Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Sonntag, 4. Februar 18, Infomail 986, 6. Februar 2018
Das syrische Informationszentrum für Menschenrechte berichtet, dass Baschar Hafiz al-Assads Kampfflugzeuge, Artillerie und Hubschrauber einen Großangriff, unter anderem mit Fassbomben, auf die letzte große, von Rebellen besetzte Region Idlib gestartet haben, unterstützt von seinen russischen Verbündeten. Es ist wahrscheinlich, dass die Offensive darauf abzielt, die Bevölkerung auf einen winzigen Fleck zu konzentrieren, sie einer endgültigen Liquidation zu unterziehen oder aus der Region zu vertreiben.
Und das, obwohl die Region im Rahmen eines Abkommens, das im vergangenen Jahr von Russland, der Türkei und dem Iran vermittelt wurde, als „Deeskalationszone“ gedacht war. Auch trotz der grausamen Ironie, dass eine von Russland und der Türkei gesponsorte “Syrische Nationale Dialogkonferenz“ am Tag vor den jüngsten Luftangriffen auf Idlib in Sotschi eröffnete, die alle ernsthaften syrischen wie kurdischen Oppositionskräfte boykottiert haben.
Es gibt bereits schätzungsweise 1,1 Millionen Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens in Idlib, und die UNO berichtet, dass seit der im Januar begonnenen Offensive 212.000 Menschen vor den Kämpfen geflohen sind. Die Bedingungen für sie sind unsäglich schlecht, und die UNO-BeamtInnen haben für einen Waffenstillstand und für Hilfeleistungen plädiert, um das Leid der Menschen zu lindern, die ohne Zelte, Lebensmittel oder medizinische Versorgung sind.
Die in Großbritannien ansässige Beobachtergruppe berichtete auch über einen weiteren wahrscheinlichen Sarin-Giftgasangriff auf Chan Schaichun, wo, wie sie schilderte, 20 Kinder und 17 Frauen unter den toten ZivilistInnen waren. Filmmaterial zeigt erschütternde und atemberaubende Bilder von Opfern, die mit Wasser gelöscht und in Krankenwagen verladen werden, wobei die Körper von etwa einem Dutzend kleiner Kinder auf Decken in einem Pritschenwagen liegen. Das Krankenhaus, in dem die Opfer später behandelt wurden, wurde ebenfalls bombardiert.
Natürlich haben der britische Außenminister Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump diese Gräueltat sofort verurteilt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat ebenfalls den Angriff auf Idlib verurteilt, aber da er sich mit seinem eigenen mörderischen Angriff auf die kurdische Enklave Afrin, angrenzend im Norden, beschäftigt, werden seine Proteste bei den TäterInnen wenig Gewicht haben. Was Großbritannien und die USA betrifft, ebenso abscheuliche TyrannInnen und so niederträchtig wie Assad, so werden ihre Worte auch keine Wirkung haben und keine Erleichterung bringen.
Die AmerikanerInnen selbst haben Idlib unter dem Vorwand bombardiert, dass sie die wichtigsten Miliztruppen von Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) angreifen, angeführt vom ehemaligen Al-Qaida-Ableger Dschabhat an-Nusra (al-Nusra-Front; jetzt: Dschabhat Fatah asch-Scham). Tatsächlich scheinen sie sich mit Assads Wiedergewinnung von Idlib versöhnt zu haben. Gleichzeitig hat US-Außenminister Rex Tillerson angedeutet, dass 2.000 US-Truppen für einige Zeit im Nordosten Syriens verbleiben werden; unter Berufung auf die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass sich der IS nicht erholt und dem Iran nicht erlaubt sein darf, eine dauerhafte Basis in Syrien zu errichten.
In Bezug auf Assads Herrschaft war er zweideutiger. „Ein Mörder seines eigenen Volkes kann nicht die für eine langfristige Stabilität erforderliche Unterstützung schaffen“, sagte er und fügte hinzu: „Ein stabiles, geeintes und unabhängiges Syrien erfordert letztendlich eine Führung nach Assads Regierungszeit, um erfolgreich zu sein.“ Man beachte das Wort „letztendlich“!
Tatsächlich sind alle in Syrien intervenierenden Staaten entweder imperialistische Mächte (USA, Russland, europäische Mächte) oder regionale repressive Regime, und alle haben ihre eigenen geostrategischen Ziele, die letztlich miteinander unvereinbar sind. Erdogan wünscht eine Pufferzone zwischen der Türkei (d. h. den kurdisch besiedelten Gebieten Ostanatoliens) und den kurdischen Regionen Nordsyriens, wenn er diese nicht überhaupt ollständig liquidieren kann. Er hofft, damit die Kurdische ArbeiterInnenpartei (PKK) dauerhaft zu zerschlagen.
Russland möchte Syrien unter Assad oder einem Regime-Nachfolger stabilisieren, der ein solider Verbündeter bleiben und eine Basis für russische Flugzeuge und Kriegsschiffe bilden wird, wobei es, wie auf der Krim, bewiesen hat, dass die USA es nicht aus wichtigen militärischen Positionen verdrängen können. Assad will natürlich die Macht behalten und die Kontrolle über das ganze Land wiederherstellen. Zusammen mit den Projekten der USA und des Iran sind diese Ziele auf Dauer unvereinbar und dürften sogar kurzfristig zu weiterem Aufflammen der Krise führen.
Wenn im Moment in der sprichwörtlichen Diebesküche über die Beute gefeilscht wird, heißt das nicht, dass die Messer in die Scheide geschoben, sondern nur unter dem Tisch versteckt sind.
Wenn jedoch Afrin an die Türkei und ihre syrischen Marionettenstreitkräfte und Idlib an Assad fällt, wird dies die endgültige Niederschlagung des syrischen Aufstands bedeuten außer vielleicht für die kurdischen Gebiete im Nordosten (Kobanê, Cizîrê), die auf jeden Fall immer Abstand zum Syrischen Frühling gehalten haben. Während die kurdischen Kräfte Washington dabei halfen, das IS-Kalifat zu liquidieren, und die US-Truppen immer noch in Ost-Rojava stationiert sind, wurden sie von ihrem „Beschützer“ in Afrin fallen gelassen – eine tragische Wiederholung eines Jahrzehnts an Illusionen in Bündnisse mit imperialistischen oder regionalen UnterdrückerInnen. Sie könnten sich durchaus zwischen dem „Hammer“ von Assad und Putin und dem „Amboss“ von Recep Tayyip Erdogan wiederfinden.
SozialistInnen auf der ganzen Welt sollten ein sofortiges Ende der Angriffe auf Idlib und auf Afrin, ein völliges Ende der Bombardierung und die sofortige Lieferung von Nahrungsmitteln, medizinischer Hilfe und warmen Unterkünften für die leidenden Menschen fordern. Sie müssen sich mit der mehr als eine Million Menschen starken Bevölkerung von Idlib und der umliegenden Region solidarisieren trotz der erzreaktionären Politik der islamistischen Kräfte und ihrer Verbrechen gegen die Massen.
Trotz der offenkundigen Scheinheiligkeit ihrer KritikerInnen müssen die wiederholten Kriegsverbrechen von Putin und Assad auch von der weltweiten ArbeiterInnenbewegung verurteilt werden, und wo immer dies möglich ist, sollten Sanktionen der ArbeiterInnen gegen sie verhängt werden. Diejenigen „KommunistInnen“, „AntiimperialistInnen“ und „AntikriegsaktivistInnen“, die zu diesen Verbrechen entweder oder sie gar entschuldigen, sind eine Schande für jede Form internationaler Solidarität.
Die kriminelle Bombardierung von Idlib und Ghuta könnte zusammen mit der türkischen Invasion auch die Eröffnung einer weiteren Runde reaktionärer Zusammenstöße zwischen regionalen und imperialistischen Mächten bedeuten und ein weiteres Kapitel im Alptraum des syrischen Volkes eröffnen.
Wir fordern den Rückzug aller imperialistischen Mächte aus Syrien und der gesamten Region – Russlands, der USA und auch der europäischen Mächte. Wir fordern das Ende aller Waffenlieferungen an die reaktionären Regime von Assad oder Erdogan, den Rückzug aller türkischen Truppen und Unterstützung der kurdischen Verteidigung gegen die Invasion.
Nicht nur die reaktionären Islamisten, pro-imperialistischen und nationalistischen FührerInnen der „Rebellengebiete“ und der FSA haben das Volk im Stich gelassen und die Massen in eine Sackgasse geleitet. Die PYD-Führung hat auch die kurdischen Massen in ein katastrophales Bündnis mit den US-ImperialistInnen geführt. Nur wenn die demokratischen und sozialistischen Kräfte und die national Unterdrückten mit einer solchen Politik brechen und sich auf revolutionärer Basis vereinen, kann die Welle der Reaktion gestoppt werden.