
Jannis Hutt, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons
Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 295, Oktober 2025
Der überraschende Aufstieg der LINKEN seit der Bundestagswahl hat alle verblüfft. Die Partei wirkt neu belebt, plötzlich scheint es möglich, dem galoppierenden Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Hunderttausende verbinden mit ihr Hoffnung und Kampfgeist. Doch mit diesem Aufwind kehren auch Fragen zurück, die viele schon für erledigt hielten. In Berlin wurde DIE LINKE unerwartet stärkste Kraft, gewann drei Direktmandate und liegt in Umfragen stabil auf Platz zwei. Damit steht die Frage: Soll DIE LINKE 2026 wieder in eine rot-rot-grüne Landesregierungen eintreten und möglicherweise sogar den/die Bürgermeister:in stellen – oder Opposition in Berlin und bundesweit aufbauen?
Seit Jahrzehnten entzweit genau das die Partei. Der Reformerflügel kämpfte erfolgreich dafür, mit den „Luftschlössern“ der radikaleren oder wenigstens etwas unnachgiebigeren Strömungen zu brechen. Doch gerade das jahrelange Mitregieren hat dafür gesorgt, dass die LINKE in Ostdeutschland ganze Generationen junger Arbeiter:innen verlor. Heute tritt die Bewegungslinke mit ihrem Konzept des „rebellischen Regierens“ auf: Sie will nicht nur verwalten, sondern „Verantwortung“ zeigen – als ob man den Kapitalismus zähmen könnte, indem man ihn von innen „rebellisch“ verwaltet.
Doch ob „pragmatisch“ oder „rebellisch“: Am Ende bleibt es dieselbe Falle – Unterordnung unter die Sachzwänge des bürgerlichen Staats und Bildung von Koalitionsregierungen mit offen bürgerlichen Parteien. In diesem Artikel wollen wir zeigen, was es konkret bedeutet, wenn DIE LINKE in eine Berliner Landesregierung eintritt, warum Kommunist:innen, ja alle Klassenkämpfer:innen das entschieden ablehnen müssen – und was sie in der Opposition tun sollte, selbst als stärkste Kraft. Denn in Zeiten von Rechtsruck, Militarisierung und Kürzungsdiktaten braucht es keine Koalitionsverwaltung mit SPD und Grünen, sondern eine organisierende Klassenpartei, die Opposition als Ausgangspunkt für Widerstand und Gegenmacht versteht.
Zunächst müssen wir die politische Lage betrachten. Sie bestimmt den Rahmen, in dem wir handeln, und darauf müssen unsere Forderungen und unsere Vorgehensweisen eine Antwort geben. Der Leitantrag auf dem letzten Bundesparteitag in Halle stellte zurecht fest, dass sich die Situation verändert hat. Im Abschnitt „Wo wir stehen“ wird ein massiver Rechtsruck konstatiert, ebenso eine immer größere soziale Kluft zwischen den Klassen, eine verschärfte internationale Konkurrenz und die Konzentration von Macht in den Händen von Monopolen, Oligarchien und autoritären Staaten. All dies treibt den Rechtsruck weiter an. Die Inflation, eine zweite Trump-Administration, der Ukraine-Krieg, der Genozid in Gaza, der Aufstieg der AfD – all das sind Ausdrucksformen dieses Prozesses.
Doch worin liegt die Ursache? Darauf bleibt der Leitantrag eine Antwort schuldig. Zwar benennt er die verschärfte Konkurrenz, doch die Ursachen – Überakkumulation von Kapital im Weltmaßstab und fallende Profitraten in allen ökonomischen Zentren – fehlen. Damit bleibt auch der Kern für den Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen alten und neuen Großmächten – USA, China, Deutschland, Russland – und die verschärfte Ausbeutung der Halbkolonien ausgeblendet. Genau dieser Kampf um Märkte und Einflusssphären treibt Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten und in Afrika an.
Das ist mehr als ein analytisches Detail. Wer die innerimperialistische Konkurrenz nicht begreift, versteht auch nicht die Zusammenhänge mit den Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse, rassistischer Spaltung, Überausbeutung migrantischer Arbeitskraft und verschärfter geschlechtlicher Unterdrückung. Auch die ökologische Dimension bleibt dann unverstanden. Es handelt sich nicht um viele voneinander getrennte Krisen. Die kapitalistische Gesamtkrise kann auf dem Boden dieser Gesellschaftsordnung nur „gelöst“ werden durch die Vernichtung überschüssigen Kapitals und eine Neuordnung der Welt unter der Hegemonie einer imperialistischen Macht. Eine „Lösung“ im Interesse der Herrschenden, die ungeheure Opfer an Mensch und Natur bedeutet und die Kriegsgefahr weiter steigert. Daraus lassen sich folgende, zentrale Punkte ableiten:
1. Die Verteilungskämpfe international wie innerhalb Deutschlands werden sich unausweichlich verschärfen. Um im Konkurrenzkampf zu bestehen, ist die deutsche Bourgeoisie gezwungen, die Arbeiter:innenklasse massiver anzugreifen – durch Druck auf Löhne, Sozialleistungen und öffentliche Infrastruktur. Der Spielraum für keynesianische Reformpolitik, also einen Ausbau des Sozialstaats auf Kosten des Kapitals, ist faktisch blockiert. Selbst wenn einzelne Reformen erkämpft werden, werden sie zu keinem stabilen Gleichgewicht zwischen den Klassen, sondern nur vielmehr zu einer weiteren, schärferen Konfrontation zwischen Lohnarbeit und Kapital führen müssen. Selbst die ehemals scheinbar unerschütterliche Sozialpartnerschaft, die das deutsche Modell geprägt hat, wird nicht dauerhaft zu halten sein.
2. Rechtsruck, Autoritarismus Nationalismus und Militarisierung sind kein Nebenprodukt, sondern Folgen der Krise und bewusst eingesetzte Mittel, um eine militärische Expansion des deutschen Imperialismus abzusichern. Merz’ Einreißen der Brandmauer zur AfD ist Ausdruck dieses Prozesses: Die Bourgeoisie braucht die Normalisierung der Rechten, um ihre Agenda durchzusetzen – sei es um damit SPD und Grüne (oder im Fall des Falls auch die Linkspartei) unter Druck zu setzen oder um direkt mit diesen zu regieren. Darum verschärfen sich Rassismus und Sozialchauvinismus, reproduziert in allen Institutionen und Medien. Eine Volksfront-Strategie mit bürgerlichen Parteien, wie es Teile der LINKEN erwägen, wird diesen Trend nicht stoppen. Im Gegenteil: Sie führt dazu, dass Sozialist:innen ihr Profil verlieren, weil sie gezwungen sind, Kompromisse mit jenen Kräften einzugehen, die diese Entwicklung selbst vorantreiben.
3. Die aktuelle Entwicklung wirft die Frage der Verteidigung demokratischer Grundrechte auf. Doch diese lassen sich nicht durch eine Regierungsperiode oder kosmetische Reformen sichern. Schon gar nicht in einer Koalitionen mit jenen, die selbst rassistische Gesetze, die sog. Staatsräson, Militarisierung, eine offensivere imperialistische Außenpolitik und massive Angriffe auf die Lohnabhängigen vorantreiben. Solange die kapitalistischen Grundlagen bestehen, wird jede Regierung – ob konservativ oder scheinbar „links“ – gezwungen sein, Repression und Überwachung mitzutragen. Demokratische Rechte können nur dann dauerhaft verteidigt werden, wenn das System selbst überwunden und durch eine andere gesellschaftliche Ordnung ersetzt wird.
Dieses politische Geschehen bildet den Rahmen in dem linke, progressive Kräfte Politik machen müssen, man kann sich dem nicht willkürlich entziehen – auch nicht in einem Bundesland.
Die zentrale Illusion der Regierungsbefürworter:innen lautet: Man könne in Berlin den Sozialismus erproben – oder zumindest eine linke Transformation einleiten. Doch die Spielräume einer Landesregierung sind durch Bundes- und EU-Recht klar definiert: Schuldenbremse, Föderalismus, Finanzordnung. Selbst progressive Projekte scheitern an Haushaltszwängen und Kompetenzgrenzen. Der Mietendeckel ist nur ein Beispiel. Wer glaubt, Berlin könne im Alleingang Vermögenssteuern einführen, Massenenteignungen durchsetzen oder das Gesundheitssystem umbauen, verkennt die Realität. Eine „linke Insel“ im deutschen Imperialismus gibt es nicht. Stattdessen droht: DIE LINKE müsste in einer rot-grün-roten Regierung denselben Sparkurs exekutieren wie CDU und SPD und obendrein auch noch die Politik der Bundesregierung vor Ort umsetzen – also härtere Bürgergeldsanktionen, Abschiebungen und Kürzungen zugunsten der Aufrüstung. Vielleicht abgemildert und mit schlechtem Gewissen, aber in den Kämpfen bleibt der Verrat hängen. Und zwar zurecht. Natürlich wäre auch eine Landesarbeiter:innenregierung denkbar, die sich im Rahmen einer antikapitalistischen Gesamtstrategie einen anderen Kurs verfolgen und sich der Umsetzung reaktionären Bundesgesetze und Verordnungen (wie Abschiebungen, Sanktionen gegen Erwerbslose, Kriminalisierung der Palästinasolidarität usw.) verweigern würden. Doch eine solche Regierung hätte nichts mit einer rot-rot-grünen Koalition zu tun.
Dabei muss klar gesagt werden: „rebellisches Regieren“ hört sich vielleicht schön an – aber es ist letztenendes nichts anderes als die Idee des ökologischen Sozialstaates, den sich Klaus Dörre wüscht oder eine linkere Spielart der „revolutionären Realpolitik“, die die RLS Stiftung seit Jahren vor sich herträgt und die wir hier ausführlich kritisiert haben. Denn auch wenn jene gerne behaupten, dass es im 21. Jahrhundert gar nicht möglich ist, den Kapitalismus zu stürzen, so belegt diese Behauptung, selbst wenn sie wahr wäre, überhaupt nicht, dass Reformismus funktioniere und der bürgerliche Staat seinen Klassencharakter geändert hätte. Die Linkspartei in Thüringen hatte jahrelang die Chance dazu. Bewiesen hat sie aber nur, dass der Reformismus, dass Koalitionen mit bürgerlichen Parteien bis hin zu prinzipienlosen Absprachen mit der CDU ein Weg in die Sackgasse sind. Das „rebellische Regieren“ gibt darauf keine Antwort, sondern tut so als könnten bürgerliche Regierungspolitik und Mobilisierung auf der Straße problemlos kombiniert, als könne man Regierung und Opposition gleichzeitig sein. Ebenso haben alle diese Konzepte, vor allem die „Stärke“ unkonkret zu sein. Während Verteidiger des Rebellischen Regierens gerne von Roten Haltelinien sprechen, so bleiben sie der Frage schuldig: Wo fangen die Roten Haltelinien an? Wo hören sie auf?
In Berlin ist natürlich die Vergesellschaftung eines der zentralen Punkte, die genannt wird. Aber ist das Rahmengesetz zur Vergesellschaftung, das zur Zeit SPD und CDU ausbaldowern, wirklich das, was die Stadt, war die braucht um das Wohnungsproblem zu lösen? Natürlich nicht. Doch das hindert die Kaolitionsbefürworter:innen in der Linkspartei nicht darin, darin eine Bewegung der SPD (oder gar auch der CDU?) hin zu einer Vergesellschaftung – wenn auch „natürlich“ ohne Enteignung – reinzuphantasieren. Darüber hinaus: Ist es so viel wert, dass man damit Bürgergeldsanktionen, Abschiebungen, Kriminalisierung der Palästina-Solidarität und Zwangsräumungen rechtfertigen kann? Sicher auch nicht.
Der Erfolg der Linkspartei bei den letzten Wahlen, kam zu Stande, dass Heidi Reichnek klare Kante gegen Merz gezeigt hat – obwohl die Partei selbst das Thema Antirassismus gar nicht so groß an die Glocke hängen wollte. Wie soll sie aber ihre gerade erste gewonnene Glaubwürdigkeit behalten, wenn sie beispielsweise bei der Wohnungsfrage Kompromisse eingeht? Wie will sie diese behalten, wenn die der Palästina-Bewegung in einer Koalition mit SPD und Grünen in den Rücken fallen würden, denn die Umsetzung der Staatsräson wäre eine von deren „rote Linien“ für eine Koalition. Soll es allen ernstes die Strategie sein, an der Regierung die Räumungen zu verantworten – und macht gleichzeitig Rechtsberatung die Betroffenen anzubieten?
Natürlich steht die Partei auch vor dem Problem, dass viele ihrer Wähler:innen gern eine andere Regierung sehen würden. Daher kann die Formulierung von ernsthaften „rote Linien“ sinnvoll sein, die auch wirklich etwas für die Masse der Lohnabhängigen und für die sozialen Bewegungen bringen würden. Dazu würden unter anderem gehören:
Mit diesen Forderungen wären Koalitionsgespräche schnell beendet. Und das Argument, dass man das nicht vermitteln könne? Gilt nicht. Genügend Berliner:innen wollen, dass der Volksentscheid endlich umgesetzt wird und wollen lieber eine Partei, die sich für uns alle gerade macht, die grenzenlos solidarisch ist – als eine Partei, die vorgibt sich zu kümmern und dann mal wieder jene, die von der Gesellschaft am meisten unterdrückt werden, ebenso fallen lässt oder mit halbgaren Antworten abspeist. Denn nein, der Aufstieg der AfD wird nicht dadurch gestoppt, dass es man das Elend ein bisschen schöner mitverwaltet. Die AfD wird dadurch gestoppt indem es Die Linke zu einer Partei wird, die Verbesserungen für die gesamte Klasse erkämpft und dies mit antirassistischen Losungen verbindet. Statt also sich von Regierungssesseln locken zu lassen, von denen man letztenendes eh nichts machen kann – und dann spätestens in 1 oder 2 Regierungsperioden wieder dafür abgestraft wird, dass man das kapitalistische Elend mitverwaltete, heißt es jetzt klare Kante zu zeigen und zu sagen:
Solidarität ist keine Einbahnstraße, lieber nicht regieren als uns zu verraten – wir werden kämpfen, auch in der Opposition. Doch zu einer Partei zu kommen, die das tatsächlich durchführt, dauert. Das ist kein Prozess von Heute auf Morgen passiert.
Nicht-Regieren heißt nicht Rückzug, sondern strategische Opposition. Eine Regierung unter den Bedingungen fortgeschrittener Kapital- und Staatseinbindungen setzt Grenzen, die man nicht überspringen kann. Selbst mit 30 Prozent im Abgeordnetenhaus hätte die LINKE nicht die Mittel, die strukturellen Schranken des bürgerlichen Staatsapparates zu überwinden. Aber Opposition bietet eine andere Machtquelle: die Mobilisierung der Massen und die Zuspitzung des Klassenkampfs.
Die Partei muss ihre Energie nicht in Ministerien stecken, sondern in Streiks, Betriebsarbeit und Stadtteilorganisierung. Sie muss sich bewusst in Betrieben, Gewerkschaften, Personalräten und sozialen Bewegungen verankern, dort, wo die Klassenauseinandersetzungen tatsächlich stattfinden. In Berlin gibt es bereits Ansätze in diese Richtung: Die Krankenhausbewegung oder die Proteste bei der BSR zeigen, wie Widerstand aufgebaut werden kann, wenn man wagt, aktiv zu werden. Doch was heißt das konkret?
Das Parlament darf nicht zu einer Arena der Kompromisse werden, sondern nur als Tribüne um die Bewegung zu stärken. Abgeordnete müssen öffentlich aufzeigen, welche Konsequenzen die Politik der Regierung und der Bundespolitik für die Stadt und ihre Bewohner:innen hat. Kleinteilig kann das heißen: regelmäßige öffentliche Rechenschaftsberichte an die Basis, Flugblätter, Presseaktionen und Veranstaltungen in Stadtteilen, Gewerkschaften und Betrieben.
Gleichzeitig braucht es dann einen klaren Plan wie bestimmte Projekte abgewehrt werden können: sei es die steigenden Mieten, der Zaun am Görli, die geplanten Kürzungen des Berliner Senaats oder die stetige Kriminalisierung der Palästinaproteste. Aktuell ist Die Linke schon irgendwie überall dabei – aber es fehlt an klarer Kommunikation nach außen, wie die Kämpfe tatsächlich gewonnen werden können.
Aktive Unterstützung und Initiierung von Streiks ist zentral. Durch gezielte und konsequente Arbeit können Aktivist:innen in strategischen Betrieben – ÖPNV, Gesundheit, Energieversorgung, Logistik, große Industrie – oppositionelle Gruppen aufbauen. Dort müssen aber auch die Gewerkschaftsführungen der bürokratische Apparat offen kritisiert werden: Urabstimmungen einfordern, Intransparenz kritisieren, verhindern, dass Kämpfe von SPD-nahen Führungskräften abgeschwächt werden. Betriebsflugblätter, Koordinierung zwischen kämpfenden Betrieben und öffentliche Solidaritätsaktionen sind wichtige Instrumente – und auch die Zusammenführung von sozialen Bewegungen und unterschiedlichen Streiks. Klar muss sein: Die Linke die Kraft, die dafür einsteht, dass Kämpfe wie der Tarifvertrag Entlastung der Berliner Lehrkräfte auf die Tagesordnung gesetzt werden. Nicht nur durch Grußreden von Abgeordneten, sondern indem man sich dafür einsetzt dass die Streiks ausgeweitet werden und beispielsweise Erzieher:innen, Beschäftigte von Freien Trägern mit integrieren und Beschäftigte aus anderen Bereichen solche Kämpfe mit Solidaritätsstreiks unterstützen.
Schon jetzt ist allen in der Partei klar: Die Mietenfrage ist zentrales Thema. Doch vor allem hier wird die Subjektfrage deutlich: Mieter:innen allein bleiben defensiv, erst in Verbindung mit der organisierten Arbeiter:innenklasse werden sie kampfstark. Konkrete Schritte: klare Enteignungskampagnen mit der Forderung nach demokratischer Kontrolle durch Mieter:inneninitiativen und Gewerkschaften, Mietboykotte bei unsozialen Entscheidungen.
Die verschiedenen sozialen Bewegungen müssen verbunden werden, dabei können mehrere Wege zum Ziel führen. Es ist falsch, ein Thema statisch allen anderen unterzuordnen – und so zu riskieren, dass man sich nicht zu internationalen Themen positioniert und Profil verliert. Ebenso wenig hilft, keinen Fokus zu haben. Die Wohnraumfrage bietet den Vorteil unterschiedliche Fragen miteinander zu verbinden: ob Antirassismus (Wer bekommt überhaupt Wohnungen?), Klima (Wie sieht eine klimafreundliche Stadt aus?), Kampf gegen Unterdrückung von Frauen und LGBTIA-Personen (Wie wird Reproduktionsarbeit gesamtgesellschaftlich organisiert? Wo können Menschen hin, die Gewalt erfahren?) Konkret könnte ein Berliner Aktionsrat von Delegierten aus Gewerkschaften, Stadtteilen und Bewegungen geschaffen werden – gewählt und jederzeit abwählbar. So werden koordiniert und verbunden werden – und gleichzeitig unter Kontrolle der Basis gehalten werden.
All das scheint weit entfernt – ist es aber nicht. Die Streiks in Italien bezüglich Palästina zeigen, wie schnell Regierungen anfangen zu zittern, wenn man eine gesellschaftliche Stimmung aufgreift und entschlossen voran geht – der verlorene Kampf um die Rentenreform in Frankreich wiederum lehrt uns, dass der Generalstreik nicht alles ist – sondern die Regierungsfrage schon auf der Tagesordnung steht. Aber nicht in der Form der kapitalistischen Mitverwaltung des Elends, sondern wenn, als kampfkräftige Arbeiter:innenregierung, die keine Angst hat, ihre Versprechungen auch umzusetzen – weil sie genügend Leute auf der Straße hinter sich hat. Eine Arbeiter:innenregierung, die sich nicht auf den bürgerlichen Staatsapparat und parlamentarische Mehrheiten, sondern auf Kampforgane der Klasse stützt, die in Streiks, in Konfrontationen geschaffen wurden, wie Räte in Betrieben und Stadtteilen und Selbstverteidigungsorgane bis hin zu Arbeiter:innenmilizen.
Eine Partei, die diese Rolle wirklich ausfüllt, ist die LINKE heute sicher nicht. Sie ist eine reformistische Partei, die von einem bürokratischen Apparat beherrscht und deren vorherrschende Strömung – die Bewegungslinke – allenfalls einen linkeren Reformismus, aber sicher keine revolutionären Politik will. Doch für Kräfte in der Partei, die selbst einen revolutionären, antikapitalistischen Anspruch haben und nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen wollen, bedeutet das: Sie müssen die Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung (wie auch jene von Parlamentarismus und Staat) im Rahmen einer revolutionären Strategie begreifen. Es gibt heute Möglichkeiten, Macht von unten aufzubauen, Bewegungen zu verbinden und Klassenkämpfe zu führen, die über parlamentarische Rituale hinausgehen. Opposition heißt nicht Passivität – sie ist der Nährboden für die Entwicklung einer strategischen, organisierten Klassenmacht und für eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus.
Die neu eingetretenen Mitglieder stehen selbst auf unterschiedlichen Flügeln der Partei und haben insgesamt sicher die Hoffnung, dass Die Linke wirklich hilft, den Rechtsruck zu stoppen und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Dieser Prozess kann und wird nicht widerspruchslos erfolgen, sondern unvermeidlich bei vielen Fragen – Antifaschismus, Kriegsfrage, Aufrüstung, Palästina, Haltung zur Gewerkschaftsbürokratie usw. – auch Konflikte in der Partei hervorbringen, die es zuzuspitzen gilt. Sozialist:innen und Linke müssen sich deswegen über den Charakter der Partei bewusst sein. Dieser wird nicht nur durch die Zusammensetzung bestimmt – wie viele Mitglieder Teil der Arbeiter:innenklasse sind –, sondern auch durch ihr Verhältnis zur Klasse: Antreibend oder lähmend? Entscheidend ist auch, welche Ziele sie verfolgt: die Arbeiter:innenklasse als solche erhalten oder deren gesellschaftliches Verhältnis auflösen? Anders gesagt: Organisiert die Partei die Klasse nur für Reformen innerhalb des Kapitalismus und redet ab und zu über Transformation? Oder organisiert sie die Klasse für ein Übergangsprogramm, das aktuelle Kämpfe mit dem Kampf für die den Sozialismus verbindet? Letzteres bedeutet auch, das Machtmonopol des bürgerlichen Staates ernsthaft infrage zu stellen.
Die Linkspartei ist eine reformistische Partei – die man auch nicht so einfach umdrehen kann. Die Aufgabe von Revolutionär:innen in der Partei ist es jedoch nicht aus dem Off zu kommentieren und zu sagen: Wir haben euch schon immer gesagt, dass sie euch verraten werden! Sondern gemeinsam Initiativen zu setzen und über Inhalte zu debattieren, aufzuzeigen, was Sozialismus tatsächlich ist. Diese Ideen mögen vielen vom rechten Flügel der Partei als „ultralinke Spinnerei“ vorkommen. Doch in Wahrheit haben sie selbst keinen Plan, wie Projekte wie Vermögenssteuer oder Enteignungen dauerhaft durchgesetzt werden könnten. Ohne bundesweite Machtverschiebung, ohne eine organisierte Gegenmacht der Arbeiter:innenklasse und ohne revolutionäre Strategie bleiben solche Vorhaben Papiertiger. Maximal können diese erkämpft werden, wenn die Herrschenden Angst haben, dass sie ihre komplette Stellung im Produktionsprozess verlieren – dann stellt sich aber auch die Frage, was einen abhält diesen Schritt zu gehen.
Das sind unmittelbare Schritte, die es gilt in den nächsten Wochen und Monaten anzugehen. Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, dass die Linkspartei in der Zukunft weiter wachsen wird (wenn auch langsamer). Gleichzeitig muss bewusst sein: Jene, die man versucht für diese Ideen zu gewinnen, sollte es nicht gelingen, den Kampf in Die Linke erfolgreich zu führen, dann darf man sich nicht vom reformistischen Träumereien ausbremsen lassen. Denn damit werden weder Rechtruck, noch Krieg oder Sparprogramme aufgehalten – dazu müssen wir vielmehr eine konsequente, revolutionäre Kraft aufbauen.