Tomasz Jaroslaw, Infomail 1140, 26. Februar 2021
Heute, am 26.2.2021, beginnt die zweite Phase des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWE). Diese wird mit 75 Sammelaktionen, 12 Kundgebungen und 4 Infoveranstaltungen an diesem Wochenende eingeläutet. Zuvor wurden in einer historischen Aktion 40.000 Plakate innerhalb von 2 Tagen verklebt. Es müssen 170.000 gültige Unterschriften in 4 Monaten gesammelt werden. Hierfür stehen 16 Kiezgruppen mit 500 Aktiven und fast 100 Stellen zum Unterschreiben („Solidarische Orte“, Bezirksämter) zur Verfügung. Mit diesem grandiosen Start ist das Ziel realistisch.
Seit letzten Sommer hat es DWE nicht nur geschafft, eine große SammlerInnenstruktur mit ca. 1600 Personen aufzubauen, was zahlreiche Solidarische Orte, lokale Kiez- und Hochschulgruppen einschließt, sondern auch die Zustimmung großer BündnispartnerInnen wie des Berliner Mietervereins und ver.dis, der GEW, IG Metall , IG-BAU- und DGB-Jugend gewonnen. Es gibt Gespräche mit verschiedenen linken Bezirksverbänden der Grünen und der SPD sowie dem Berliner Landesverband der Jusos. Die Linkspartei unterstützt das Volksbegehren ebenso sowie zahlreiche andere linke Initiativen, Vereine, Interessenvertretungen und politische Gruppierungen.
Zusätzlich wurde die Kampagne geographisch erweitert:
Damit hat die Kampagne nicht nur eine starke personelle Ausstattung, sondern eine bis dahin nicht bekannte gesellschaftliche Reichweite in schwer zugängliche Milieus entwickelt.
Aber auch die Gegenseite macht mobil: Eine Woche vor Start der zweiten Phase schikanierte die Polizei mehrere SammlerInnen, beschlagnahmte Material, eröffnete Anzeigen wegen Plakatierens ohne Erlaubnis und Sachbeschädigung oder wurde in Treptow ertappt, wie sie selbst Plakate (bspw. in der Baumschulenstraße) entfernte. Innensenator Geisel berät weitere Schritte wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. Derselbe Innensenator, der 441 Tage für die Freigabe des Volksbegehrens gebraucht hat, beeilt sich anscheinend, jetzt die Kampagne zu stören. Dabei ist politische Werbung zum Zwecke von Volksbegehren nach §2 Abs. 5, Nr 2 der Covid-Verordnung ausdrücklich erlaubt. Geisel ist dem rechten und der Immobilienlobby nahen Flügel der SPD zuzurechnen und bereits zuvor mit einer feindlichen Haltung gegenüber Volksbegehren aufgefallen. Die Rate konservativer und neoliberaler InternettrollInnen steigt an und spammt die Kommentarspalten unter den Artikeln bürgerlicher Zeitungen zu. Und nicht zuletzt will der Immobilienlobbyverband GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) 1,6 Millionen Euro für eine öffentliche Gegenkampagne bereitstellen, die durch Spenden der Mitgliedsverbände wie beispielsweise des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und Sonderbeiträge der von der Vergesellschaftung betroffenen Immobilienkonzerne finanziert wird, und damit mit den Mieten der einfachen BerlinerInnen.
Das alles war zu erwarten und zeigt sehr gut, dass Vergesellschaftung zwar in Form des Volksbegehrens eine demokratische Frage ist, aber im Kern eine soziale mit klaren Klassenlinien und Lagern.
Bei allen guten Entwicklungen und optimistischen Aussichten ist das Ziel der Vergesellschaftung jedoch nicht sicher. Erstens weil das Volksbegehren letztlich alle Hoffnungen auf einen legalistischen Prozess setzt, der beim Gesetzgebungsverfahren eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus voraussetzt, also von der Unterstützung von Grünen, SPD und Linkspartei abhängt. Zweitens weil es keine anderen Wege zur Vergesellschaftung aufzeigt, die im Falle einer Niederlage die Kampagne auffangen und umorientieren könnten. Dazu bedarf es einer freien politischen Diskussion über zusätzliche und alternative Wege und einer Strategie, die mittels demokratischer Fragen Massen mobilisiert und organisiert (wie das Volksbegehren es auch erfolgreich tut). Sie müsste dabei jedoch versuchen, die Entscheidungsebene weg von Organen des bürgerlichen Staates (wie den Regierungsparteien, dem Abgeordnetenhaus und den Gerichten) auf eine (Klassen-)Ebene oder ein (soziales) Milieu zu verschieben, wo DWE tatsächlich eine größere Hebelwirkung und Verankerung hat wie Organe der ArbeiterInnenklasse: Betriebsversammlungen, Gewerkschaften, lokale MieterInnenräte und „die Straße“.
Als Motor und als demokratisches Vehikel ist das Volksbegehren sehr gut geeignet und die Unterstützung durch die Gewerkschaften und diverse Umfragen suggerieren, dass diese Strategie, eine demokratische Frage in eine soziale Massenmobilisierung zu transformieren, im Grund möglich ist. Wie diese zusätzlichen Wege aussehen und sich das Volksbegehren in eine Gesamtstrategie einbettet, muss offen diskutiert werden. Leider zeigte die Diskussion zur Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“, dass Teile der Kampagne eine offene Diskussion nicht führen können oder wollen. Dabei gibt es jetzt bereits Ansätze und Ideen: In der Linkspartei wird die Frage von politischen Streiks für Vergesellschaftung diskutiert, im MieterInnenmileu erfreut sich das Mittel des Mietboykotts in Coronazeiten steigender Popularität und es gibt dort Ansätze zur Formierung einer MieterInnengewerkschaft. Leider wurde die Zeit zwischen der ersten und der jetzigen zweiten Phase, trotz entsprechender positiver Beschlüsse und Absprachen, nicht genutzt, um diese Diskussion zu führen. Die wird wohl auf die Zeit nach dem Sammeln verschoben und hoffentlich nicht aufgehoben werden. Warum diese Diskussion um Alternativen und möglichen Negativszenarien wichtig ist, zeigt die aktuelle Sammelphase. Diese ist mit einer Schwierigkeit konfrontiert, die für vorherige Volksbegehren unbekannt war: die Corona-Pandemie und das Sammeln unter Maßnahmen des Infektionsschutzes. Wie stark sich das auf die Unterschriftenzahl letztlich auswirkt, lässt sich aktuell nicht voraussagen. Aber angesichts des starken Starts und der relativ großen Zustimmung unter Lohnabhängigen und WählerInnen von Grünen, SPD und Linkspartei kann man vorsichtig optimistisch sein.
Denn die erfolgreiche zweite Phase wäre nicht nur ein Sieg für 300.000 MieterInnen. Es gibt Überlegungen, ein größeres Bündnis aufzubauen, was die Frage von Enteignung, Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft, Wirtschaftsdemokratie und demokratische Kontrolle auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Bereiche zur Agenda macht. Damit könnten die Linke und die ArbeiterInnenklasse nicht nur nach Jahrzehnten des politischen Rückzugs endlich wieder in die Offensive kommen, sondern auch in Zeiten von Corona, Klimawandel und der kommenden Wirtschaftskrise dringende Sofortmaßnahmen und ein langfristiges Programm auf eine Grundlage stellen, von denen die Masse der Menschen profitiert und damit ihr Überleben sichert.