Arbeiter:innenmacht

Nach dem globalen Aktionstag – welche Perspektive für Fridays for Future?

Martin Suchanek, Infomail 1079, 2. Dezember 2019

Am 29. November gingen wieder Millionen Jugendliche auf die Straße. Das Datum für den „globalen Klimastreik“ wurde bewusst gewählt, um Druck auf die UN-Weltklimakonferenz (COP 25) auszuüben, die vom 2.–13. Dezember in Madrid stattfinden wird.

An Mobilisierungskraft mangelt es auch weiter nicht. In 2.400 Städten und 158 Ländern beteiligten sich Jugendliche, SchülerInnen und StudentInnen, aber auch zunehmend Menschen aller Altersgruppen an den Demonstrationen und Protestaktionen. Weltweit folgten diesmal rund 2 Millionen Menschen dem Aufruf von Fridays for Future zum globalen Klimastreik.

Nach wie vor lässt sich eine starke Konzentration der Mobilisierung auf die westlichen imperialistischen Länder feststellen. In Deutschland ging mit über 600.000 die größte Anzahl auf die Straße. Laut Fridays for Future marschierten rund 60.000 in Berlin, 55.000 in Hamburg, 33.000 in München und 20.000 in Köln, um nur die größten Demos zu nennen. In einigen Städten wie Frankfurt/Main fanden auch Blockaden von 5 Läden, darunter Primark statt, deren Produkte oft unter extremen Formen der Ausbeutung der Lohnarbeit und ohne Rücksichtnahme auf die Umwelt entstehen.

In den USA fanden Aktionen in mindestens 80 Städten statt. In Paris blockierten Protestierende Amazon-Lagerhäuser. Eine der weltweit größten Demonstrationen marschierte durch Madrid.

Neben dem westlichen Europa, Nordamerika und Australien schlossen sich aber auch mehr Menschen in asiatischen Ländern wie Indien oder Pakistan den Aktionen an.

Die globale Klimastreikbewegung lebt. Aber sie stößt Millionen AktivistInnen auch immer deutlicher auf die Fragen: Wie kann die Bewegung erfolgreich sein? Wie kann die drohende Katastrophe verhindert, wie ein wirkliches Umlenken in der Klimapolitik erzwungen werden?

Strategisches Dilemma

Hier zeigt sich das politisch-strategische Dilemma von Fridays for Future wie auch anderer Teile einer neu entstehenden globalen Bewegung. Einerseits brandmarken die führenden VertreterInnen die Untätigkeit und das Versagen der StaatschefInnen der großen kapitalistischen Länder. In dem Artikel „Why we strike again“ greifen Greta Thunberg (FFF Schweden), Luisa Neubauer (FFF Deutschland) und Angela Valenzuela (FFF Santiago de Chile) die Verantwortlichen aus dem Establishment hart an:

„Streiken ist keine Wahl, die wir mögen; wir tun sie, weil wir keine anderen Möglichkeiten sehen. Wir haben beobachtet, wie sich eine Reihe von Klimakonferenzen der Vereinten Nationen entwickelt hat. Unzählige Verhandlungen haben zu vielbeschworenen, aber letztlich leeren Verpflichtungen der Regierungen der Welt geführt – die gleichen Regierungen, die es den Unternehmen der fossilen Brennstoffe ermöglichen, nach immer mehr Öl und Gas zu bohren und unsere Zukunft für ihren Profit zu verbrennen.

PolitikerInnen und Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft wissen seit Jahrzehnten vom Klimawandel. Und doch lassen die PolitikerInnen die Profiteure weiterhin die Ressourcen unseres Planeten ausbeuten und seine Ökosysteme zerstören, auf der Suche nach schnellem Geld, das unsere Existenz bedroht.“

Andererseits offenbart derselbe Text auch die Schwächen der Bewegung. Es bleibt beim Appell an die Herrschenden:

„An die FührerInnen, die nach Madrid reisen, ist unsere Botschaft einfach: Die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf Euch gerichtet. Handelt entsprechend.“

Dass auch COP 25 wenig mehr als heiße Luft produzieren wird, lässt sich schon heute voraussehen. Von der Weltklimakonferenz erwartet seit Jahren niemand mehr, dass von ihr noch irgendwelche Impulse ausgehen werden. Die USA haben unter Trump den illustren Kreis verlassen. Andere wie die deutsche Regierung unter Merkel präsentieren sich gern als „Klimachampions“ – und vertreten vor allem die Interessen der deutschen Großindustrie.

Keine der alten imperialistischen Mächte, seien es die USA oder die Länder der EU, keine der konkurrierenden Mächte wie China oder Russland, keines der „Schwellenländer“ wie Indien oder Brasilien will die Kosten wirksamer globaler Maßnahmen gegen den Klimawandel übernehmen. Alle sind zwar für den Klimaschutz – doch zahlen sollen ihn die anderen. Und darüber hinaus soll er auch noch profitabel sein. Dagegen ist die Quadratur des Kreises ein leichtes Unterfangen.

Systemfrage

Der Weltklimagipfel wird allenfalls einmal mehr zeigen, dass die gesamte ökologische Frage untrennbar mit der Systemfrage verbunden ist, dass sie nur im Rahmen einer klassenpolitischen Strategie der sozialistischen Umwälzung lösbar ist. Ein „grüner“ Kapitalismus ist nicht minder unmöglich als ein „sozialer“ oder „friedlicher“. Überall sind es die ausgebeuteten, unterdrückten Teile der Bevölkerung, die ArbeiterInnenklasse, die Bauern und Bäuerinnen, die städtische Armut sowie die unteren Mittelschichten, die von der ökologischen und sozialen Krise am stärksten betroffen sind. Schon heute sind Millionen auf der Flucht, vertrieben von den Verwüstungen des Klimawandels. Gleichzeitig sollen die Armen und Ausgebeuteten weltweit auch die gesamte Last einer neuen Runde der Weltwirtschaftskrise, einer sich anbahnenden Rezession tragen. Die Revolten und Klassenkämpfe in Lateinamerika sind nur ein Vorbote dieser Entwicklung.

Die aktuelle Situation verweist also darauf, dass der Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, gegen die drohenden ökologische Katastrophe integraler Teil dessen für eine andere, sozialistische Gesellschaftsordnung, für eine Welt, in der nicht für Profit, sondern für die Befriedigung der Bedürfnisse der großen Masse produziert wird, sein muss. Nur auf dieser Basis kann eine globale Planung entwickelt werden, die es erlaubt, menschliche Bedürfnisse und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen.

Um dahin zu kommen, muss sich die Bewegung bewusst werden, gegen welches System sie ankämpft. Appelle an die Regierungen, „das Richtige zu tun“, werden nichts fruchten. In einer Klassengesellschaft bestimmen nicht über den gesellschaftlich herrschenden Interessen stehende „Vernunftgründe“ die Politik, sondern die Pläne der herrschenden Klasse – und diese sind mit einer rationalen, nachhaltigen Wirtschaft unvereinbar, selbst wenn sich diejenigen, die an den Schaltzentralen der Konzerne und großen Staaten sitzen, der drohenden Umweltkatastrophe vollauf bewusst wären. Letztlich sind sie Charaktermasken, FunktionsträgerInnen des Kapitals.

Es geht nicht darum, diese zu überzeugen, sondern darum, eine Bewegung aufzubauen, die der herrschenden Klasse und ihren Regierungen das Handwerk legen kann. Dazu muss sie jedoch selbst die Eigentumsfrage und die mit ihr untrennbar verbundene der Macht aufwerfen.

Um eine solche Kraft zu entfalten, reicht es freilich nicht aus, System und GegnerInnen zu benennen. Um eine Bewegung aufzubauen, die Millionen nicht nur auf die Straßen bringen kann, sondern wirklich die Machtfrage stellen kann, braucht es wirkliche Klimastreiks, die die Produktion lahmlegen, die nicht nur wenige Stunden andauern, sondern bis zur Durchsetzung konkreter Forderungen geführt werden. Kurzum, die globale Klimabewegung muss sich auf die ArbeiterInnenklasse als zentrale Kraft stützen. Nur sie vermag es, die Fabriken, die Betriebe und damit die Quelle der Profitmacherei lahmzulegen, also die Reichen und KapitalbesitzerInnen dort zu treffen, wo es weh tut. Nur sie kann im Bündnis mit der Bauern-/Bäuerinnenschaft auf dem Land die Produktion so reorganisieren, dass die Befriedung der Bedürfnisse der Massen und ökologische Nachhaltigkeit gewährleistet werden.

Um eine solche Bewegung aufzubauen, helfen unverbindliche und folgenlose Appelle an Regierungen und Unternehmen, „ihrer Verantwortung nachzukommen“ oder den „Klimanotstand“ zu erklären, nichts.

Unsere Forderungen müssen vielmehr konkret sein und sich gegen die großen Konzerne und VermögensbesitzerInnen richten. So wird es keine Wende weg von einer Wirtschaft, die auf fossilen Energieträgern fußt, geben, ohne die großen Konzerne in dieser Branche wie auch im Bereich von Transport und Verkehr zu enteignen. Alle wichtigen industriellen Sektoren müssen der Verfügungsgewalt des Kapitals letztlich entzogen werden, um z. B. eine Verkehrswende hin zur Schiene und zum öffentlichen Nahverkehr durchzusetzen. Nur wenn die großen Agrarkonzerne enteignet werden, kann eine ökologische Umstellung der Landwirtschaft erfolgen. Daher stellt die entschädigungslose Enteignung der großen Konzerne und Banken eine Schlüsselfrage auch für die Umweltbewegung dar. Auch eine enge Verzahnung von Industrie, Dienstleistungen und Wissenschaft kann nur dann nutzbringend, nachhaltig und effektiv erfolgen, wenn sie nicht unter dem Diktat der Profitmacherei steht.

Damit ist jedoch die Frage nicht erledigt. Dem bürgerlichen Staat, selbst ein Instrument der herrschenden Klasse, kann die Kontrolle über ökologische Umstellung der Produktion und des Konsums nicht überlassen werden. Daher sollte die Bewegung für die Enteignung unter ArbeiterInnenkontrolle durch betriebliche wie politisch-gesellschaftliche Kontrollorgane eintreten, die bis hin zu Räten der ProduzentInnen und KonsumentInnen entwickelt werden können.

Für die notwendigen Maßnahmen zum ökologischen Umbau müssen die Reichen, die Kapital- und VermögensbesitzerInnen sowie die wohlhabenden imperialistischen Staaten aufkommen. Den Ländern der sog. „Dritten Welt“ müssen ihre Schulden erlassen, alle Zwangsdiktate durch IWF und andere imperialistische Agenturen gestoppt werden. Zur Finanzierung der Umweltmaßnahmen braucht es die Enteignung der Banken und Finanzinstitutionen, des Großkapitals und eine massive Besteuerung der Reichen.

Gleichzeitig müssen wir alle Versuche bekämpfen, die Beschäftigten in den Industrien wie Bergbau, Automobil usw. die Kosten einer Umstellung der Produktion ausbaden zu lassen. Wir kämpfen gegen alle Entlassungen und für die Umstellung der Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle. Die ArbeiterInnen und TechnikerInnen in diesen Industrien können eine zentrale Rolle bei der ökologischen Umstellung der Wirtschaft spielen, wenn ihr Wissen und ihre Erfahrung dementsprechend genutzt werden.

Die Umweltbewegung braucht daher nicht mehr und nicht weniger als ein globales Aktionsprogramm, ein Programm von Übergangsforderungen, das Sofortmaßnahmen in einzelnen Ländern mit dem Kampf für eine demokratische Planwirtschaft verbindet. So kann der Slogan „System change not climate change“ mit Leben erfüllt werden.

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