Bisma Bukhari (Revolutionary Socialist Movement/Pakistan), Infomail 1288, 5. August 2025
Die brutalen Morde an Bano Bibi und Ahsan Ullah, weil sie sich für die Ehe entschieden hatten, haben mal wieder die schreckliche Praxis der „Ehrenmorde“ und die sozioökonomischen Kräfte, die dahinterstecken, ans Licht gebracht. Das war kein Einzelfall, sondern ein Symptom einer tiefen sozialen Krise. Der Staat setzt über Stammesführer sogenannte Traditionen durch, die ihnen erlauben, die Freiheit und Menschenrechte von Frauen mit Füßen zu treten. Revolutionäre Sozialist:innen verurteilen diese barbarischen Taten aufs Schärfste und sehen darin eine direkte Folge des sozialen Verfalls innerhalb des halbkolonialen kapitalistischen Systems.
Eine Klassenfrage, keine kulturelle Frage
Ehrenmorde sind eine Klassenfrage. Während einige in der Belutschistan-Versammlung versuchen, sie als eine Frage der „Ehre“ herunterzuspielen, sehen revolutionäre Sozialist:innen darin einen grotesken Ausdruck von Klassenunterdrückung und eines tief verwurzelten patriarchalischen Systems. In diesem System werden Frauen als Eigentum der Männer behandelt und ihr Recht auf persönliche Entscheidungen wird ihnen vollständig verweigert.
Eine Liebesheirat, die die Freiheit der/s Einzelnen repräsentiert, stellt eine direkte Bedrohung für diese patriarchalische und tribale Ordnung dar. Das System verknüpft die sexuelle Freiheit der Frau mit der „Ehre“ der Familie und ahndet jede vermeintliche Verletzung mit härtesten Strafen.
In Belutschistan hat der Staat Stammesführer eingesetzt und respektiert deren „Traditionen“, weil er von dieser Regelung profitiert. Diese Anführer unterstützen solche Verbrechen, um jede aufkeimende Idee von Freiheit in der Gesellschaft zu unterdrücken und so ihre Macht zu erhalten.
Der pakistanische Staat, der als Halbkolonie im globalen kapitalistischen System fungiert, nutzt diese Verbrechen, um seine autoritäre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Dieses Versagen ist nicht einfach oder in erster Linie auf Inkompetenz zurückzuführen, sondern spiegelt den Klassencharakter des Systems wider. Die herrschende Klasse hat kein Interesse daran, diese veraltete Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen oder gar zu verändern, weil sie ihren Interessen dient. Trotz gesetzlicher Verbote nehmen „Ehrenmorde“ zu, und die Täter werden selten bestraft, was beweist, dass das Gesetz keinerlei wirksamen Schutz bietet. Wenn überhaupt, gehen die Polizei und andere staatliche Institutionen bei „Ehrenmorden“ und anderen Formen von Femizid nur zögerlich vor.
Dies steht in krassem Gegensatz zu Fällen, in denen Frauen für ihre Rechte eintreten. Die Verhaftung friedlicher belutschischer Aktivistinnen wie Mahrang Baloch zeigt, wie der Staat seine Macht zur Unterdrückung einsetzt. Mahrang Baloch kämpft gegen Verschleppungen, staatliche Tyrannei, koloniale Besatzung und Patriarchat und ist zur Anführerin der Menschenrechtsbewegung Baloch Yakjehti Committee (BYC; Baloch Unity Committee) geworden. Sie sieht sich falschen Anschuldigungen, Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt, um ihren Kampf zum Schweigen zu bringen. Sie und andere Frauen werden angegriffen, weil sie Gerechtigkeit für ihre vermissten Angehörigen fordern. Das zeigt, dass der Staat die Gräueltaten der Stämme ignoriert, während er diejenigen, die Gerechtigkeit und Veränderung fordern, aktiv unterdrückt.
Der Staat hat eine stillschweigende Vereinbarung mit den Stammesführern. Diese Führer behalten ihre Kontrolle über die Gemeinschaft durch Verbrechen wie „Ehrenmorde“ und helfen im Gegenzug dem Staat, eine Form von „Frieden“ in der Region aufrechtzuerhalten, egal wie brutal dieser auch sein mag.
Indem er sich auf Ereignisse wie „Ehrenmorde“ konzentriert, versucht der Staat, von den größeren Problemen der nationalen Unterdrückung und der Verschleppungen in Belutschistan abzulenken. Er verbreitet die Idee, dass die belutschische Gesellschaft von Natur aus rückständig ist und der Staat versucht, ihre Probleme zu lösen, obwohl diese Rückständigkeit in Wirklichkeit das Ergebnis staatlicher Politik ist, so wie wir alle wissen, dass „Ehrenmorde“ und Frauenmorde in ganz Pakistan weit verbreitet sind.
Wenn das BYC protestiert, diskreditiert der Staat seinen Kampf, indem er sie als „Terrorist:innen“ oder „staatsfeindlich“ bezeichnet, um ihnen rechtliche und öffentliche Unterstützung zu verweigern.
Es ist wichtig, das Bewusstsein für die patriarchalische Denkweise und ihre schädlichen Auswirkungen zu schärfen. Die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frauen müssen im Mittelpunkt des Kampfes der Arbeiter:innenklasse, der Armen und aller Unterdrückten stehen. Wir müssen für ein Bildungssystem kämpfen, das für alle gleich ist und von Komitees aus Arbeiter:innen, Frauen und Unterdrückten kontrolliert wird. Frauen müssen wirtschaftlich gestärkt werden, damit sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können, frei von familiärem oder stammesbedingtem Druck. Das erfordert gleichen Zugang zu Bildung, Ausbildung und Beschäftigung.
Wir müssen Frauen organisieren und eine starke öffentliche Bewegung gegen das patriarchalische System aufbauen. Aktivist:innen wie Mahrang Baloch stehen an der Spitze dieses Kampfes und verdienen unsere volle Unterstützung. Wir müssen alle Ideologien, Denkweisen und Interpretationen der Ereignisse hinterfragen, die Gewalt gegen Frauen rechtfertigen. Wir müssen fortschrittliche und moderne Ansichten fördern, die auf Gleichheit und Gerechtigkeit basieren.
Die Arbeiter:innenklasse, die Jugend und alle unterdrückten Menschen müssen sich vereinen, um dieses unterdrückerische System zu beenden und eine Gesellschaft aufzubauen, in der Liebe kein Verbrechen ist, sondern eine Frage der freien Entscheidung. Die belutschischen Arbeiter:innen und die Unterdrückten, die sowohl patriarchaler als auch nationaler Unterdrückung ausgesetzt sind, können in diesem revolutionären Kampf eine Schlüsselrolle spielen.
Revolutionäre Sozialist:innen gehen davon aus, dass die Wurzel des Problems im zerfallenden kapitalistischen System liegt, das sowohl Klassenungleichheit als auch Patriarchat schürt. Solange die Arbeiter:innenklasse nicht die Produktionsmittel kontrolliert und eine sozialistische Gesellschaft errichtet ist, in der alle Menschen gleiche Rechte und Freiheiten haben, werden diese Gräueltaten weitergehen.
Um barbarische Praktiken wie „Ehrenmorde“ und das patriarchalische System zu beenden, braucht es massiven Widerstand und Organisation und letztendlich eine soziale Revolution, nicht nur einzelne Reformen oder Gesetze. Die Revolutionäre Sozialistische Bewegung ist der Meinung, dass die einzige Möglichkeit zur Befreiung eine sozialistische Revolution in der Führung durch die Arbeiter:innenklasse liegt. Diese Revolution würde nicht nur das kapitalistische System abschaffen, sondern auch alle Formen der Stammesunterdrückung und des Patriarchats beseitigen.