Arbeiter:innenmacht

Extinction Rebellion: Alle Klassen für das Klima?

Jan Hektik/Martin Suchanek, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Extinction Rebellion (XR) ist bekannt als radikaler Teil der Umweltbewegung und als enge Bündnispartnerin von Fridays for Future. Gerade in Großbritannien und den USA steht sie im Fokus der öffentlichen Debatte. Doch wofür tritt XR ein? Was sind ihre Taktiken? Und was ihre Stärken und Schwächen? Mit diesen Fragen möchte sich dieser Artikel auseinandersetzen.

Was macht Extinction Rebellion?

XR ist eine auf öffentlichkeitswirksame Aktionen abzielende Bewegung, die vor allem in Großbritannien viele AnhängerInnen und große Protestaktionen organisiert hat. Auch in Deutschland existieren ca. 30 Ortsgruppen, Tendenz rasch steigend. Mittlerweile soll XR bundesweit rund 16.000 Mitglieder haben.

Zunächst einmal muss man positiv hervorheben, dass durch XR viele Jugendliche aktiv auf die Straße gehen und in Konflikt mit dem bürgerlichen Staat treten, gegen den wir letztlich die Rettung unserer Lebensgrundlagen durchsetzen müssen. Weiterhin hat XR es geschafft, zumindest in Großbritannien eine große Öffentlichkeit zu erreichen und so die allgemeine Debatte maßgeblich zu beeinflussen. Dies geschieht vor allem in Aktionen zivilen Ungehorsams wie Straßenblockaden aber auch in künstlerischen Protestformen wie z. B. „Die-Ins“ (sich an öffentlichen Orten massenweise tot stellen). Dort erreichten die Aktionen teilweise eine Größe von 6.000 TeilnehmerInnen, was aber inzwischen auch zu hunderten, wenn nicht tausenden Verhaftungen führte. Laut XR ist es sogar das Ziel, solche zu provozieren, um eine größere Öffentlichkeit zu schaffen. Weiterhin soll gewaltfrei agiert werden, damit die Öffentlichkeit sich eher mit den Protesten solidarisiert, also „die richtigen Bilder geschaffen werden.“

In Deutschland organisierte XR bislang eine symbolische Blockade der Internationalen Automobilausstellung sowie Aktionen um Fridays for Future und die Kampagne plant vom 7. Oktober an, „Berlin lahmzulegen“, wozu mehrere tausend AktivistInnen erwartet werden.

Grundforderungen

Bevor wir uns mit den Aktionsformen auseinandersetzen, geben wir zunächst die drei Grundforderungen von XR auszugsweise wieder:

„Sagt die Wahrheit!

Die Regierung muss die existenzielle Bedrohung der ökologischen Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen. Alle politischen Entscheidungen, die der Bewältigung der Klimakrise entgegenstehen, werden revidiert. (…)

2. Handelt jetzt!

Die Regierung muss jetzt handeln, um die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf Netto-Null zu senken. (…)

3. Politik neu leben!

Die Regierung muss eine Bürger:innenversammlung für die notwendigen Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und für Klimagerechtigkeit einberufen. Darin beraten und entscheiden zufällig ausgewählte Bürger:innen darüber, wie die oben genannten Ziele erreicht werden können. (…) Die Regierung verpflichtet sich, die Beschlüsse der Bürger:innenversammlung umzusetzen.“

Diese drei Forderungen stellen für XR gemeinsam mit 10 „Prinzipien und Werten“ das inhaltliche Konzept dar.

Vertrauen in bürgerliche Politik

Die Grundforderungen verdeutlichen einen zentralen Widerspruch, der sich durch die ganze Bewegung zieht. Einerseits präsentiert sie sich als radikaler, internationaler und aktionistischer Flügel der Umweltbewegung. Andererseits bleiben die Forderungen sogar weit hinter deren reformistischen oder selbst linken kleinbürgerlichen Teilen zurück. Während z. B. reformistische Parteien, attac oder die verschiedenen NGOs konkrete Forderungen aufstellen, belässt es XR bei einem allgemeinen Aufruf an die Regierung. Diese solle nicht nur „die Wahrheit sagen“ und „endlich handeln“, sie soll darüber hinaus auch selbst festlegen, welche Maßnahmen notwendig sind, damit die Klimaziele bis 2025 erreicht werden können.

Dieselben Regierungen, die über Jahrzehnte versagt und die Interessen der großen Kapitale bedient haben, sollen wie durch ein Wunder zu „Klimaretterinnen“ mutieren. Und nicht nur das. Sie sollen nicht einmal konkrete Forderungen z. B. nach Besteuerung der Profite der großen Konzerne oder Ausbau des öffentlichen Nachverkehrs umsetzen, sondern selbst entscheiden, wer wie welchen Anteil an den notwendigen Maßnahmen und deren Kosten übernehmen soll. Mit anderen Worten: es wird der bürgerlichen Regierung überlassen zu entscheiden, wie viel UnternehmerInnen oder Lohnabhängige, arm oder reich „beitragen“ müssen. Allenfalls wird unverbindlich angemahnt, dass „die Bedürfnisse der Menschen, die von der ökologischen Krise am stärksten betroffenen sind, (…) Priorität“ haben sollen. Solche Allerweltserklärungen könnten selbst Trump, Merkel und Johnson unterzeichen – sie verpflichten schließlich zu nichts.

Klassen?

XR gibt sich zwar militant und kämpferisch, offenbart aber ein rühriges Vertrauen in das bestehende politische System. Die Bindung des Staatsapparates und der Regierung an die Interessen des Kapitals kommt erst gar nicht vor. XR strebt vielmehr eine Bewegung aller Klassen an, wenn aufgerufen wird, sich „der Rebellion für das Überleben anzuschließen, unabhängig von Religion, Herkunft, Klasse, Alter, Sexualität, Geschlecht sowie politischer Neigung.“ (https://extinctionrebellion.de/wer-wir-sind)

So richtig es ist, für eine Bewegung unabhängig von Religion, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung einzutreten, so problematisch wird es, wenn „politische Neigung“ und „Klasse“ keine Rolle spielen sollen.

Was die „politische Neigung“ betrifft, so ist schon der Begriff problematisch. Ob jemand rassistische oder anti-rassistische, internationalistische oder nationalistische, bürgerliche, kleinbürgerliche oder proletarische politische Positionen vertritt, ist eben keine Frage einer „Neigung“ wie z. B. ob jemand lieber Wasser mit oder ohne Kohlensäure trinkt. Es geht hier darum, welchen politischen, letztlich welchen Klassenstandpunkt eine Person oder gar eine ganze Bewegung einnimmt. So richtig es ist, dass wir für neue Menschen offen sein müssen, so bedarf es auch einer klaren Abgrenzung gegenüber rassistischen und nationalistischen Positionen, so müssen bürgerliche und kleinbürgerliche pro-kapitalistische Positionen offen politisch bekämpft werden. Alles andere läuft nicht auf eine „bunte“ Bewegung hinaus, sondern auf eine Unterordnung der großen Masse der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

BürgerInnenversammlung?

Darüber hinaus lehnen wir auch die Forderung nach BürgerInnenversammlungen ab, deren Mitglieder gar nicht gewählt, sondern per Los, also rein zufällig bestimmt werden sollen. Ein solches Gremium wäre nicht nur leicht von Regierung und bürgerlichen ExpertInnen manipulierbar, es wäre auch undemokratischer als jedes Parlament.

Auch dieses verschleiert zwar, wer die eigentliche Macht in der Gesellschaft ausübt: die EigentümerInnen von Energie-, Autokonzernen und Transportunternehmen, von Banken und Versicherungen, von Medien und IT-Unternehmen, um nur einige wichtige Teile der KapitalistInnenklasse zu nennen. Sie haben kein Interesse daran, einen effektiven Klimaschutz zu schaffen, sobald er ihren Profitinteressen entgegensteht.

Aber zu den Parlamentswahlen treten wenigstens politische Parteien an, die verschiedene Klassenkräfte repräsentieren (können), die die Lohnabhängigen somit als Feld nutzen können, ihr Programm zu vertreten. Selbst das würde bei der Verlosung zur „BürgerInnenversammlung“ völlig entfallen. Statt die Regierung und den Staatsapparat besser zu kontrollieren, würden diese in Wirklichkeit gestärkt werden.

Kontrolle und Räte

Wirklicher Klimaschutz erfordert daher, nicht weitere, gar noch undemokratischere Anbauten am bürgerlichen Staat vorzunehmen, sondern vielmehr den Kampf für klassenspezifische, in den Betrieben, Unternehmen, Stadtteilen und Kommunen verwurzelte Strukturen der Gegenmacht. Diese müssten z. B. kontrollieren, was zu welchem Zweck erforscht wird. Diese müssten die Schwerpunkte für eine nachhaltige Produktion im nationalen wie internationalen Maßstab festlegen. Solche Organe wären Mittel der ArbeiterInnenkontrolle, die vor allem in den großen Energie-, Verkehrs- und Verschmutzungsindustrien, in den Banken usw. eingeführt werden müssten. Sie müssten die Aufstellung eines gesellschaftlichen Plans kontrollieren, der ökologische Ziele und die Bedürfnisse der Mehrheit der ProduzentInnen und KonsumentInnen in den Mittelpunkt stellt.

Solche Kontroll- und Kampforgane würden ihrerseits rasch mit den Machtorganen der Unternehmen wie des Staates zusammenstoßen. Um deren unvermeidlichen Widerstand zu brechen, müssten sie selbst den Schritt von Organen der Gegenmacht zu Organen der ArbeiterInnenmacht, einer sozialistischen Umgestaltung machen.

Anhang: Welche Aktionsform?

Daher treten wir für massenhafte, kollektive Aktionsformen, die den Kern der verantwortlichen Industrien treffen, ein: Streiks, Besetzungen, Massendemonstrationen. Auch eine Platzbesetzung wie sie XR in London ausgeführt hat, kann sinnvoll sein. Es braucht aber vor allem demokratisch gewählte Organe von ArbeiterInnen, Unterdrückten und Jugendlichen.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage der Gewaltfreiheit. Da es hierbei um das Überleben der Menschheit geht, ist eigentlich klar, dass im Notfall leider Gewalt angewendet werden muss – schon allein zur Selbstverteidigung gegen die unvermeidliche Repression durch den Staat oder unternehmensnahe rechte Kräfte. In der Tat wäre die Alternative, weiter zuzulassen, dass Klimakiller unsere Umwelt zerstören, alles andere als gewaltfrei. Sie bedeutet nämlich massenhafte Vertreibung und letztlich die Zerstörung der Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen.

Die Frage lautet daher, welche Art von Gewalt und Aktionsform für uns sinnvoll ist. Sicher können „Die-Ins“kurzzeitig ein medienwirksames Symbol darstellen. Wirklich unter Druck setzen wird dies aber weder Regierung noch Konzerne. Erst eine massenhafte militante Streikaktion kann das tun. In diesem Sinne sollten die Schulstreiks fortgeführt werden und die Verbindung zu ArbeiterInnen suchen. Die Polizei wird nicht geneigt sein, solche Aktionen mit Samthandschuhen und Humor zu behandeln, aber diese können organisiert und kollektiv verteidigt werden.

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