Bruno Tesch, Neue Internationale 280, Februar 2024
Nach der Einigung bis Jahresende 2023 für Budgetkürzungen im kommenden Etatjahr hat das Regierungskabinett aus SPD, Grünen und FDP sich am 8.1.2024 darauf verständigt, diese Einsparvorschläge dem Bundestag zur endgültigen Verabschiedung vorzulegen. Abstriche vom ursprünglichen Entwurf waren notwendig geworden, weil nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine Finanzlücke von rund 30 Milliarden Euro im Kernhaushalt, entstanden durch die als Unrecht erkannte Umwidmung aus dem Klima- und Transformationsfonds, aufzufüllen ist.
Zu den gewichtigsten Posten im Sparpaket zählen Schritte zum sektoralen Subventionsabbau, branchenweise steuerliche Aufschläge und Zuschusskürzungen allgemeinerer Art.
Doch gleich die ersten dieser Pflöcke zur Subventionseinschränkung, der Wegfall der Befreiung von der Kfz-Steuer bzw. Stützung von Dieselkraftstoffen im Agrarbereich wurden vom furiosen Proteststurm von Bauern und Bäuerinnen im Verein mit Speditionsunternehmer:innen und anderen Mittelschichten aus der Verankerung gerissen. Sie wurden eilends entweder ganz zurückgenommen oder stufenweise zeitlich gestreckt, wobei auch hier das letzte Wort noch nicht gefallen sein mag.
Weitere Bemühungen zur fiskalischen Defizitdeckung betreffen z. B. die Einführung höherer Ticketsteuern auf Abflüge von deutschen Flughäfen. Je nach Endziel der Reise können sie um ein Fünftel auf 15,53 bis 70,85 Euro pro Passagier:in steigen. Zwar werden direkt damit die Fluggesellschaften belastet, doch die können und werden ihren Kund:innen diese Aufschläge als Fluggepäck aufbürden, damit die Unternehmen nur ein Luftpolster zu tragen haben.
Die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer, die als Erleichterung während der Pandemie in der Gastronomiebranche auf 7 % abgesenkt worden war, wird mit Preiserhöhungen einhergehen, deren Zeche die Restaurationsgäste, aber auch das ohnehin ausgedünnte Personal mit Entlassungen zu begleichen haben werden.
Von größerer Tragweite, wenn auch weniger in finanzieller Hinsicht, sind die Änderungen, die an die Zahlungen des Bürger:innengeldes geknüpft werden sollen. Es war als Errungenschaft der Ampelkoalition Ende 2022 gesetzlich verankert worden und sah gegenüber der alten Arbeitslosengeld II-Regelung u. a. vor:
Außerdem wurden im Zusammenhang damit ab Juli 2023 Teilnahmeboni an beruflichen Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen genehmigt. Schüler:innen, Studierende und Auszubildende können bis zur Minijob-Einkunftsgrenze (520 Euro im Monat) anrechnungsfrei hinzuverdienen.
Nun jedoch folgt die Kehrtwende. Jobcenter sollen das Bürger:innengeld für 2 Monate ganz streichen können, obwohl dies 2019 vom Bundesverfassungsgericht untersagt wurde! Nur der Bonus für einen Abschluss soll bestehen bleiben, jener für eine einfache berufliche Weiterbildung, also der Regelfall, entfällt.
Insbesondere die SPD zeigt, was von ihren Versprechungen auf dem Parteitag im Dezember, ihr soziales Profil zu schärfen, wirklich zu halten ist. Die neuen Entwürfe zum Bürger:innengeld kamen aus dem Ressort des Ministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil.
Handelte sich die Regierung mit ihren Vorschlägen zu den Subventionskürzungen noch harsche Kritik der rechten Oppositionsparteien ein, riefen die Verschärfungen bei der Vergabe des Bürger:innengeldes beifälliges Nicken von rechts hervor. Denen gehen die Einschränkungen immer noch nicht weit genug.
Besonders fatal ist auch der Zusammenhang mit dem Vorstoß vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der das Bürger:innengeld für ukrainische Flüchtlinge für einen Fehler hält. Zuvor lieferten jedoch schon Aussagen aus dem Innenministerium um die Sozialdemokratin Nancy Faeser Zündstoff, die die verstärkte und an Vorleistungen geknüpfte Arbeitsaufnahme von Ukrainer:innen anmahnte.
Hier erhält diese Frage zusätzlich eine eindeutig rassistische und antimigrantische Komponente und enthüllt die öffentliche Aufregung um die aufgedeckten Remigrationsplanspiele von AfD und offen rechtsextremen Gruppierungen als absoluten Hohn auf die humanistische Heuchelei der „Parteien der Mitte“. Es fehlt eigentlich nur noch, dass die Idee einer Rückführung der Ukrainer:innen in ihre Heimat als „sicheres Herkunftsland“ laut wird!
Ein weiterer Bereich, der von der Einspardebatte betroffen ist, erstreckt sich auf die Altenpflege. Der Eigenanteil an der Heimunterbringung für Pflegebedürftige – er beträgt in Summe derzeit 2.576 Euro monatlich – hat sich per Gesetz gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um 238 Euro erhöht und steigt jedes folgende Jahr degressiv an. Zwar schießt der Bund ab 1.1.2024 Geld zu, so stuft sich der Eigenanteil über einen längeren Pflegezeitraum um etwa jeweils 5 Prozentpunkte herab, doch andere Faktoren setzen unter die Gesamtrechnung wiederum ein Minus.
Die Pflegeversicherung trägt nur einen Teil der Kosten. Für Heimbewohner:innen kommen noch Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen hinzu. Als unausweichliche Folge stellt sich die immer stärkere Verlagerung der Pflege in den häuslichen Bereich durch Angehörige ein. Mit leichter Hand werden hingegen Honorarordnungen für niedergelassene Arztpraxen und Apotheken heraufgesetzt. Solche Reformen reihen sich in eine Gesundheitspolitik ein, die das allgemeinen Wohl längst aus den Augen verloren hat.
Ein besonders perfider, weil schleichender Angriff auf Arbeiter:inneninteressen manifestiert sich in den Plänen zur Steigerung der Rentenbeiträge. Mehr als alle anderen Haushaltsposten ist das staatliche garantierte Rentensystem in Deutschland ein Eckpfeiler in den Etatberechnungen jeder Regierung. Die gesetzliche Altersrente ist als Teil eines Gesamtsozialsystems eng auf die anderen elementaren Sozialversicherungsbereiche der Kranken- und Arbeitslosenversicherung abgestimmt. Die Leistungen in einem Sektor haben Einfluss auf die gesetzlichen Zahlungen in anderen.
Die Renten orientieren sich an den durchschnittlichen Tariflöhnen, deren Höhe allerdings von der Kampfkraft der Arbeiter:innenklasse abhängt und nicht in staatliche Kompetenz fällt. Der bürgerliche Staat kann zwar Mindestlöhne gesetzlich festlegen, doch verfügt er über keine Instrumentarien zur Kontrolle über deren Einhaltung. Durch Ausweitung prekärer Bereiche, Veränderung von Arbeitsbedingungen und Schlupflöcher zur Befreiung von Sozialleistungen usw. genießen die Unternehmen ständig staatlich gedeckte Vorteile in der Ausbeutung von Arbeitskraft, die sich in der reinen Lohnstatistik nicht niederschlagen.
Mit der Wiedervereinigung ergab sich eine zusätzliche Problematik, die Ost- an die Westrenten anzugleichen und innerhalb dessen auch die Schlechterstellung der Renten von Frauen zu berücksichtigen.
So ist eine vergleichende Berechnung von Löhnen und Renten mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Dies umso mehr, da die Löhne mit der 2021 einsetzenden sprunghaften Preisinflation nicht mehr Schritt hielten. Ein eklatanter Reallohnverlust trat zu Tage, dem die Arbeiter:innenbewegung in verschiedenen Tarifrunden erst ab Mitte 2022 hinterherlaufen musste. Da sich die Inflationsrate 2023 wieder abschwächte, kam die „taz“ zu dem irrigen Schluss, die vergleichsweise hohen Abschlüsse in einigen Branchen hätten den Reallohnverlust aktuell wieder ausgeglichen, während die „Wirtschaftswoche“ für das 3. Quartal 2023 etwas realistischer feststellen musste, dass zwar die Spitzengehälter gestiegen seien, in der Fläche aber die allgemeinen Lohnsteigerungen den Reallohnverlust noch nicht wettmachen konnten.
Dies gilt erst recht für die Rentenanpassungen. Sie hinken seit 2021 der Inflation hinterher und da ihre Veränderungen nicht dem Klassenkampfrhythmus unterliegen, d. h. keine raschen Steigerungen zulassen, fielen sie stärker noch als die Löhne hinter den inflationären Preisauftrieb zurück. 2022 stiegen sie im Westen um 5,35 % und im Osten um 6,12 %. Die offizielle Inflationsrate lag im gleichen Zeitraum bei 6,9 %. Im Juli 2023 wurden die Rentenzuwächse auf 4,39 % und die der Ostrente auf 5,86 % abgesenkt.
Zum Ausgleich von Finanzierungsbeteiligungen des Bundes 2020 und 2021 soll die Bundesagentur für Arbeit 2024 und 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro, für die Jahre 2026 und 2027 nochmal 1,1 Milliarden an den Bund zurückzahlen. Der Bund will seinerseits Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Jahre 2024 bis 2027 um jeweils 600 Millionen Euro kürzen. Das hört sich, zumal heutzutage nur noch nach Milliarden gezählt wird, nicht nach viel an, hat aber eine um so stärkere Signalwirkung.
„Der Bund steht nicht zu seinem Finanzierungsanteil und bedient sich stattdessen bei der Rentenversicherung und dadurch wird die Reserve der Rentenkasse aufgebraucht“, monierte die Deutsche Rentenversicherung in einer Stellungnahme. Eine Destabilisierung und Aushebelung der gesetzlichen Altersrentensysteme und eine Abdrängung in private Vorsorgeformen, die von Wirtschaftsliberalen favorisierte Aktienrente, droht.
Der Bundeshaushalt 2024 soll Ende Januar vom Bundestag beschlossen werden. Vorher soll der Haushaltsausschuss Mitte Januar über die Änderungen abstimmen.
Der gesellschaftspolitische Wind pfeift steif von rechts. Die Arbeiter:innenbewegung muss sIch warm anziehen und sich neue gemeinsame Kampfziele gegen die arbeiter:innenfeindlichen Pläne setzen.