935, (also nur zwei Jahre später!) plötzlich nicht nur die Sozialdemokratie, sondern sogar rein bürgerliche Parteien Koalitionspartnerinnen geworden. Ein größeres Verwirrspiel ist kaum denkbar!

Der methodische Grundfehler der Volksfrontkonzeption war aber der, dass zwischen Faschismus und Demokratie, zwei Herrschaftsformen ein und desselben Imperialismus, ein qualitativer Unterschied gemacht wurde, der scheinbar ein Bündnis des Proletariats mit einem (demokratischen) Teil der Bourgeoisie notwendig machte. Nach dieser Logik hieß die Alternative nicht mehr Sozialismus oder Kapitalismus, sondern Faschismus oder (bürgerliche) Demokratie. Dieses Konzept blieb auch nach der Niederlage des Faschismus für die KPD gültig.

Die Gründung der SED und das politische Nachkriegssystem in Ostdeutschland bzw. später der DDR stellten eine Variante dieser Volksfrontkonzeption dar. Einerseits, weil originäre Einheitsfrontorgane der ArbeiterInnenklasse beseitigt worden sind, zum anderen durch den antifaschistisch-demokratischen Block. Dieser Block unter Einschluss bürgerlicher Parteien wie der CDU oder der LDP, deren Gründung von KPD und SMAD unterstützt oder im Fall der NDP, einer Partei für ehem. Wehrmachtsoffiziere und sonstige bürgerliche Kräfte, sogar initiiert wurde, bildete ein pseudoparlamentarisches System auf Basis eines bürgerlich-demokratischen Programms. Auch in der späteren DDR bestand dieser Block weiter als Mittel der Integration kleinbürgerlicher Schichten und der Maskierung der Alleinherrschaft der SED.

Stalins Deutschlandpolitik

Als im Mai 1945, nach 12 blutigen Jahren, das „tausendjährige Reich“ der Nazis zerschlagen war, war die Macht der deutschen Bourgeoisie noch stärker als am Ende des 1. Weltkrieges diskreditiert und erschüttert. Ihre bewaffneten Kräfte waren besiegt, der Staatsapparat befand sich in Zersetzung, die faschistischen Organisationen waren kollabiert, die nationalistisch-chauvinistische Massenbegeisterung für den Faschismus hatte sich längst in Agonie und Entsetzen gewandelt. Die gesamte exekutive Macht lag in den Händen der Besatzungsmächte.

Sofort nach Beendigung der letzten Kämpfe begann aber auch die deutsche ArbeiterInnenklasse, Ohnmacht und Atomisierung der Jahre unter dem Faschismus zu überwinden: die zerschlagenen Organisationen – KPD und SPD, Gewerkschaften und Betriebsräte sowie linke Gruppierungen – entstanden neu. Kader der SPD und der KPD, viele von ihnen gerade erst aus den KZs und Zuchthäusern gekommen, spielten dabei eine große Rolle. Kaum waren die letzten Schüsse verhallt, organisierte sich das Proletariat: in den Antifa-Ausschüssen, um die Reste der Nazidiktatur zu beseitigen, in den Betrieben, um die zerstörte Produktion wieder in Gang zu bringen. Vor allem diese betrieblichen Komitees zeugen davon, dass die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter bereit und in der Lage waren, die Produktion zu kontrollieren und zu organisieren. Betriebskomitees und Antifa-Ausschüsse waren Ansätze zur Bildung von proletarischen Machtorganen – den Räten. In der ArbeiterInnenschaft und weiten Teilen der Bevölkerung bis hinein in bürgerliche Kreise war nach dem totalen Zusammenbruch Hitlerdeutschlands eine mehr oder weniger bewusste und klare antikapitalistische Stimmung verbreitet. Doch im Unterschied zu 1918 fehlte eine revolutionäre Massenbewegung.

Entgegen der Ideologie der Alliierten, nach der Nachkriegsdeutschland vor der Alternative Faschismus oder Demokratie stand, ging es in Wahrheit darum, den deutschen Kapitalismus in demokratischer Form wiederzuerrichten oder ihn zu stürzen und die Diktatur des Proletariats aufzubauen. Obwohl 1945/46 in Deutschland keine revolutionäre Situation bestand, so gab es doch, wie oben ausgeführt, Ansätze proletarischer Machtorkane. Doch die Erschütterung der gesellschaftlichen Ordnung, die Brisanz der sozialen Probleme konnten in der Nachkriegsperiode jederzeit die Frage der Macht auf die Tagesordnung stellen. Wie schon 1933 lag der Schlüssel der Entwicklung bei den Arbeiterinnenorganisationen und insbesondere bei der Führung in Moskau.

In Potsdam hatten sich die Alliierten der Antihitlerkoalition endgültig über das Schicksal Deutschlands geeinigt. Nach 12 Jahren Naziherrschaft sollte das neue Deutschland von nun an demokratisch, entmilitarisiert und entnazifiziert sein. Die Kontrolle dieser deutschen Verwandlung oblag den Besatzungsmächten Sowjetunion, USA, Frankreich und Großbritannien, die jeweils eigene Besatzungszonen kontrollierten. Der alliierte Kontrollrat sollte als oberstes Gremium die Politik der Alliierten koordinieren. Stalin, Truman und Churchill waren sich darin einig, Deutschland als Staat nicht zu zerschlagen, sondern nur soweit zu schwächen, dass er keine den Großmächten gefährliche Rolle mehr spielen konnte. Quasi als Gegenleistung für ihren humanistischen Großmut sollte ein Großteil der materiellen Werte Deutschlands als Reparationen an die Besatzungsmächte fallen.

Die Antihitlerkoalition, ein strategisches Bündnis des degenerierten ArbeiterInnenstaates Sowjetunion mit den „demokratischen“ Imperialismen; die in Jalta, Teheran und Potsdam vorgenommene Aufteilung der Welt in Einflusssphären sind Ausdruck des Wunsches der StalinistInnen gewesen, ein strategisches Übereinkommen mit dem Weltimperialismus zu treffen, um somit die Möglichkeit des Aufbaus des „Sozialismus in einem Lande“ sicherzustellen. Abgesehen davon, dass eine sozialistische Gesellschaftsqualität in einem isolierten Land und ohne Ausdehnung der Weltrevolution nicht erreicht werden kann, bedeutete die Politik Stalins auch den Verzicht auf alle Versuche des Proletariats, den Kapitalismus zu stürzen und seine eigene Macht zu errichten. Die günstigen Bedingungen für den revolutionären Kampf um die Macht z. B. in Frankreich oder Italien 1944/45 wurden bewusst nicht ausgenutzt. Der Aufstand des griechischen Proletariats wurde im Stich gelassen, weil Griechenland im britischen Interessensgebiet lag.

Mehr als alle revolutionären Beschwörungen offenbarte die praktische Politik Stalins dessen konterrevolutionäre Rolle, die in ihrer Konzeption auf wesentlichen Elementen des Menschewismus beruht und in scharfem Gegensatz zu Praxis und Programm der Bolschewiki unter Lenin und Trotzki stand.

In Deutschland entwickelte sich die Lage prinzipiell genauso wie in den von der SU besetzten Ländern Osteuropas. Stalins Versuch, auf die Bajonette der Roten Armee gestützt, eine Pufferzone um die SU aus bürgerlich-demokratischen Staaten zu schaffen, auf deren Politik er durch die Besatzungstruppen einerseits und die jeweiligen KPen andererseits direkten Einfluss

nehmen konnte, ging nicht lange gut. Die nichtenteignete Bourgeoisie strebte nach der Wiedererlangung der ganzen Macht und musste mit den Interessen des einheimischen Proletariats, aber auch mit der Moskauer Politik kollidieren. Die bürgerliche Wirtschaft und ihre politischen Subjekte, die Parteien und Staaten der Bourgeoisie, haben ihre Eigendynamik, die sich nicht an Stalins Datscha-Träumereien halten. Dieser Interessenkonflikt spitzte sich noch zu, als Amerika Ende der 1940er Jahre durch das Marshallplanprojekt die europäischen Staaten noch enger an die USA zu binden suchte. Wollte Stalin nicht alles verlieren, was er im Krieg gegen Hitler gewonnen hatte, musste er entgegen seiner ursprünglichen Absicht die Bourgeoisie als Klasse enteignen. Dazu war er auch gezwungen, wenn er nicht eine Konfrontation mit dem Proletariat riskieren wollte, dessen Bedürfnisse ohne konsequente antikapitalistische Maßnahmen nicht befriedigt werden konnten – es sei denn mit dem Zuckerbrot des Marshallplans. Stalin scherte „nach links“ aus. Der Sieg über Hitler entzweite die SiegerInnen, die Antihitlerkoalition zerbrach.

In der Ostzone Deutschlands erfolgte dieser Schwenk erst 1951, als wesentliche Elemente einer Planwirtschaft das Wertgesetz als Grundmechanismus kapitalistischen Wirtschaftens ablösten. Diese antikapitalistischen Umwälzungen erfolgten aber unter Ausschaltung der selbstständigen schöpferischen Rolle des Proletariats auf bürokratische Weise und verbunden mit der Etablierung eines der Form nach bürgerlichen Staatsapparates.

Die KPD-Politik nach 1945

Auch in Deutschland, besonders in dessen Ostteil, wo die Rote Armee die Macht bereits besaß, wurde diese also nicht dazu genutzt, den Kapitalismus zu beseitigen. Gerade die von den KPD-FührerInnen propagierte  „Ausrottung des Faschismus mit allen Wurzeln“ hätte eigentlich bedeutet, dessen kapitalistische Grundlagen abzuschaffen. Doch den FührerInnen der KPD und der KPdSU ging es lediglich darum, den Faschismus zu beseitigen, um demokratische Verhältnisse auf der Basis kapitalistischer Eigentumsformen zu schaffen.

Die in Moskau abgesegnete Politik der Gruppe Ulbricht, der Führung der KPD, lässt keine Fragen über die politischen Absichten Stalins und seiner deutschen Gefolgsleute offen. So heißt es im „Programm der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ der KPD vom Juni 1945, dass „unsere grundlegende Orientierung in der gegenwärtigen Situation die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution, die im Jahre 1848 begonnen hatte (ist). Das heißt, die Junker, Fürsten und Großgrundbesitzer sollen enteignet … werden. Die aktiven Nazis … müssen von den deutschen Gerichten hart abgeurteilt werden. Die großindustriellen Kriegsverbrecher aber werden von den Gerichten der alliierten Mächte … ihre Strafe erhalten.“ (1)

Kein Wort über die Enteignung der Bourgeoisie als Klasse. Kein Wort von der Notwendigkeit, dass die ArbeiterInnenklasse selbst die Macht übernehmen muss. Sogar die SPD gab sich 1945 linker als die KPD und bekannte sich wenigstens abstrakt zum Sozialismus und zu einer „Sozialisierung der Wirtschaft“.

Zwar gibt das Juni-Programm der KPD offen zu, dass „manche Arbeiter … sofort den Sozialismus errichten (wollen)“, aber diese Absicht wird als angeblich unmöglich abgelehnt. (2) Die Gründe, warum die ArbeiterInnen nicht sofort mit dem Aufbau des Sozialismus – sprich der Errichtung der Diktatur des Proletariats – beginnen können, sind bezeichnend für die völlige politische und theoretische Degeneration der offiziellen KP-FührerInnen vom Kaliber Ulbrichts und für uns auch deshalb interessant, weil die in diesem Dokument ausgedrückte Denkweise weitgehend auch der in der SPD entsprach und geradewegs Richtung SED weist.

Das Programm verweist darauf, dass die ArbeiterInnen noch keine einheitliche Partei (von einer revolutionären Partei ist erst gar nicht die Rede) haben. Doch die Oktoberrevolution, auf die sich die StalinistInnen so gern und oft beriefen, ist gerade ein Beweis dafür, dass die Partei der Revolution aus einer Minderheitsposition heraus durch eine richtige Politik die Massen hinter sich zu bringen wusste. Hätte sie gemäß dem Rezept der Ulbrichts gehandelt, hätte sie sich mit den konterrevolutionären Parteien erst vereinigen müssen, ehe die Revolution hätte durchgeführt werden können. Das Ergebnis dieser Politik wäre allerdings gewesen, weder eine revolutionäre Partei noch eine sozialistische Revolution zu haben…

Das KPD-Programm bedauert auch die fehlenden Erfahrungen der Massen in der Leitung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist sicher richtig. Doch mit diesem Problem ist das Proletariat immer konfrontiert, denn der Kapitalismus, und umso mehr der Faschismus, verhindert ja eben die Machtausübung des Proletariats. Der Inhalt jeder revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft besteht aber wesentlich darin, dass das Proletariat beginnt, über die Kontrolle von Produktion zur Übernahme der Macht in der Wirtschaft zu gelangen. Nur so kann sich auch die Emanzipation des Proletariats auf der politischen Bühne vollziehen. Nach dem Ausschluss von der Macht unter den Bedingungen der kapitalistischen Diktatur (ob in demokratischer oder faschistischer Form) erlernt es in Betriebs- und Streikkomitees, in ArbeiterInnenmilizen und schließlich den ArbeiterInnenräten den Gebrauch der Macht, um sie schließlich auf der Ebene des gesamten Staates auszuüben. Die oben geschilderten Ansätze von unabhängigen Organisationsstrukturen der deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter unmittelbar nach Kriegsende belegen, dass das Proletariat schon selbst spontan über den Rahmen hinausgehen wollte, den ihm die moskautreue KPD vorgab. Dass das KPD-Programm vom Juni 1945 die mangelnden Vorraussetzungen zum Aufbau des Sozialismus beklagt, ist nur ein allzu löchriger Deckmantel dafür, dass die unabhängigen Organisationsansätze des Proletariats v. a. auf betrieblicher Ebene letztendlich beseitigt wurden, indem man die Betriebe den alten EigentümerInnen beließ, um sie später – unter Ausschluss jeglicher Form von ArbeiterInnendemokratie – auf bürokratische Art zu verstaatlichen.

Die SED – eine neue Partei?

Trotz aller Zwänge ist die SED auch Ergebnis einer massenhaften Tendenz nach Überwindung der Spaltung der ArbeiterInnenbewegung. Zu Anfang war sie sicher stärker durch Elemente von Demokratie und lebendiger Mitgestaltung der Parteitätigkeit durch die Mitglieder selbst geprägt als die SED der folgenden Jahrzehnte. Die Funktionen der Partei waren paritätisch besetzt, das Programm enthielt Passagen, die nur wenige Jahre später als „ketzerisch“ galten und mit den stalinistischen bürokratischen Stereotypen nicht gut vereinbar waren. Doch deshalb von der frühen SED als einer demokratischen Partei – im Sinne von wirklicher proletarischer Demokratie zu sprechen –, wäre falsch. Dafür fehlten z. B. statuarische Rechte wie das Recht auf Bildung von Fraktionen oder Tendenzen. Allein diese Tatsache verweist darauf, dass aus der Fehlentwicklung der Komintern unter dem Stalinismus keine Schlüsse gezogen worden waren. Auch die Hoffnung der SozialdemokratInnen, durch die Kraft der Zahl die innerparteiliche Demokratie (oder was man dafür hielt) zu sichern, war mehr als blauäugig. Nur wenige Monate nach dem Gründungsparteitag waren tausende von Mitgliedern und FunktionärInnen, zum Großteil ehemalige SozialdemokratInnen, abgelöst, ausgeschlossen, abgeschoben oder verhaftet worden. Wolfgang Leonhard schreibt dazu u. a.: „So sind von den 14 Mitgliedern des Zentralsekretariats, die bei der Vereinigung unter dem Jubel der Delegierten gewählt wurden, 10 Spitzenfunktionäre im Verlauf von wenigen Jahren ihrer Funktionen beraubt, degradiert, teilweise sogar als ,Parteifeinde‘ entlarvt und aus der Partei ausgeschlossen worden.“ (3) Die Machtmaschine des Stalinismus hatte schnell und gründlich gearbeitet …

Schon die Gründung der SED – sie erfolgte, nachdem die unabhängigen Organisationsansätze der Arbeiterinnen und Arbeiter beseitigt worden waren – ist ein Element der Unterdrückung von proletarischer Demokratie. Die stalinistische Maßregelung, die in der SED sofort nach ihrer Gründung einsetzte, ist nur der Vollzug dieser Politik in der Partei selbst. Oasen können in der Wüste überleben, doch demokratische ArbeiterInnenorganisationen in einer Umgebung ohne lebendige ArbeiterInnendemokratie nicht.

Einheitlich antisozialistisch

In den „Grundsätze(n) und Ziele(n) der SED“, die auf dem Vereinigungsparteitag beschlossen worden waren, kommt klar heraus, dass es sich bei der neuen Partei um eine politische Konstruktion handelt, deren Material durchweg aus dem Lager des Reformismus stammt. In ihnen wird deutlich, dass seitens der KPD alles, was an revolutionäre Politik und die Positionen der frühen Komintern unter Lenin und Trotzki erinnerte, vollständig über Bord geworfen worden war. Das ist das programmatische Fundament, auf dem sich SPD und KPD einigen konnten.

Die Gegenwartsforderungen liegen voll auf der Linie, die übereinstimmend von KPD und SPD nach 1945 verfolgt worden war:

  • Beseitigung des Faschismus;
  • Herstellung demokratischer Verhältnisse;
  • Bodenreform und Überwindung der Überreste des Feudalismus;
  • Bewahrung bürgerlicher Eigentums- und Wirtschaftsverhältnisse.

Diese bescheidenen, reformistischen Forderungen wurden in einer Situation aufgestellt, in der die Bourgeoisie am Boden lag und die Arbeiterinnen und Arbeiter, ohne ernsthaften Widerstand fürchten zu müssen, alle Macht hätten übernehmen können. Allein die Tatsache, dass die SMAD eine solche Entwicklung weder wünschte noch propagierte und sie sogar aktiv verhinderte, hätte die SED die Politik Moskaus anprangern und bekämpfen lassen müssen. Doch gerade, damit das nicht passiert, wurde diese Partei schließlich gegründet!

Immerhin enthält dieses Dokument auch Forderungen wie das Koalitions- und Streikrecht, die in der späteren DDR nicht einmal mehr auf dem Papier standen, geschweige denn in der Praxis zu verwirklichen waren.

Der bürgerlich-demokratischen Tagespolitik der „Grundsätze und Ziele“ wird noch ein abstraktes Bekenntnis zum Sozialismus angehängt – typisches Merkmal eines Minimal-Maximal-Programms, wie es für reformistische Parteien durchaus üblich ist. Keine Übergangslosungen, keine Forderungen nach Schaffung von wirklichen Machtorganen des Proletariats (Räten, ArbeiterInnenmilizen usw.), keine Forderung nach Bewaffnung der ArbeiterInnenklasse oder nach Zerschlagung des bürgerlichen Staats und Enteignung der Bourgeoisie als Klasse. Die Revolution wird von der SED wie folgt definiert: Die SED „erstrebt den demokratischen Weg zum Sozialismus; sie wird aber zu revolutionären Mitteln greifen, wenn die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie verlässt.“ (4) Die Revolution als Notmaßnahme, nicht als notwendiger und einzig möglicher Akt zum Sturz des Kapitalismus und Schaffung der Diktatur des Proletariats. Wie weit mussten „KommunistInnen“ sich schon theoretisch vom Marxismus entfernt haben, um dem zuzustimmen?!

Schon einmal, als sich 1919 die KPD mit dem linken Flügel der USPD vereinigt hatte, bildeten KommunistInnen und frühere SozialdemokratInnen eine gemeinsame Partei. Doch 1919 war die KPD noch eine revolutionäre Partei und die USPD-Linke bewegte sich auf revolutionäre Positionen zu, um sich auf einem revolutionären sozialistischen Programm mit der KPD zu vereinigen. 1946 bildeten zwei reformistische Parteien eine neue – auf einem reformistischen, bürgerlichen Programm mit sozialistischer Zusatzklausel. Welch Unterschied und welch tragischer Irrtum, über der Notwendigkeit der Einheit ihren politischen Inhalt zu vergessen!

Die SED war weder eine demokratische noch eine revolutionäre Partei. Sie war, wie ihre Gründung, ihre Dokumente, ihre praktische Politik und schließlich ihr unrühmliches Scheitern 1989/90 beweisen, ein Instrument der herrschenden Bürokratie in der Sowjetunion und ihrer StatthalterInnen in (Ost-)Deutschland bzw. der DDR zur politischen Knebelung des Proletariats und der Eindämmung der internationalen proletarischen Revolution. Sozialistisch war an der SED, wie an ihren auf ähnliche Art und unter ähnlichen Bedingungen entstandenen „Bruderparteien“ in Polen oder Ungarn allenfalls der Name. Gründung und Untergang der SED sind Momente stalinistischer Politik, ihrer zeitweiligen Konjunktur und ihrer Todeskrise. Nicht die Nachauflage PDS als entstalinisierte sozialdemokratische SED-Nachfolgepartei, sondern der Aufbau einer revolutionären marxistischen Partei ist die Lehre aus der Geschichte der SED.

Quellen

(1) Ulbricht, Walter: Die Entwicklung des deutschen volksdemokratischen Staates 1945–1958. Dietz Verlag, Berlin/O. 1958, S. 27

(2) ebenda, S. 28

(3) Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entlässt ihre Kinder. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1990, S. 545

(4) KPD: 1945-1968, Dokumente. Edition Marxistische Blätter, Neuss 1989, S. 201

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