Partito Comunista dei Lavoratori, Infomail 1288, 25. Juli 2025
Trumps Offenheit wird durch Putins Verschlossenheit auf die Probe gestellt: die unbekannten Variablen in den globalen Beziehungen
Lenin betrachtet den Imperialismus als ein dynamisches Phänomen, das aufgrund seiner Natur ständig wechselnden Beziehungen, insbesondere zwischen den Großmächten, ausgesetzt ist. Heute, da sich die Hauptmacht des Planeten neu orientiert, ist seine Analysemethode umso relevanter. Die Mobilität der Weltbeziehungen hat sich stark beschleunigt, mit wiederholten Wechseln der politischen Szenarien und vielen unbekannten Variablen. Trumps Persönlichkeit und seine mittlerweile sprichwörtliche „Unberechenbarkeit” sind eine sekundäre, wenn auch sehr wichtige Manifestation dieses Phänomens. Er ist jedoch nicht der einzige Protagonist. Der russische und chinesische Imperialismus sind auf der Weltbühne nicht weniger aktiv und einflussreich auf deren Dynamik und auf die Entscheidungen der amerikanischen Regierung.
In den Monaten nach ihrer Amtseinführung ist die Offenheit der neuen US-Regierung gegenüber dem Putin-Regime und dessen Invasionskrieg in der Ukraine keine Frage der Analyse, sondern eine Tatsache. Nur die Lagerdenker:innen mit ihrer ideologischen Blindheit und ihrem Mantra, dass es sich in der Ukraine um einen reinen Stellvertreter:innenkrieg handle, haben sich als unfähig erwiesen, dies zu begreifen.
Wir müssen folgende Fakten berücksichtigen: die gemeinsame Abstimmung der USA, Russlands und Israels in der UNO gegen die Verurteilung der Invasion (an ihrem dritten Jahrestag, am 24. Februar 2025); die Demütigung von Selenskyj in allen Medien als „Verantwortlicher“ für den Krieg, mit der Aufforderung, sich zu ergeben („Du hast keine Karten“); die Aussetzung der militärischen Satellitenüberwachung der ukrainischen Streitkräfte während der Operation in Kursk, um Druck auf Kiew auszuüben; die Erpressung der Ukraine zu einem raubähnlichen Abkommen, das auf der Plünderung ihrer Bodenschätze basiert; ein US-„Friedensvorschlag”, der auf der Anerkennung der russischen militärischen Eroberungen ukrainischer Gebiete basiert, komplett mit Kelloggs (Keith Kelloggs: US-Sondergesandter; d. Red.) Karte der möglichen Teilung des Landes (an Russland annektierte Gebiete im Osten, eine Zentralukraine mit einem „entmilitarisierten” Kiew und der Westen des Landes mit Lemberg [Lwiw], möglicherweise geschützt durch europäische imperialistische Mächte); die Ablehnung neuer US-Sanktionen gegen Russland, zusätzlich zu den bereits von Biden verhängten; die öffentliche Legitimierung Wladimir Putins als privilegierter Partner der USA und insbesondere von Präsident Trump („Wir haben ein gutes Verhältnis“, „Er ist ein Mann, der sein Land verteidigt“ …); die angekündigte Reduzierung neuer Militärhilfen für die Ukraine, sobald die von Biden bereitgestellten Hilfen ausgelaufen sind; die allgemeine Definition der Verteidigung der Ukraine als „Bidens Krieg“, der endgültig beendet werden muss („Mit mir hätte es keinen Krieg gegeben“); die offensichtliche Marginalisierung der europäischen Mächte aus den russisch-amerikanischen Verhandlungen (und ganz allgemein aus allen Verhandlungsforen, wie im Fall des Nahen Ostens); die Übernahme von Anti-EU-Propaganda nach dem Vorbild Moskaus (einschließlich der Unterstützung der deutschen extremen Rechten mitten im Wahlkampf und der rumänischen extremen Rechten) in Verbindung mit dem Handelskrieg gegen die EU (und andere).
All diese Ereignisse sind miteinander verflochten und entwickeln sich rasch. Sie haben die tiefe Ambivalenz der US-Politik gegenüber Russland deutlich gemacht. Diese Verschiebung scheint darauf abzuzielen, direkte Beziehungen zwischen Großmächten außerhalb des traditionellen transatlantischen Bündnisses aufzubauen, um eine allgemeine Neuverhandlung des globalen Machtgleichgewichts zu erreichen. Die indirekte Beteiligung Russlands an der Iran- und Nahostkrise als stabilisierende Kraft in Teheran ist Teil dieser neuen amerikanischen Verhandlungsstrategie.
Wir als PCL und International Socialist League haben diesen Wandel, seine Prämissen, Merkmale und Schwierigkeiten wiederholt analysiert. Viele Fragen wurden aufgeworfen und bleiben offen: Hat Trump versucht, Russland von China zu trennen, um sich auf seinen strategischen Wettbewerb mit Peking zu konzentrieren? Versucht er einfach, sich aus dem Ukrainekonflikt herauszuziehen, um die Ressourcen für Sozialausgabenkürzungen und Steuersenkungen für die US-Kapitalist:innen bereitzustellen? Strebt er ein Abkommen mit Moskau über die Verwaltung der Arktis, ihren enormen Reichtum und ihre strategische Rolle sowie neue Wirtschafts- und Investitionsmaßnahmen in Russland im Austausch für dessen wertvolle Rohstoffe an? Oder handelt es sich um eine Kombination all dieser Faktoren in unterschiedlichem Ausmaß? Diese und andere Fragen werden durch die sich entwickelnden Ereignisse in einem globalen Szenario beantwortet werden, das durch Trumps Kurswechsel tief erschüttert ist.
Es gibt jedoch ein Problem. Wladimir Putin hat auf Donald Trumps große Offenheit kaum reagiert.
Lasst uns klar sein: Aus formaler, politischer und diplomatischer Sicht hat Putin Trumps Offenheit, die wahrscheinlich größer ist, als er erwartet hatte, verständlicherweise begrüßt. Er hat Anerkennung als wichtiger globaler Akteur gewonnen. Sein Einmarsch wurde legitimiert. Und de facto wurde er von dem Status eines Kriegsverbrechers befreit, der ihm vom Internationalen Strafgerichtshof auferlegt worden war. Er lobte den neuen US-Präsidenten öffentlich als „Mann des Friedens“, betonte seinen Bruch mit der vorherigen Regierung und nutzte in seiner Propaganda den Widerspruch zwischen dem US-Imperialismus („auf Frieden ausgerichtet“) und dem europäischen Imperialismus („Kriegstreiber“). Sein eigenes Ansehen als Oberbefehlshaber der Kriegshandlungen wurde in den Augen eines großen Teils seiner sozialen Basis in Russland selbst gestärkt. Und damit wurde auch sein militärischer Druck, der direkt proportional zur Schwächung der Ukraine ist, stärker.
Aber all das war und ist Putin nicht genug. Der Präsident der Russischen Föderation gibt sich mit dem neuen Angebot des US-Imperialismus nicht zufrieden. Er strebt den vollständigen Sieg der „speziellen Militäroperation“ und ihrer zugrunde liegenden Ziele an. Zumindest die Kriegsziele, die nach dem anfänglichen Scheitern der Eroberung Kiews als „untergeordnet“ neu definiert wurden: die vollständige Eroberung der vier annektierten Regionen; die drastische Verkleinerung der ukrainischen Streitkräfte („Entmilitarisierung“); die politische Eliminierung Selenskyjs (die sogenannte „Entnazifizierung“). Dies soll mit der Eroberung der Ukraine und der Wiederbelebung eines russischen imperialen Gebiets in Europa nach altem zaristischem Vorbild geschehen. Dies wird vom großrussischen Chauvinismus offen begrüßt und gefordert (Alexander G. Dugin, ultranationalistischer Philosoph, Politiker und Publizist; d. Red.), mit dem Segen der orthodoxen Kirche unter Patriarch Kirill I. (einem ehemaligen KGB-Agenten) und seiner Kampagne gegen den westlichen „Satanismus“.
Putins Ziel ist weder leicht zu erreichen noch selbstverständlich. Russlands militärische Fortschritte auf dem Schlachtfeld – mittlerweile unbestreitbar – sind langsam. In drei Jahren Krieg beträgt der militärisch eroberte und als unter Kontrolle geltende Teil der Ukraine trotz des enormen Kräfteungleichgewichts nicht mehr als 20 % des Landes. Diejenigen, die seit drei Jahren täglich die Niederlage der Ukraine und den Sieg Russlands feiern (allen voran der italienische Journalist Marco Travaglio, gefolgt von anderen Mitgliedern der italienischen „campistischen“ Intelligenzija), haben ein Problem mit der Realität und der Logik. Selbst die Schwierigkeiten Russlands im Zusammenhang mit der Kriegswirtschaft (Inflation, hohe Zinsen, Arbeitskräftemangel, Rezessionsgefahr) scheinen insgesamt zugenommen zu haben, und mit ihnen die Unsicherheiten über die Zukunft.
Und dennoch ist Putin entschlossen, weiter zu pokern. An der Kriegsfront nutzt er eine relative Schwächung der ukrainischen Verteidigung aus, im Inland mobilisiert er nationalistische Gefühle – heute vor allem gegen Deutschland – rund um die Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“, indem er Stalin offen in den großrussischen Chauvinismus einbindet und die Wiedererrichtung von Statuen und Denkmälern fördert. Er verschärft die interne Repression (die heute viel härter ist als in der ersten Phase des Krieges). Er lenkt die soziale Unzufriedenheit in Richtung Fremdenfeindlichkeit und vertuscht mit Hilfe der faschistischen Organisation „Russische Gemeinschaft“ eine Politik der Pogrome gegen Migrant:innen. Er rekrutiert Soldat:innen aus Gefängnissen und benachbarten Regionen der Föderation – um die weiße russische Bevölkerung, die das Herzstück seiner Unterstützerbasis bildet, so weit wie möglich zu schonen – und bezahlt sie großzügig. Er greift auf massive Unterstützung durch nordkoreanische Truppen und Waffen zurück. Vor allem stützt er sich auf die große materielle Macht seines Verbündeten China (Ölkäufe, Technologielieferungen) und auf ein Netz internationaler Beziehungen (siehe Vereinigte Arabische Emirate), das es ihm ermöglicht, westliche Sanktionen zu umgehen. Dies sind die Stärken des Regimes, trotz des Rückschlags in Syrien mit dem Sturz Assads und der Schwächung seines iranischen Verbündeten (Moskau hat sich sorgfältig zurückgehalten, dem Iran zu helfen, um seine Beziehungen zu Israel nicht zu gefährden).
In diesem allgemeinen Kontext sah Putin den Kurswechsel der US-Regierung und die neuen Widersprüche zwischen den USA und der EU nicht als Chance, den Krieg mit einer „Friedenslösung“ zu beenden (die für den russischen Imperialismus einen grundlegenden Sieg bedeuten würde – wie die von Trump angebotene), sondern als Gelegenheit, seine Militäroffensive wieder aufzunehmen, um weiter Kriegsziel zu erreichen. Dies ist ein skrupelloser Versuch, die inneren Spaltungen innerhalb des imperialistischen NATO-Lagers zu seinem Vorteil auszunutzen. Die beiden Verhandlungsrunden zwischen Moskau und Kiew – mit Ausnahme des Gefangenenaustauschs – wurden von Putin genutzt, um hinter dem Nebel einer diplomatischen Operation Zeit für den Krieg zu gewinnen.
Deshalb war Trump überrascht. Er ist „enttäuscht“ von Putin, er vermutet, dass er vom Kremlchef „ausgespielt“ wurde. Daher die taktische Neupositionierung des US-Präsidenten: Er nahm den Kontakt zu den europäischen imperialistischen Mächten wieder auf, reaktivierte einige militärische Hilfen für die Ukraine und stellte Putin ein Ultimatum – fünfzig Tage „zum Frieden“, unter Androhung neuer und härterer Sanktionen.
Erleben wir eine Rückkehr der USA zu ihren alten Allianzen im Namen eines wiederentdeckten Atlantizismus? Nein, das ist heute nicht der Fall.
Trumps Neupositionierung ist zwar wichtig, bleibt aber ein taktisches Manöver. „Ich bin noch nicht fertig mit Putin“, sagt Trump, und das ist wahr. Die US-Waffenlieferungen an die Ukraine werden derzeit nach und nach wieder aufgenommen, mit langsamen Verfahren und Zeitplänen, und werden von den europäischen Mächten bezahlt (ein riesiger Vorteil für die US-Rüstungsindustrie). „Fünfzig Tage“ ist genau der Zeitplan für die vollständige militärische Eroberung der annektierten Regionen, wie Putin Trump am 4. Juli mitteilte: nicht gerade ein „Ultimatum“.
Die Bewertungsmethode für das Ergebnis dieser fünfzig Tage ist derzeit sehr vage (ein „Friedensabkommen“, der Beginn von Verhandlungen?). Auch der Umriss der angedrohten Sanktionen bleibt unklar: Das Handelsvolumen zwischen den USA und Russland beläuft sich auf fünf Milliarden US-Dollar, was objektiv gesehen vernachlässigbar ist. Indirekte Sanktionen („100 %“) gegen diejenigen Länder, die Russland tatsächlich unterstützen, wie China und Indien, hätten enorme Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Sie würden die strategisch wertvollen Beziehungen zwischen den USA und Indien gefährden und gelten daher als nicht sehr glaubwürdig. Daher zielt die Neupositionierung der USA derzeit eher darauf ab, Druck auf Russland auszuüben, als die Beziehungen abzubrechen. Die Moskauer Börse reagierte auf die „Drohungen“ der USA mit einem Anstieg der Aktienkurse. Um jegliche Missverständnisse zu vermeiden, versicherte Trump schnell allen: „Ich bin weder auf der Seite Russlands noch auf der Seite der Ukraine, ich bin auf der Seite der Menschheit.“
Es ist jedoch wahr, dass Trump Ergebnisse von Putin erwartet. Das Ansehen des US-Imperialismus auf globaler Ebene und Trumps Image im Inland stehen auf dem Spiel. Wie könnte es auch anders sein? Ein Journalist der Financial Times fragte Trump: „Wenn sich die Lage nach fünfzig Tagen nicht geändert hat, wie werden Sie reagieren? “ Trump antwortete: „Bitte stellen Sie mir diese Frage nicht.“ Die Wahrheit ist, dass die neue imperialistische US-Regierung mit einer guten Portion Empirismus auf Sicht segelt.
Zwei grundlegende Tatsachen bleiben bestehen:
1) Der untergehende US-Imperialismus ist nicht mehr in der Lage, die Last seines alten Einflussbereichs zu tragen. Wenn die USA sich auf die strategische Konfrontation mit China im Pazifik konzentrieren wollen, müssen sie ihr Engagement auf anderen Schauplätzen reduzieren: im Nahen Osten, wo Trump daran arbeitet, die Abraham-Abkommen wiederzubeleben und auf Saudi-Arabien und sogar auf das neue Syrien auszuweiten, als Garantie für den zionistischen Staat (allerdings nicht ohne Widersprüche zur Politik Netanjahus, die wiederum im Konflikt mit Erdogans neoosmanischem Projekt steht); und auch in Europa, wo er versucht, die USA aus dem Krieg in der Ukraine herauszuholen und die derzeitige Präsenz von US-Truppen auf dem Kontinent zu reduzieren: eine Präsenz, die heute 67.000 Soldaten umfasst, die Trump um die Hälfte reduzieren möchte, um 30.000 in den indopazifischen Raum zu verlegen.
Eine Einigung mit Putin wäre für beide Seiten von Vorteil. Aber sie kann es nicht zum Nulltarif geben, wie Putin es gerne hätte.
2) Die große Aufrüstung der europäischen imperialistischen Mächte ist eine Antwort auf die Gefahr eines Rückzugs der USA.
Die NATO bleibt bestehen und ist formal weiterhin der Rahmen für die europäische Aufrüstung. Aber innerhalb der NATO finden tiefgreifende Umstrukturierungen statt. Trump hat sogar die Tür für eine freie Auslegung von Artikel 5 geöffnet, eine historische Botschaft an Putin, die jedoch eine Antwort erfordert. Unterdessen unterzeichnen Frankreich und Deutschland im Wettbewerb miteinander bilaterale Militärhilfeverträge mit Großbritannien, das in den europäischen Schoß zurückgekehrt ist, und Dänemark verdoppelt seine Militärausgaben, unter anderem zum Schutz Grönlands.
Die internationalen Beziehungen sind in allen Teilen des Planeten in Aufruhr, mit zahlreichen unbekannten Variablen. Überall untermauert die Waffengewalt die Verhandlungsmacht der alten und neuen imperialistischen Mächte. Überall sind das Proletariat und die unterdrückten Völker Verhandlungsmasse oder Kanonenfutter. Nur eine sozialistische Revolution kann die Welt auf neuen Grundlagen wiederaufbauen.