Workers Power/Irish Workers Group, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019 (Erstveröffentlichung 2001)
Die Existenz der Sowjetunion als degenerierter ArbeiterInnenstaat bis in die 1990er Jahre kann nur durch eine Analyse der Expansion des Stalinismus seit Ende des Zweiten Weltkriegs erklärt und verstanden werden. Die durch diese Expansion aufgeworfenen theoretischen und politischen Probleme haben unter all jenen, die sich auf den Trotzkismus berufen, eine tiefe programmatische Verwirrung verursacht. Diese Verwirrung rührte zum Teil oder zur Gänze von der Unfähigkeit her, Trotzkis Analyse des Stalinismus unter den Bedingungen des Krieges und seiner Folgen weiterzuentwickeln.
Seit Beginn der 1920er Jahre hatte Trotzki immer wieder die allgemeinen Widersprüche skizziert, die zu einem neuen imperialistischen Weltkrieg drängten. Er erkannte völlig richtig, dass die USA aus dem Ersten Weltkrieg viel stärker hervorgegangen waren als sowohl die siegreichen wie die besiegten Imperialismen Europas. Damals glaubte Trotzki, dass ein neuer Krieg aus dem gescheiterten Versuch einer Nachkriegsexpansion der USA entstehen würde; ein Scheitern, das aus der Unfähigkeit, genug aus der ruinierten Wirtschaft Europas zu akkumulieren, und aus dem Widerstand Frankreichs und Großbritanniens, zu Halbkolonien der USA degradiert zu werden, herrührte. (1)
Der entscheidende Anstoß, der Trotzki zu einer Konkretisierung seiner Analyse und einer Diskussion über die Geschwindigkeit, mit der sich der Krieg nähern würde, zwang, war Hitlers Machtergreifung 1933. (2) Weil das Schicksal des Stalinismus untrennbar mit der Entwicklung des Imperialismus und der ArbeiterInnenklasse verknüpft war, zog Trotzki eine Reihe von Schlüssen hinsichtlich des Schicksals der KremlherrInnen, falls der erwartete Krieg Wirklichkeit werden sollte.
Trotzki argumentierte, dass der imperialistische Krieg und die ihn begleitenden revolutionären Aufstände die stalinistische Bürokratie hinwegfegen würden. Entweder würde sie direkt dem Ansturm des Imperialismus – unter Beihilfe restaurativer Kräfte in der UdSSR – unterliegen, oder eine Reihe erfolgreicher proletarischer Revolutionen in Europa, hervorgerufen durch den Krieg, würde zu einer politischen Revolution in der Sowjetunion führen und die Kreml-Bürokratie zerstören. (3)
Als strategische Prognose behielten Trotzkis Formulierungen ihre Gültigkeit. Die reaktionäre, utopische Politik der von den StalinistInnen praktizierten „Entspannung“, der „friedlichen Koexistenz“ führte unvermeidlich zur Zerstörung der vergesellschafteten Eigentumsverhältnisse. Diese Entwicklung hätte nur durch die politische Revolution der ArbeiterInnenklasse verhindert werden können.
Die unleugbare Tendenz in Richtung auf eine Zerstörung des Stalinismus wurde im Verlauf des Zweiten Weltkrieges jedoch durch eine Reihe konjunktureller Faktoren aufgehalten, die Trotzki nicht vorausgesehen hatte – und in einigen Fällen auch gar nicht voraussehen konnte.
Es war die Spaltung innerhalb des Weltimperialismus, die seine Fähigkeit zu einer Offensive gegen die UdSSR schwächte. Der Charakter des imperialistischen Krieges selbst – blutige Auseinandersetzungen über die Aufteilung der Weltmärkte – brachte die Alliierten, die „demokratischen“ imperialistischen Nationen (v. a. Großbritannien und die USA) schließlich dazu, die stalinistische Bürokratie gegen die Achsenmächte zu unterstützen, um so ihre eigenen imperialistischen Ziele zu erreichen.
Die Niederlage der Achsenmächte und der mit ihnen verbündeten Bourgeoisien in verschiedenen Ländern wurde zu Kriegsende von breiten, antikapitalistischen Mobilisierungen begleitet. Dies bestätigte das objektiv vorhandene Potential für einen revolutionären Ausgang des Krieges, wie es Trotzki voraussah. In den Ländern der Achsenmächte (Bulgarien, Rumänien, Ungarn) zeigten sich nach der Niederlage der deutschen Truppen diese Ausbrüche am deutlichsten. So bemerkte zum Beispiel „The Economist“ am 7. 10. 1944, dass in ganz Thrakien und Mazedonien „Soldatenräte gebildet worden sind, Offiziere abgesetzt, rote Fahnen aufgezogen und die Grußpflicht abgeschafft wurden.“ (4)
In Osteuropa trat die ArbeiterInnenklasse in der Tschechoslowakei am stärksten in den Vordergrund, als Fabrikkomitees, ArbeiterInnenräte und -milizen gegründet wurden. Eine Doppelmachtsituation existierte dort 1944/45 etliche Monate. Es dauerte ein ganzes Jahr, ehe die Regierung es wagte, die ArbeiterInnenkontrolle in den Fabriken zu beschneiden. (5) Auch in Deutschland gab es weitverbreitete ArbeiterInnenerhebungen, insbesondere in Magdeburg und Halle. Es ist – sogar bei bürgerlichen HistorikerInnen – mittlerweile zu einem Gemeinplatz geworden, dass die Niederlage Hitlers in Frankreich 1944 für die ArbeiterInnenklasse äußerst günstige Bedingungen hervorgerufen hatte, um die Staatsmacht zu ergreifen. (6)
Der im Krieg siegreiche imperialistische Block war selbst unfähig, diese Bewegung zu zerschlagen. Der Imperialismus war gezwungen, sich auf den Kreml und seine bewaffneten VertreterInnen zu stützen, um die wachsende Zahl der ArbeiterInnenkämpfe einzudämmen. Der Einsatz der Roten Armee zur gewaltsamen Beendigung der ArbeiterInnenkontrolle in den Fabriken war allgemein verbreitet, insbesondere in Polen, Rumänien und Bulgarien. Im besiegten Deutschland und in Österreich litt die ArbeiterInnenklasse noch viel schlimmer. Viele ArbeiterInnenbezirke wurden terrorisiert; Wien wurde drei Tage hindurch geplündert und verwüstet.
Der Fortbestand des Bündnisses von Westalliierten und UdSSR hatte den Effekt, dass ein unmittelbarer Zusammenstoß zwischen Stalinismus und Weltimperialismus aufgeschoben wurde. Diese unheilige Allianz gegen die ArbeiterInnenklasse nahm in Indochina ein besonders schlimmes Ausmaß an, als die StalinistInnen in führender Position in den Reihen der ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen mithalfen, deren Avantgarde abzuschlachten, und dem Imperialismus ein politisch gebrochenes Proletariat auslieferten.
In Griechenland machte sich die KP, in Übereinstimmung mit Stalins Anweisungen, eines ähnlichen Verrats schuldig. Die zwischen Stalin und Churchill in Moskau und von allen Alliierten in Jalta getroffenen Abkommen über „Einflusssphären“ hatten Indochina und Griechenland dem Imperialismus überlassen und Stalin war entschlossen, diese Abkommen auch einzuhalten.
Trotzki hatte in seiner Prognose immer darauf bestanden, dass die Vorbedingung für eine revolutionäre Zerschlagung der Sowjetbürokratie während des Krieges der Aufstieg der Vierten Internationale zur politischen Führungsmacht sei. Als der Krieg jedoch vorbei war und ArbeiterInnenkämpfe tatsächlich ausbrachen, befanden sich die Kader der Vierten Internationale in nahezu völliger Isolation, mit Ausnahme einiger bemerkenswerter Fälle – wie etwa in Indochina. Der Stalinismus in der UdSSR und anderswo war daher imstande zu überleben, da den revolutionären Aufständen eine Führung fehlte, die fähig gewesen wäre, diese ebenso gegen die Bürokratie wie gegen den Kapitalismus zu lenken. Die Rolle des bewussten Faktors – der revolutionären Partei – in Trotzkis Prognose sollte niemals übersehen werden. Das Versagen dabei, seine Bedeutung zu erkennen, führte die Vierte Internationale schließlich dazu zu glauben, Stalinismus und Imperialismus könnten durch den „objektiven Prozess“, unabhängig vom Willen der Beteiligten, gestürzt werden. Diese Denkweise war Trotzki fremd.
Das Fortbestehen der UdSSR und des Stalinismus in ihr kann nicht nur durch eine Reihe internationaler Faktoren erklärt werden. Wichtige interne Ereignisse müssen ebenso in Betracht gezogen werden. Der rasche und umfangreiche Aufbau einer Kriegswirtschaft enthüllte das fortschrittliche Potential geplanter Eigentumsverhältnisse in der UdSSR. Doch letztlich ist das Überleben der Sowjetunion dem heldenhaften Widerstand der großen Masse der Sowjetbevölkerung – mit an die 20 Millionen Kriegstoten – angesichts des Angriffes des deutschen Imperialismus geschuldet. Der Widerstand des Volkes gegen den Faschismus trotz der Tyrannei stalinistischer Herrschaft erklärt sich einerseits aus der ernüchternden Erfahrung mit der faschistischen Gewaltherrschaft in großen Gebieten im Westen der UdSSR und durch die relative Schwächung der bonapartistischen Staatsmaschinerie den Massen gegenüber, welche es ihnen erlaubte, ihre Selbstverteidigung gegen den deutschen Imperialismus verhältnismäßig frei von bürokratischer Unterdrückung (wie etwa in Leningrad) wirksam zu organisieren.
Wenn sich auch die Eigentumsverhältnisse der UdSSR gegenüber den Attacken des Imperialismus als widerstandsfähig erwiesen, so richtete der Krieg dennoch unter den Produktivkräften der Sowjetunion schwere Verwüstungen an. Dies zeigte sich am dramatischsten in einer starken Verknappung der Akkumulation und einem absoluten Rückgang im Umfang der Produktivkräfte. Insgesamt wurden 31.850 Industriebetriebe zerstört, 65.000 Kilometer an Eisenbahngleisen, 15.800 Lokomotiven und eine halbe Million Güterwagen vernichtet. Die Kohle- und Stahlproduktion fiel in den Jahren 1942/43 um 40–50 %. Sie erreichte erst 1946 wieder das Niveau von 1940. Dazu kam noch die Zerstörung von 4,7 Mill. Häusern, 1.710 Städten und 70.000 Dörfern! In der Landwirtschaft war das Bild genauso düster. 98.000 Kolchosen und 1.876 Staatsgüter waren zerstört. Sieben Mill. Pferde und 20 Mill. Schweine (von insgesamt 23 Millionen!) waren verloren. Im von Nazi-Deutschland besetzten Russland waren lediglich 3 % der Traktoren bei Kriegsende übrig geblieben. (7)
Zentrifugale Tendenzen, die die planwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse untergruben, traten zwischen 1941 und 1944 immer mehr zutage. Die Schwerindustrie zum Beispiel litt stark darunter, dass ab 1941 die staatliche Produktionskostenunterstützung eingestellt und den einzelnen Trusts eine gewisse Autonomie verliehen wurde. Die Leichtindustrie war oft nur in lokalem Rahmen organisiert und in einigen Gebieten sogar auf reine Handwerksproduktion beschränkt. Auf dem Land erlebte die Kriegszeit ein beschleunigtes Tempo kapitalistischer Restauration in der Landwirtschaft mit der extensiven Entwicklung primitiver Kapitalakkumulation, die das soziale Regime in der UdSSR zu unterhöhlen drohte. Germain stellte dazu fest: „Die Ergänzung zu der größeren Freiheit, die den reicheren Bauern und Bäuerinnen gewährt wurde, bestand in der Zunahme an drakonischen Maßnahmen, die gegen die ArbeiterInnenklasse in den Städten ergriffen wurden, um die Anforderungen des Krieges zu erfüllen.“ (8)
Gleichzeitig wurden die Privilegien der Bürokratie ausgebaut. Das Erbrecht wurde erweitert, die orthodoxe Kirche wieder in Amt und Würden eingesetzt und der Armee und der GPU (jetzt: NKWD) wurde die Unabhängigkeit von der Partei zugesprochen. Trotz dieser massiven Krise gelang es den Kreml-FührerInnen, ihre Herrschaft zu sichern und ein unerwartetes Ausmaß an Stabilität zu erreichen. Als zum Beispiel die Belagerung von Leningrad durch die deutschen Truppen aufgehoben wurde, bemächtigte sich die GPU erneut der Stadt. Dies war nur aufgrund der Erschöpfung der ArbeiterInnenklasse möglich. Außerdem diente die dem Kreml von den Alliierten in Teheran und Potsdam gewährte Kriegshilfe der „lend-and-lease“-Programme dazu, die schlimmsten Auswirkungen der Krise in der Wirtschaft abzuschwächen. Als klar wurde, dass Hitler geschlagen werden würde, wurde die Kreml-Bürokratie von Angst vor den mächtigen restaurativen Kräften ergriffen, die sie selbst entfesselt hatte und die nun das Kollektiveigentum bedrohten. Ein neuer Fünfjahresplan (insgesamt der vierte), der auf eine Wachstumsrate von 10 % abzielte, wurde für 1945–1949 erstellt. Ende 1944 wurden groß angelegte Schauprozesse gegen IndustriemanagerInnen wegen angeblicher Veruntreuungen abgehalten und ab Ende 1945 begann in den offiziellen Erklärungen wiederum die Terminologie des „Marxismus-Leninismus“ den großrussischen Chauvinismus zu ersetzen, der während des Krieges kräftig gefördert worden war.
Schrittweise wurde die bonapartistische Staatsmaschine wieder aufgebaut, um die Interessen der Bürokratie gegenüber der Bedrohung ihrer Existenz seitens restaurativer Kräfte oder seitens des Proletariats zu behaupten. Einerseits schlug dieser Bonapartismus gegen die Elemente der Restauration auf dem Land, welche er selbst freigesetzt hatte, los. Gleichzeitig ging der Kreml jedoch gegen die ArbeiterInnenklasse vor, die während des Abwehrkampfes zur Verteidigung der UdSSR eine wachsende Unabhängigkeit von der Bürokratie gezeigt hatte. Das Überleben der stalinistischen Kaste war jedoch keine Angelegenheit, die im nationalen Rahmen entschieden werden konnte. Es war das internationale Szenario am Kriegsende, das für die Zukunft der BürokratInnen des Kreml entscheidend war.
Ein formeller politischer und militärischer Kontakt zwischen der UdSSR und den Alliierten wurde im Juli 1941 eingerichtet – nur einen Monat, nachdem die deutsche Invasion in der UdSSR den Hitler-Stalin-Pakt abrupt beendet hatte. Dieser Militärblock der Alliierten und der UdSSR war jedoch immer von beiderseitigem Misstrauen und Feindseligkeiten durchsetzt. Auch das erste Treffen der FührerInnen der „Großen Allianz“ Ende 1943 in Teheran war ein erbittertes Geplänkel, bei dem die Sowjetunion die sofortige Eröffnung einer zweiten Front in Europa forderte. Die Westalliierten hatten de facto die Sowjetunion dabei alleingelassen, die volle Macht des deutschen Imperialismus im Osten aufzuhalten, während sie selbst sich auf die Rückeroberung der an Deutschland und Japan verlorenen Kolonien konzentrierten. Obwohl die USA in Form des „lend-lease“ der Sowjetunion umfangreiche Hilfe zukommen ließen, bestand ihre Politik darin, Deutschland zu schlagen und ihren sowjetischen Verbündeten gleichzeitig ausbluten zu lassen. Als Beweis für die Aufrichtigkeit gegenüber seinen „demokratisch“-imperialistischen Verbündeten löste Stalin 1943 die Kommunistische Internationale formell auf – und löschte damit auch nur den bloßen Anschein einer Verpflichtung der internationalen Revolution gegenüber.
Zu Beginn des Krieges sprach sich die unter den FührerInnen des US-Imperialismus vorherrschende Meinung für eine völlige Kontrolle der USA über Europa aus. George F. Kennan, der führende außenpolitische Berater von Roosevelt und Kopf der politischen Planungsabteilung im Weißen Haus, erklärte 1942: „Wir werden es unternehmen, das gesamte Kontrollsystem, das die Deutschen zur Verwaltung der europäischen Wirtschaft aufgebaut haben, zu übernehmen, wobei wir den Apparat aufrechterhalten, aber unsere eigenen Leute in Schlüsselpositionen darin einsetzen, um es zu leiten – und wir werden dann dieses System zur Ausführung welcher Politik auch immer, die wir in der unmittelbaren Zeit nach dem Krieg in Kontinentaleuropa anwenden, einsetzen.“ (9)
Die entscheidende Veränderung des Kräftegleichgewichtes zwischen den Imperialismen der Alliierten und denen der Achsenmächte fand während des Jahres 1943 statt, als der Sieg der Alliierten immer sicherer schien. Der sowjetische Sieg bei Stalingrad und deren Vormarsch nach Osteuropa zwang die ImperialistInnen, mit der Verhandlungsstärke der Sowjetunion innerhalb des antideutschen Bündnisses fertigzuwerden. In Teheran wurde späteren Aufteilungen nach Kriegsende – mit Ausnahme einer allgemeinen Übereinkunft zur Aufteilung Deutschlands – nur wenig Beachtung geschenkt. Stalin sagte: „Gegenwärtig gibt es keine Notwendigkeit, über irgendwelche sowjetischen Wünsche zu sprechen. Aber wenn die Zeit kommt, werden wir sprechen.“ (10)
Roosevelt verließ die Konferenz, davon überzeugt, dass der UdSSR nach dem Krieg einige taktische Zugeständnisse gemacht werden müssten. Erst als die Niederlage Deutschlands sicher und die Rolle, die die UdSSR bei dieser Niederlage spielen würde, den USA klar war, wurden derartige taktische Konzessionen überhaupt in Erwägung gezogen. Roosevelt bekannte nach seiner Rückkehr von der Konferenz in Jalta im Januar 1945 vor einer Gruppe von SenatorInnen:
„Die Besatzungstruppen hatten die Macht in den Gebieten, wo ihre Waffen gegenwärtig waren, und die anderen konnten keine Entscheidung erzwingen. Die RussInnen hatten in Osteuropa die Macht. Der einzige praktische Weg war, was wir an Einfluss besaßen, zur Verbesserung der Situation zu benutzen.“ (11)
Sogar zu diesem Zeitpunktpunkt der Schwäche machten die ImperialistInnen der UdSSR keine vorbehaltlosen Konzessionen.
Angesichts dieser Aussichten war der Kreml mit einigen akuten Problemen konfrontiert, die in der internationalen Politik einen Rechtsschwenk erforderten. Das Hauptproblem bestand in der wachsenden Flut einer antikapitalistischen Erhebung und ihrer Eindämmung in ganz Europa – einer Bewegung, die weitgehend außerhalb der Kontrolle der Sowjetbürokratie lag oder der Kontrolle der einheimischen StalinistInnen zu entgleiten drohte.
Aber die sowjetische Führung musste ebenso vor der strategischen Bedrohung seitens des anglo-amerikanischen Imperialismus auf der Hut sein. Wenn auch ein taktisches Bündnis mit diesem Block durch die Drohung des deutschen Imperialismus notwendig geworden war, so trat mit deren Abklingen die Drohung einer anglo-amerikanischen Aggression wieder in den Vordergrund. Es war für Stalin entscheidend, Schritte zur Vorbereitung gegen diese Bedrohung zu unternehmen.
Derartige taktische Zugeständnisse an den Kreml wurden von Teilen der herrschenden Klasse der USA abgelehnt. Der amtsführende Staatssekretär für den Großteil des Jahres 1945 war Joseph Grew, ein Kriegstreiber, der bereits im Dezember 1944 am Vorabend von Jalta behauptet hatte: „Es wäre viel besser und sicherer, den Showdown zu haben, bevor Russland sich wieder erholen und seine gewaltige potentielle Militär-, Wirtschafts- und Territorialmacht entwickeln kann.“ (12)
Auf der Potsdamer Konferenz im Juni/Juli 1945 wurden die Details der Nachkriegsordnung abgestimmt. Während dieser Konferenz zündeten die USA in New Mexico die erste Atombombe. Die Existenz der Bombe sollte die Forderung des US-Imperialismus nach einem sowjetischen Vorgehen gegen Japan nach Einstellung der Kriegshandlungen in Europa überflüssig machen und das Kräfteverhältnis innerhalb der Alliierten zuungunsten der Sowjetunion verändern. Churchill zeigte sich – im Namen des britischen Imperialismus – entzückt über diese neue Waffe. Ehe die Nachrichten über seine Wahlniederlage im Juni ihn zur Abreise aus Potsdam zwangen, schrieb er: „Wir haben jetzt etwas in den Händen, das das Gleichgewicht mit den Russen verändern wird. Das Geheimnis dieser Bombe und die Macht, sie zu verwenden, werden das diplomatische Gleichgewicht, das seit der Niederlage Deutschlands aus dem Lot geraten war, vollkommen verändern.“ (13) Dazu war Churchill noch entschlossen, die deutsche Armee als Bollwerk gegen die UdSSR unversehrt zu lassen.
Im Bewusstsein dieser potentiellen Bedrohung erkannte Stalin die unbedingte Notwendigkeit des schnellstmöglichen Wiederaufbaus der verwüsteten Wirtschaft, um sowohl im Inneren gegenüber der ArbeiterInnenklasse wie auch nach außen gegenüber der imperialistischen Gefahr seine Sicherheit zurückzugewinnen. Um auf den Kreml Druck auszuüben, wurde die „lend-lease“-Hilfe an die UdSSR im Juni 1945, unmittelbar vor Potsdam, eingestellt. Die USA verfolgten nun eine wesentlich härtere Linie hinsichtlich künftiger Reparationsleistungen. Beide Maßnahmen sollten dazu dienen, die UdSSR dafür zu bestrafen, dass sie die Grenzen des Abkommens von Jalta angeblich überschritten hätte. Dementsprechend waren denn auch in Potsdam die Reparationsforderungen der springende Punkt, da Stalin fest dazu entschlossen war, Deutschland die Kriegskosten bezahlen zu lassen. Schließlich wurde in einem gemeinsamen Übereinkommen besiegelt, dass im von der UdSSR besetzten Gebiet jegliche Reparationsforderungen gewährleistet seien.
Zieht man die entscheidende Bedeutung der vielfältigen Bedrohungen für die Existenz einer stabilen parasitären Kaste in der UdSSR und den internationalen Charakter dieser Schwierigkeiten in Betracht, so war das Überleben des Stalinismus untrennbar mit der politischen Konsolidierung seiner militärischen Expansion in Osteuropa verbunden. Die Expansion des Stalinismus war durch eine Reihe besonderer Eigenheiten gekennzeichnet.
Der Stalinismus fürchtete vor allem die Gefahr einer wirklichen proletarischen Revolution. Dementsprechend wurde die Ausweitung seines politischen Einflusses auf eine Weise erreicht, die die Interessen der ArbeiterInnenklasse denen der Bürokratie, und damit dem Imperialismus, unterordnete. Die reaktionäre, utopische Theorie des „Sozialismus in einem Land“, das Glaubensbekenntnis der stalinistischen Bürokratie, führt programmatisch zur illusionären Strategie der globalen „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus. Die Interessen der ArbeiterInnenklasse wurden auf dem Altar dieser Strategie geopfert.
Unter außergewöhnlichen Umständen kann jedoch die „Entspannungsstrategie“ mit dem Kapitalismus auf Weltebene gemäß ihrer eigenen Logik zu dessen Abschaffung im lokalen Rahmen führen. Mit anderen Worten: Der allgemeine Wunsch, mit dem Privateigentum ein friedliches Nebeneinander zu ermöglichen, führt unter gewissen, örtlich beschränkten Umständen zur Abschaffung des Privateigentums, sobald sich dies für den Stalinismus als unvermeidbar erweist. Dies sollte das Endergebnis in den meisten Gebieten darstellen, welche die Sowjetunion bei Kriegsende besetzt hielt.
Aber diese Abschaffung des Kapitalismus findet nur dann statt, wenn das „Entspannungsverhältnis“ für die stalinistische Bürokratie äußerst unvorteilhaft geworden ist. Sie findet nur statt, um die „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus auf Weltebene auf einer festeren Grundlage wiederherzustellen. (14) Sie beweist keineswegs, dass der Stalinismus zu einem revolutionären Faktor geworden war.
Die ehemaligen „Achsen-Länder“ wie Bulgarien, Rumänien und Ungarn wurden zuerst und am härtesten getroffen – unmittelbar nach ihrer Besetzung wurden 70 % ihrer Industriemaschinen demontiert. In Ungarn wurden 1945 ca. 90 % der Industriekapazität in der Metallverarbeitung und im Maschinenbau demontiert. In Rumänien wurde zwischen dem 23. August und dem 12. September 1944 Maschinerie im Wert von 2 Milliarden Dollar beschlagnahmt einschließlich der gesamten Kriegsmarine, des Großteils der Handelsflotte, der Hälfte der Eisenbahneinrichtungen und der Erdölindustrie. In Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslawien wurden zwischen 15 und 25 % der Industriebestände abtransportiert. 60 große Industrieunternehmen wurden so allein im Sudetenland abgebrochen. Dazu kam noch, dass jährlich bis zu 30 % des Bruttonationalproduktes der besetzten Länder vom Kreml eingezogen wurden.
In der Theorie sollte diese „gemischte Wirtschaft“ zu gleichen Teilen aus Kapitalanteilen der Sowjetunion und der einheimischen Bourgeoisie gebildet werden. In Wirklichkeit war jedoch nur herzlich wenig von einer tatsächlichen russischen „Beteiligung“ zu sehen. So verschwanden denn unter diesem Deckmantel Unmengen an Rohstoffen und Energielieferungen in die UdSSR wie etwa das rumänische und iranische Erdöl, Bauxit aus Jugoslawien – ohne entsprechende Gegenleistungen. (15)
Wir müssen uns an Trotzkis Warnung erinnern, dass die unstillbare Gier der Bürokratie und ihr Wunsch, ihre Privilegien und ihr Prestige über andere Territorien auszudehnen, ein Faktor bei jeder Expansion sein wird. Es wird jedoch immer nur ein nebensächlicher Faktor sein, da dies allein für den Stalinismus keinen ausreichenden Grund darstellt, sein Übereinkommen mit dem Imperialismus aufzukündigen, oder die Möglichkeit, eine ungewollte revolutionäre Aktion der unterdrückten Massen zu entfesseln.
In Osteuropa war die von der stalinistischen Bürokratie verfolgte politische Strategie bei Kriegsende – und das ihr zugrunde liegende Motiv – im Wesentlichen überall gleich. In jedem dieser Länder wurden die Niederlage und der Rückzug des deutschen Imperialismus von potentiell revolutionären Mobilisierungen der ArbeiterInnen in Stadt und Land und der Bauern/Bäuerinnen begleitet. Obwohl ihrer Ausrichtung nach antikapitalistisch, blieben die Massen ohne eine revolutionäre, trotzkistische Führung. Die Dominanz des einheimischen Stalinismus war von Land zu Land sehr verschieden, was die Avantgarde dieser Massenkämpfe angeht.
Die Tschechoslowakei war am Vorabend des Krieges das einzige Land Osteuropas mit dem Anschein bürgerlicher Demokratie. Das ermöglichte es der KPTsch, relativ offen tätig zu sein. An ihrem Tiefpunkt hatte die KPTsch etwa 24.000 Mitglieder. Bei Wahlen war sie jedoch immer imstande, bis zu 450.000 Stimmen zu erzielen, auch wenn sie nur 12 % der Gewerkschaftsmitglieder kontrollierte. Sie überdauerte die deutsche Besetzung trotz scharfer Repression im Untergrund, um im Mai 1945 im tschechischen Teil allein mit einer Mitgliederzahl von 27.000 neu zu entstehen. Im Januar 1946 zählte sie bereits 1.159.164 Mitglieder.
Andererseits gab es die polnische KP, die unter den Säuberungen Stalins am meisten gelitten hatte. Sie war de facto liquidiert worden, 12 ihrer ZK-Mitglieder wurden hingerichtet. Als sie 1941, nach dem gewaltsamen Bruch des Hitler-Stalin-Paktes (in dessen Vorbereitung ihre Mitglieder von Stalin massakriert worden waren) wieder gegründet wurde, wies sie 1942/43 nur eine winzige Mitgliedschaft von 4.000 auf.
Doch letztlich wurde die Schwäche einiger stalinistischer Parteien durch die Kontrolle über die Staatsmacht durch die Rote Armee wettgemacht. Angesichts der sporadischen und von einander isolierten Widerstandsbewegungen in Osteuropa war die Hauptkraft bei der Vertreibung des deutschen Imperialismus die Rote Armee gewesen – d. h. der bewaffnete Flügel der Kreml-Bürokratie. Seit 1944 wurde die Niederlage des deutschen Imperialismus von der gezielten Zerstörung der eigenständigen antifaschistischen und antikapitalistischen Bewegungen der osteuropäischen Massen durch die Rote Armee selbst begleitet. Überall beschützten die StalinistInnen die Herrschaft der Bourgeoisie in der Wirtschaft (in einigen Fällen führten sie sie neuerlich ein) und verhinderten die Enteignung des Privateigentums durch die ArbeiterInnen oder Bauern/Bäuerinnen. Dort, wo die ArbeiterInnen Fabriken besetzt und in eigene Leitung übernommen hatten, wurde die Verstaatlichung als ein Mittel benutzt, um ihnen die direkte Kontrolle über die Produktion wieder zu entziehen.
Molotows Warnungen an die bulgarische ArbeiterInnenklasse waren typisch für diese Zeiten: „Wenn gewisse KommunistInnen ihr derzeitiges Verhalten beibehalten, werden wir sie zur Vernunft bringen. Bulgarien wird weiterhin unter seiner demokratischen Regierung und nach der derzeitigen Ordnung bleiben.“ (16) Hinsichtlich Bulgariens vermeldete das bürgerliche Blatt „Le Monde“ im Juni 1946 erfreut: „Mehr noch, die Vaterländische Front war fähig, eine sichere Wirtschaftslage zu bewahren und die finanzielle Stabilität des Landes zu schützen.“
Auch das „Genfer Journal“ hatte bereits einen Monat zuvor in Hinblick auf Ungarn gejubelt: „Wo immer sie können, blockieren und opponieren die RussInnen eine/r Übernahme der großen Industrieunternehmen in ein neues staatliches System.“ In Rumänien wurde der Nazi-Kollaborateur und Erdölmagnat Tatescu von der KP als Nationalheld gefeiert. Sogar der diskreditierte rumänische Monarch, König Michael I., wurde auf den Thron zurückgeholt und von Stalin ausgezeichnet. (17)
Wie auch in anderen besetzten Ländern Osteuropas besaß die deutsche Bourgeoisie z. B. in der Tschechoslowakei einen Großteil des Kapitals. 1945 befanden sich 60 % der Industrie und de facto das gesamte Finanzwesen in der Tschechoslowakei in deutschen Händen. Nach dem Abzug der faschistischen Besatzungsmacht errichteten die Arbeiterinnen und Arbeiter im ganzen Land ihre Kontrolle über die Produktion. Diese ArbeiterInnenräte bauten eine landesweite Verwaltungsstruktur auf, die anzuerkennen die Regierung Benes sich gezwungen sah. Kurz danach gab es bereits an die 10.000 landesweit organisierter ArbeiterInnenverwaltungen, die über 75 % der IndustriearbeiterInnen vereinten. Die Verstaatlichung der Betriebe und die schrittweise Einsetzung staatlicher FunktionärInnen als BetriebsleiterInnen war der einzige Weg – neben einer gewaltsamen Lösung –, um diese revolutionäre Situation zu entschärfen. (18)
Gleichzeitig gab es beträchtlichen Druck seitens der ArbeiterInnenklasse in Richtung auf eine Verstaatlichung, da die Meinung vorherrschte, dies würde das Ende kapitalistischer Ausbeutung bedeuten. Als Ergebnis dessen verfügten dann die Verstaatlichungsdekrete vom Oktober 1945, dass 62 % der ArbeiterInnenklasse in der Staatsindustrie beschäftigt sein würden – bei einem Anteil der verstaatlichten Industrie von insgesamt nur 16 % aller Betriebe der Tschechoslowakischen Republik. Dies bedeutete nicht die Enteignung der gesamten Kapitalistenklasse durch die tschechischen ArbeiterInnen. Im Gegenteil, die KPTsch erklärte offen: „Unter Verstaatlichung verstehen wir die Überführung des Eigentums Deutscher, Ungarn, der VerräterInnen und KollaborateurInnen in die Hände der tschechischen und slowakischen Nation.“ (19) Ein anderes Verstaatlichungsdekret war noch freimütiger, als es erklärte, dass die Unternehmen nach den Prinzipien des Geschäftswesens, der Betriebsunabhängigkeit, des Profits und des freien Wettbewerbs geführt werden sollten. (20)
Der diesbezüglich über jeden Verdacht erhabene bürgerliche Staatspräsident der ersten tschechischen Nachkriegsregierung, Benes, umriss diese Position klar in einem Interview mit dem „Manchester Guardian“ im Dezember 1945: „Die Deutschen übernahmen einfach die Kontrolle über alle wichtigen Industrien und über alle Banken (…) Auf diese Weise bereiteten sie automatisch das Wirtschafts- und Finanzkapital unseres Landes auf die Verstaatlichung vor. Diesen Besitz und die Banken wieder in die Hände tschechischer Privatleute zu übergeben oder ihn ohne beträchtliche staatliche Unterstützung und neue finanzielle Garantien zu konsolidieren, war einfach unmöglich. Der Staat musste eingreifen.“
Auf Staatsebene diente die Rote Armee dazu, die Formen des mit der bürgerlichen Herrschaft verbundenen Verwaltungs- und Repressionsapparates zu stabilisieren oder wiederherzustellen: eine Zentralregierung in den Händen einer abgehobenen und nicht rechenschaftspflichtigen Exekutivgewalt; die innere und äußere Sicherheit in den Händen einer stehenden Armee zentral zusammengefasst – über und gegen die Masse der direkten ProduzentInnen. Angesichts des in hohem Grad verstaatlichten Charakters der Eigentumsverhältnisse in diesen Ländern und der daraus sich ergebenden Schwäche individueller RepräsentantInnen des Kapitals in der Wirtschaft war es für den Stalinismus besonders wichtig, mit den VertreterInnen der Bourgeoisie in führenden und entscheidenden Positionen Koalitionsregierungen zu bilden.
In Bulgarien fanden 1945 vermutlich 20.000 politische Hinrichtungen statt. Nichtsdestotrotz saß der populäre Führer der Agrarischen Volksunion, Nikola Petkow, in der Regierung. Im November fanden Wahlen statt – mit dem Ergebnis einer überwältigenden Mehrheit für die „Vaterlandsfront“, eine Koalition aus KP und bürgerlichen NationalistInnen unter Vorsitz des streng antikommunistischen Premiers Kimon Georgiew.
In Rumänien wurde die erste Regierung nach der Niederlage der Deutschen von der Nationalen Bauern-/Bäuerinnenpartei und den Nationalliberalen im September 1944 gebildet – mit dem Justizminister Patrascanu als einzigem Stalinisten im Kabinett. Die Machenschaften und die brutale Gewalt der Roten Armee in den folgenden Monaten zielten darauf ab, die zwei großen bürgerlichen Parteien (den „Nationalliberalen Block“) zu entfernen und durch eine Regierung der „Nationaldemokratischen Front“ (NDF) zu ersetzen, die aus der KP, den SozialdemokratInnen, der „Union der PatriotInnen“ und der „LandarbeiterInnenfront“ bestand. Eine derartige Regierung wäre dem Kreml sehr freundlich gesinnt gewesen. In dieser Periode diktierte der Beauftragte Moskaus, A. J. Wyschinski, dem rumänischen König den Ablauf der Ereignisse. Schließlich wurde nach bewaffneten Demonstrationen im März 1945 eine Regierung der NDF etabliert, in der die NDF 17 MinisterInnen stellte – und drei Wirtschaftsministerien an einen Erdölmagnaten gingen, der auch als Außenminister fungierte. Diese Maßnahmen dienten dazu, die „demokratische“ Bourgeoisie einzubinden.
Ein ähnlicher Kampf fand auch in Polen statt: zwischen der im Londoner Exil ansässigen und von Großbritannien und den USA gestützten Gruppe polnischer NationalistInnen unter Führung des Chefs der Bauern-/Bäuerinnenpartei, S. Mikolajczyk, und dem sowjetisch unterstützten „Lubliner Komitee“. In jedem dieser Fälle dürfen die Säuberungen, Einschüchterungen und die Liquidation prominenter bürgerlicher PolitikerInnen nicht als eine vollkommene Eliminierung bürgerlicher Herrschaft verstanden werden, sondern als Maßnahmen zur Zerschlagung bürgerlicher Parteien mit starken Wurzeln und Anhang in der eigenen Bevölkerung und zu deren Ersetzung durch andere bürgerliche Kräfte, die über eine zu geringe Basis verfügten, um den Absichten des Kremls Widerstand leisten zu können, die aber gleichzeitig dazu dienten, die Wirtschaft auch gemäß den Interessen der einheimischen Bourgeoisie zu leiten – und die sogar auf die Hilfe des Imperialismus zählen konnten.
In jedem dieser Länder war der Staatsapparat in der letzten Kriegsperiode mehr oder weniger im Zerfall begriffen gewesen. Während die stalinistische Bürokratie die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen davon abhielt, ihren eigenen neuen Staatsapparat – basierend auf demokratischen Räten und einer ArbeiterInnenmiliz – zu schaffen, und die Kontrolle der Bourgeoisie in der Wirtschaft wieder aufrichtete, blieben die Schlüsselstellen des aus seinen Ruinen wiederauferstandenen Staatsapparates fest im Griff der Roten Armee und ihrer jeweiligen politischen StellvertreterInnen und Verbündeten. M. Rákosi, Ungarns KP-Chef, sprach für alle seine Gesinnungsgenossen und -genossinnen in Osteuropa zu dieser Zeit: „Es gab eine Position, deren Kontrolle von unserer Partei von der ersten Minute an beansprucht wurde. Eine Position, bei der die Partei nicht geneigt war, eine Postenverteilung welcher Art auch immer gemäß der Stärke der Parteien in der Koalition in Erwägung zu ziehen. (Diese Position) war die Staatssicherheit (…) Wir hielten diese Organisation vom ersten Tag ihrer Errichtung in unseren Händen.“ (21)
Doch es war Ungarn, wo die StalinistInnen die meisten Konzessionen in dieser Frage machen mussten. Die Koalition, die aus den Wahlen im Oktober 1945 hervorgegangen war, zerstritt sich heftig über die Besetzung der Ministerien. Schließlich sicherte Imre Nagy für die KP das Innenministerium, aber die Zuständigkeit für die Polizei musste an die KleinlandwirtInnenpartei abgetreten werden. Doch sonst behielten die stalinistischen KPen überall auch das Verteidigungsministerium – mit Ausnahme der Tschechoslowakei, was hier wiederum die relative Stärke der Bourgeoisie in diesem Lande widerspiegelte. Ebenso wurden überall die Schalthebel der bewaffneten Staatsmacht dazu benutzt, um GegnerInnen einzuschüchtern, Wahlen zu fälschen und die Politik in die gewünschten Bahnen zu lenken.
Das Ergebnis war eine Doppelmachtsituation in Osteuropa, die das Kräfteverhältnis zwischen der Weltbourgeoisie und der UdSSR widerspiegelte. Die politische Macht war zwischen dem Stalinismus und der Bourgeoisie geteilt. Die stalinistischen KPen besaßen das Monopol auf den Unterdrückungsapparat, aber die Bourgeoisie war in den politischen Überbau durch ihre Kontrolle der Staatswirtschaft einbezogen. Nirgendwo trat dies klarer an den Tag als in der Tschechoslowakei. Die deutschen Truppen waren erst sehr spät – im Mai 1945 – endgültig aus Prag vertrieben worden. Die erste Nachkriegsregierung wurde aus einer Koalition von vier bürgerlichen Parteien und zwei bürgerlichen ArbeiterInnenparteien (der KP und den SozialdemokratInnen) gebildet. Unter ihnen erschien die KPTsch als die stärkste, die dementsprechend als erste unter den 22 Ministerien wählen konnte, die zu gleichen Teilen unter den Koalitionspartnerinnen verteilt werden sollten. Die KPTsch nahm sich das Innen-, das Informations- und das Landwirtschaftsministerium und überließ die Wirtschaftsministerien der Bourgeoisie.
Wenn wir diese Periode als Doppelmachtsituation definieren, können wir auch ihre Instabilität und ihre Entwicklung verstehen. In Osteuropa bestand die Doppelmacht aus einem Pakt zwischen dem Stalinismus und der Bourgeoisie. Dieser Pakt war für die Bourgeoisie dieser Länder notwendig, da sie geschwächt und von den stalinistischen KPen bei der Bewahrung des Privateigentums abhängig war. Er war notwendig für den Stalinismus, da die Bürokratie in den Jahren 1945–1947 das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufrechterhalten wollte, um ihr Abkommen mit dem Imperialismus zu erfüllen und dafür von den USA Wirtschaftshilfe zu erlangen. Die Doppelmacht war für den Stalinismus auch nötig, um die unabhängige Aktivität der ArbeiterInnenklasse zu zerschlagen. Trotzki nahm die Form einer derartigen Doppelmacht als Möglichkeit vorweg, als er die Erfahrungen der bürgerlichen Revolutionen in England und Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert heranzog: „Die Spaltung der Staatssouveränität kündigt nichts Geringeres an als den Bürgerkrieg. Aber ehe die streitenden Parteien bis zum Äußersten gehen wollen – insbesondere, wenn sie das Eingreifen einer dritten Kraft befürchten – können sie sich für eine recht lange Zeit gezwungen sehen, ein System der Doppelmacht zu erdulden, ja sogar zu billigen.“ (22)
Die Koalitionsregierungen in Osteuropa von 1945 waren das Ergebnis der Billigung beider Parteien für die vorhandene Spaltung der Staatssouveränität. Diese Regierungen besaßen in unterschiedlichem Ausmaß bonapartistischen Charakter. Das war in geringerem Umfang dort der Fall, wo einheimische Bourgeoisie und Stalinismus wirkliche gesellschaftliche Kräfte repräsentierten (wie in der Tschechoslowakei), und wesentlich stärker dort der Fall, wo die neue Regierungsform nur auf geringe bodenständige Grundlagen verweisen konnte wie etwa im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands.
Die Fähigkeit des Stalinismus, die Doppelmachtsituation nach 1948 zu lösen, ohne den Bürgerkrieg heraufzubeschwören, erklärt sich aus seiner Dominanz innerhalb dieser Regierungen. Denn Doppelmacht heißt nicht, dass beide Seiten notwendigerweise gleich stark sein müssen. Die Präsenz sowjetischer Truppen und der in Osteuropa errichtete Polizeiapparat bedeuteten, dass die Unterdrückungsmaschinerie sich ausschließlich in den Händen der stalinistischen Bürokratie befand. Sie war daher imstande, diese Macht zu benutzen, um die Doppelmacht sozusagen auf „stille“ Weise aufzulösen, als der Weltimperialismus gegen sie vorzugehen begann.
Aufgrund ihrer Beziehungen zu den Streitkräften der UdSSR waren innerhalb dieser Koalitionsregierungen in ganz Osteuropa die stalinistischen KPen die entscheidenden Kräfte. (23) Der Aufrechterhaltung des Privateigentums und der Beruhigung der Massen zum Zweck ihrer weiteren Ausbeutung verschrieben, handelten sie entweder in der Form einer Volksfront mit der Bourgeoisie (wie in der CSR) oder in der besonderen Form einer bürgerlichen ArbeiterInnenregierung. Diese Parteien, die in der einheimischen ArbeiterInnenklasse Wurzeln gefasst hatten, aber ihre Macht der Sowjetbürokratie verdankten, erarbeiteten die Regierungspolitik als Produkt eines Abkommens zwischen drei Kräften: dem Weltimperialismus, der eigenen Bourgeoisie und der Kreml-Bürokratie.
Diese beiden von den stalinistischen Parteien errichteten Regierungsformen wiesen aber Unterschiede auf. Eine Volksfront ist eine offene Koalition von bürgerlichen Parteien und ArbeiterInnenparteien, während eine bürgerliche ArbeiterInnenregierung eine versteckte Koalition darstellt, die im Interesse und anstelle der Bourgeoisie regiert. Ihrem Wesen nach dienen jedoch beide dazu, die ArbeiterInnenklasse davon abzuhalten, die Macht selbst zu ergreifen und auszuüben.
Bezüglich einer bürgerlichen ArbeiterInnenregierung bemerkte die Komintern zu Recht, dass sie „ein Mittel ist, um das Proletariat über den wirklichen Klassencharakter des Staates zu täuschen oder um mit der Hilfe korrupter ArbeiterführerInnen die revolutionäre Offensive des Proletariats abzuwehren und so Zeit zu gewinnen.“ (24)
Ganz ähnlich die Volksfront, wie Trotzki im Hinblick auf ihre Rolle bei der Demobilisierung der französischen ArbeiterInnenklasse 1936 hervorhob: „Die Volksfront in Frankreich übernahm die gleiche Aufgabe wie die so genannte ,Koalition‘ aus KadettInnen, Menschewiki und SozialrevolutionärInnen in Russland im Februar 1917 – die Revolution in ihrem ersten Stadium zu stoppen.“ (25)
Er fuhr fort und wies darauf hin, dass die Volksfront ebenso wie die bürgerliche ArbeiterInnenregierung das wirkliche Wesen der bürgerlichen Herrschaft vor den ArbeiterInnen verbarg: „Die ArbeiterInnen wurden dieser Instrumente (der Partei und der Räte) beraubt, weil die FührerInnen der ArbeiterorInnenganisationen um die bürgerliche Macht einen Schutzwall bildeten, um sie zu verschleiern, sie unsichtbar und unverwundbar zu machen. So fand sich die Revolution, die begonnen hatte, selbst gebremst, gefesselt, demoralisiert.“ (26)
Die bürgerlichen ArbeiterInnenregierungen und Volksfronten spielten in Osteuropa genau die gleiche Rolle. Die Bourgeoisie war zu diesem Zeitpunkt äußerst verwundbar. Ihre bewaffnete Macht war bedeutungslos. Ihr fehlte ebenso eine entscheidende Hilfe seitens des Imperialismus. Der Vormarsch der Roten Armee hatte die Erwartungen und die Aktivitäten der Massen beflügelt. Überall existierte die objektive Möglichkeit, die zusammengebrochene Macht der Bourgeoisie durch die wirkliche Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter zu ersetzen. Eine derartige Entwicklung hätte jedoch für die Kremlbürokratie einen tödlichen Schlag bedeuten können, weil sie auch die eigene ArbeiterInnenklasse animiert hätte, sich gegen die bürokratische Diktatur zu erheben. Daher regierte der Stalinismus, statt der Bourgeoisie den Todesstoß zu versetzen, in ihrem Namen in einer besonderen Form der bürgerlichen ArbeiterInnenregierung (wie in Ostdeutschland) oder er nahm die gleiche Bourgeoisie und deren Parteien in offene Volksfrontkoalitionen auf (wie in der Tschechoslowakei und in Rumänien).
Die von den KPen innerhalb der bürgerlichen ArbeiterInnenregierungen und Volksfronten ausgeübte Vormachtstellung veränderte keineswegs deren Charakter. Sie veränderte jedoch den Verlauf der Entwicklung, den diese notwendigerweise nur vorübergehenden Regierungsgebilde nahmen. Die bürgerliche ArbeiterInnenregierung konnte – wie es die Komintern vorausgesehen hatte – „objektiv helfen, den Zerfallsprozess der bürgerlichen Macht zu beschleunigen.“ (27) Dank der geänderten Politik des Imperialismus und der Vormachtstellung des Stalinismus wurde diese objektive Möglichkeit verwirklicht. Die Volksfronten wurden von Regierungen abgelöst, in denen die stalinistischen KPen über die absolute Kontrolle verfügten. Der Stalinismus war fähig, mit seinen schwächeren Koalitionspartnerinnen zu brechen, als die Hauptgefahr für ihn eher vom Imperialismus als von einer eigenständigen proletarischen Revolution, zu deren Eindämmung gerade die Volksfront gedient hatte, drohte.
Die Verstaatlichungen der Koalitionsperiode waren das Ergebnis eines Abkommens zwischen Stalinismus und Bourgeoisie, den Besitz der Achsenmächte und ihrer KollaborateurInnen zu nationalisieren. Die Landreform betraf nur die größten Güter. Diese Landreform fand gewöhnlich in den ersten Monaten nach der Befreiung vom Faschismus statt, sie war jedoch von Land zu Land sehr ungleich und immer unzureichend. Angesichts des Gewichts der auf der Bauern-/Bäuerinnenschaft basierenden Parteien in den Nachkriegsregierungen, der Flucht vieler GroßgrundbesitzerInnen im Gefolge des deutschen Rückzugs und der gewaltigen Beteiligung der Bauern-/Bäuerinnenschaft an den verschiedenen Partisanenbewegungen war zu erwarten, dass eine beträchtliche Bewegung entstehen würde, die auf eine Landaufteilung drängte. Dazu erforderte noch die unmittelbare Notwendigkeit gesteigerter Lebensmittelproduktion, den Bauern/Bäuerinnen einen Anreiz dazu zu bieten. Die tiefgreifendsten Reformen fanden in Ungarn statt, wo der Landbesitz auf 1,42 Hektar beschränkt wurde.
In Rumänien wurde jeder Landbesitz über 500 Hektar aufgeteilt. Tausende Bauern/Bäuerinnen wurden durch diese Reformdekrete begünstigt, aber die sozialen Bedingungen ihrer Existenz blieben unverändert. Dies auch deswegen, weil die Rote Armee den besten Teil des landwirtschaftlichen Maschinenparks in die UdSSR als Reparationsleistung überführte und – schlimmer noch – die traditionelle Verschuldung der Kleinbauern/-bäuerinnen an WucherInnen und Banken unangetastet blieb.
Es ist klar, dass der Kreml und die jeweiligen osteuropäischen Kommunistischen Parteien zwischen 1945 und 1947 alles taten, um die Situation der Doppelmacht durch die Schaffung von der UdSSR freundlich gesinnten kapitalistischen Regimes zu lösen. Zu diesem Zweck versuchten sie, den alten Staatsapparat zu erhalten bzw. wieder aufzubauen. Einzig diese Staatsapparate hätten den dauernden Schutz des bürgerlichen Eigentums garantieren können. Daher können in der Periode der Doppelmacht die Staaten Osteuropas als im Wesentlichen noch kapitalistische Staatswesen verstanden werden. Diese allgemeine Aussage ist jedoch ungenügend zur Erklärung der Dynamik einer Situation der Doppelmacht, die ja ihrem Wesen nach nur vorübergehend sein kann und dem Staat selbst einen widersprüchlichen und provisorischen Charakter verleiht. Trotzki wies mit Blick auf Russland nach der Februarrevolution 1917 (also noch vor der Oktoberrevolution) darauf hin: „Wenn der Staat eine Organisation der Klassenherrschaft und eine Revolution der Sturz der herrschenden Klasse ist, dann muss die Übergabe der Macht von einer Klasse an die andere notwendigerweise sich selbst widersprechende Bedingungen für den Staat schaffen – und dies vor allem in Form der Doppelmacht.“ (28)
Das Ziel des Stalinismus bestand darin, die Lösung der Doppelmacht in Richtung auf eine wirkliche Revolution zu verhindern. Dabei gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder konnten die KPen einen kapitalistischen Staat vollkommen wiedererrichten und ihm die Macht abtreten – ein politischer Kurs, der damit geendet hätte, dass die wieder voll an die Macht gelangten KapitalistInnen sie aus der Regierung geworfen hätten, um sie danach zu bekämpfen – gegebenenfalls bis zur Vernichtung wie in Vietnam nach 1945.
Oder aber die stalinistische Bürokratie wäre in der Lage, eine bürokratische Revolution durchzuführen, die von Anbeginn das Proletariat vom direkten Zugang zur Macht ausschließen würde wie in den baltischen Republiken und in Ostpolen zu Beginn des Weltkriegs. Die Möglichkeit beider Alternativen für den Stalinismus bedeutete für die osteuropäischen Staaten der Nachkriegszeit bis 1947 genau diesen widersprüchlichen Charakter. Die StalinistInnen bezogen Teile der Bourgeoisie wieder in den Staatsapparat ein, aber ihre Furcht vor einem neuerlichen Eindringen des Imperialismus in ihre erst frisch geschaffene „Pufferzone“ brachte sie dazu, die Bourgeoisie von jeglicher Kontrolle über den bewaffneten Arm der Staatsmacht, Polizei und Armee, auszuschließen.
Das heißt jedoch nicht, dass diese Staaten unmittelbar mit dem Einmarsch der Roten Armee zu degenerierten ArbeiterInnenstaaten geworden wären. Wir bestimmen weder Form noch Inhalt eines Staates nach der sozialen oder politischen Zusammensetzung der Staatsbediensteten und FunktionärInnen. Dass die stalinistischen FunktionärInnen großteils von nachkapitalistischen Eigentumsverhältnissen abhängig waren, aber selbst kapitalistische Eigentumsverhältnisse verteidigten, unterstreicht nur den widersprüchlichen und provisorischen Charakter der Periode von 1944 bis 1947.
Trotzki bemerkte übrigens noch kurz vor seinem Tod, dass wir unser Verständnis des Stalinismus revidieren müssten, sollte die stalinistische Bürokratie imstande sein, in von ihr politisch beherrschten Ländern friedlich neben kapitalistischen Eigentumsverhältnissen zu bestehen. (29)
Eine nähere Betrachtung von Trotzkis Argumentation in dieser Frage gestattet uns, die Richtigkeit seiner Analyse zu bestätigen. Trotzkis Feststellung gründete auf der unleugbaren Tatsache, dass hinsichtlich eines isolierten ArbeiterInnenstaates der Imperialismus – d. h. der Imperialismus auf der ganzen Welt – stärker als die UdSSR bleiben würde. Wenn die stalinistische Bürokratie die Macht behalten wollte, dann könnte ihre Herrschaft zwangsläufig nur von kurzer Dauer sein, da die einheimische Bourgeoisie ja die Macht des Imperialismus herbeiholen würde, mit der sie durch tausenderlei Bande verknüpft war, um die KP, diesen Fremdkörper im bürgerlichen Staat, wieder zu entfernen.
Auf diese Weise würde eine politische Konterrevolution der Bourgeoisie die politische Herrschaft des Stalinismus zerstören, und der Widerspruch innerhalb dieser Gesellschaft wäre zugunsten des Imperialismus gelöst worden. Aus diesem Grunde musste die stalinistische Vorstellung, unter Anleitung der KP einen kapitalistischen Staat konsolidieren zu wollen, zwangsläufig eine Utopie bleiben.
Nur innerhalb dieser Perspektive kann die Situation in Osteuropa bei Kriegsende verstanden werden. Es war eine Situation, in der dieser Widerspruch in der Realität existierte – wenn auch nur für kurze Zeit. Die Stagnation des Welthandels und der Protektionismus im Jahrzehnt vor dem Krieg gelangten während des Weltkrieges auf ihren Höhepunkt und wirkten bis in die Nachkriegsperiode hinein. Mit der Ausnahme der Tschechoslowakei hatten alle osteuropäischen Länder in den 1930er Jahren bonapartistische Regimes erlebt, ihr Status war der von Halbkolonien.
Ihre wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zum westlichen Imperialismus waren während des Krieges nachhaltig unterbrochen worden. Der Rückgang des Welthandels und die Fragmentierung der Weltwirtschaft hielten bis 1947 an. Die direkten Beziehungen zwischen der Bourgeoisie der osteuropäischen Länder und dem US-amerikanischen und britischen Imperialismus waren bei Kriegsende äußerst schwach. Dies wiederum verminderte die Stärke dieser Bourgeoisien, sich der aufgezwungenen stalinistischen Führung ihrer Länder zu widersetzen.
Die Unterbrechung der Beziehungen zwischen dem Imperialismus und seinen jeweiligen AgentInnen war ein höchst instabiler, konjunktureller Faktor, der den Widerspruch zwischen nationaler Bourgeoisie und Stalinismus zeitweilig verschwinden ließ. Aber dieser strategische Widerspruch machte sich 1947/1948 erneut heftig bemerkbar, als sich die seit langem erwartete „Einheitsfront“ der siegreichen Imperialismen – USA, Britannien und Frankreich – gegen die Rolle der UdSSR in Osteuropa zu wenden begann. Die taktische Einheitsfront zwischen Imperialismus und Bürokratie, die geschlossen worden war, um die Möglichkeit einer proletarischen Revolution in Europa zu verhindern, zerbrach nun in dem Maß, als die Drohung dieser Revolution selbst immer schwächer zu werden begann. Im Verlauf des Jahres 1946 hatten sich die Beziehungen zwischen den Westalliierten und der UdSSR schnell verschlechtert.
1946 markierte eine Wende, nämlich den Übergang von der Politik des Kompromisses zur Politik der „Eindämmung“ durch den US-Präsidenten Truman. Er fand dabei in Churchill einen treuen Verbündeten, der zu einem Vorkämpfer der „harten Linie“ gegenüber der UdSSR geworden war, seit er den angeblichen Verrat der Sowjetunion am Abkommen von Jalta entdeckt hatte. Tatsächlich lässt sich der erste Hinweis auf einen „Eisernen Vorhang“ zwischen West- und Osteuropa bereits fünf Tage nach der Kapitulation des Deutschen Reiches vernehmen. Der Begriff selbst stammte bezeichnenderweise noch aus Goebbels‘ Propagandaministerium. Der denkwürdige Hinweis in einer entscheidenden Rede Trumans im März 1946 hinsichtlich des „Eisernen Vorhanges“ fasste dann bereits zusammen, was bald darauf als die Position des „Kalten Krieges“ der USA und Britanniens gegenüber der UdSSR bekannt werden sollte.
Die Gründe für diesen Wechsel des ideologischen Standpunktes im Jahr 1946 sind nicht schwer zu finden. Die Konferenzen von Jalta und Potsdam waren zu einer Übereinkunft hinsichtlich der Einflusssphären gelangt, die sich hauptsächlich auf Mitteleuropa und den Balkan bezogen. Aber die Weigerung der UdSSR im Februar 1946, ihre Truppen aus dem nördlichen Iran abzuziehen, der von Molotow erhobene Anspruch auf eine Mandatshoheit über Libyen und das hartnäckige Beharren der Sowjetunion auf ihrem Recht auf einen Warmwasserhafen bei den Dardanellen überzeugten den Imperialismus, dass es höchste Zeit sei, die wachsenden Ansprüche der Kreml-Bürokratie einzudämmen.
Diese imperialistische Offensive wurde von den USA angeführt; Britannien und Frankreich befanden sich mitten in einer Wirtschaftskrise und waren unfähig, einen neuen Akkumulationszyklus von sich aus zu eröffnen. So lag die britische Kohleproduktion 1946 um 20 Prozent unter dem Stand von 1938, in Westdeutschland betrug sie in diesem Jahr ganze zwei Fünftel der Vorkriegsproduktion. Gerade wegen der beherrschenden Position Deutschlands in der Industrieproduktion hatte seine Niederlage einen verheerenden Effekt auf ganz Europa. 1939 stellte das Deutsche Reich ein Fünftel der Industrieproduktion Europas – jetzt lag die deutsche Industrie in Trümmern. Dazu kam noch eine schwere Agrar- und Finanzkrise der europäischen Staaten. Die europäische Weizenproduktion fiel 1947 auf die Hälfte des Standes von 1938. 1946 lebten an die 125 Millionen Menschen in Europa mit einer Tagesration von 1.000 bis 2.000 Kalorien – und dies sollte sich noch verschlimmern. Eine Vorstellung von der finanziellen Unsicherheit gewinnt man, wenn man in Betracht zieht, dass in Frankreich 1946 die Großhandelspreise um 80 Prozent stiegen. (30)
Das produktive Kapital der USA ging aus dem Krieg gestärkt hervor. Hinsichtlich der Märkte waren die Produktivkräfte der USA mehr als ausreichend. Die USA stellten 1945 die Hälfte aller Güter der Welt her. 1946 vereinigten die USA mehr als die Hälfte des internationalen Einkommens auf sich. Kurz gesagt: die USA hatten eine Position der Beherrschung der Weltwirtschaft inne, die seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts (damals besetzte Britannien diesen Platz) keine einzelne imperialistische Macht mehr eingenommen hat. Der Aufschwung in den USA sah sich jedoch einer entscheidenden Barriere gegenüber, sollte die Stagnation an den Märkten West- und Osteuropas andauern.
Stalins Zugriff auf Osteuropa und das Gespenst einer Revolution im Westen riefen die berühmte „Truman-Doktrin“ hervor – eine Doktrin, die auf die Eindämmung, nicht auf einen unmittelbaren Krieg mit der UdSSR abzielte; eine Eindämmung, die durch massive Wirtschaftshilfe für antikommunistische Regierungen unterstützt wurde. Griechenland sollte die Generalprobe für diese neue Politik abgeben.
Britannien, das sich als imperialistische Macht im Niedergang befand, weigerte sich, Griechenland – inmitten eines Bürgerkrieges – ab Februar 1947 weiterhin finanziell zu unterstützen. Aus Furcht vor einem Sieg der stalinistisch geführten ELAS versprachen die USA der pro-imperialistischen Monarchie bedingungslose Unterstützung. Als Soforthilfe wurde 300 Mill. Dollar bereitgestellt. Am 12. März 1947 führte Truman vor dem Kongress aus: „Es muss die Politik der Vereinigten Staaten sein, freie Völker, die sich der versuchten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußere Pression widersetzen, zu unterstützen.“ (31)
Die wirtschaftliche Ergänzung zu dieser Doktrin bestand in der Marshallplanhilfe und den Plänen, in den imperialistisch besetzten Zonen Deutschlands eine neue Währung einzuführen.
General Marshall hatte Byrnes als Außenminister im Januar 1947 ersetzt. Sein Plan wurde als „Truman-Doktrin in Aktion“ bezeichnet. Angekündigt im Juni 1947, brauchte es dennoch noch fast ein Jahr zu seiner endgültigen Verabschiedung. Der Marshallplan war ein Wiederaufbauprogramm, das für Europa an die 17 Milliarden Dollar bereitstellen sollte – mit der Garantie eines massiven Einflusses der USA auf die Innen- und Außenpolitik der betroffenen Länder. Bis zum September 1947 hatten 16 Länder seinen Bedingungen zugestimmt.
Mit dieser Doppelattacke festigten die USA ihren Kurs des Kalten Krieges – dem Einfluss der UdSSR in Europa eine Grenze zu setzen, dem Kreml die alleinige Verantwortung für den Wiederaufbau seiner Einflusssphäre aufzubürden und seinen Einfluss in der imperialistischen Sphäre auszulöschen. Diese Ereignisse versetzten Moskau und die jeweiligen nationalen KPen in helle Aufregung. In Westeuropa wurden die stalinistischen Parteien ohne viel Aufhebens aus den Koalitionsregierungen mit den bürgerlichen Parteien hinausgeworfen. Es war die soziale Instabilität, die aus der wirtschaftlichen Krise dieser Länder entstanden war, welche die französische und die italienische Bourgeoisie gezwungen hatte, stalinistische Parteien in der Regierung zu dulden, da nur sie die ArbeiterInnenklasse unter Kontrolle halten konnten. Im Mai 1947 wandte sich Marshall direkt an A. De Gasperi, den Führer der italienischen ChristdemokratInnen, um den Regierungsausschluss der PCI zu fordern und gleichzeitig Finanzhilfe anzubieten.
In Osteuropa, wo die Schalthebel der politischen Macht in seinen Händen lagen, war der Stalinismus gezwungen, sich zu entscheiden: entweder sich der imperialistischen Offensive entgegenzustellen oder vor ihr den Rückzug anzutreten und sich vor ihr zu beugen. Konsequent bei ihrem Versuch des Aufbaus einer strategischen Allianz mit dem Kapitalismus, waren einige Kommunistische Parteien bereit, die Marshallplanhilfe anzunehmen. Der Marshallplan stand formal auch der Sowjetunion offen, doch war dies offensichtlich nur ein Manöver, um dem Kreml vor aller Welt die Schuld an einem Bruch zuzuschieben. Molotow nahm an den Eröffnungsdiskussionen teil, zog jedoch die Beteiligung der UdSSR kurz darauf zurück. Die tschechoslowakische und die polnische Regierung äußerten gegenüber dem Plan Zustimmung, einschließlich der KPen beider Länder. Aber sie waren bald gezwungen, sich dem Druck der Sowjetunion zu beugen. Im Gegenzug legte der Kreml eine Reihe improvisierter Handelsabkommen für die osteuropäischen Länder, den „Molotow-Plan“, vor. Wäre der Weg des Marshallplans beschritten worden, dann hätte die Sowjetbürokratie früher oder später die Kontrolle über Osteuropa gänzlich verloren und sich dem Imperialismus an den Staatsgrenzen der UdSSR gegenübergesehen – eine Erfahrung, die Stalin nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion freiwillig wohl kein zweites Mal machen wollte. Er zog stattdessen die Zügel straffer und befahl die Vernichtung des wirtschaftlichen Fundaments der Bourgeoisie und ihrer politischen VertreterInnen im Staatsapparat, die zu einem künftigen Kristallisationspunkt der Wiedererrichtung ihrer Macht hätten werden können.
Ein notwendiger und vorbereiteter Schritt für die bürokratische Liquidierung der Macht der Bourgeoisie in Osteuropa war die vollständige Kontrolle der jeweiligen einheimischen Kommunistischen Parteien über die ArbeiterInnenklasse. Zuerst einmal bedeutete dies die Zerstörung des Einflusses der Sozialdemokratie, die hier eine erbitterte Rivalin des Stalinismus blieb und ihn oft an Einfluss und Stärke übertraf. Dies war besonders in Polen, Ungarn und Ostdeutschland der Fall. Das Vorgehen der stalinistischen KPen war dabei überall gleich: Einschüchterungen, Säuberungen und Zwangsvereinigungen der Parteiapparate.
Bereits im September 1944 wurde so der polnischen PPS eine neue, prostalinistische Führung aufgezwungen – in der Absicht, die Vereinigung mit der eher künstlich ins Leben gerufenen KP zu sichern. Die Parteibasis weigerte sich hartnäckig, dem zuzustimmen, doch im Dezember 1947 wurde die neue „Vereinigte ArbeiterInnenpartei Polens“ dessen ungeachtet aus der Taufe gehoben – nach der Entfernung von 12 widerspenstigen PPS-FührerInnen und 82.000 Parteiausschlüssen.
In Ungarn wurde der Widerstand der ungarischen Sozialdemokratie im Februar 1948 gebrochen, als die Parteilinke unter Ausschluss des Zentrums und der Rechten (und unter dem Schutz der Geheimpolizei) einen Kongress einberief. Im Juni wurde die Vereinigung mit der KP offiziell erklärt. (32)
Trotz der Risiken, die diese Politik für eine künftige Entspannung mit dem Imperialismus in sich barg, wusste der Kreml, dass ohne diesen Kurs sein eigener Untergang drohen könnte. Nicht nur, dass die Sowjetbürokratie das Produktivpotential Osteuropas dem Imperialismus überlassen müsste; die weitere Existenz der Bürokratie selbst wäre ernsthaft bedroht gewesen. Angesichts dieser äußerst unvorteilhaften Entwicklung der „friedlichen Koexistenz“ entschloss sich der Kreml, in allen Ländern seiner „Pufferzone“ die Bourgeoisie wirtschaftlich und politisch zu vernichten. Auch hier war sein Vorgehen überall gleich.
In Polen flüchtete Mikolajczyk, der Führer der Opposition gegen diesen Kurs, um dem Zugriff der KP zu entgehen. In Rumänien wurde König Michael im Dezember abgesetzt. Anfang 1948 übernahm die jetzt stalinistisch kontrollierte „Vereinigte ArbeiterInnenpartei” die Macht. Der Führer der Agrarpartei in Bulgarien, Petkow, wurde im Juni 1947 verhaftet und im September hingerichtet. Dem folgten an die 20.000 Verhaftungen und die Schließung aller bis dahin unabhängigen Zeitungen. In Ungarn wurde der ehemalige Führer der Partei der Kleinen LandwirtInnen, B. Kovács, im Mai verhaftet, der Premierminister flüchtete im gleichen Monat in die USA. Die – manipulierten – Neuwahlen im August brachten dann die KP an die Spitze der Koalition, die noch als Fassade bis zur Fusion mit der Rumpf-Sozialdemokratie formell beibehalten wurde.
1947/48 wurde der Kapitalismus in den Ländern Osteuropas auf bürokratische Weise von oben her „abgeschafft“ – verbunden mit der gleichzeitigen Unterdrückung der Vorhut des Proletariats. Eine Seite dieser Unterdrückung war die Säuberung der Kommunistischen Parteien selbst. Diese Säuberungen waren nach 1947 alltäglich, aber sie nahmen nach dem Bruch Titos mit Stalin im Sommer 1948 eine neue Dimension an. So wurden in Polen zwischen September und Dezember 1948 30.000 Parteimitglieder ausgeschlossen. Der Generalsekretär der Partei, W. Gomulka, wurde verhaftet und gefoltert. In Bulgarien wurden in einigen brutalen Säuberungswellen 92.000 Basismitglieder der KP und die große Mehrheit ihrer Führung ausgeschlossen.
In der Tschechoslowakei, wo noch dazu der Geist des tschechischen Nationalismus Unabhängigkeitsbestrebungen auch innerhalb der KP genährt hatte, wurden allein in der Zeit von Februar bis August 1948 100.000 Parteimitglieder ausgeschlossen. Die Schauprozesse dieser Zeit, getreue Kopien der stalinistischen Massaker an wirklichen oder vermeintlichen GegnerInnen des bürokratischen Regimes in der Sowjetunion der 1930er Jahre, richteten sich v. a. gegen jenen Teil der nationalen Kommunistischen Parteien, der als FührerIn im antifaschistischen Widerstand eine eigenständige Position gegenüber Stalin entwickeln konnte und damit in dessen Augen zu einem/r potentiellen NachfolgerIn Titos werden könnte; zweitens gegen jene Sektionen der Bürokratie, die sich in der eben vergangenen Periode der Koalition mit den bürgerlichen Kräften zu sehr an diese Klassenkollaboration gewöhnt hatten und daher noch immer diese Politik verteidigen wollten.
Einzig in der Tschechoslowakei hatte die KP im Februar 1948 außerhalb von Polizei und Armee Kräfte zum Sturz der Bourgeoisie mobilisiert. Die Periode der Doppelmacht, ein genau ausbalanciertes und unsicheres Gleichgewicht in der tschechischen Regierung, ging Ende Februar 1948 unwiderruflich zu Ende. Am 20. Februar führte ein Streit über die Regierungskontrolle über die Polizei zum Rücktritt von 12 nichtkommunistischen MinisterInnen. Dieses Manöver, das die KPTsch durch die Drohung mit einer geplatzten Koalition zum Einlenken hätte zwingen sollen, beantwortete die KPTsch jedoch durch organisierte Massendemonstrationen ihrer Basis, die in einer bewaffneten Kundgebung der von ihr dominierten Gewerkschaftsmiliz am 23. Februar gipfelten. Es wurden keine unabhängigen Organisationen der ArbeiterInnen zugelassen, die Demonstrationen selbst verliefen in streng begrenzten Bahnen, um auf Präsident Benes entsprechenden Druck auszuüben. Als Ergebnis dessen wurde nun die KPTsch mit der alleinigen Regierungsbildung beauftragt. Die Wahlen im Mai wurden unter verschärfter Repression durchgeführt, mit einer Einheitsliste an Kandidaten und Kandidatinnen und einem Dekret, dass das Ungültig Wählen gleichbedeutend mit Verrat ist. Das Wahlergebnis bestätigte dann auch formell den bereits vollzogenen Coup.
Die Demonstrationen und Massenkundgebungen wurden überall dazu benutzt, den bürokratischen Umsturz in den Augen der Bevölkerung zu legitimieren. In dieser Periode stellte der Stalinismus keine revolutionäre ArbeiterInnenregierung dar, die unter dem Druck der Massen und mit ihrer Hilfe entscheidende Schritte gegen die Bourgeoisie und deren Eigentum unternommen hätte. Die Regierung war keine, die ihren Kampf auf selbstständige Organisationen der Arbeitenden – auf demokratisch gewählte Räte und von ihnen kontrollierte Milizen – gegründet hätte.
Stattdessen war der Umsturz das Werk einer bürokratischen antikapitalistischen ArbeiterInnenregierung unter alleiniger Führung der stalinistischen KP, die zuerst sichergestellt hatte, dass die ArbeiterInnenklasse so desorganisiert und der Staatsapparat in ihren Händen so übermächtig war, dass das Proletariat daran gehindert werden konnte, die Enteignung und Entmachtung der Bourgeoisie selbst durchzuführen und den bürgerlichen Staat durch die revolutionäre Diktatur des Proletariats zu ersetzen – das heißt, durch demokratische ArbeiterInnenräte und durch eine proletarische Miliz. Eine derartige Entwicklung hätte sowohl die Privilegien und die Autorität der zwischen 1944 und 1947 entstandenen Bürokratenkasten in Osteuropa wie die politische Herrschaft des Stalinismus in der UdSSR selbst in Gefahr gebracht.
Die qualitative Umwandlung dieser Gesellschaften zu einer bürokratisch degenerierten Form der Diktatur des Proletariats fand statt, als die Situation der Doppelmacht zu Gunsten der StalinistInnen aufgelöst wurde und bürokratisch antikapitalistische ArbeiterInnenregierungen von ihnen gebildet wurden, um die Bourgeoisie im wirtschaftlichen Bereich zu enteignen und als soziale Klasse zu zerstören, und als sie daran gingen, das Wirken des Grundgesetzes jeder kapitalistischen Wirtschaft – des Wertgesetzes – einzuschränken und aufzuheben und die nunmehr verstaatlichte Wirtschaft auf der Grundlage eines zentralen Wirtschaftsplanes, wenn auch auf bürokratisch entstellte, despotische Weise, zu organisieren.
Der entscheidende qualitative Umbruch fand also statt, als die StalinistInnen ihre Machtpositionen in dem von ihnen selbst nach 1945 re-etablierten bürgerlichen Staat nutzten, um einen degenerierten ArbeiterInnenstaat zu errichten. Nicht der Abschluss dieser Aufgaben, die Etablierung von Fünfjahresplänen usw., sondern deren entschlossene Inangriffnahme durch die bürokratischen antikapitalistischen ArbeiterInnenregierungen markiert den qualitativen Wendepunkt. (35) Die Funktion des Staatsapparates wandelte sich. Er wurde zu diesem Zweck von den ParteigängerInnen der Bourgeoisie gesäubert – er blieb seiner Form nach jedoch trotzdem ein bürgerlicher Staat.
Die Charakterisierung der russischen Räterepublik nach 1917 als ArbeiterInnenstaat gründet auf der Tatsache, dass die Staatsmacht in den Händen der ArbeiterInnenklasse lag, die sich als herrschende Klasse mit ihren eigenen Machtorganen – Räten und Milizen – organisiert hatte. Dieses Faktum der subjektiven Machtergreifung des Proletariats ging der Verstaatlichung der Industrie und der Einführung der Planwirtschaft voraus.
In Osteuropa dagegen wurden ArbeiterInnenstaaten als Produkt der Außenpolitik der Sowjetbürokratie errichtet – sie waren daher von Geburt an bereits bürokratisch degeneriert. Der bürgerliche Staat wurde bei der Transformation zum degenerierten ArbeiterInnenstaat nicht zerschlagen, nicht zerbrochen, sondern von der neuen herrschenden Kaste in Besitz genommen und ihren Bedürfnissen entsprechend umgeformt.
Vom ersten Tag ihres Entstehens an war eine politische Revolution – also der Sturz der nun an die politische Macht gelangten Bürokratenkaste – für die Arbeitenden dieser Länder die unabdingbare Vorbedingung zur Eroberung der direkten Macht für die unmittelbaren ProduzentInnen (die ArbeiterInnen und die Bauern-/Bäuerinnenschaft) in diesen nachkapitalistischen Gesellschaften.
Die ökonomische Transformation findet in den osteuropäischen Ländern mit der Einführung der Fünfjahrespläne ihren Abschluss: 1948 in Bulgarien, 1949 in der Tschechoslowakei, 1950 in Polen und Ungarn, 1951 in der DDR und in Rumänien.
Wo immer sie auch stattfinden und welche Form sie annehmen mögen, die bürokratischen Revolutionen des Stalinismus tragen einen zutiefst konterrevolutionären Charakter. Doch warum konterrevolutionär, wenn sie doch fähig waren, die eigene Bourgeoisie zu stürzen und den Kapitalismus zu überwinden?
Aus einer Reihe entscheidender Gründe, deren ganze Bedeutung heute, da sich der Stalinismus in seiner Todeskrise befindet, in vollem Umfang sichtbar wird:
Diese bürokratischen Regime waren ein Hindernis auf dem Weg der internationalen ArbeiterInnenklasse bei ihrem Kampf zum Sturz des Kapitalismus. Die von der stalinistischen Bürokratie im Verlauf des gesellschaftlichen Umsturzes angewandten Maßnahmen (Enteignung der Bourgeoisie, Verstaatlichung der Produktionsmittel, Landreform, Bruch mit dem Imperialismus …) waren zwar ihrem Wesen nach revolutionär, wurden aber allein durch militärisch-bürokratische Zwangsmaßnahmen durchgesetzt. Dies bedeutete, dass im Verlauf einer derartigen bürokratischen Revolution eine unabhängige, wirklich revolutionäre Partei darum kämpfen musste, diesen Umsturz zu einem Kampf um die direkte Machteroberung durch das Proletariat zuzuspitzen – zur endgültigen Niederwerfung der Bourgeoisie und zum Sturz der ihr an der Staatsmacht nachrückenden Bürokratenkaste!
(1) L. Trotzki, Europa und Amerika, intarlit, Berlin 1972.
(2) Für eine Auswahl der hellsichtigsten Gedanken zu diesem Thema: „Uneven and combined development and the role of American Imperialism“, in: Trotzki: Writings 1933/1934, New York 1975, S. 116–120, März 1933; „Hitler and Disarmament“, ebd., S. 246–257, Juni 1933; „Hitler’s Victory“, ebd., S. 133-137, März 1933; „Hitler the Pacifist“, ebd., S. 144-148, November 1933. Alle diese Artikel zeigen ein tiefes Verstehen der zentralen Strategie Hitlers in Europa bei seinem Kampf gegen den Versailler Vertrag und gegen die Sowjetunion und vermitteln einen ebenso ausgezeichneten Einblick in die diplomatischen und militärischen Manöver, die Hitler zur Erreichung seines Zieles anwenden musste. Die vielleicht genaueste Einschätzung der Geschwindigkeit und der Frontstellungen des heraufziehenden Krieges kann jedoch in „On the Threshold of a New World War“ (ders.: Writings 1936/1937, New York 1978, S. 379–396) gefunden werden. Trotzki sagte nicht nur den Hitler-Stalin-Pakt nach dem Untergang der Tschechoslowakei voraus, sondern auch die Unvermeidlichkeit eines Krieges zwischen Nazi-Deutschland und der UdSSR – gerade wegen des Paktes.
(3) In jedem der Fälle wird der Krieg zu Stalins Sturz führen (Trotzki). Je nachdem, welche Schriften Trotzkis man liest, kann man eindeutige oder vorsichtigere Urteile über die „Unvermeidlichkeit“ dessen finden. Zum ersteren: „War and the Fourth International“ (Trotzki: Writings 1933/1934, New York 1975, S. 316/317), oder die zahllosen kürzeren Passagen zum Thema siehe: „Kremlin’s Role in the European Catastrophe“ (ders.: Writings 1939/1940, New York 1973, S. 290/291). Hinsichtlich einer vorsichtigeren, mehr abwägenden Einschätzung siehe: „The USSR in War“, in: „Defence of Marxism“, New York 1973: „Der Krieg beschleunigt die verschiedenen politischen Prozesse. Er mag den Prozess der revolutionären Regeneration der UdSSR beschleunigen. Aber er kann auch den Prozess ihrer endgültigen Degeneration beschleunigen.“ (S. 21). Es mag banal klingen, aber gegenüber jenen, die diese Prognose als Beweis für Trotzkis einseitigen „Katastrophismus“ genommen haben, muss betont werden, dass Trotzki diese Fragen immer unter dem Blickwinkel des Programms, das heißt, unter der Notwendigkeit, seinen Anhängerinnen und Anhängern die zentralen Thesen des Konfliktes deutlich zu machen, um ihre Aktivität zur Erlangung des erwünschten Zieles entsprechend orientieren zu können, gesehen hat.
(4) Zitiert nach Y. Gluckstein, „Stalin’s Satellites in Europe“, London 1952. Das Leitungsmitglied der Vierten Internationale E. Germain bemerkte ebenso die weit verbreiteten Kundgebungen und Streiks in Rumänien und Bulgarien im Herbst 1944. Siehe dazu: „The Soviet Union after the War“, September 1946, S. 7 in: „Internal Bulletin of the IS of the Fl“.
(5) Zitiert aus: J. Bloomfield: „Passive Revolution“, London 1979, S. 50/51.
(6) Als einen dieser Zeugen: E. Mortimer: „Über Frankreich“, in: „Communist Power in Europe 1944–1949“, Ed. Mc Cauley, London 1977, S. 151–153. Er schlussfolgert, dass 1944 der günstigste Augenblick für einen Aufstand war. In Italien fand die endgültige Niederlage der deutschen Truppen 1945 statt und sie war ebenfalls von Massenstreiks der ArbeiterInnen begleitet. Allum und Sassoon zeigen im oben genannten Werk auf, dass es in Norditalien keine Fabrik – und in Mittelitalien nur wenige – gegeben hat, deren Belegschaften nicht bewaffnet gewesen wären. Churchill fasste die Probleme, denen sich der Imperialismus damals gegenübersah, in einem Brief an seinen Sekretär für Äußeres, Eden, vom November 1944 dermaßen zusammen: „Jedes Land, das befreit wird oder durch unsere Siege eine Veränderung erfährt, ist vom Kommunismus infiziert – und nur unser Einfluss auf Russland hindert es, diese Bewegung aktiv zu fördern.“ (zitiert aus: Douglas: „From War to Cold War 1942–1948“, London 1981, S. 61).
(7) Zitiert nach: E.. Germain, a. a. O., S.2/3, und D. Yergin: „Shattered Peace“, Harmondsworth 1980, S. 64.
(8) E. Germain, a. a. O., S. 55.
(9) Zitiert bei Yergin, a. a. O., S. 55.
(10) Zitiert: ebd. S. 473.
(11) Ebd., S. 58.
(12) Ebd., S. 91.
(13) Ebd., S. 120.
(14) Trotzki erkannte dies erstmals bei seiner Analyse der sowjetischen Invasion Polens 1939 an: „Dieser Umsturz wurde der Kreml-Oligarchie durch ihren Kampf um Selbsterhaltung unter besonderen Bedingungen aufgezwungen. Es gab nicht den leisesten Grund zur Annahme, dass unter ähnlich gearteten Bedingungen sie gezwungen wäre, genau die gleiche Operation in Finnland auszuführen.“ (Trotzki: „In Defence of Marxism“, a. a. O., S. 175).
(15) Siehe: Germain, a. a. O., S. 7; C. Georges: „Russian Economic Policy in Eastern Europe“, in: SWP(US), Internal Bulletin Nr. 13/8, S. 10; L. Schwartz: „USSR and Stalinism“, in: International Information Bulletin, SWP(US), Bd. 1, Nr. 2; C. Harman; „Bureaucracy and Revolution in Eastern Europe“, London 1974, S. 49–53.
(16) Zitiert bei: Harman, a. a. O., S. 31.
(17) P. Zinner gibt in „Revolution in Hungary“, New York 1952, aufschlussreiche Details über die an ihre EigentümerInnen zurückerstatteten Fabriken. Ebenso bei: Schwartz, Germain und Harman. In Rumänien erließ der kommunistische Justizminister Patranascu ein eigenes Gesetz, das Industriellen, Bankiers und Geschäftsleuten ermöglichte, einer Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen zu entgehen.
(18) zitiert bei: Bloomfield, a. a. O., Kap. 6.
(19) Zitiert ebd., S. 89.
(20) Bei: Schwartz, a. a. O., S. 32/33.
(21) Zitiert bei: Harman, a. a. O.. S. 35.
(22) L. Trotzki: „History oft the Russian Revolution“, London 1977, S. 225.
(23) Die Rote Armee erreichte ihre größte Mannschaftsstärke im Mai 1945, zum Zeitpunkt der Kapitulation des Deutschen Reiches und am Höhepunkt der eigenständigen Mobilisierungen des Proletariats und der Bauern-/Bäuerinnenschaft; ihre Truppenstärke betrug damals die gewaltige Zahl von 11.365.000. Bereits im Juni begann jedoch die Demobilisierung der Soldaten. Anfang 1948 wurde die Rote Armee dann auf 2.874.000 geschätzt – noch immer doppelt so viel wie die Truppenpräsenz der imperialistischen Staaten in Europa. Die Rolle der sowjetischen Truppen in den osteuropäischen Ländern war von Land zu Land verschieden. Im Fall der Tschechoslowakei z. B. schätzte der britische Geheimdienst die Anzahl der sowjetischen Soldaten im Jahr 1946 auf 5.000. Zum Zeitpunkt des „Prager Putsches“ nahm die amerikanische CIA überhaupt nur eine Truppenstärke von 500 russischen Soldaten für gesichert an! Die Stärke des einheimischen Stalinismus ermöglichte also in diesem Fall den Aufbau einer eigenen ausreichenden Repressionsmaschinerie, was sonst nicht überall möglich war. Der Repressionsapparat in Polen etwa war stark von der Präsenz der Roten Armee – und mehr noch des NKWD – abhängig. Letzterer war besonders berüchtigt; ihm war vom prostalinistischen „Komitee der Nationalen Befreiung“, der von Stalin eingesetzten Lubliner Provisorischen Regierung, die volle Kontrolle über die zivile Sicherheit im Hinterland der Roten Armee zugestanden worden. Siehe dazu: Mc Cauley, a. a. O., S. 270, und Yergin, a. a. O., S.270–348.
(24) J. Degras: „The Communist International 1919–1943“, London 1971, Bd. 1, S. 427.
(25) L. Trotzki: „On France“, New York 1979, S. 193.
(26) Ebd., S. 201.
(27) Degras, a. a. O.. S. 427.
(28) L. Trotzki: „The History of the Russian Revolution“, a. a. O., S. 231.
(29) L. Trotzki: „In Defence of Marxism“,a. a. O., S. 18.
(30) Yergin, a. a. O., S. 303–310.
(31) Zitiert bei: Douglas, a. a. O., S. 153.
(32) Siehe: Harman, a. a. O., S. 36, und Mc Cauley, a. a. O., S. 192.
(33) Siehe: Harman, a. a. O., S. 54.
(34) Zu den relevanten Passagen: L. Trotzki: „In Defence of Marxism“, a. a. O., S. 8–20, 26–29, 56–59, 81–90, 130–137, 170–178.
(35) An dieser Stelle korrigieren wir unsere bisherige Analyse, die die Einführung der Fünfjahrespläne zum entscheidenden Kriterium für die Schaffung des degenerierten ArbeiterInnenstaates machte. Das entscheidende Kriterium für die Charakterisierung eines Landes als degenerierter ArbeiterInnenstaat ist nicht einfach die Frage, welche Eigentumsverhältnisse vorherrschen, sondern welche Eigentumsverhältnisse die Staatsgewalt verteidigt, d. h. zu reproduzieren oder etablieren trachtet. Ansonsten hat sich aber unsere Analyse der Expansion des Stalinismus nach 1945 gerade im Lichte seines Untergangs als überaus treffend erwiesen.