Stefan Katzer, Infomail 1258, 26. Juni 2024
Während im Gazastreifen mittlerweile sämtliche Universitäten durch Angriffe der israelischen Armee zerstört wurden, ist in Deutschland eine Diskussion über die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit entbrannt.
Auslöser hierfür war ein aus dem Bundesbildungsministerium stammendes Schreiben an die Leitung der Freien Universität Berlin. Darin wurde diese dazu aufgefordert, die Möglichkeit der Streichung von Fördermitteln für diejenigen Angestellten ihrer Universität zu prüfen, die sich in einem offenen Brief gegen einen Polizeieinsatz ausgesprochen hatten, der die Räumung eines Protestcamps in Solidarität mit Palästina durchsetzte.
Es zielte somit nicht auf die Protestierenden selbst, deren Freiheiten in den letzten Monaten mehrfach massiv eingeschränkt wurden, sondern auf angestellte Akademiker:innen, die in einem Schreiben das Recht auf friedlichen Protest verteidigten und ihre Universitätsleitung zum Dialog mit den Protestierenden aufforderten.
Von Beginn an wurden die Besetzer:innen dabei von der bürgerlichen Presse diffamiert und in die Nähe der Hamas gerückt, um sie und ihren Protest zu delegitimieren. Die Studierenden hatten sich davon aber nicht einschüchtern lassen und durch die Besetzung des Universitätsgeländes ein klares Zeichen des Protests gegen den israelischen Angriff auf Gaza gesetzt. Der herrschenden Klasse in Deutschland, die ihre Solidarität mit Israel zur Staatsräson erklärt hat, war dies selbstverständlich ein Dorn im Auge. Daher ließ sie das Camp mit Gewalt räumen.
Das Schreiben aus dem Bildungsministerium, das eine förderrechtliche Überprüfung vorsah, schien einigen bürgerlichen Oppositionspolitiker:innen dann aber doch etwas zu weit zu gehen. Während es bis dahin vollkommen unproblematisch schien, Demonstrationen, Organisationen und sogar genehmigte Kongresse zu verbieten, war mit der Reaktion auf das Schreiben an die Leitung der Freien Universität Berlin nun scheinbar die Grenze ungerechtfertigter Freiheitseinschränkungen überschritten. Wo diese von der Exekutive willkürlich gezogene Grenze genau verläuft, ist aufgrund der Beliebigkeit für den Einzelfall nicht vorherzusagen. Es stellt sich immer erst im Nachhinein heraus. Als bürgerliche Politiker:in konnte man in den letzten Monaten allerdings wenig falsch machen, wenn man mit den sprichwörtlichen Kanonen möglichst heftig auf alles geschossen hat, was auch nur im Entferntesten einem Spatz ähnlich sah. Die Gefahr, für ein vermeintlich zu lasches Vorgehen gegen angebliche Antisemit:innen abgestraft zu werden, war jedenfalls ungleich größer als das Risiko, für ein zu hartes Vorgehen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, zu welch weitreichenden Freiheitseinschränkungen etwa Bundesinnenministerin Nancy Faeser im April diesen Jahres griff, um gegen vermeintlichen Antisemitismus vorzugehen. Vollkommen rechtswidrig und allein mit der Gewalt der organisierten Staatsmacht im Rücken, schwang sich die SPD-Politikerin dazu auf, einen genehmigten Kongress in Berlin zu verhindern, auf dem sich Menschen über Möglichkeiten der Überwindung von Apartheid und Unterdrückung austauschen und die deutsche Regierung für ihre Komplizenschaft mit der israelischen Regierung zur Rechenschaft ziehen wollten.
Mit einem massiven Polizeiaufgebot verhinderte die Ministerin letztlich einen Kongress, der zuvor gerichtlich explizit genehmigt wurde. Obwohl es keine vernünftigen Begründungen dafür gab und dieser dennoch verhindert wurde, ist Nancy Faeser bis heute im Amt. Von der gleichen bürgerlichen Öffentlichkeit, die sich auf ihre vermeintliche Treue zum Rechtsstaat gerne etwas einbildet, wurde ihr Vorgehen in weiten Teilen begrüßt und gebilligt.
Wer hätte also ahnen können, dass ein „läppischer“ Brief an eine Unileitung Rücktrittsforderungen seitens der Opposition nach sich zieht – einer Opposition zumal, die in den letzten Monaten selbst immer wieder als Taktgeberin im Konzert der Repression in Erscheinung trat?
Die unterschiedlichen Bewertungen haben dabei sicherlich auch etwas mit dem Status der von den repressiven Maßnahmen Betroffenen zu tun. Schließlich handelt es sich im aktuellen Fall um angestellte Akademiker:innen – und nicht um den „protestierenden Pöbel“, den sich die wiederum gleiche bürgerliche Öffentlichkeit in den letzten Monaten mithilfe rassistischer Projektionen zum bevorzugten Objekt bürgerlicher Repressionsorgien zurechtimaginiert hatte. Zum anderen scheint die Opposition mit dem Schreiben aus dem Bildungsministerium aber auch eine willkommene Gelegenheit gefunden zu haben, die Ampel weiter vor sich her- und womöglich sogar auseinanderzutreiben.
Der Druck auf die verantwortliche Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die behauptete, nicht selbst für das Schreiben aus ihrem Ministerium verantwortlich zu sein, wurde nun jedenfalls so groß, dass diese sich dazu genötigt sah, ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, um ihre eigene Haut zu retten. Ob sie damit durchkommt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar. In dieser Woche muss sich die Ministerin noch vor dem Forschungsausschuss des Bundestages sowie bei der Regierungsbefragung im Parlament für ihr Handeln rechtfertigen. Feststeht: Die Staatssekretärin geriet zum Bäuerinnenopfer im Schachspiel um die Staatsräson. Diese ideologische Giftküche kennt keine Gnade selbst in ihren unteren Rängen, dem Bundesbildungsministerium mit Stark-Watzinger als ideologischer Chefköchin.
Auch wenn nicht klar ist, wie dies für die Ministerin ausgehen wird, steht vollkommen fest, dass die Repression gegenüber fortschrittlichen Bewegungen nicht aufhören wird, solange der bürgerliche Staat und die Repressionsorgane, die ihn schützen, weiter existieren. Es geht somit nicht um den Rücktritt einzelner Politiker:innen, sondern um den Kampf gegen diese gigantische Repressionsmaschinerie und den Imperialismus weltweit!