Leo Drais, Neue Internationale 257, Juli/August 2021
Zum Wechsel vom Juli auf den August ruft Ende Gelände (EG) zu Massenaktionen in Brunsbüttel auf. Der Protest richtet sich gegen ein LNG-Terminal, welches sich im Planfeststellungsverfahren befindet. Darüber hinaus richtet sich die Aktion allgemein gegen fossile Gase als vermeintlich grüne Alternative zu Kohle und Erdöl. Am 31. Juli wird zu einer Demonstration unter dem Motto „Sauberes Gas? Dreckige Lüge! LNG Terminal Brunsbüttel versenken!“ in Brunsbüttel aufgerufen.
Mit dem Ort an der Elbmündung und dem westlichen Ende des Nord-Ostseekanals, den täglich hunderte Schiffe aus aller Welt passieren, ist nicht nur der Wunschstandort für das LNG-Terminal (LNG = Liquified Natural Gas; verflüssigtes Naturgas) von der Energiewirtschaft strategisch günstig ausgesucht, sondern als Ort des Protestes auch für Ende Gelände eine politisch interessante Wahl. Schließlich macht EG zu Recht auf die globale Dimension des LNG-Terminals aufmerksam.
Diese wird nicht nur angesichts der Ausbeutung halbkolonialer Länder zur Förderung von Öl und Gas deutlich, sondern auch, wenn wir unseren Blick zunächst auf die Ostsee richten. Hier wird mit Nord-Stream 2 eine weitere Erdgaspipeline die direkten Lieferkapazitäten von Russland nach Deutschland und Zentraleuropa ausweiten, ganz ohne dabei die aus Sicht des russischen Imperialismus politisch unliebsamen Gebiete der Ukraine oder Polens zu passieren. Aber die Dimension ist freilich größer. Der scharfe Kurs, die Sanktionsdrohungen der Trump-Regierung gegen Nord-Stream 2 und daran Beteiligte war ein offener Ausdruck der globalen Konkurrenz der USA gegenüber Russland. Denn: Die USA sind mittlerweile Weltmeister in der Erdgasförderung dank dem besonders umweltschädlichen Fracking-Verfahren. Dass rund die Hälfte des Erdgases für Deutschland aus Russland kommt, störte den Trump-US-Imperialismus. Problem: Von den USA nach Europa kann Gas nur per Schiff, energieaufwändig und teuer, transportiert werden, und es braucht einen speziellen Hafen dafür – ein LNG-Terminal. Der Druck der USA ging dann letztlich auch so weit, dass Bundesfinanzminister Scholz gar eine Milliarde Euro Förderung für ein Terminal zusicherte, solange Nord-Stream 2 weitergebaut werden dürfe.
Die Abwahl Trumps und die Neuausrichtung der US-Außenpolitik unter Joe Biden sorgte im Mai dann zu einem Absehen von weiteren Sanktionsdrohungen – aus Interesse an einem besseren Verhältnis zu den europäischen PartnerInnen, wie es hieß. Trotzdem hat die kleine Krise bewiesen, dass die deutsche Energieversorgung, die im Falle von Erdöl und -gas absolut importabhängig ist, zusehends schneller mal zwischen die Fronten der Weltpolitik und der Konkurrenz zwischen Erdgas exportierenden Staaten geraten kann. Während andere europäische Staaten, wie zum Beispiel die Niederlande oder Frankreich, über eigene Kais für Flüssiggastanker verfügen, fehlen solche in der deutschen Energielandschaft.
Der Ausbau der Erdgasinfrastruktur, die im Falle Brunsbüttels übrigens unter Beteiligung der deutschen Oiltanking GmbH und zweier niederländischer Energiekonzerne in einem Joint Venture betrieben wird – die internationalen Wirtschaftsinteressen lassen weiter grüßen – wird aber nicht nur aus weltpolitischen Interessen heraus vorangetrieben. Vor allem stellen Energiekonzerne und Politik ihn als unumgänglichen Meilenstein auf dem Weg zur fossilfreien Energieerzeugung dar. Begründet wird dies mit derzeit unzureichenden erneuerbaren Energien und der vermeintlich besseren Umweltbilanz von Erdgas. Im Verbrennungsprozess mag dies stimmen, da bei dem Hauptbestandteil Methan (CH4) auf vier Wasserstoffatome nur ein Kohlenstoffatom kommt, ergo weniger Kohlendioxid emittiert wird. Jedoch weisen Studien auch darauf hin, dass im Förderungs- und Transportprozess des Erdgases zu einem gewissen Prozentsatz Methan frei wird und in die Atmosphäre gelangt, wobei dieses selbst zu den Treibhausgasen gehört und auf kurze Sicht (Stichwort 1,5 Grad-Ziel usw.) bei gleicher Menge um ein Vielfaches schädlicher wirkt als CO2. Unterm Strich bleibt also, in der Verbrennung wie beim Transport und im Fracking erst recht: Grünes Erdgas ist eine schmutzige Lüge.
Völlig richtig weist EG außerdem darauf hin, dass der Erdgasausbau einen negativen Reboundeffekt auf die eigentliche Energiewende hat. Wo Kapital erst mal investiert ist, soll es sich auch lohnen. Bis ein nagelneuer LNG-Hafen abgeschrieben ist und sich das Kapital so weit verwertet hat, dass ein Weiterbetrieb nicht mehr lohnt, dauert es Jahrzehnte, die die Energiewende effektiv ausbremsen.
Das was an Erdgas als wirklicher Brücke hin zu einer echten schnellstmöglichen Energiewende mit stabiler Energieversorgung aus erneuerbarer Energie und gelöster Speicherproblematik notwendig wäre (Pipelines, Gasspeicherkavernen), dafür ist die Infrastruktur längst da und die Versorgung ausreichend. Der Ausbau geschieht somit aus rein wirtschaftlichen Interessen der Energielobby heraus.
Demgegenüber fällt EG ins andere Extrem und fordert den sofortigen Gasausstieg (wie auch den aus der Kohle). Nimmt man die Forderung beim Wort, dann kann es durchaus sein, dass es schnell dunkel wird – und im Winter auch kalt. Wenn wir EG ernst nehmen – und als zentrale, radikale Kraft in der Umweltbewegung stellt sich die Bewegung selbst dar – nimmt sie hier zumindest das Risiko eines Blackouts, der einer fortschrittlichen Lösung der Klimakrise wohl kaum zuträglich sein dürfte, in Kauf. Oder aber EG meint „sofort“ nicht im engen Sinn des Wortes. Dann riecht die Forderung aber doch nach einer populistischen Note, die in ihrer politischen Rezeptur anscheinend jenen Platz einnimmt, an dem nach so vielen Jahren der Grubenbesetzung und des Protests längst ein grundsätzliches, konkretes Programm der antikapitalistischen Energiewende stehen könnte.
Angenommen, dass „schnellstmöglich“ die richtige und ernstzunehmende Forderung wäre. Was heißt das? Im antikapitalistischen Verständnis: alles, was Produktivkräfte und Technik so schnell wie möglich hergeben. Wer aber bestimmt das? Die Frage danach, wer die Energiewende macht, beantwortet EG regelmäßig mit „Handarbeit“. Das stimmt nicht mal für die Tage, an denen Gruben besetzt werden und ein bisschen Leistung in Kohlemeilern runtergefahren werden muss. An allen anderen Tagen bleibt die Frage unbeantwortet. Das Feld (auf dem demnächst die Gastanks stehen) wird Regierung und Konzernen überlassen, bei deren Wirken vielleicht noch ein bisschen die GewerkschaftsbürokratInnen der IG BCE mitspielen, die sich über Brunsbüttels neue Arbeitsplätze schon ganz eifrig freuen.
Und da treffen sich dann auch alle Genannten: von EG über Scholz und German LNG bis IG BCE. Sie alle betrachten die, die in der Energiewende Arbeitsplätze mal gewinnen und mal verlieren, als mehr oder minder passives Objekt. Dabei wären doch die Beschäftigten des Energiesektors mit ihrem technischen Know-how tatsächlich die Einzigen, die eine Energiewende schnellstmöglich verwirklichen könnten, fernab von Kapitalinteressen. Dabei wäre es auch noch möglich, dass tausende Jobs entstehen, weniger gearbeitet wird und trotzdem der Lohn gleich bleibt. Kurz, die ArbeiterInnen in der Energiebranche müssten für einen demokratischen, von ihnen kontrollierten Notfallplan zur Energiewende – nicht zuletzt durch EG – gewonnen werden.
Eckpunkte dessen sollten sein: