Hasan Raza, Infomail 2018, 5. September 2018
Vor einem Monat haben die staatlichen Behörden in Bangladesch die Massenproteste von StudentInnen in Dhaka, der Hauptstadt des Landes, brutal niedergeschlagen. Polizeieinheiten sowie SchlägerInnen der Bangladesh Chhatra League, einer StudentInnenorganisation der regierenden Awami League, griffen protestierende StudentInnen an.
Die Bewegung wurde durch den Tod von zwei Studierenden am 29. Juli durch einen schnell fahrenden Bus ausgelöst. Auf den ersten Blick überrascht es, dass ein Verkehrsunfall zu so großen Protesten führen kann. Der Tod dieser StudentInnen war jedoch kein Einzelfall, sondern ist Teil eines Gesamtbildes, das auf die Vernachlässigung elementarer Sicherheitsvorschriften durch die Regierung hinweist. Mindestens 7.397 Menschen kamen im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen ums Leben, so die Nichtregierungsorganisation Passengers‘ Welfare Association. Das bedeutet, dass täglich etwa 20 Menschen auf diese Weise ihren Tod finden.
Darüber hinaus müssen diese StudentInnenproteste vor dem Hintergrund wachsender Unzufriedenheit und Unterdrückung durch die Regierung gesehen werden. Im April kam es zu Massenprotesten gegen das „Quotensystem“, das einen bedeutenden Teil der Stellen im öffentlichen Dienst für die Enkelkinder der 1971 im Unabhängigkeitskrieg getöteten KämpferInnen reserviert. Diese Demonstrationen wurden von der Polizei brutal unterdrückt.
Nach dem Tod der beiden StudentInnen Ende Juli gingen unglaubliche viele auf die Straße und forderten „Wir wollen sichere Straßen“ und „Wir wollen Gerechtigkeit“. Tausende von TeenagerInnen, unter ihnen viele die gerade einmal 13 Jahre alt sind, schlossen sich der Solidaritätsaktion an. Sie blockierten den Verkehr und baten die FahrerInnen, ihren Führerschein vorzulegen und gegen die Regierung zu protestieren. Die Juli-Bewegung war eine eindeutige Fortsetzung der April-Proteste, welche eine Reform des öffentlichen Dienstes forderten und von StudentInnen ausgelöst wurden.
Die Regierung reagierte abermals mit heftiger und brutaler Repression. Die Sicherheitskräfte Bangladeschs wollen die Proteste zerschlagen. Mehr als einhundertfünfzig StudentInnen wurden verletzt. Mehrere Studentinnen wurden sexuell belästigt und sogar vergewaltigt. Mindestens 20 JournalistInnen sollen von der Jugendabteilung der regierenden Awami League verprügelt worden sein. Die Polizei verhaftete viele DemonstrantInnen und AktivistInnen für die Unterstützung der StudentInnen, darunter auch Shahidul Alam, einen berühmten Fotografen.
Premierministerin Hasina „befahl“ den SchülerInnen, ihre Aktion zu beenden und verlangte, dass „alle Erziehungsberechtigten und Eltern ihre Kinder zu Hause lassen“. Der Innenminister, Asaduzzaman Khan, verurteilte die Proteste als „eine Verschwörung, um die Regierung handlungsunfähig zu machen“. Als Zeichen einer möglichen Hexenjagd gegen ProtestveranstalterInnen erklärte er, die Regierung werde „streng gegen diejenigen vorgehen, die sich verschworen haben die Bewegung auszunutzen, indem sie die Minderjährigen aufhetzen“.
In einem verzweifelten Versuch, die Besorgnis über die Führerschein- und Verkehrsgesetze zu zerstreuen, beschloss die Regierung rasch ein Straßenverkehrsgesetz, mit dem VerkehrssünderInnen für fünf Jahre inhaftiert und die Kaution verweigert werden können. Die Regierung kündigte auch an, dass sie die Todesstrafe für diejenigen in Betracht ziehen wird, die für tödliche Verkehrsunfälle verantwortlich sind.
Während der Proteste schalteten die Behörden Bangladeschs den mobilen Internetzugang in ganzen Landesteilen aus, um zu versuchen, die Mobilisierungsfähigkeit der StudentInnen einzuschränken. Dies passierte Stunden nachdem Polizeikräfte und unidentifizierte, mit Stöcken und Wurfgeschossen bewaffnete Männer mit den StudentInnen zusammengestoßen waren.
Obwohl die Proteste aufgrund der einschüchternden Repression weitgehend abgeklungen sind, hat der Einsatz von brutaler Gewalt durch die Regierung die politischen Widersprüche und Herrschaftsverhältnisse in der bangladeschischen Gesellschaft deutlich aufgezeigt. Sie sind eine klare Warnung, dass Hasinas Regierung, welche nicht in der Lage ist, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen, sich zunehmend in Richtung diktatorischer Herrschaft bewegt.
Während sich die Demonstrationen StudentInnen vor allem auf die Verkehrssicherheit konzentrierten, spiegeln sie auch die wachsende Frustration der Bevölkerung gegenüber der Regierung wider.
Michael Kugelman, ein Südasien-Experte am Woodrow Wilson Center in Washington, glaubt, dass die Proteste ein Ausdruck langjähriger, aufgestauter Wut über die Regierung und ihre Politik insgesamt waren.
„Es ist schwer vorstellbar, dass die bloße Frage der Verkehrssicherheit, so wichtig sie auch sein mag, eine so weit verbreitete und anhaltende Protestbewegung auslösen könnte“, sagte Kugelman gegenüber der Deutschen Welle. „Das Problem der Verkehrssicherheit ist der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken zerbrach; diese großen Proteste waren in viel tieferen und komplizierteren Widersprüchen verwurzelt.“
Wir haben in den letzten Jahren viele Bewegungen erlebt, wie die für die Reform der Studentenquoten, deren FührerInnen gerade aus dem Gefängnis entlassen wurden oder immer noch im Gefängnis sitzen. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit auch Kämpfe der ArbeiterInnenklasse gesehen, sowohl im Textilsektor als auch in anderen Bereichen, und diese zeigen die wahre soziale Kraft, die einen Kampf gegen die Regierung und den Kapitalismus führen kann.
Im Dezember werden landesweit Wahlen stattfinden, und es ist klar, dass sich die Regierung auf eine autoritärere Herrschaft zubewegt, um diese Wahlen zu gewinnen. Gleichzeitig will die bürgerliche Opposition von der wachsenden Unzufriedenheit profitieren. In dieser Situation ist es wichtig, dass sich die StudentenInnenbewegung und die ArbeiterInnenklasse verbünden und eine starke Bewegung aufbauen, um sowohl gegen die gegenwärtige Regierung als auch die bürgerliche Opposition zu kämpfen.