Andy Yorke, Infomail 1182, 16. März 2022
Die „Antiimpfbewegung“ nahm Anfang des Jahres mit dem Start des „Freiheitskonvois“ in Kanada eine neue Wendung, ausgelöst durch eine neue gesetzliche Verpflichtung, die ungeimpfte Frächter:innen (weniger als 15 Prozent) ab dem 15. Januar für zwei Wochen in Quarantäne stellte.
Die liberale Regierung von Justin Trudeau sah sich zum Handeln gezwungen, da in den ersten 40 Tagen von Omikron mehr Fälle auftraten als im gesamten Jahr 2020, eine Rekordzahl von Krankenhausaufenthalten zu verzeichnen war und die Zahl der Todesfälle stark anstieg.
Weniger als eine Woche später machte sich ein „Freiheitskonvoi“ von Antiimpf-Trucker:innen von Vancouver an der Westküste Kanadas aus auf den Weg in die Hauptstadt Ottawa, um das Parlament zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben war. Als der Konvoi nach Osten fuhr, kamen Unterstützung und Geld herein, mit 5,5 Millionen Dollar an Solispenden. Die Bewegung entwickelte sich zu einem Protest gegen alle Beschränkungen wegen Covid oder, für einige, zum Sturz der Regierung Trudeau.
Bis zu 3.000 Schwerlaster und andere Fahrzeuge sowie 15.000 Demonstrant:innen legten Ottawa ab dem 28. Januar lahm, bevor sich Hunderte von Lastwagen und ihre Anhänger:innen niederließen, um das Parlament für die nächsten drei Wochen zu umzingeln.
Die Bewegung blockierte auch mehrere Grenzübergänge, wobei sich zu den Lastwagenfahrer:innen ebenfalls die Traktoren, Kleinlastwagen und Autos der UnterstützerInnen gesellten. Sechs Tage lang war die Ambassadorbrücke zwischen Kanada und Detroit (USA) blockiert, über die ein Viertel des gesamten Güterverkehrs zwischen den beiden Ländern im Wert von bis zu 400 Millionen Dollar pro Tag abgewickelt wird.
Unter dem massiven Druck der Wirtschaft berief sich Trudeau am 14. Februar auf das Notstandsgesetz, das es der Polizei erlaubt, Protestler:innen zu verhaften, Geld- und Haftstrafen zu verhängen, LKW-Fahrerlizenzen auszusetzen und Fahrzeuge zu beschlagnahmen sowie Bankkonten von Einzelpersonen und Einlagen aus Finanzierungskampagnen einzufrieren. Am 18. Februar fand in Ottawa eine groß angelegte Polizeiaktion statt, bei der mindestens 191 Personen verhaftet und zahlreiche Fahrzeuge abgeschleppt und beschlagnahmt wurden.
Sozialist:innen sollten repressive Gesetze oder deren Anwendung durch den kapitalistischen Staat nicht unterstützen, da diese immer mit zehnmal mehr Gewalt gegen die Linke eingesetzt werden. Aber in Wirklichkeit ermutigte das sanfte Vorgehen der örtlichen Polizei gegen die Trucker:innen, wobei einige Polizist:innen offen mit ihrer Sache sympathisierten, den Protest, während die Regierung wochenlang nichts unternahm.
Und das, obwohl Umfragen zeigten, dass eine solide Mehrheit der Kanadier:innen gegen die Proteste war, auch wenn viele angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen und schlechten Bezahlung der meisten Fahrer:innen anfangs mit einigen ihrer Ziele sympathisierten.
Am 13. Februar gingen die Einwohner:innen von Ottawa gegen die Schließung ihrer Stadt und ihrer Lebensgrundlage vor und schüchterten Gruppen von Blockierer:innen ein. Bis zu 1.000 Anwohner:innen umzingelten stundenlang einen Konvoi, der in Richtung Parliament Hill unterwegs war, bevor sie die Autos und Kleintransporter in die Flucht schlugen, denen sie ihre Flaggen und Aufkleber des Freiheitskonvois abnahmen.
Ein Aktivist der Gemeindesolidarität Ottawa (CSO), der auch lokale Gewerkschaften angehören, erklärte: „Wir sind ernsthaft besorgt darüber, wie die Regierungen mit der Pandemie umgegangen sind, aber wir lehnen es ab, wie die extreme Rechte diese Unzufriedenheit mobilisiert. Wir bauen eine Bewegung der Arbeiter:innenklasse auf, die unsere Gemeinschaften und unsere Rechte verteidigen kann.“
Zweifellos war die Bedrohung durch eine Arbeiter:innenbewegung, die sich der extremen Rechten entgegenstellt und arbeiter:innenfreundliche Maßnahmen gegen Covid-19 fordert, mitverantwortlich für Trudeaus Entscheidung, endlich zu handeln.
Jetzt machen sich Freiheitskonvois in anderen Ländern auf den Weg, da die in den „sozialen Medien“ vernetzte Antiimpfbewegung diese Taktik in Frankreich, Neuseeland und nun auch in den USA kopiert hat. Ein Konvoi verlässt Kalifornien, um Washington DC rechtzeitig zu Bidens Rede zur Lage der Nation am 1. März zu erreichen. Aktivist:innen sollten dem Beispiel der CSO und der Gegendemonstrant:innen in Ottawa folgen.
Zu dem Konvoi gehörten einige Lastwagen mit Konföderierten- oder sogar Naziflaggen (die Protestierenden behaupteten, letztere seien gegen die Regierung gerichtet). Die kanadische antirassistische Gruppe AntiHate hat dokumentiert, dass die Rechtsextremen den Kern des Konvois bilden, nicht seine Ränder. James Bauder, der Gründer von Canada Unity, dem Dachverband rechtsextremer Organisationen, der den Konvoi ins Leben gerufen hat, unterstützt die QAnon-Verschwörungstheorie und behauptet, Covid-19 sei „der größte Betrug der Geschichte“.
Sprecher Benjamin J. Dichter kandidierte für die Konservative Partei gegen die „zunehmende Islamisierung Kanadas“. Bei der Blockade des Grenzübergangs nach Montana (USA), Coutts in Alberta, nahm die Polizei 13 Personen im Zusammenhang mit einem großen Waffenlager mit dem faschistischen „Diagonalsymbol“ fest. Es überrascht nicht, dass Donald Trump, Tucker Carlson von Fox News und viele Politiker:innen der republikanischen Partei in den USA den Konvoi unterstützt haben. Die rechten Unterstützer:innen aus der Mittelschicht sind ihre Zielwähler:innen.
Die „Freiheitskonvois“ gehören weder zur Arbeiter:innenklasse noch sind sie fortschrittlich. Bei den großen Lastwagen handelt es sich meist um Eigentümer:innen und Kleinunternehmer:innen, während die Traktoren Landwirt:innen repräsentieren. Einige Arbeiter:innen mögen zwar in den Kleintransportern, Geländewagen und anderen Fahrzeugen gekommen sein, aber als Einzelpersonen, die für eine rechtsextreme Kampagne mobilisiert wurden. Zwar sollte niemand entlassen werden, weil er nicht geimpft ist, doch ist es reaktionär, mitten in einer weltweiten Pandemie die Covid-Kontrollen abschaffen zu wollen.
Populistische Bewegungen, ob links oder rechts, werden immer legitime Themen aufwerfen (wie die Entlassung von Ungeimpften), die einige Arbeiter:innen anziehen. Anstatt sich auf diese Bewegungen zu konzentrieren, sollten die Sozialist:innen darauf drängen, dass die Gewerkschaftsbewegung, die in der Pandemie zu passiv war, wenn es um proletarische Klassenfragen ging, aktiv wird.
Das wird sich als wesentlich erweisen, wenn wir von einer Pandemie zu einer Spar- und Lebenshaltungskostenkrise übergehen, was der Linken die Möglichkeit gibt, der extremen Rechten die Initiative zu entreißen und die Arbeiter:innenklasse in einem Kampf zur Verteidigung unseres Lebensstandards zu vereinen.