Arbeiter:innenmacht

Ein nächster Angriff auf die Palästinasolidarität: Geraldine Rauch unter Beschuss

Oda Lux, Infomail 1255, 5. Juni 2024

Ein Eklat geht durch die Berliner Hochschullandschaft: Auf X, vormalig Twitter, hat Geraldine Rauch, Präsidentin der TU Berlin, mehrere palästinasolidarische Beiträge für gut befunden. Die Bildsprache ist in Teilen fraglich, aber allem voran ein gefundenes und gesuchtes Fressen für jene, die sie schon seit einer Weile loswerden wollten. Dass sie nicht genauer hingeschaut hat, wird ihr nun zum Verhängnis. So distanzierte sich das restliche TU-Präsidium von ihr und diesen Mittwoch berät der Erweiterte Akademische Senat (EAS) der TU Berlin sogar über ihren Rücktritt.

Doch während der FU-Präsident sich bis heute nicht zu der massiven Polizeigewalt dort äußerte oder gar Fehler eingestehen musste, gibt es bisher ganze drei Statements auf der Website der TU und eine mediale Debatte. Dies zeigt klar:  Hier geht es um mehr. Denn schon seit Anbeginn ihres Amtes stand Geraldine Rauch mit dem Rücken zur Wand. Man wirft ihr neben Antisemitismus ebenso vor, den Ruf der TU Berlin geschädigt zu haben. Man muss hier zynisch nachfragen, was wohl als verwerflicher angesehen wird. Doch im Wesentlichen handelt es sich um eine politische Hexenjagd der deutschen Staatsräson. Aber worum geht es genau?

Was bisher geschah

Rauch „likete“ auf ihrem privaten X-Account Posts, ein Foto von einem Propalästinaprotest in Istanbul. Nicht direkt im Zentrum des Bildes, aber auch mit dabei: ein Mann mit einem Schild, auf dem Benjamin Netanjahu mit Hakenkreuz zu sehen ist und man von Völkermord sowie Kriegsverbrechen spricht.

Dieses Bild soll nun als Beweis für die Verharmlosung des Antisemitismus durch die TU-Präsidentin herhalten. Die Gleichsetzung von Nazifaschismus mit Zionismus ist politisch sicherlich fragwürdig und analytisch falsch, zumal das Bild – insbesondere in der deutschen Debatte – auch als antisemitisch und NS-Verharmlosung gelesen werden kann.

Die Schoa, die systematische industrielle Massenvernichtung von Juden und Jüdinnen, stellt ebenso wie der Samudaripen (Massenmord) an den Sint:izze, Rom:nja, ein in der Geschichte des Imperialismus bisher einzigartiges geschichtliches Verbrechen dar. Doch unter zur deutschen Staatsräson erhobenen bedingungslosen Solidarität mit Israel verkehrt sich die daraus erwachsende Verpflichtung, gegen alle anderen Pogrome, Völkermorde oder barbarische Kriegsverbrechen anzukämpfen, ins Gegenteil. Das Anprangern der Verbrechen der israelischen Regierung und der Armee wird als problematisch, verharmlosend, wenn nicht gar antisemitisch diffamiert.

Als Reaktion auf die öffentliche „Kritik“, genauer Hetze, hat Rauch ein längeres Statement herausgegeben, in dem sie sich entschuldigte. Doch das ist nicht alles: Die Präsidentin der Technischen Universität Berlins hat zudem auch einen Beitrag „geliket“, der den Krieg Israels gegen Gaza als Genozid benennt. Und das ist ihr eigentliches „Verbrechen“, das macht sie in den Augen der Bundesregierung und des Berliner Senats „untragbar“, denn diese Äußerung steht im Widerspruch zu den geostrategischen Zielen des deutschen Imperialismus. Daher soll sie aus dem Amt gejagt, politisch und moralisch  diskreditiert werden.

Rauch als Antisemitin?

Dass Rauch sich in erster Linie gegen den Krieg und die Rolle des Kabinetts Netanjahu 6 stellte – und das wird sowohl als das Ansehen der TU schädigend wie potentiell von Scholz betrachtet –, spricht für sie. In zweiter Linie war sicherlich Rauchs Unachtsamkeit, insbesondere aus ihrem Amt heraus, ein Fehler. Die Gleichsetzung des israelischen Premiers mit dem deutschen Faschismus, symbolisiert durch das Hakenkreuz, kann von der jüdischen Bevölkerung als antisemitischer Affront aufgefasst werden. Dafür entschuldigte sie sich nun jedoch ausführlich, hält aber an ihren Gedanken an die Menschen in Gaza fest.

Denn wenn man: „Nie wieder ist jetzt!“ tatsächlich mit Leben füllen will, so muss man gegen Menschenhass und Kriegsverbrechen eintreten, bevor eine ganze Bevölkerung ausgelöscht wird. Wenn ein weitaus überlegenes Militär Zivilist:innen – mal abgesehen beispielsweise von den noch verbliebenen Hamas-Einheiten, die nicht ansatzweise über solche militärische Macht verfügen wie die IDF – seit Monaten bombardiert, Flucht unmöglich gemacht worden ist und man zusätzlich die Menschen aushungern lässt, wie soll man es anders nennen als Genozid?

Das unterstreicht auch der Antisemitismusbeauftragte der TU hierzu: „Die weiteren Posts, in denen die Begriffe ‚Völkermord’ (Tweet von B. L. vom 15.5.2024) und ‚Kriegsverbrecher’ (Tweet von R. am 22.5.2024) vorkommen, sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht per se antisemitisch (vgl. „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“). Derzeit wird in Gerichtsverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (seit Dez. 2023) bzw. vor dem Internationalen Strafgerichtshof (seit 20.5.2024) der Vorwurf des Völkermords und der Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg in Israel und Gaza verhandelt. Grundsätzlich bleibt es daher eine legitime Meinungsäußerung, diese Begriffe für die gegenwärtige Kriegssituation zu verwenden. Zugleich kann ich als Antisemitismusforscher nachvollziehen, dass Juden und Jüdinnen und insbesondere Israelis die Nutzung dieser Begriffe als höchst problematisch, feindselig und verletzend empfinden.“

Rauchs politisches Profil: kein Muster für die Staatsräson

Geraldine Rauch ist sicherlich keine politisch Oppositionelle, sondern entstammt eigentlich der bürgerlich-demokratischen Intelligenz. Sie ist Teil des Zukunftsrats sowie als Teil dessen im erweiterten Beratungskreises des Bundeskanzlers. Sie ist diejenige, die nicht der Linie des Regierenden Berliner Bürgermeisters Wegner folgt, alles gleich niederzuprügeln; die, die es noch wagt auszusprechen, dass das, was in Gaza passiert, ein barbarisches Verbrechen ist. Das macht noch keine Revolutionär:in aus ihr, allerdings steht sie selbst mit diesen minimalen Vorstößen allein da.

Gleichzeitig wird Rauch nun nochmals besondere Aufmerksamkeit durch die Bundesregierung zuteil, was es wahrscheinlicher macht, dass man sie politisch beiseiteschaffen möchte. Der Zentralrat der Jüd:innen in Deutschland betitelt Rauchs Entschuldigung als unglaubwürdig. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schaltete sich wie auch bei der FU-Besetzung ein und warf Rauch indirekt „Juden- und Israelhass“ vor.

Und so kommen wieder Anweisungen und Einordnung von ganz oben. Wieder greift man in die sonst so wichtige „Hochschulautonomie“ ein. Wieder kommt es von jenen Parteien, die sich sonst eher mit ihrer rassistischen Politik hervortun und noch im letzten Jahr Antidiskriminierungsprojekte, so auch Beratungs- und Aufklärungsstellen zu Antisemitismus, den Hahn zudrehen wollten. Besonders überzeugend sind die Wegners und Stark-Watzingers nicht. Im Gegenteil: Es gehört zur deutschen Staatsräson, Nachsicht mit den Jugendsünden von Leuten wie Hubert Aiwanger zu üben, mit Meloni und Orbán zu paktieren – solange die imperialistischen Interessen im Nahen Osten mit aller, teilweise direkt absurd-irrationalen Härte verfolgt werden.

Ob TU, HU oder FU: Kampf der autoritären Uni und dem Rechtsruck!

An mehreren Berliner Universitäten haben wir nun gesehen, wie sie mit Protest in Zeiten der autoritären Wende als verlängerter Arm der Herrschenden agieren. In der Trias FU, HU, TU ist die TU noch am kulantesten, was Verhalten gegenüber Protesten angeht. Diesen Status müssen wir verteidigen. Daher stehen wir an der Seite Geraldine Rauchs, nicht als Professorin oder Präsidentin, sondern weil sie bisher diese demokratischen Rechte bewahrt und der Angriff nichts mit Antisemitismus zu tun hat, sondern letztlich der gesamten antizionistischen Bewegung seitens proimperialistischer Kräfte gilt. Jedem Angriff auf demokratische Rechte muss entgegengetreten werden.

Anhand ihres Handelns kauft man Rauch noch am ehesten ihren gefühlslinken und studierendenfreundlichen Kurs ab. So äußerte sie sich vor einigen Wochen bei einer öffentlichen Veranstaltung gegen die geplanten Zwangsexmatrikulationen. Geraldine Rauch galt in vielen Fällen bspw. der EndFossil-Hörsaalbesetzung vom 17. November 2022 und auch jetzt bei den Protesten als tendenziell studierendenfreundlich oder zumindest nach Dialog suchend. Auch aus ihren Sympathien zur Palästinasolidarität machte sie keinen Hehl. Wenn sie am heutigen, 5. Juni, abgewählt werden sollte, ist es wahrscheinlich, dass die TU Berlin eine wesentlich rechtere Führung erhält. Ebenso würden wir im Kampf gegen Zwangsexmatrikulation die einzige Verteidigung unter den Hochschulleitungen verlieren. Doch wir können nicht auf heilsbringende Führungspersonen hoffen, es braucht eine politische Perspektive von unten!

Was für eine Uni brauchen wir?

Eine jetzt noch wohlwollende Präsidentin nützt wenig, vor allem wenn sie hinter sich niemand und vor sich nur Gegner:innen hat. Ob sie abtritt oder nicht, sollte nicht ein Gremium entscheiden, in dem Professor:innen die Mehrheit stellen. Durch wen wollen wir eine Abwählbarkeit und durch wen nicht? Der Akademische Senat (AS) ist getrieben von politischen Verhältnissen in Deutschland. Unter den Studierenden und Beschäftigten gibt es hier keine demokratische Debatte oder ein umfassendes Abwählgesuch. Der AS ist nicht Ausdruck einer lebendigen akademischen Selbstverwaltung, sondern deren undemokratischer Struktur, die einem Ständewahlrecht deutlicher entspricht als gar einem allgemeinen bürgerlichen Parlament, geschweige denn einer Rätedemokratie.

Hier ein Beispiel, wie das Ständewahlrecht im AS aussieht, in Wahlbeteiligungen nach Statusgruppen (Aktuelle Zahlen aus seiner Wahl 2024): Hochschullehrer:innen: 47,5 %; Akademische Mitarbeiter:innen: 18,5 %; Studierende: 3,4 %; Mitarbeiter:innen in Technik, Service und Verwaltung: 26,1 %.

In der akademischen Verwaltung halten i. d. R. Hochschullehrer:innen eine absolute Mehrheit, die nicht durch ein Bündnis von allen anderen Statusgruppen durchbrochen werden kann. Und das Präsidium hat dabei eine weitere zusätzliche Stimme, die überdies Veränderungen am Status quo verhindern könnte. Stattdessen kämpfen wir für eine jederzeit wähl- und abwählbare Lehr- und Lerngemeinschaft unter Führung der Studierenden und Beschäftigten. Organisiert euch!

Dass dies notwendig ist, wird vor allem auch klar, wenn man sich Auszüge aus ihrem Rettungsstatement anschaut, da dieses bereits eine Distanzierung von den Studierenden andeutet:

„Ich habe mit viel Geduld versucht, den Dialog auf dem Campus zu führen und zu erhalten. Auch weiterhin werden Studierende, die mich um Hilfe oder ein Gespräch bitten, auf mich zählen können. Leider haben wir gerade erlebt, dass manche studentischen Proteste nicht friedlich bleiben und sich nicht von Antisemitismus abgrenzen. Ich wünsche mir ausdrücklich, dass es nicht zu Besetzungen kommt und wir in einen friedlichen Diskurs gehen, für den ich jederzeit offen bin. Sollte es zu einer Besetzung, ähnlich wie an der HU Berlin, kommen, werde ich entsprechend handeln.“

Selbst wenn sie bleiben sollte, so ist ihre Reaktion auf die Angriffe als „Richtungskorrektur“ zu werten, anhand derer sie bereits im Vorfeld klarmacht, sich in den Kanon der Räumer:innen einzuordnen, sollte es zu Aktionen wie Besetzungen kommen, die Unibetrieb und Öffentlichkeit deutlicher treffen, als es einzelne Kundgebungen auf dem Campus tun. Unabhängig davon, gilt es unmittelbar, die Absetzung Geraldine Rauchs durch die rechten, proimperialistischen akademischen Gefolgsleute von Wegner und Co. zu verhindern. Vor allem aber müssen wir zugleich den Aufbau der Palästinasolidarität an den Universitäten, aber auch in der Gesellschaft und vor allem in den Betrieben und Gewerkschaften vorantreiben.

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