Arbeiter:innenmacht

Tarifabschluss Metallindustrie: Kapitulation total!

Mattis Molde, Infomail 1144, 5. April 2021

Es hatte sich abgezeichnet, dass vor Ostern ein Abschluss hermusste. Am 31. März wurde er für Nordrhein-Westfalen fertig verhandelt, später folgten Baden-Württemberg und die anderen Tarifgebiete. Auch für die Stahlindustrie war im Nordwesten schon ein Abschluss erfolgt, der die Linie vorgezeichnet hatte.

Auch dieses Jahr gibt es keine Erhöhung der Löhne und Gehälter oder –  um das Tarifvokabular zu benutzen – der Monatsentgelte. Diese wurden zuletzt im April 2018 um 4,3 % erhöht. Die nächste mögliche Erhöhung kann ab Oktober 2022 kommen: also mindestens viereinhalb Jahre Stillstand.

Es gibt trotzdem mehr Geld: für 2021 eine Einmalzahlung von 500 Euro netto. Sie wird Coronaprämie genannt, damit die gesetzliche Regelung dazu genutzt werden kann: Es müssen keine Steuern gezahlt werden und sie ist auch für die Unternehmen sehr günstig, denn es kommen keine Beiträge zur Sozialversicherung dazu und die Prämie liegt bei knapp unter 10 Euro pro Woche.

Außerdem wurde ein „Transformationsgeld“ erfunden. Es ist eine jährliche Sonderzahlung, die vierte neben dem „Weihnachtsgeld“, dem Urlaubsgeld und dem „tariflichen Zusatzgeld“ (T-ZUG). Ob sie tatsächlich gezahlt wird, ist aber nicht sicher. Errechnet werden 2,3 % des Monatsentgeltes. Dieses wird ab 1. Juni 2021 angespart und nach 8 Monaten – im Februar 2022 – wird die Summe von zusammengezogen 18,4 % eines Monatsentgeltes ausbezahlt. In den folgenden Jahren ergibt sich dann nach jeweils 12 Monaten 27,6 % desselben.

Kurzarbeit, selbst bezahlt

Warum diese Umstände mit einer neuen Entgeltform? Das Transformationsgeld muss nicht gezahlt werden. Wahlweise kann auch die Arbeitszeit abgesenkt werden. Das kann jede/r Beschäftigte individuell tun, es können aber auch betriebliche Regelungen zwischen Betriebsrat und Management vereinbart werden.

Weil mit 2,3 % nicht mal eine Arbeitsstunde pro Woche finanziert werden kann, eröffnet der Tarifvertrag auch noch die Möglichkeit, das Urlaubs- und „Weihnachts“geld dafür einzusetzen. Das nennt sich dann „Teillohnausgleich“ und lügt damit: Es ist kein „Lohnausgleich“ in dem Sinne, dass ein Teil der Arbeitszeitverkürzung vom Unternehmen „ausgeglichen“ würde, sondern die Beschäftigten verlieren exakt den Betrag, den sie erarbeitet hätten. Es ist nur eine Verschiebung von Entgelt, das für andere Zwecke gedacht war und den Beschäftigten ohnedies zusteht. Der T-ZUG, der vor 3 Jahren eingeführt wurde, vorgeblich um den Beschäftigten individuelle Arbeitszeitabsenkung nach ihren Bedürfnissen zu gestatten, hat übrigens schon seit seiner Einführung stark die Rolle übernommen, als Arbeitzeitpuffer nach den Bedürfnissen der Unternehmen zu fungieren. In vielen Betrieben wurde er vor allem in der ersten Coronawelle für den Lockdown eingesetzt, in manchen schon vorher.

Die Flexibilisierung im Sinne des Kapitals geht also weiter mit neuen Puffern nach unten. Zu der schon länger vereinbarten „tariflichen“ Kurzarbeit und der „Entlastungen“ der Unternehmen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld bei Kurzarbeit bringen diese Instrumente andererseits erneut mehr Möglichkeiten beim Hochfahren des Arbeitsvolumens, um Mehrarbeitszuschläge zu sparen.

Eine weitere Möglichkeit, die Entgelte zu kürzen, ist die Koppelung des T-ZUGs (27,5 % eines Monatsentgeltes) an eine Nettoumsatzrendite von 2,3 %. Liegt diese darunter, kann diese Zahlung verschoben werden oder entfallen. Auch können Betriebsräte künftig 50 % des Weihnachtsgeldes opfern, wenn es Betrieben „schlechtgeht“.

Schöngerede und Sozialpartnerschaft

Gesamtmetall nennt das die „Modernisierung der Tarifverträge“, die IG Metall-Spitze auch. So kann man das natürlich auch formulieren, dass die MetallkapitalistInnen sich in jeder Beziehung durchgesetzt haben, dass ihnen Einbrüche in die Tarifverträge gelungen sind, die kaum noch schöngeredet werden können. Während die IG Metall Nordrhein-Westfalen ihren Abschluss noch so verkaufte: „Im Juli erhöhen sich die Entgelte um 2,3 Prozent. Das Geld wird jedoch angespart … “, verzichtet die Bezirksleitung Baden-Württembergs auf diesen Fake und schreibt: „Beim Thema Entgelt hätte sich die IG Metall auch eher eine Erhöhung der monatlichen Entgelte vorstellen können … “.

Wenn die Monatsentgelte um 2,3 % erhöht worden wären, hätte dies übrigens auch alle Entgeltbestandteile betroffen, gerade die anderen Sonderzahlungen, die daran gekoppelt sind. Das tut es nicht. Bezogen auf das Jahresentgelt wären die 2,3 % nicht ganz 2,1 %.

Bezogen auf 21 Monate Laufzeit sind das gerade mal 1,2 % Erhöhung, falls diese überhaupt gezahlt wird. Die Forderung hatte 4 % gelautet. Insgesamt werden das Gesamtergebnis und viele Details dieser Vereinbarung, die bisher auch nicht vollständig vorliegen, für Angriffe und Einbrüche auf die Entgelte sorgen und für heftige Enttäuschungen bei  MetallerInnen, die in dieser Runde für mehr gekämpft haben.

Viele Belegschaften hatten auch für die Verteidigung ihrer bedrohten Arbeitsplätze mobilisiert. Auch die IG Metall-Spitze hatte das zum Thema gemacht. Aber für sie ging es nie darum, die Kampfkraft zum Widerstand gegen Abbaupläne zu nutzen. Ja, im Rahmen der Runde wurden bereits Werksschließungen per Unterschrift akzeptiert wie bei Mann+Hummel Ludwigsburg und Mahle Gaildorf.

Für die IG Metall-Bürokratie ging es darum, mit diesem Tarifvertrag ihre Unterwerfung unter die Umstrukturierung nach Wunsch der Bosse „sozialverträglich“ zu gestalten. Dafür können die gesamte Tariferhöhung und zusätzlich andere bestehende Entgeltteile geopfert werden. Die Niederlage ist eine dreifache: keine echte Tariferhöhung, Verzichtsmöglichkeiten auf bestehende Entgeltbestandteile und die Chance zum betriebsübergreifenden Widerstand verschenkt.

Bei Betriebsräten kann dieses Ergebnis zur Freude führen: Es gibt viele Möglichkeiten, Entgelt zu opfern – für den „Erhalt von Arbeitsplätzen“, besser gesagt für eine Streckung der Abbaupläne, denen diese Betriebsräte keinen echten Widerstand entgegensetzen wollen. Wo die Bosse einen Betrieb ganz dichtmachen wollen, kann auch nichts gestreckt werden. Wo sie 10–30 % der Belegschaft loswerden wollen, können mit den alten und neuen Instrumenten Kündigungen vermieden werden. Die Betriebsräte können sich feiern und die Verlagerung von Arbeitsplätzen und die Rationalisierung durch Digitalisierung in trauter Sozial„partner“schaft mitmachen. Die IG Metall gibt dazu ihren Segen und zieht den GewerkschafterInnen im Betrieb, z. B. den aktiven Vertrauensleuten, die sich auf erkämpfte Tarifverträge gegen die Ausverkaufsbemühungen der Betriebsratsspitzen berufen, weiter den Boden unter den Füßen weg.

Die Niederlage wird komplett durch die verlängerte Laufzeit von 21 Monaten. Dazu kommt, dass erneut keine Lösung für die 38-Stunden-Woche im Osten vorliegt. Schon 2018 wurde anstelle einer tariflichen Regelung eine Gesprächsvereinbarung getroffen, deren Zusagen die Bosse im Nachgang zerrissen. Damit wurde eine Bewegung, die zumindest im Osten etliche Belegschaften erfasst hatte, sauber gegen die Wand gefahren. Diese Bewegung war gegen den Willen der Frankfurter Zentrale entstanden, die konsequenterweise keinerlei Solidarität im Westen organisierte, genauso wie sie das Vorgehen der Metallbosse hinnahm. Auch diesmal versteckt sich die Bürokratie hinter der Formel, dass in Nordrhein-Westfalen nur abgeschlossen werden könne, was es auch beträfe. Tatsache ist aber, dass es keinen Pilotabschluss bei der IG Metall gibt, ohne dass Gesamtmetall und die IG Metallspitze vor Ort sind. Auch der Verrat an den Kolleginnen und Kollegen im Osten erfolgte in trauter Eintracht mit dem Kapital.

Die Coronakrise hat aus Sicht der Bürokratie und des Kapitals auch ihr Gutes: Die Einstellung, jede/r müsse eben ihren/seinen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten, ist auch unter den Belegschaften weit verbreitet.

Die Regierung, die Medien und die Betriebsräte predigen das täglich, Corona wird wie eine Naturkatastrophe behandelt, die jedes Gürtel-enger-Schnallen scheinbar schon an sich rechtfertigt, um „unsere Wirtschaft“ und „unser Land“ zu retten. Das ist unwahr, das Großkapital hat überall auf der Welt in dieser Krise seine Profite und seine Vermögen zulasten der Arbeitenden steigern können. Auch von diesem Abschluss profitiert das Kapital, die Arbeitenden zahlen drauf. Etliche werden das merken, aber um die Opfermentalität in der ArbeiterInnenklasse zu bekämpfen, reichen Tarifkämpfe nicht aus. Nötig ist stattdessen ein breite „Antikrisenbewegung“, die sich gegen die Blockade der Gewerkschaftsführungen, der SPD und der Linken durchsetzen muss.

Opposition gegen die Bürokratie

Auch dieses Mal gab es Belegschaften, die sich trotz Corona und des Bestrebens der Bürokratie, die Tarifrunde so lau wie möglich zu kochen, mobilisiert, ihre Kolleginnen und Kollegen motiviert haben, sich an Aktionen zu beteiligen, und für die Ziele geworben haben, so wie sie sie verstanden: für echte Lohnerhöhungen und Widerstand zur Verteidigung der Arbeitsplätze. Aber die Bilanz dieser Verhandlungen zeigt, dass es nicht reicht, Druck von der Basis zu auszuüben. Dieser Druck kann dazu führen, dass lokal manche Aktionen heftiger werden, die Gesamtkonzeption für die Mobilisierung ändert sich aber nicht. Schon gar nicht ändert die Bürokratie ihre politische Konzeption, die darin besteht, dem deutschen Exportkapital im verschärften internationalen Konkurrenzkampf treu zur Seite zu stehen und alles mitzumachen, was die Bosse für nötig halten. Die BürokratInnen hoffen weiterhin, dass dabei Profite abfallen, reich genug, um den Arbeitenden auch zukünftig Weihnachts- und vielleicht das Transformationsgeld auszubezahlen. Und die Aufsichtsratstantiemen fließen sowieso, die eigenen Privilegien sind gesichert.

Die Bürokratie in der IG Metall muss natürlich weiterhin dem Druck von unten nachgeben, ihm Raum gewähren, sonst verliert sie die Kontrolle. Aber dadurch, dass sie gerade die kämpferischen Teile der Basis in Niederlagen führt und demoralisiert, verstärkt sie noch ihre Kontrolle – umgekehrt genauso dadurch, dass sie die Teile, die nicht warnstreiken, sondern Sonderschichten machen, wie diesmal bei Daimler oder BMW, „belohnt“. Schon zwei Überstunden bringen mehr Kohle als die „Coronaprämie“ pro Monat.

Das Spiel ist nicht neu: Letztes Jahr durften die KollegInnen in Sonthofen streiken gegen die Stilllegungspläne des Voith-Konzerns. Die IG Metall organisierte keine Solidarität in diesem Konzern und ihre VertreterInnen hatten im Aufsichtsrat schon der Schließung zugestimmt. Fast zeitgleich zum Tarifabschluss wurde in Sonthofen die Getriebefertigung jetzt endgültig geschlossen.

Druck von unten alleine reicht nicht – nötig ist der Aufbau einer organisierten Opposition!

Sie darf sich nicht auf den Kampf gegen einzelne Entscheidungen beschränken. Zum Beispiel ist die Forderung nach Ablehnung des Tarifergebnisses in den Tarifkommissionen nicht ausreichend. Es müssen andere Konzepte entwickelt werden und die Unterordnung unter die KapitalistInnen gehört politisch bekämpft. Eine Opposition muss die undemokratischen Strukturen bekämpfen, die es der Bürokratie erlauben, sich selbst zu reproduzieren. Was hilft es zu hoffen, dass Tarifkommissionen Ergebnisse ablehnen, wenn Basismitglieder dafür nicht kandidieren dürfen?

Eine Opposition aufzubauen, wird nicht leicht fallen, der Apparat ist mächtig. Aber auch wenn seine Konzeption in vielen Fällen funktioniert, wie oben beschrieben, so scheitert sie doch mit Zunahme der Systemkrise immer mehr. Oder um es kurz zu sagen: Gegen den Abbau von 400.000 Arbeitsplätzen allein in der Autoindustrie werden 2,3 % Transformationsgeld nicht helfen.

Und: Es gibt kleine Ansätze für eine solche Opposition. Aber sie muss zu einer klassenkämpferischen Basisbewegung werden: Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft mit dem Kapital, Kontrolle der Gewerkschaft durch die Basis anstelle der Bürokratie!

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