Arbeiter:innenmacht

Katholische Kirche in der Krise

Pressekonferenz zur Ernennung von Kardinal Woelki zum Erzbischof von Köln, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/98/Kardinal_Woelki_-_Weg_zum_und_Mittagsgebet_im_K%C3%B6lner_Dom-3215.jpg

Gerald Falke, Infomail 1179, 3. März 2022

Was mit einer Skandalgeschichte des Kardinal Woelki begann, hat sich inzwischen zu einer imposanten Gewitterwolke ausgewachsen. Nachdem mehr und mehr aufsehenerregende Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche öffentlich wurden, scheint kein Ende der immer umfassender werdenden Missbrauchsserien in Sicht zu sein.

Neben denen zu den häufigen Straftaten offenbarte sich zunehmend ein zusätzlicher Skandal aus den Formen des Umgangs der Kirche damit. Die Institution mit den höchsten moralischen Ansprüchen zeigt sich hartnäckig tolerant gegenüber den eigenen Straftätern. Um ihr eigenes Ansehen nicht zu schädigen, werden Straftaten verleugnet und verheimlicht. Dadurch werden letztlich die Täter geschützt und die Opfer zusätzlich traumatisiert. Vom Kirchendiener bis zum Kirchenvater, vom eingesetzten Priester bis zum ehemaligen Papst Benedikt XVI. offenbart sich eine systematische Mauer des Schweigens, die jetzt unter dem Druck der zu diesem Thema entstandenen Initiativen einzubrechen beginnt und das Ausmaß der Missbrauchstraditionen zunehmend sichtbar macht.

Vorhersehbare Reaktion

Die Reaktion der Kirche darauf besteht vorzugsweise in einer internen Untersuchung, deren zensierte Veröffentlichung mit einem Ausdruck des Bedauerns geschieht. Bemühungen um eine angemessene Wiedergutmachung bleiben regelmäßig aus und von einer Bezahlung sollte erst gar nicht gesprochen werden.

Um die Empörung über Woelki, den Erzbischof des größten deutschen Bistums in Köln, wieder etwas abklingen zu lassen, wurde ihm nach seiner „langfristigen Überbeanspruchung“ seit Oktober 2021 päpstlicherseits eine „geistliche Auszeit“ verordnet, die jetzt am 1. März endete. Die erhoffte Versöhnung ist inzwischen nicht eingetreten.

Im Gegenteil scheint die Kluft zwischen den loyalen und kritischen Kräften zunehmend unversöhnliche Positionierungen zu entwickeln. Auf der einen Seite offenbart sich die Hartnäckigkeit der klerikalen Unterstützung für Woelki, auf der anderen die wachsende Formierung einer ablehnenden Front, welche die Kirchgemeinde in ihrer Gesamtheit durchzieht. Daraus resultierte jetzt die Wiederaufnahme seiner Amtsführung nicht mit der Wahrnehmung der vorgesehenen kirchenöffentlichen Termine, sondern mit Teilnahmeabsagen, die offenbar eine schleichende Wiederkehr ermöglichen sollen. Er hofft auf einen Neuanfang seiner Amtsführung und bot zur Besänftigung der Kritik daran dem Papst einen Amtsverzicht an. Von dessen Seite war bislang allerdings lediglich eine Kritik an den Kommunikationsfehlern zu vernehmen.

Die Auseinandersetzung mit Woelki ist mittlerweile auch in die Jahre gekommen. Als Weihbischof erklärte er beispielsweise vor über einem Jahrzehnt, dass er die Homosexualität als „Verstoß gegen die Schöpfungsordnung“ verstehe. Im Zuge wiederkehrender Diskussionen zu sexualisierter Gewalt innerhalb der Kirche gab er ein Gutachten in Auftrag, das auch die entsprechenden Verantwortlichen benennen sollte. Wegen angeblicher methodischer Fehler verweigerte er dann aber dessen Veröffentlichung. Unter Druck bemühte er sich in der Folge um eine vollständige Neufassung, die dann später für einzelne Personen einsehbar sein sollte. Soweit die Betroffenen eine Vertretung in einem Beirat fanden, zeigten sich für diese rasch Bemühungen einer Irreführung und Instrumentalisierung, worauf einige Mitglieder des Gremiums mit einem Rücktritt reagierten. Für eine Einsicht in das Gutachten hätten Journalist:innen zuvor einer Vereinbarung zur Vertraulichkeit zustimmen müssen, was diese allerdings ablehnten. Insgesamt ergab sich jedenfalls immer mehr der Eindruck einer versuchten Vertuschung.

Synodaler Weg

Um eine Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche zu ermöglichen, wurde 2019 von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken der sogenannte synodale Weg zum systematischen Austausch eingerichtet. Wie zu erwarten, positionierte sich Woelki auch hiergegen, weil damit strukturelle Veränderungen eingeleitet werden könnten, die zu einer Art Abstimmung über die unveränderliche kirchliche Lehre führen könnten

Inzwischen stellte sich heraus, dass Woelki bei seinem Amtsantritt als Erzbischof selbst auch einen Fall einer sexualisierten Gewalt durch einen Priester verheimlichte. Eine entsprechende Untersuchung einer Glaubenskongregation kam allerdings zur Einsicht, dass zu dieser Zeit noch keine entsprechende strenge Meldepflicht bestanden habe. 

Was sich in diesem Zusammenhang verdeutlich, ist die besondere Rolle der Kirche innerhalb der Gesellschaft. Sie fungiert wie ein Staat im Staat, erhält vom bürgerlichen Staat vielfältige Unterstützungen und Bevorzugungen, ist aber in wesentlichen Belangen seinem Zugriff entzogen. So hilft der Staat bei der Erhebung der Kirchensteuer, schützt die religiösen Anschauungen im Unterschied zu anderen Weltanschauungen als besonders hohes Gut. Er gewährt Zutritt zu Schulen und garantiert Religionsunterricht, also die Propagierung der einen Weltanschauung auf Staatskosten. Ferner erlaubt er die Führung eigener Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich, aber die internen Regelungen wie die rechtlichen Standards und die Tarifgestaltung in ihren sogenannten Tendenzbetrieben werden autonom vollzogen. Im Zeichen der Nächstenliebe lässt sich die Ausbeutung eben besonders gut umsetzen und für sexuellen Missbrauch bietet die Kirche offensichtlich einen speziellen Schutzraum an.

Diese Verhältnisse haben ihren Ursprung weit in der Vergangenheit, reichen zurück in feudale Verhältnisse, in der sich die kirchliche gegenüber der weltlichen Macht als gewissermaßen übergeordnet verstand. In bürgerlichen Verhältnissen wurde die Kirche als ein überholtes Relikt beibehalten, um ihre ideologischen Verdienste weiter nutzen zu können.

Funktion

Aber aus eben dieser für die herrschende Klasse durchaus verdienstvollen Funktion erwachsen zunehmende Zeichen ihres Niedergangs. Weil eine Jahrtausende alte Vorstellungswelt schlichtweg überholt und die Unvereinbarkeit zwischen den verkündeten Idealen und der verheimlichten eigenen Praxis für die Kirchengemeinden selbst nicht mehr erträglich ist.

Auseinandersetzungen durchziehen diese Glaubensgemeinschaften in vielfältigen Fragestellungen. So betrifft etwa ein weiterer Dauerkonflikt der katholischen Kirche die Rolle der Frauen. Entsprechend der uralten Vorstellungen von einem funktionierenden Sozialleben werden Frauen weiterhin als nicht vollwertige Menschen behandelt und sogar als potentielle Gefahr, die beispielsweise mit dem Zölibat abgewehrt werden muss.

Zur Uneinsichtigkeit und Unbeweglichkeit der Kirche mag von Tiefgläubigen das Bild eines Felsens in der Brandung gesehen werden, an dem sie in den vielfältig verwirrenden gesellschaftlichen Verhältnissen Halt suchen. Tatsächlich passt das aktuelle Bild des schmelzenden Eisberges besser. Auch hier bleibt die selbst verursachte Klimaerwärmung unverstanden.

Worauf die jüngere Entwicklung hinweist, und hier steht Woelki gewissermaßen als deutliches Zeichen, ist die Unhaltbarkeit einer weiteren Aufrechterhaltung des privilegierten Sonderstatus’ der Kirche. Kriminelles Agieren in kirchlichen Einrichtungen darf nicht der Willkür einer amtskirchlichen Befassung überlassen werden. Vielmehr müssten aus der Basis der Kirchengemeinden Vertretungen gewählt werden, die mit denen der Opfer einen Untersuchungsausschuss bilden, dem Zugang zu allen relevanten Dokumenten gewährt werden muss und der letztlich auch über personelle, strukturelle und finanzielle Konsequenzen entscheiden soll. Vergewaltigungen und alle anderen Formen sexueller Übergriffe und von Gewalt durch Kirchenvertreter müssen strafrechtlich verfolgt, jeder institutionelle Schutz durch die Kirche muss verboten werden.

Die regelmäßigen und systematischen Missbräuche fußen freilich nicht nur auf innerkirchlichen, überholten, undemokratischen Strukturen, sie werden auch staatlich begünstigt. Daher müssen ihr alle staatlich und traditionell zugestandenen Privilegien entrissen werden, die ihr erlauben, einen Staat im Staat zu bilden. Es müssten alle staatlichen Pfründe trockengelegt werden: Abschaffung der Kirchensteuer, des Kirchengelds und des Religionsunterrichts, Schließung der kirchlichen Schulen und Überführung in öffentliche; Aufhebung der arbeits- und sozialrechtlichen Privilegien (Tendenzbetriebe) der kircheneigenen Unternehmen und Überführung in Beschäftigungsverhältnisse mit allen gewerkschaftlichen und Mitbestimmungsrechten. Vollständige Trennung von Staat und Kirche!

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