Arbeiter:innenmacht

Tarifrunde TVÖD: Einordnung der Forderungen

TVöD-Tarifrunde 2023

Romina Summ, Neue Internationale 289, Februar 2025

Rechtsruck, wirtschaftliche Rezession, Neuwahlen: Inmitten dieser stürmischen Zeiten findet die aktuelle Tarifrunde des öffentlichen Dienstes statt. Dabei droht der „Mega-Streik“ des letzten Jahres, fast in Vergessenheit zu geraten, denn er wird überschattet vom mäßigen Abschluss der IG Metall, des Ausverkaufs der VW-Beschäftigten und „dem schlechten Stand der deutschen Wirtschaft“. Forderungen nach einem späteren Renteneintrittsalter, Einsparungen in sozialen Bereichen und Aufrüstung der Bundeswehr stehen inzwischen bei den bürgerlichen Parteien auf der Tagesordnung.

Glaubt man den Worten der Unternehmensverbände und Artikelüberschriften, könnte man meinen, dass hier jahrelang in Saus und Braus gelebt wurde. Doch die Realität für die Mehrheit der Beschäftigten ist eine andere: Die Tarifrunden seit 2020 waren begleitet von Nullrunden und Reallohnverlusten! Das müssen wir im Hinterkopf behalten, bevor wir die einzelnen Tarifforderungen im öffentlichen Dienst (öD) unter die Lupe nehmen. Denn es scheint so, dass die Sparrhetorik sich auch durch die Tarifrunde und die teils mäßigen Forderungen zieht. Schauen wir uns also zunächst diese einzeln an:

8 % mehr Lohn, aber mindestens 350 Euro, für Azubis 200 Euro

Um diese Forderung einzuordnen, müssen wir die Entwicklung der Inflation seit der letzten Tarifrunde betrachten. Berücksichtigen wir die Inflationsrate, ergeben sich aus den nominalen Lohnerhöhungen der letzten Runde Reallohnverluste. Entscheidend ist ja nicht, was wir auf dem Konto haben, sondern was wir dafür im Supermarkt kriegen! Selbst wenn die vollen 8 % durchgesetzt würden (was die ver:di-Tariftechniker:innen ja von vorneherein gar nicht anstreben), würde das nicht die Verluste der letzten 5 Jahre ausgleichen. Besonders düster sieht es da für Azubis aus. Für sie ist es nahezu unmöglich, für sich allein durch das Ausbildungsgehalt Wohnung und Essen zu finanzieren – besonders in Großstädten. Die 200 Euro mehr sind das Mindeste. Mehr Lohn braucht es außerdem, um den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen und den Überlastungen entgegenzuwirken. Wichtig wird sein, den Festbetrag von 350 Euro mehr Gehalt zu erkämpfen, da hiervon besonders die niedrigen Lohngruppen profitieren.

Zusätzliche 3 Tage mehr Urlaub + 1 Tag Urlaub extra für Gewerkschaftsmitglieder

Drei Tage mehr Urlaub reichen bei Weitem nicht aus, um die überlasteten Arbeitskräfte in den Krankenhäusern, Kitas und in der Pflege wirksam zu entlasten und den Beruf attraktiver zu gestalten, um so auch der Unterbesetzung entgegenzuwirken. Die zur Forderungsfindung durchgeführte Umfrage ergab: Die Kolleg:innen vor Ort sind komplett erschöpft und brauchen eine wirkliche Entlastung, da sie sonst nicht mehr in der Lage sein werden, ihren Job bis zur Rente weiterzumachen. Die Forderung für eine Erhöhung der Zuschläge für Schicht-/Nachtarbeit ist zwar begrüßenswert, aber keinerlei Angaben bezüglich der Höhe lassen diese Forderung schwach wirken und räumen hierbei der Arbeit„geber“:innenseite die Oberhand ein.

Die Forderung für einen extra Urlaubstag für Gewerkschaftsmitglieder ist unter den Beschäftigten beliebt. Als Gegenargument wurde oftmals angeführt, dass der/die Arbeit„geber“:in hierdurch erfährt, wer Mitglied in der Gewerkschaft ist und somit die Befürchtung entstehe, hieraus Nachteile zu erfahren. Dieses Argument wird schnell hinfällig: Die Arbeit„geber“:innen wissen sowieso, wer wann gestreikt hat, da dies ihnen mitzuteilen ist. Das eigentliche Problem ist der Zweck der Forderung. Aufgrund des Mitgliederverlustes der letzten Jahre wird versucht, durch „einen weiteren Anreiz“ Kolleg:innen für eine Mitgliedschaft zu gewinnen. Doch ist das wirklich die richtige Herangehensweise, um diesen Schwund zu kompensieren? Wohl kaum! Denn der Mitgliederrückgang lässt sich darauf zurückführen, dass Kolleg:innen von den Tarifergebnissen und den damit einhergehenden Reallohnverlusten der letzten zehn Jahre durch ver:di enttäuscht wurden und sich, schlicht  gesagt, verarscht vorkommen. Eine Prämie da, ein Urlaubstag hier oder Rabatte bei Reisen oder Versicherungen: Der Weg, neue Mitglieder zu gewinnen, geht darüber, dass wir tatsächlich Verbesserungen für uns erkämpfen, die spürbar sind. Höhere Lohnforderungen, Arbeitszeitverkürzungen und bessere Bedingungen gilt es zu erkämpfen, denn sie fallen nicht vom Himmel und sind letzten Endes überzeugender als 10 % auf irgendeinen Reisegutschein.

„Meine-Zeit-Konto“

Hierbei soll selbst darüber bestimmt werden, ob angeordnete Überstunden angesammelt oder ausgezahlt werden. Dies kann dann für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, zusätzliche freie Tage oder Freistellungsphasen genutzt werden. Das Ganze gilt nur für angeordnete Überstunden und nicht für Gleitzeitregelungen und sonstige Mehrarbeit. Diese dennoch sehr unkonkrete Forderung öffnet Arbeit„geber“:innen Tür und Tor, um Angriffe auf die Arbeitszeit, insbesondere in Bereichen, in welchen sowieso schon eine hohe Belastung herrscht (Krankenhäuser, Kitas etc.), zu lancieren. Diese Forderung wird dann als „selbstbestimmtes“ Arbeiten dargestellt. Aber selbstbestimmt ist hier doch recht wenig, schließlich geht es um angeordnete Überstunden, also Arbeitszeit, die ich eigentlich, wenn ich selbstbestimmt arbeiten möchte, überhaupt gar nicht leisten sollte und somit auch keineswegs der bestehenden Belastung in irgendeiner Weise entgegenwirkt. Selbst wenn dann nach ein paar Jahren einige Tage angesammelt wurden, werden diese freien Tage und Wochen die Belastung von jahrelang angeordneten Überstunden nicht wettmachen können und schon gar nicht eine körperliche oder psychische Entlastung darstellen. Vielmehr wird es hier den Arbeit„geber“:innen leicht gemacht, angeordnete Überstunden schönzureden und gut zu verkaufen. Natürlich ist es im Interesse der/s Arbeit„geber“:in, Arbeitszeit zu flexibilisieren, da hierdurch eine höhere Produktivität durch eine bessere Auslastung von Personal ermöglicht wird. Letztendlich stellt es eine Flexibilisierung des Personaleinsatzes ohne zusätzliche Kosten dar. Wir stellen uns daher klar gegen ein „Meine-Zeit-Konto“, es braucht eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit und mehr Urlaubstage!

Neuabschluss eines Tarifvertrags zur Altersteilzeit

Die Altersteilzeit muss her, das haben die Kolleg:innen klargemacht! In Köln und Stuttgart haben sie 2023 gestreikt – jedoch ohne ein tarifiertes Ergebnis. Bei einer so hohen Arbeitsbelastung wie im öffentlichen Dienst (Schichtarbeit, massive Unterbesetzung und Überlastung) ist es für viele Kolleg:innen keine Option, bis zur gesetzlichen Rente zu arbeiten. Obwohl die Altersteilzeit selbst von den Beschäftigten bezahlt wird, steht eine große Mehrheit hinter dieser Forderung. Eine richtige Entlastung würde eine Altersteilzeit darstellen, wenn wir diese nicht selbst bezahlen, sondern die Arbeit„geber“:innen. Denn diese oder ein früherer Eintritt in die Rente sollte nicht abhängig davon sein, ob es für uns leistbar ist.

Um weitere Entlastungen für belastende Berufe zu schaffen, fordert ver:di bezahlte Pausen für Beschäftigte in der Wechselschicht. Eine solche Forderung ist ein Tropfen auf den heißen Stein und genauso wenig entlastend wie drei Tage extra Urlaub. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern und in der Pflege sind gerade diejenigen, die besonders ausgelaugt sind, überlastet und unterbesetzt und daher Entlastungen fordern. Statt eine richtige Entlastung durch eine konsequente Arbeitszeitverkürzung ohne Verzicht auf Lohnsteigerung zu fordern, wird versucht. durch ein paar kleine Häppchen den Beschäftigten die „Entlastung“ schönzureden.

Rolle der ver:di-Führung

Besonders auffällig bei Betrachtung der Lohnforderung ist, dass diese in den meisten Bezirken höher verabschiedet wurden als der Beschluss der Landesbezirke und der Bundestarifkommission. Da stellt sich mal wieder die Frage nach der Demokratie innerhalb der ver:di-Strukturen. Diese lässt sich auch bei der Zusammensetzung der Tarifkommission stellen. Nur in wenigen Bezirken werden nämlich Tarifkommissionsmitglieder demokratisch gewählt. In den meisten werden diese von oben herab, also von hauptamtlichen verdi-Funktionär:innen bestimmt. Dieses antidemokratische Vorgehen bei der Aufstellung der Forderung zeigt, dass die verdi-Führung den Daumen darauf hat, wie die Forderung letztendlich aussieht und wieso die in dieser Tarifrunde besonders schwach sind.

Obwohl die Beschäftigten in den letzten Jahren besser mobilisieren (bei der letzten TVöD-Runde waren fast 200.000 Kolleg:innen auf der Straße), drücken die bürokratischen ver:di-Funktionär:innen das durch, was sie für richtig halten bzw. das, was mit der Regierung in der Konzertierten Aktion abgesprochen wurde. Durch ihre Online-„Befragung“ holen sie sich hierfür dann noch die Legitimation. Am Ende der Tarifrunde heißt es dann wieder von den Funktionär:innen und Tarifkommissionsmitgliedern, dass die Kampfkraft nicht groß genug gewesen sei, oder gar, dass man viel und einen guten Abschluss erreicht habe. Doch dass der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft nicht davor schützen, in Tarifverhandlungen von der Bürokratie ausverkauft zu werden, zeigen die doch sehr ähnlichen Abschlüsse der letzten Tarifrunden 2022/2023 in den Bereichen Metall, Chemie, Post und Bahn. Neben Reallohnverlusten waren die vergangenen Tarifabschlüsse gezeichnet von Einmalzahlungen und einer Laufzeit von 24 Monaten, die zwar nach schön viel Geld aussehen, aber doch nach ein paar Monaten viel weniger waren als das, was ursprünglich für die Tabellen gefordert war.

Die Lage zeigt, dass einfache Tarifrituale nicht ausreichen und wir uns darauf vorbereiten müssen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, statt dem ver:di-Apparat die Entscheidungen zu überlassen. Dieser wird am Ende versuchen, die Angriffe auf uns schönzureden und mal wieder zu behaupten, dass mehr einfach nicht drin gewesen wäre. Wir müssen uns deswegen von Anfang an auf einen Erzwingungsstreik vorbereiten.

Kämpfe selbst kontrollieren!

Wenn kein Geld für Kitas, Schulen und öffentliche Verwaltung da ist, dann müssen wir es uns eben bei den Reichen, Konzernen, Banken und der Kriegsindustrie holen. Um das zu schaffen, müssen wir in den Erzwingungsstreik und das ganze Land lahmlegen. Das scheint radikal zu klingen, aber rufen wir uns die Worte der Unternehmer:innenverbände in Erinnerung. Die werden uns in der aktuellen Situation nichts schenken. Deswegen müssen wir uns vorab schon so beim Kampf aufstellen, dass klar gezeigt wird: Wir kämpfen, um zu gewinnen!

Dazu müssen sich andere Branchen unserem Streik anschließen. Die Post befindet sich auch nicht in der Friedenspflicht. Die Streiks verschiedener Branchen müssen verbunden werden und auch soziale Bewegungen sollen sich ihnen anschließen. Denn es ist auch im Interesse der Klimabewegung, dass wir einen gut finanzierten ÖPNV haben. Es ist im Interesse der feministischen Bewegung, dass die Jobs in der Pflege und in den Kitas, bei welchen ein überdurchschnittlich hoher Frauenanteil herrscht, entlastet und besser bezahlt werden. Damit einher geht eine bessere Finanzierung von Kitas, damit auch alle Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder kostenlos in eine ganztägige Betreuung zu geben. Außerdem liegt es im Interesse der gesamten Klasse, die Kriegstreiberei und das Aufrüsten zu verhindern. Die Gelder sollen für die Entlastung von Pflegekräften, Erzieher:innen und einen kostenlosen, gut ausgebauten ÖPNV verwendet werden. Dazu müssen wir Streikkomitees bilden, unsere Streikleitung selbst direkt wählen und bis zur Durchsetzung unserer Forderungen streiken.

Um dahin zu kommen, müssen wir die Kolleg:innen in unseren Betrieben aktivieren und gemeinsam die Kritik an der Bürokratie in die Gewerkschaften hineinzutragen. Nur wenn wir eine oppositionelle klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, schaffen wir es, Tarifrundenrituale zu durchbrechen, Streikkomitees aufzubauen und selbst zu entscheiden, wofür wir wann wie lange streiken. Ein Ansatzpunkt hierfür ist die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG / vernetzung.org), welche schon heute Anfänge für eine linke Opposition in den Gewerkschaften schafft. Tretet mit ihr in Kontakt!

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