Rechte Netzwerke im Staatsapparat – eine Bestandsaufnahme

Tobi Hansen, Infomail 1047, 22. März 2019

„Deutsche Polizisten – Mörder und Faschisten“ – dieser
Slogan antifaschistischer und autonomer Demonstrationen gewinnt in den letzten
Jahren erschreckende Aktualität. Das Ausmaß offen rechtsextremen oder gar
faschistischen Gedankenguts in den bewaffneten Organen des Staates wie auch der
Kollaboration zwischen den verschiedenen AkteurInnen nimmt eindeutig zu. Die
Linke und die ArbeiterInnenbewegung müssen dem verstärkt Aufmerksamkeit widmen.

Der gesellschaftliche Rechtsruck hat viele Facetten. Eine
davon besteht darin, dass dieser auch in den bewaffneten Organen des deutschen
Staates weiter an Form gewinnt. Öffentlich bekannt wurde der Fall der Anwältin
Seda Basay-Yildiz aus Hessen. Ihr Engagement im Rahmen des NSU-Prozesses führte
zu Morddrohungen an ihre Postadresse und via soziale Medien. Dort wurde
gedroht, ihrem zwei Jahre alten Kind den „Kopf zu spalten“, was zu den
berüchtigten fünf internen Ermittlungen führte. Zunächst gelten 5 Angehörige
des hessischen Landeskriminalamts (LKA) als verdächtig, diese steckten wohl
hinter NSU 2.0.

Dass nach dem Start dieser Ermittlungen weitere, neue
Morddrohungen verschickt wurden, zeigt auf, dass die Gewaltbereitschaft in
diesem LKA wohl besonders ausgeprägt ist. Aktuell wurde aus Hessen noch ein
Fall aus der Gemeinde Schlüchtern bei Fulda bekannt. Dort sollten zum Andenken
an den Holocaust die deutsche und die EU-Flagge gehisst werden. Die dortigen
BeamtInnen hingen diese falsch rum auf, zumindest ein Zeichen ihrer geistigen
Ablehnung des Gedenkens.

Die gesammelten Skandale rund um den NSU-Prozess wollen wir
nicht einzeln aufführen. Nur an zwei Tatsachen sei erinnert: Der „führende“
thüringische Verfassungsschutz-V-Mann „Corelli“ konnte nicht am
Untersuchungsausschuss teilnehmen. Er war einer der wichtigsten Bezugspunkte
der im Untergrund befindlichen TerroristInnen. Leider ereilte ihn ein
Autounfall mit Todesfolge am Tag der Vernehmung. Ein sächsischer Kommissar,
welcher mit dem SEK die Terrortruppe im Jahr 2004 hochnehmen wollte, wurde am
Morgen des Einsatzes aus dem Innenministerium zurückgepfiffen (vielleicht von
KameradInnen des „Schlapphut Mike“). Mehr darf dieser nicht berichten, da dem
suspendierten Kommissar im Fall öffentlicher Stellungnahmen der Verlust seiner
Pensionsansprüche droht.

In der Bundeswehr erreichten zwei Skandale kurzfristig die
Öffentlichkeit. Am bekanntesten war wohl der ehemalige „Elitesoldat“ Franco A.,
der als getarnter Flüchtling ein Attentat plante. Bei den Ermittlungen wurden
das „Hannibal“-Netzwerk und der „Uniter-Verein“ bekannt, gegründet vom KSK
(Kommando Spezialkräfte)-Feldwebel André S. alias „Hannibal“. Letzterer besteht
anscheinend aus vielen hundert aktuellen und ehemaligen PolizistInnen und
SoldatInnen. Er fungiert zum einen als „soziales“, berufliches Netzwerk, zum
anderen wohl auch als Mittel zur Vorbereitung auf den „Ernstfall“: die mögliche
Machtübernahme in Deutschland. Dort kursierten Todeslisten von PolitikerInnen
unterschiedlichster Coleur für den Fall, dass Deutschland nicht mehr zu retten
wäre. Dieses Netzwerk soll außerdem Unterkünfte, Vorratsverstecke und intensive
„Selbstverteidigung“ und anderes mehr organisieren, alles für den Fall des
künftigen Bürgerkrieges. Diese Personen stehen der Gedankenwelt offen
faschistischer Kreise wie auch der para-militärischen Szene in den USA sehr
nahe.

Diese Szenen „eint“ die Furcht vor einer „Umvolkung“, einer
angeblich geplanten Vernichtung der sog. Völker „weißer Rasse“ und
„christlicher Herkunft“. Sobald dieser Zustand überhandnimmt, wollen sie
losschlagen, um Volk, Rasse, Nation zu schützen. In der Bundeswehr kommt dazu
noch ein recht intensives Bekenntnis zur militärischen Geschichte und Tradition
des deutschen Imperialismus. Bei der „Eliteeinheit“ KSK soll bei privaten
Zusammenkünften wie der Verabschiedung eines Kompanieführers beispielsweise
„Sieg Heil“ der Standardgruß gewesen sein. Auch faschistisches Liedgut wurde
angeblich gemeinsam geträllert.

Am Ende der Kette der Verstrickungen des deutschen Gewaltapparates
mit der offen faschistischen Szene stand dann LKA-Mike aus Sachsen („Sie haben
mir ins Gesicht gefilmt“), der gerne mit der terroristischen Gruppe Freital auf
Demos zieht und dessen Chef Anzeigen gegen das ZDF stellen lässt.

Die Reaktionen

Als fromme Wünsche erweisen sich regelmäßig alle Forderungen
nach interner Aufklärung, internen Ermittlungen, der Einhaltung und Vermittlung
demokratischer Werte durch geheimdienstliche und militärische Apparate.
Natürlich ist es richtig zu fordern, dass diejenigen vor einem Gericht landen,
die Morddrohungen aussprechen und/oder Attentate planen. Doch an die Wurzel des
Übels kann eine solche Maßnahme nie gehen.

Neben der Empörung wird aber vor allem totgeschwiegen, wird
versucht, eine grundlegende Betrachtung des Themas aus den Medien rauszuhalten.
Über die Netzwerke Hannibal und den eingetragenen Verein Uniter sind wohl
Tausende organisiert. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) verheimlicht die
genaue Zahl der rechtsextremistischen Umtriebe innerhalb der Bundeswehr und
über die terroristischen Aktivitäten innerhalb der Armee berichteten genau zwei
bundesweite Tageszeitungen (taz und ND). Ebenfalls sollen ermittelnde
OffizierInnen zu André S. ein recht „kollegiales“ Verhältnis gehabt haben.
Derzeit wird vor Gericht untersucht, ob und in welchem Ausmaß der MAD
Informationen an das zu untersuchende Netzwerk weitergegeben hat.

Ältere Weisheiten wie „eine Krähe hackt der anderen kein
Auge aus“, und „auf dem rechten Auge blind“ sind aus der antifaschistischen und
linken Szene bekannt. Dies gilt auch heute zu berücksichtigen. Inzwischen wurde
auch bekannt, dass der Verfassungsschutz im Uniter-Verein wohl „mitarbeitet“,
vielleicht gut vernetzt mit Leuten wie Ex-Chef Maaßen, der den „Rechtsstaat“
von links und den Geflüchteten bedroht sah.

Es darf niemanden ernsthaft überraschen, dass solche
„Umtriebe“ in den Gewaltorganen des bürgerlichen deutschen Staates vor sich
gehen. Von den Freikorps, welche eifrig die SpartakistInnen hinrichteten und
den „Bodensatz“ für die späteren Organe SA und SS bildeten, bis zur Übernahme
von Wehrmachtsoffizieren durch die Bundeswehr, zur Wehrsportgruppe Hoffmann,
bis zum Afghanistan-Einsatz, bei dem SoldatInnen die Symbole der
„Totenkopf-Division“ nachahmten, zieht sich eine imperialistische, reaktionäre
und rassistische „Traditionslinie“ durch die Armee.

Die aktuelle Zunahme rechtsterroristischer Tendenzen in der
Bundeswehr ist sicherlich auch eine Auswirkung der Bundeswehrreformen der
letzten Jahre. Unter den heutigen „freiwilligen“ BerufssoldatInnen ist der
nationale Bodensatz sicherlich um einiges größer als im
Bevölkerungsdurchschnitt. Trotz dieser Tendenzen in der Berufsarmee ist es
wichtig, dass die einfachen SoldatInnen, die zu diesen Vorfällen schweigen, den
Mund aufmachen und die Öffentlichkeit informieren – und dass politisch gegen
jede Geheimhaltungspflicht gekämpft wird.

Bonapartistische Tendenzen ohne „Führer“?

Die Netzwerke bei der Bundeswehr, den LKAs und in den
verschiedenen Polizeiabteilungen, die verschiedenen Verbindungen zur
„Reichsbürger“-Szene zeigen das staatliche Gewaltpotenzial von rechts auf. Dies
paart sich mit der Straßengewalt, der Kameradschaftsszene, den „HOGESAs“ – der
„klassisch bekannten“ Gewalt von rechts. Das sind die Kräfte, die sich einer
nationalistischen bis faschistischen Bewegung schon jetzt als Fußvolk oder
Verbindung anbieten bzw. als Vorhut einer nächsten „Machtergreifung“ agieren
wollen.

Es ist Teil der imperialistischen „Neubestimmung“
Deutschlands, dass sich auch innerhalb der Gewaltorgane Gedankengut breitmacht,
wie der „Platz an der Sonne“ besser eingenommen werden könnte. Sicherlich tut
sich derzeit kein/e aktive/r MilitärIn bspw. als mögliche/r FührerIn hervor und
wir können sicherlich noch nicht von einer Verselbstständigung der
Gewaltapparate in Deutschland sprechen. Der hohe Anteil von Bundeswehr- und
Polizei-Angehörigen in der AfD ist allerdings ein Fingerzeig für die Richtung,
die dort eingeschlagen werden kann.

Hier mehrt sich die Zahl derjenigen, die für eine
nationalistische und rassistische Politik offen sind, gewissermaßen für ein
„Deutschland first“ stehen, sich schon mal anbieten und in Stellung bringen als
künftige „RetterInnen der Nation“.

Es ist auch sehr deutlich, gegen wen sich diese Netzwerke
richten – gegen alles, was „Deutschland nicht liebt“. Für Linke, MigrantInnen,
Geflüchtete, sexuelle Minderheiten wie auch die Gesamtheit von
ArbeiterInnenorganisationen haben diese Kreise sicher nichts übrig – die stehen
vielmehr im Weg.

Die Zunahme der rechten und faschistischen Netzwerke und
Gruppierungen im Staatsapparat wie auf der Straße stellt eine Warnung an alle
Linken und die ArbeiterInnenbewegung dar. Aktuell droht sicher keine
„Machtübernahme“ durch solche Kreise. Die nächste größere Gefahr besteht jedoch
darin, dass sich diese militanten, erz-reaktionären und faschistischen Kräfte
in der nächsten Krise zusammen mit Teilen der AfD und rechten und rassistischen
Strömungen zu einer reaktionären, kleinbürgerlichen und faschistischen Kraft
mausern oder dass sie aktuell in der AfD ein Arbeitsfeld finden, das ihnen
Zugang zu einer Massenbasis liefert.

Was tun für die ArbeiterInnenbewegung und Linke?

Die ArbeiterInnenbewegung und Linke sollten im Kampf gegen
rechts keine Hoffnung und kein Vertrauen auf die bewaffneten Organe und in den
bürgerlichen Staat setzen. Im Ernstfall werden sich diese immer als leere
Illusionen erweisen. Besonders dramatisch zeigte sich das 1933, als sich die
Hoffnungen in die preußische Polizei, welche formal dem SPD-Ministerpräsidenten
Braun unterstand, ins Nichts auflösten, als ebendiese gemeinsam mit der SA die
Jagd auf die ArbeiterInnenbewegung aufnahm.

Dementsprechend sollten alle naiven „demokratischen
Hoffnungen“ entschieden angegangen werden. Sicherlich wiederholt sich
Geschichte nicht einfach, aber wenn „wir“ wieder unvorbereitet dastehen,
braucht niemand mehr überrascht zu sein, dass die FaschistInnen vorbereitet
sind. Derzeit ist sicherlich beim deutschen Kapital kein unmittelbares
Bedürfnis nach einem „Vierten Reich“ vorhanden, aber etwas mehr „Deutschland
first“, etwas mehr sozialer Kahlschlag und Privatisierung darf es immer sein
und eine Zuspitzung der sozialen Frage zeichnet sich im Zuge des
wirtschaflichten Abschwungs ohnedies ab.

Die tiefere Krise kann in Deutschland sogar einen Angriff
auf die Kernschichten der Klasse bewirken. Die „Sozialpartnerschaft“ würde dann
vom Kapital aufgekündigt. Dafür stünden auch rechts einige bereit: von der AfD
bis zum Deutschen Kolleg, von „Schlapphut-Mike“ bis zum Hannibal-Netzwerk.

Die wirksamste Form der Verteidigung setzt nicht nur eine
illusionslose Haltung zum bürgerlichen Staat voraus, sondern auch die Kenntnis,
dass nur die gemeinsame, organisierte Gegenwehr der Linken, der MigrantInnen
und der organisierten ArbeiterInnenklasse die Rechten stoppen kann.

Dazu sind erstens Kampagnen notwendig, um die
Veröffentlichung aller Unterlagen der rechten Verstrickungen, aller Telefonate,
Querverbindungen der Rechten in Armee, Geheimdiensten, im Staatsapparat zu
erzwingen. Diese Untersuchung darf nicht den internen Stellen dieser Organe,
MinisterialbeamtInnen oder dem bürgerlichen Beamtenapparat allgemein überlassen
werden, sondern sie muss von Ausschüssen von MigrantInnenorganisationen,
anti-rassistischen und antifaschistischen Bündnissen sowie der
ArbeiterInnenorganisationen, allen voran den Gewerkschaften, durchgeführt
werden. Die Geheimdienste müssen ersatzlos abgeschafft werden wie alle Gesetze,
die SoldatInnen oder BeamtInnen zur Verschwiegenheit zwingen. Das Amts- oder
Berufsgeheimnis stellt eine Einrichtung dar, deren Machenschaften vor der
eigenen Bevölkerung geheim zu halten.

Zweitens müssen wir organisiert, gemeinsam und kämpferisch
dem Rechtsruck, rechten Aufmärschen, Überfällen von Nazis und RassistInnen
entgegentreten. Ihre Ausbreitung muss von der „Linken“ verhindert werden. Wir
dürfen eben nicht wie in Chemnitz im Sommer/Herbst den Rechten die Straße
überlassen, sondern müssen uns um unsere Selbstverteidigung auch selbst
kümmern. Das bedeutet, gemeinsam linke, antirassistische und antifaschistische
Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen zu schützen, selbst aktiv zu
werden, um die nötige Debatte über Selbstverteidigung in Gang zu bringen. Dabei
geht es aber nicht allein um individuelles „Aufrüsten“ – entscheidend ist der
Aspekt der kollektiven Selbstverteidigung, antirassistischen und
antifaschistischen Mobilisierung. Es ist entscheidend, dafür die organisierte
ArbeiterInnenbewegung – die Millionen Mitglieder der Gewerkschaften, die
Mitglieder und WählerInnen der reformistischen Parteien, von Linkspartei und
auch der SPD, zu gewinnen. Ansonsten wird die gesellschaftliche Kraft nicht
entstehen, um die Rechten auf allen Ebenen zurückzudrängen und zu schlagen, um
Betriebe, Büros, Schulen und Unis zu Bollwerken des Widerstandes zu machen.