Arbeiter:innenmacht

FPÖ: Wachablösung durch Herbert Kickl

Foto: Michael Lucan, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 de, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Alex Zora, Infomail 1156, 15. Juli 2021

„Ja, ich trete zurück. Ich mag nicht mehr.“ So kündigte Norbert Hofer auf Twitter Ende Mai seinen Rücktritt an. Der Tweet wurde zwar kurz darauf wieder gelöscht, die Entscheidung war aber durchaus ernst gemeint. Nach monatelangem Gezanke war es jetzt nun so weit, Norbert Hofer zog sich als FPÖ-Chef zurück. Sein Nachfolger wurde, wie kaum anders zu erwarten, der bisherige FPÖ-Klubobmann im Nationalrat und die klare Nummer zwei in der FPÖ – Herbert Kickl.

Einflüsterer an der Spitze

Lange Zeit war Herbert Kickl die graue Eminenz hinter Ex-Parteichef Strache. Er verdiente sich sein erstes politisches Kleingeld mit Reden Schreiben für Jörg Haider. Mit der Abspaltung des Haider-BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) von der FPÖ 2005 war aber für Herbert Kickl auch ein klarer innerparteilicher Durchbruch gesichert. Sein Aufstieg war eng mit dem von HC Strache verknüpft. Auch für ihn schrieb er Reden und war für viele Wahlkampfinhalte verantwortlich – so zum Beispiel für den zutiefst rassistischen Slogan für die Wien Wahl 2010: „Mehr MUT für unser ,Wiener Blut’ – zu viel Fremdes tut niemandem gut.“ Außerdem war er ab 2005 auch Generalsekretär der FPÖ und Geschäftsführer der Parteizeitung „Neue Freie Zeitung“. Beide diese Ämter legte er mit der Regierungsbeteiligung als Innenminister in der türkis-blauen Koalition unter Bundeskanzler Sebastian Kurz Ende 2017 zurück. In seiner Zeit als führender Propagandist war er zentral für die rechtspopulistische, rassistische Ausrichtung der FPÖ verantwortlich und damit auch für den Schwenk der FPÖ hin zu ihren zentralen Feindbildern heute – MuslimInnen und Geflüchtete.

In der Regierung Kurz war Kickl als Innenminister tätig. Lange hatte er aber nicht Zeit, um einen großen Fußabdruck zu hinterlassen. In der Rhetorik wurde hier natürlich weiterhin auf einen strammen Nationalismus und Rassismus gegenüber MuslimInnen und Geflüchteten gesetzt. Probleme mit den zentralen türkis-geführten Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse (12-Stunden-Tag, Reform Mindestsicherung, Reform Krankenkassen etc.) gab es – wie kaum anders für einen FPÖ-Politiker zu erwarten war – nicht. Vielmehr kam Kickl durch diverse Eigenheiten in die Medien. Hier sind auf der einen Seite eher sonderbare Projekte wie Polizeipferde oder Pressekonferenzen in Fantasieuniformen zu nennen. Auf der anderen gab es mit dem BVT-Skandal doch auch eine wichtige Auseinandersetzung mit wichtigen ÖVP Stützen im Staatsapparat (BVT: Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung; Nachrichtendienst des Bundesministeriums für Inneres). Generell war Herbert Kickl in der FPÖ-Arbeitsteilung immer der „Mann fürs Grobe“, der die Basis aktiv halten sollte, während Norbert Hofer versuchte, die ultrareaktionären Inhalte durch ein gemäßigteres Auftreten besser in die Breite wirken zu lassen.

Mit dem Ibiza-Skandal war die Zeit von Kickl im Ministeramt dann auch nach etwas mehr als einem Jahr wieder vorbei. Gemeinsam mit Norbert Hofer überlebte er die mediale Berichterstattung zwar mehr oder weniger unbeschmutzt, aber gleichzeitig diente er Sebastian Kurz als willkommener Grund für ein Ende der Koalition. Für Kurz war es nämlich untragbar, dass gegen ein Regierungsmitglied von Seiten der Justiz ermittelt wird. Durchaus eine humorvolle Bewertung, angesichts der Ermittlungen, die mittlerweile Sebastian Kurz und seine ÖVP-MinisterkollegInnen selbst treffen.

Persönlicher oder politischer Konflikt?

Nach der brisanten Zeit nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos und dem Zusammenbruch der FPÖ bildeten Norbert Hofer als Parteichef und Herbert Kickl als Klubobmann im Parlament recht bald eine Doppelspitze. Formell war zwar Norbert Hofer als Parteichef die Nummer eins. Doch das hielt Kickl nicht davon ab, sich sehr bald in den Vordergrund spielen zu wollen. Vor allem in der coronaskeptischen Bewegung sah Kickl ein wesentliches Potential, um die FPÖ nach ihrem Absturz wieder aufzubauen. So arbeitete sie mit wichtigen rechten AkteurInnen dieser Bewegung zusammen, mobilisierte zu den untersagten Demonstrationen und organisierte auch eigene Kundgebungen. Die Rückendeckung in inhaltlichen Fragen blieb natürlich auch nicht aus und die FPÖ stemmte sich im Parlament und außerhalb davon gegen nahezu alle sinnvollen Maßnahmen, die Pandemie zu bekämpfen, und drängte, egal zu welchem Zeitpunkt, auf weitere Öffnungsschritte.

Norbert Hofer hingegen nahm dazu einen deutlich gemäßigteren Standpunkt ein. Er kündigte an, sich impfen zu lassen, und akzeptierte die Maskenpflicht im Parlament, die Kickl vehement ablehnte. Um diese Frage entbrannte dann aber auch der erste mehr oder weniger öffentliche Schlagabtausch zwischen Hofer und Kickl, über den in den Medien ausführlich berichtet wurde. Schon hier drang nach außen, dass Kickl wohl nahezu den gesamten FPÖ-Nationalratsklub hinter sich hatte. Aber auch in der Frage der Beteiligung an Demonstrationen auf der Straße gingen die Meinungen von Hofer und Kickl stark auseinander. Hofer selbst betonte, dass er angeblich noch nie auf einer Demonstration gewesen sei (eine mehr als fragliche Selbsteinschätzung), während Kickl sich aber nicht nur medial und organisatorisch an den coronaskeptischen Demonstrationen im Winter beteiligte, sondern auch selbst daran teilnahm.

Im Zuge dieser Auseinandersetzungen kam es dann zu einer klaren innerparteilichen Frontenbildung. Hinter Kickl stand der Parlamentsklub mehr oder weniger einhellig. Hofer hingegen hatte vor allem bei den FPÖ-Bundesländerspitzen und im FPÖ-Vorstand Rückhalt genossen. Das Ganze ist auch nicht unbedingt verwunderlich, wenn die jeweiligen politischen und charakterlichen Ausprägungen mit den sektoralen Interessen unterschiedlicher Teile der FPÖ zusammenfallen.

In den Bundesländern ist die FPÖ in mehreren Landesregierungen vertreten und insbesondere in Oberösterreich hat sie gute Verbindungen zur dortigen Bourgeoisie aufgebaut. Deshalb versucht sie dort, vor allem auf Stabilität und Sicherheit zu setzen. Nach Norbert Hofers Abgang steht insbesondere der oberösterreichische FPÖ-Landeschef Manfred Haimbuchner für diese Linie. Er betonte erst kürzlich in einem Kurier-Interview, dass er sich „Kontinuität statt Brüche[n]“ erwartet. Denn „[e]s geht nicht nur um Wahlergebnisse“ sondern um „die Gesamtstrukturierung und Professionalisierung der Partei“. Dieser Flügel der FPÖ steht also ganz klar dafür, der Bourgeoisie in der Krise Stabilität zu geben und sich als treue Kraft in ihrem Interesse Vertrauen zu erarbeiten.

Kickl auf der anderen Seite steht viel eher dafür, die Gunst der Stunde – Unzufriedenheit mit den Coronamaßnahmen, Korruptionsskandale der ÖVP etc. – dazu zu nutzen, eine starke potenzielle WählerInnenbasis aufzubauen. Ob er im Zuge dessen den Gang in die Opposition antritt oder trotz des rabiaten Kurses gegen die Kurz-ÖVP trotzdem als Juniorpartner für letztere zur Verfügung steht, ist für ihn zweitrangig. Vielmehr sieht er das Heil der FPÖ wohl wieder in einer kontinuierlichen Stärkung über einige Jahre (und vermutlich auch über die nächsten Wahlen hinaus), wie es die FPÖ schon je einmal unter Jörg Haider und HC Strache vorzeigen konnte – diesmal hingegen aber von einer deutlich stärkeren Ausgangsbasis aus. Unterstützung bekommt er hierbei u. a. von der FPÖ-Parteigröße Andreas Mölzer, der Kickls Oppositionskurs und seine Strategie lobt.

Die Unterschiede auf der äußerlichen Ebene, der PR-Praxis, der Wortwahl und der Schwerpunktsetzung in den Außenauftritten spiegeln aber nicht unbedingt große inhaltliche Differenzen wider. In allen wesentlichen Punkten der rassistisch-nationalistischen Praxis ist man sich großteils einig. Beide Flügel werden, wenn sie in einer Regierung agieren, Sozialabbau betrieben, sind zutiefst rassistisch, sexistisch und alles, was dazugehört. Beide Flügel genießen gute Beziehungen zu den deutschnationalen Burschenschaften usw. Kickl und Hofer stehen primär für eine andere taktische Ausrichtung und weniger für ernsthafte inhaltliche Differenzen.

Kickls FPÖ

Was Kickl aber versuchen wird, ist, die FPÖ klar auf seinen populistischen Kurs auszurichten und vor allem mit radikaler Rhetorik Oppositionspolitik zu betreiben. Je nach Stärke des in den Medien so gerne bezeichneten „gemäßigten“ Flügels – was wie oben analysiert in erster Linie auf die Nähe zu und Akzeptanz der herrschenden Klasse bezogen ist – wird dieser vielleicht an den Rand gedrängt werden, oder, was die viel wahrscheinlichere Variante ist, in der FPÖ wird sich eine interne Arbeitsteilung durchsetzen. Im medialen und politischen Zentrum werden Kickl, die Wiener FPÖ, der Parlamentsklub usw. stehen, der versuchen wird, die ÖVP von rechts vor sich herzutreiben, während in den Bundesländern und Landesregierungen versucht wird, weiterhin eine seriöse Partnerin abzugeben.

Gleichzeitig möchte sich Kickl aber ganz offensichtlich gegenüber der (mittlerweile vergangenen) coronaskeptischen Bewegung auf der Straße öffnen. Auch sein bewusstes Nicht-Abgrenzen von den neofaschistischen Identitären (was Norbert Hofer vor ihm schon getan hatte) ist wohl ein bewusstes Signal an die Kräfte, die im letzten Jahr auch außerparlamentarisch aktiv waren. Nicht zufällig hatten die Identitären auf einem ihrer Transparente, das sie auf Demonstrationen vor sich her trugen, eine bewusste Anspielung auf Herbert Kickl gemacht („Kurz wegkickln“) – und das, als Norbert Hofer noch Parteichef war.

Wenn es also in den kommenden Monaten und Jahren zu einer rechten Straßenbewegung wie 2016 gegen die Geflüchteten an der Grenze in Spielberg oder von Seiten der Corona-SkeptikerInnen kommen wird, dann wird die FPÖ wohl unter Kickl sehr schnell versuchen, auf diesen Zug aufzuspringen. Auf der einen Seite wird das bei solchen Bewegungen zur „Gefahr“ führen, dass sie von der FPÖ vereinnahmt und damit für eine breite Maße unattraktiver werden, auf der anderen Seite aber auch dazu, dass die unterschiedlichen kleinbürgerlichen, verschwörungstheoretischen, rassistischen und auch neofaschistischen Einflüsse stärker in die FPÖ hineinwirken können. Die FPÖ ist unter Kickl wohl mehr von den äußeren Einflüssen abhängig und setzt weniger auf eine attraktive Partnerschaft für eine mögliche Koalition – auch wenn das alles andere als ausgeschlossen bleibt.

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