Stefan Katzer, Infomail 1263, 5. September 2024
Während die bürgerlichen Parteien die Ergebnisse der zurückliegenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen noch auswerten und mögliche Regierungsbildungen sondieren, stehen die größten Verlierer:innen der Wahl bereits fest: Es sind die Geflüchteten und rassistisch Unterdrückten, die erneut mit einem massiven Angriff auf ihre Rechte und Lebensbedingungen rechnen müssen.
Hierfür ist eine Beteiligung der AfD an den jeweiligen Landesregierungen gar nicht erforderlich, da die übrigen Parteien von Grünen, FDP, SPD bis Union ohnehin bereits die meisten ihrer Positionen übernommen haben und sich nun daranmachen, in eigener Verantwortung deren Forderungen umzusetzen. Alles, um die AfD zu bekämpfen, versteht sich.
So hat etwa die Ampelkoalition kurz nach dem mörderischen Anschlag in Solingen und noch vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen weitere Verschärfungen im Asyl-, Waffen- und Aufenthaltsrecht angekündigt. Das sogenannte „Sicherheitspaket“, das die Bundesregierung nun gemeinsam mit den Ländern und unter Beteiligung der Unionsparteien auf Bundesebene beraten und umsetzen will, sieht unter anderem eine Ausweitung von Messerverbotszonen vor. In Bussen und Bahnen sowie auf größeren Veranstaltungen soll in Zukunft ein generelles Messerverbot eingeführt werden. Darüber hinaus sollen Springmesser bis auf wenige Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen generell verboten werden.
Um dieses Verbot umsetzen zu können, wird die Bundespolizei die Befugnis erhalten, Menschen verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Darüber hinaus sollen die bürgerlichen Repressionsorgane auch im „Kampf gegen den Islamismus“ weitere Befugnisse erhalten. So sieht das Paket unter anderem vor, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Fahndung von gesuchten Straftäter:innen zuzulassen und auch Daten aus dem Internet heranzuziehen, um eine automatische Gesichtserkennung zu ermöglichen.
Darüber hinaus möchte die Ampel erneut das Asylrecht verschärfen und unter anderem Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien ermöglichen. Ein erster Abschiebeflug von 28 straffällig gewordenen Geflüchteten nach Afghanistan hat bereits stattgefunden. Solche Abschiebungen sollen in Zukunft noch erleichtert und die Schwelle für ein „schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ weiter gesenkt werden – und das, obwohl außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Folter in Afghanistan laut Amnesty International an der Tagesordnung sind .
Seit ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban Mädchen von höherer Schulbildung ab der 6. Klasse ausgeschlossen. Öffentliche Hinrichtungen und Auspeitschungen für Verbrechen wie Mord, Raub und Ehebruch sind neben Folterungen dort an der Tagesordnung. Das neue Tugendgesetz vom 21.8.2024 schreibt Frauen die Verhüllung von Gesicht und Körper in Gegenwart von Männern vor, mit denen sie nicht verwandt sind, verbietet ihnen Singen und lautes Lesen in der Öffentlichkeit. Ohne männliche Begleitung dürfen sie das Haus nicht verlassen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Männern schreibt das Gesetz Bart- und Hosenlänge vor. Homosexualität und Musik in der Öffentlichkeit sind ebenso verboten wie das Feiern nicht islamischer Feiertage wie des weit verbreiteten iranischen Neujahsfests Nouruz (NEUES DEUTSCHLAND vom 5.9.2024, Seite 2).
Dennoch sehen die Pläne der Ampelregierung vor, dass Menschen, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurden, in Zukunft ausgewiesen werden sollen. Bei einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr kann dies in Erwägung gezogen werden. Die Begrenzung auf bestimmte Gewaltdelikte soll zudem aufgehoben werden. Ein voller Erfolg für die AfD also, umgesetzt von SPD, Grünen, FDP.
Das Gleiche gilt für Geflüchtete, die in Deutschland Schutz erhalten und in ihr Heimatland reisen. Sofern dies nicht geschieht, um einen Verwandten zu beerdigen o. ä., soll dies künftig zum Verlust des Schutzstatus führen. Als wäre das alles noch nicht genug, sollen ausreisepflichtigen Asylbewerber:innen in Zukunft die Sozialleistungen gestrichen werden. Letzteres soll auch für sogenannte Dublinfälle gelten, also für Schutzsuchende, für die ein anderes europäisches Land zuständig ist, sofern dieses zur Rücknahme bereit ist (NEUES DEUTSCHLAND vom 4.9.2024, Seite 5).
Selbstredend geht das der Union alles nicht weit genug. Diese fordert darüber hinaus eine deutliche Ausweitung der Grenzkontrollen und die direkte Zurückweisung von Geflüchteten an der deutschen Grenze, sofern diese über einen sicheren Drittstaat einreisen, was angesichts der geographischen Lage Deutschlands fast immer der Fall ist. Da dies nur schwer mit EU-Recht vereinbar sein dürfte – das Land, aus dem ein Geflüchteter nach Deutschland einreisen möchte, ist nicht automatisch das Land, in der er/sie laut Dublinverordnung einen Antrag auf Asyl stellen müsste – hat Merz die Idee ins Spiel gebracht, eine nationale Notlage zu erklären, um die Umsetzung der Maßnahmen dennoch zu ermöglichen. Darüber hinaus möchten manche aus der Union wie etwa Alexander Throm (Innenpolitischer Fraktionssprecher) die Sozialleistungen für alle geduldeten Menschen kürzen, nicht nur für ausreisepflichtige Asylbewerber:innen.
Die Union erhöht dabei den Druck auf die Ampel, indem sie dieser einerseits eine Zusammenarbeit angeboten, der Parteivorsitzende Merz dieses Angebot aber zugleich mit der Forderung verbunden hat, unverzüglich mit der Zurückweisung von Geflüchteten an der deutschen Grenze zu beginnen. Ansonsten werde sich die Union einer Zusammenarbeit mit den Ampelparteien verweigern. Diese ist ihrerseits bemüht, ihre eigenen massiven Asylrechtsverschärfungen der letzten Monate als bereits unternommene Schritte in die richtige Richtung anzupreisen. Auch in Bezug auf das Bürgergeld drohen weitere Angriffe. Während die SPD bereits eine Nullrunde für das nächste Jahr angekündigt hat, geht das der FDP wiederum nicht weit genug. Diese fordert Kürzungen beim Bürgergeld.
An all dem wird deutlich, dass der Rechtsruck bereits jetzt zu massiven Angriffen auf die Rechte von Geflüchteten und Lohnabhängigen geführt hat – ganz ohne Regierungsbeteiligung der AfD. Mit den nächsten Wahlen in Brandenburg wird sich diese Dynamik sehr wahrscheinlich weiter fortsetzen.
Es reicht daher nicht aus, den Kampf gegen Rassismus auf den gegen die AfD zu beschränken.
Denn Kräfte wie das Bündnis Sahra Wagenknecht versuchen eine einfache Antwort auf die Debatte zu geben: Mehr soziale Sicherheit für die arbeitenden Deutschen, keine „Geschenke“ an Geflüchtete oder Bürgergeldempfänger:innen. Anders gesagt: mittels Rassismus und Sozialchauvinismus vertieft Wagenknecht die existierende Spaltung sowie Abstiegsängste und sorgt damit für einen Rechtsruck in der Sozialdemokratie, wie die Wähler:innenwanderung bei Europa- und Landtagswahlen zeigen.
Stattdessen ist ein gemeinsamer Kampf aller Lohnabhängigen und Unterdrückten notwendig, um den Rechtsruck zu stoppen und diesem eine fortschrittliche Perspektive entgegenzustellen. Die antirassistischen Kräfte müssen sich dringend neu formieren und unter Einbeziehung der Gewerkschaften und anderer Organisationen und Parteien der Arbeiter:innenklasse für Massenmobilisierungen auf den Straßen eintreten. Dabei sollten insbesondere die Verteidigung der Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen sowie der Sozialleistungen aller Lohnabhängigen im Mittelpunkt stehen. Diese Verbindung wird dabei wichtiger denn je und darf nicht nur auf abstrakter Ebene stattfinden, sondern muss sich in Kämpfen für konkrete Verbesserungen ausdrücken. Z. B. für einen höheren Mindestlohn und Mindesteinkommen für alle. Zu Betriebsversammlungen sollten beispielsweise auch Geflüchtete aktiv eingeladen werden zu sprechen und den Kampf mitzugestalten. Bei den kommenden Tarifrunden wie Metall/Elektro oder dem TVöD 2025, bei denen das Ziel sein muss, nicht nur den Reallohnverlust kleinzuhalten, sondern tatsächliche Lohnerhöhungen zu erstreiken. Vor allem aber müssen wir gegen aktuellen Angriffen mobil machen, den Kampf gegen alle Abschiebungen und für voll Staatsbürger:innenrechte für alle Geflüchteten und Migrant:innen führen. Um ein solche Perspektive in die Tat umsetzen, brauchen wir einen konkreten Plan, der auf der Aktionskonferenz von „Widersetzen“ im Leipzig beraten und beschlossen werden muss.