Paul Neumann, Infomail 1187, 5. Mai 2022
Einem besonders aufmerksamen Journalisten der „Jerusalem Post“ ist 2018 aufgefallen, dass israelfeindliche Organisationen, die die BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) gegen Israel unterstützen, wie das Palästinakomitee Stuttgart (Pako), auf der von der örtlichen Kommune, hier der Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) betriebenen Website ihre Veranstaltungen kundtun dürfen. Die Stadt betreibe damit indirekt Werbung für die BDS-Kampagne. Das fand der Redakteur aus Jerusalem unerträglich und mobilisierte seine israelfreundlichen Unterstützer:innen wie die DIG (Deutsch-Israelische-Gesellschaft e. V.) und die Stuttgarter AfD, um bei den lokalen Oberen Protest einzulegen mit dem Ziel, das PaKo von dieser Website zu entfernen. Die christdemokratischen Stadtoberen zuckten sogleich zusammen. Schließlich wollten sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, „antisemitisch“ zu sein, und strichen das Pako Stuttgart kurzerhand von der Website als unterstützungswürdige Organisation.
Das hatte weitreichende Folgen für die Arbeit des Stuttgarter Pako. Räume für Veranstaltungen wurden kaum noch zur Verfügung gestellt (Ausnahme AWO Stuttgart) und die Bankkonten des Pako bei der BW-Bank wurde ebenfalls gekündigt. Zudem wurde es unter dem Druck der Israelfreund:innen massiv verleumdet und in die antisemitische Ecke gedrückt.
Nachdem das Pako vergeblich eine Begründung und einen rechtsmittelfähigen Bescheid von der Stadt eingefordert hatte, klagte es nach fast zwei Jahren des Wartens gegen die Stadt wegen Untätigkeit in der Sache. Nach Eingang der Klage bemüßigte sich die Stadt schließlich, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu senden, in dem die Streichung von der Website mit der Unterstützung der BDS-Bewegung durch das Pako begründet wurde.
Die LHS berief sich auf ihre „Antidiskriminierungserklärung“ von 2019. Danach lehne die Stadt jede Form von „Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Antisemitismus, Ausgrenzung und Rassismus“ ab. Außerdem bezog sie sich auf eine Resolution des Deutschen Bundestags von 2019. Darin werden alle Kommunen aufgefordert, keine Räume und Ressourcen an Gruppen zu vergeben, die die BDS-Kampagne unterstützen. Die Israelboykottkampagne sei antisemitisch, weil sie teilweise das Existenzrecht Israels infrage stelle.
Am 21.04.2022 fand nun vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart die Verhandlung in der Sache statt (Az.: 7 K 3169/21). Die einbestellte bewaffnete Justizsicherungsgruppe, die vom Gericht in der Erwartung massiverer Proteste im Gerichtsgebäude angefordert war, wurde in Anbetracht von ca. 20 Zuschauer:innen älteren Semesters im Saal von der Vorsitzenden Richterin gleich zu Beginn der Verhandlung wieder entlassen.
Ein beisitzender Richter erläuterte trocken die Rechtslage: Die Klage des Pako ist zulässig. Der Weg über das Widerspruchsverfahren gegen den verspätet erlassenen Bescheid braucht der Kläger nicht zu gehen, da er die rechtlich angemessene Frist überschritten hat.
Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme in die E-Mail-Liste der LHS. Diese ist eine „öffentliche Einrichtung“. Nach einem neueren Urteil des BGH darf keine „Inhaltsprüfung“ als Vorbedingung zur Aufnahme in eine „öffentliche Einrichtung“. stattfinden. Es gilt hier die Meinungsfreiheit des Grundgesetz. Ausgenommen von der Meinungsfreiheit sind lediglich durch Gesetz festgelegte Inhalte wie z. B. die Leugnung des Holocaust.
Den von der LHS angeführten Begründungen mangelt es an einer Rechtsgrundlage. Die Beschlüsse des Landtags Baden-Württemberg wie des Bundestages zu der BDS-Kampagne sind lediglich Meinungsäußerungen. „Dabei ist es nach der Auffassung der Kammer irrelevant, ob die BDS-Kampagne, die der Kläger unterstütze, antiisraelisch oder antisemitisch sei. Denn die Meinungsfreiheit, auf die sich der Kläger berufen könne, schütze auch antiisraelische und antisemitische Auffassungen. Ein Gesetz, das es der Beklagten erlauben würde, die Aufnahme der Kontaktdaten des Klägers auf ihre Webseite abzulehnen, weil der Kläger die BDS-Kampagne unterstütze, gebe es nicht. Ein derartiges Gesetz wäre wegen eines Verstoßes gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit voraussichtlich zudem verfassungswidrig.“ (Presseerklärung VG Stgt. v. 22.04.22)
Doch das kann sich schnell ändern. „Die Grenze für einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit wäre erst dann erreicht, wenn die betreffenden Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-Richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen würden. Dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren würden.“ (ebd.)
Wer also nicht nur eine folgenlose „Meinung“ in seinem Hirn ventiliert, sondern diese politisch umsetzen, also die „ geistige Sphäre“ des „Für-Richtig-Haltens“ verlassen will, etwa indem er/sie den Boykott organisiert, läuft schnell Gefahr, sich den Vorwurf einzuhandeln, das heilige „Rechtsgut“ Privateigentum zu verletzen. „Gefährdungslagen“ und andere Störungen des „öffentlichen Friedens“ sind bei Bedarf und Interesse leicht anzunehmen. Aber noch sieht das Gericht „diese hohe Schwelle für eine Ermächtigung zu Eingriffen in das Grundrecht der Meinungsfreiheit (…) durch die Unterstützung des Klägers für die BDS-Kampagne ersichtlich nicht erreicht.“ (ebd.)
Der Rechtsstaat kennt seine Pappenheimer:innen und erhebt vorsorglich den Zeigefinger. Aber mehr war vorerst auch nicht zu erwarten. Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zu.
In der zweiten Angelegenheit, der Kündigung der Konten durch die BW-Bank, wurde am 26.04.2022 vor dem Landgericht Stuttgart im Eilverfahren (AZ.: 46 O 237/22 ) entschieden, dass die Kontokündigung gegen das Palästinakomitee Stuttgart unwirksam ist. Die BW-Bank sei eine Einrichtung des öffentlichen Rechts und solle die Grundversorgung der Bevölkerung in der Geldversorgung sicherstellen. Ein befürchteter Reputationsschaden sei kein sachlicher Kündigungsgrund.
Insgesamt ist mit den (vorläufigen) Urteilen die Arbeitsfähigkeit des Pako (vorerst) wieder hergestellt. Dem aggressiven Vorgehen der zionistischen Israelfreund:innen dürfte es in Zukunft deutschlandweit schwerer fallen, die BDS-Kampagne juristisch zu bekämpfen. Der juristische Teilerfolg vor den Gerichten darf zugleich nicht überschätzt werden.
Seit Jahren versuchen Parlamente, Behörden und Sicherheitskräfte, die demokratischen Rechte nicht nur der BDS-Kampagne, sondern jeder Form von Palästinasolidarität zu bescheiden. Die Unterstützung des israelischen Staates und seiner Funktion als Vorposten des Imperialismus im Nahen Osten gehört schließlich zur Staatsräson, die auf allen seinen Ebenen und auch von Banken wie der BWB umgesetzt wird, selbst wenn die Rechtsgrundlage dafür (noch) fehlt.
Wie das Verbot aller Demonstrationen in Solidarität mit Palästina in Berlin vor dem Ersten Mai gezeigt hat, müssen wir mit weiteren Anschlägen auf die Versammlungsfreiheit rechnen.
So richtig und wichtig es ist, gegen solche auch juristisch vorzugehen, so sollten wir keine Illusionen darin hegen, dass diese Spielräume nicht weiter eingeschränkt werden können. Dagegen helfen letztlich nur die Unterstützung der Palästinasolidarität und der politische Kampf gegen die Unterdrückung und deren Unterstützung durch den deutschen Imperialismus.