Arbeiter:innenmacht

Beendet die Kriminalisierung palästinensischer Vereinigungen!

Ein Kommentar anlässlich der Debatte um das Palästina-Fest in Neukölln

Georg Ismael, Infomail 1290, 11. August 2025

In Berlin hat ein Solidaritätsfest mit Palästina für Furore gesorgt. Das Fest, das von Der Linken Neukölln gemeinsam mit dem Gazakomitee, dem Vereinten Palästinensischen Nationalkomitee und @eye4palestine ausgerichtet wird, erzürnt die Gemüter rechter Journalist:innen. Der Vorwurf: Unter den Mitgliedern des Vereinigten Nationalkomitees befänden sich Sympathisant:innen der Hamas.

Dabei handelt es sich offensichtlich um eine Scheindebatte, die vor Doppelmoral strotzt.

Warum? Tagtäglich liefert der deutsche Staat Waffen an Israel, dessen Besatzungsarmee aktuell einen Genozid begeht. Wann ereifern sich diese Damen und Herren darüber, dass deutsche Amts- und Mandatsträger:innen regelmäßig und eng mit dem israelischen Staat und seinen Interessenverbänden kooperieren?

Dies ist der tatsächliche Skandal. Und nicht erst seit zwei Jahren. Seit Jahrzehnten ist Israel ein Besatzungs- und Apartheidstaat, dessen politische Ökonomie seit seiner Gründung 1948 auf einer siedlerkolonialen Logik der ethnischen Ausgrenzung und Säuberung basiert.

Würden deutsche Liberale und Konservative ihren Whataboutism ernst nehmen, dürften sie weder mit palästinensischen noch mit israelischen Verbänden kooperieren. Tatsächlich tun sie das Gegenteil. Sie kriminalisieren den palästinensischen Widerstand gegen Besatzung, Apartheid und Genozid, während sie dem israelischen Staat die Mittel und Waffen in die Hand legen, eben diese Verbrechen umzusetzen.

Sozialist:innen hingegen machen diese materielle Ungleichheit und derartige Machtgefälle zum Ausgangspunkt ihrer Analyse, nicht die offiziellen Ideologien von Staaten oder diverser politischer Parteien. Auch einzelne Handlungen letztgenannter Akteur:innen ordnen sie in der Bewertung in diesen Gesamtkontext ein.

Sie erkennen, dass jüdische Israelis eine privilegierte Stellung im Gebiet des historischen palästinensischen Mandatsgebiets besitzen, die diese auf einer vom Imperialismus gestützten politischen Ökonomie beruhend mit einer hochgerüstetsten Besatzungsarmee durchsetzen. Auf der anderen Seite stehen Palästinenser:innen, die in verschiedenen Kasten abgestufte Rechte besitzen und sich seit 77 Jahren Rassismus, Landraub, ethnischer Säuberung und nun Massenmord, Hungertod und Genozid ausgesetzt sehen.

Sozialist:innen verteidigen das Recht unterdrückter Bevölkerungsgruppen, sich gegen ihre Unterdrückung zur Wehr zu setzen, unabhängig von der religiösen oder ethnischen Identität der Unterdrückten oder der Unterdrückenden. Sie wenden sich nicht von antikolonialen Widerstandsbewegungen ab, weil diese Gewalt anwenden. Sie erkennen an, dass, wo Recht zu Unrecht wird, Widerstand zur Pflicht wird. Dies ist unabhängig davon, ob sie jede konkrete Form der Gewalt ihren eigenen strategischen oder taktischen Erwägungen nach für angebracht halten. Ihre Unterstützung ist ebenfalls nicht daran gebunden, ob sie eine gewisse politische Fraktion oder die politische Führung des Widerstandes im engeren Sinne programmatisch befürworten oder ablehnen. Sie kämpfen im Widerstand um die politische Führung.

Der Grund ist simpel. Sie wenden sich nicht gegen einzelne Fraktionen des Widerstandes in einer Art und Weise, die die Widerstandsbewegung als ganze militärisch schwächen könnte oder einzelne Fraktionen der Repression seitens der unterdrückenden Nation oder ihr helfender Nationen aussetzen würde. Daher lehnen Sozialist:innen kategorisch die Kriminalisierung sämtlicher palästinensischer Organisationen ab. Das ist die rote Linie, die antikoloniale Revolutionär:innen von Pazifist:innen der imperialistischen Metropolen trennt. Erst auf dieser Grundlage eröffnet sich tatsächlich die Möglichkeit, innerhalb der Befreiungsbewegung über Utopien, Strategien und Taktiken der antikolonialen Revolution zu entscheiden, aber auch respektvoll zu streiten.

Innerhalb antikolonialer Widerstandsbewegungen erachten Sozialist:innen den politischen Kampf für gerechtfertigt. Insbesondere die Parteivorsitzenden Der Linken Berlin haben sich nicht das Recht erstritten, verschiedene Fraktionen des palästinensischen Widerstandes als Teil der Bewegung zu kritisieren, erst recht nicht, sie zu diffamieren. Ganz sicher haben sie keine Strategie vorgelegt, wie ihrer Meinung nach der Widerstand gegen nachgewiesene Unterdrückungsformen geführt werden kann. Schlimmer noch, sie haben ihrerseits keine Anstrengungen unternommen, ernsthafte Mobilisierungen in Verteidigung palästinensischer Rechte in Berlin zu unternehmen. Im Gegenteil, sie haben sie ausgebremst, so zuletzt der Fall durch die Nichtbeteiligung der Landespartei an United4Gaza (im Gegensatz zu der positiven Beteiligung durch die LAG Palästina und einzelne Bezirksverbände).

Genau hierin unterscheiden sie sich aber von antikolonialen Revolutionär:innen. Wir haben eine grundlegende Kritik an verschiedenen vorherrschenden Programmen des Widerstands – und insbesondere auch der Hamas. Diese Kritik sollten wir auch offen zur Diskussion stellen. Aber wir tun dies, während wir ohne Wenn und Aber den Kampf gegen Besatzung, Apartheid und Genozid auf Seiten der Palästinenser:innen unterstützen. Wir üben allerdings Kritik. Wir ergehen uns nicht in Verurteilungen, die im imperialistischen Deutschland vor allem dazu dienen, ein Verständnis von Folge und Ursache zu verdecken, als auch die Arbeiter:innenklasse vom antikolonialen Widerstand als solchem zu entfremden.

Aber auch die Kritik wird erst durch den offenen Meinungskampf ermöglicht, der durch die Verbote palästinensischer Organisationen wiederum massiv erschwert, wenn nicht verunmöglicht wird, ohne diese unfreiwillig der Kriminalisierung auszusetzen. Ebenfalls wurde durch die, man kann im Grunde genommen nur sagen, psychologische Kriegsführung und den Informationskrieg in Deutschland seit Oktober 2023 ein Klima geschaffen, in dem eine Kritik an verschiedenen Fraktionen des palästinensischen Widerstandes, ob von der Kritiker:in erwünscht oder nicht, in den meisten öffentlichen Räumen genutzt wurde, um den Widerstand prinzipiell zu delegitimieren und das israelische Handeln (als auch das deutsche Regierungshandeln) zu rechtfertigen. So sollten auch weite Teile der Arbeiter:innenklasse in Deutschland und ihre Organisationen von Sympathiebekundungen mit den Palästinenser:innen abgehalten werden.

Ohnehin war die öffentliche Debatte nicht von Kritik im eigentlichen Sinne geprägt – also einer Auseinandersetzung, die den Gegenstand der Kritik in der differenzierenden Beurteilung erschließt und ihn in diesem Prozess im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung versteht und einordnet. Freilich ist dies für politische Akteur:innen keine rein philosophische Angelegenheit, sondern immer mit der Frage verbunden, ob sie eine/n Akteur:in oder eine Handlung unterstützen mögen und falls nicht, was ihre programmatischen und praktischen Alternativen sind.

Die meisten „Kritiker:innen“ des palästinensischen Widerstandes sind offensichtlich nicht nur entschiedene ideelle Unterstützer:innen des real existierenden israelischen Apartheid- und Besatzungsstaates, der von einer rechtsradikalen, revisionistisch-zionistischen Koalition geführt wird. Sie unterstützen diesen auch materiell in der Staatslenkung oder ideell durch ihre Propaganda. Für sie ist die „Kritik“ ein Vehikel, um die Unterdrückung palästinensischer Versammlungen in Deutschland, das Verbot palästinensischer Parteien, die Einschränkung palästinensischer Meinungskundgabe und auch die Verhinderung freier Spenden nach Palästina zu rechtfertigen oder gar zu verschärfen.

Sozialist:innen stehen in Gegnerschaft zu diesem Lager. Sie lehnen schon daher die Kriminalisierung ab, da sie dem Staat, der die Unterdrückung der Palästinenser:innen wie kaum ein anderer ermöglicht, das Prärogativ (Vorrecht) absprechen können und wollen, über die Unterdrückung dieser oder jener palästinensischen Organisation in Deutschland zu befinden. Sie sehen sich auch in keinster Weise verpflichtet, moralische Bekenntnisse oder Verurteilungen gegenüber dem Lager der staatstragenden „Kritiker:innen“ abzugeben oder zu bestätigen, deren regelmäßige Erkundigungen, ob man diese oder jene Handlung verurteile, nicht dazu dienen, der Darlegung sozialistischer Moral eine Bühne zu schaffen, sondern den Diskursraum deutscher, imperialer Moral zu bestärken, um deutsch-imperiales Handeln zu rechtfertigen.

Der Kern der Angelegenheit bleibt am Ende aber folgender: Palästinenser:innen sind in Deutschland nicht kriminalisiert, weil ihre politische Führung dieser oder jener Ideologie folgt. Sie sind auch nicht per se kriminalisiert, weil ihre Widerstandsorganisationen Gewalt anwenden. Sie sind kriminalisiert, weil sie gegen gewaltsame Unterdrückung eines geostrategischen Verbündeten des deutschen Imperialismus Widerstand leisten.

Also: Sozialist:innen üben politische Kritik. Ja! Aber sie tun dies nicht anhand des bürgerlich-imperialistischen Diskurses. Im Gegenteil! Sie stellen sich gegen diesen Diskurs und die dahinterstehende imperiale Gewalt. Ergo sind sie für die Aufhebung sämtlicher Verbote aller Widerstandsorganisationen der Palästinenser:innen.

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